Macro Perspective: Tektonische Verschiebungen in der Bankindustrie – HSBC und Deutsche Bank als vorauseilende Schatten

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„Dass in die Ordnung einer Marktwirtschaft viel mehr Wissen von Tatsachen eingeht, als irgendein einzelner Mensch oder selbst irgendeine Organisation wissen kann, ist der entscheidende Grund, weshalb die Marktwirtschaft mehr leistet als irgendeine andere Wirtschaftsform.“ Friedrich August von Hayek

Die Bombe platzte Anfang Juni: Europas größte Bank HSBC wird 50 000 Stellen streichen, rund 20 % der weltweiten Mitarbeiterschaft. Es waren schon in den Vorjahren 37 000 Arbeitsplätze abgebaut worden, und es dürfte auch jetzt nicht dabei bleiben.

Regulierungs- und Rechtskosten, Margenkontraktion …

Die Flut von Regulierungsmaßnahmen, die während der vergangenen Jahre aufgesetzt wurden, geht mit exorbitanten Kosten einher, welche selbst die größten Banken kaum noch zu schultern vermögen. Dies umso mehr, wenn eine dauerhafte Margenkontraktion als Folge der Nullzinspolitik die Erträge erodieren lässt und darüber hinaus auch noch eine Welle von Rechtskosten und Strafzahlungen die bei europäischen Banken ohnehin dünne Eigenkapitalbasis aushöhlt.

Kostensenkungen und andere Maßnahmen

Der erste Schritt in einem solchen Szenario ist zumindest bei Banken, die Kosten zu senken, hauptsächlich durch Freisetzungen, schließlich sind die Personalkosten der Faktor, der neben den Marketingkosten am schnellsten zu reduzieren ist. Weiterhin werden Restrukturierungsmaßnahmen eingeleitet, wie die Veräußerung von Tochterfirmen, die in weniger wachstumsträchtigen Ländern oder Geschäftsbereichen operieren, im Fall HSBC z.B. die Aktivitäten in der Türkei und in Brasilien.

Die traditionsreiche HSBC wurde 1865 erst in Hongkong und dann in Shanghai gegründet. Bild: www.hsbc.ch
Die traditionsreiche HSBC wurde 1865 erst in Hongkong und dann in Shanghai gegründet. Bild: www.hsbc.ch

Die chinesische Karte

Auch eine Rückkehr zu den Ursprüngen, die Bank wurde 1865 in Hongkong und Shanghai gegründet und hatte ihren Sitz bis 1993 in Hongkong, erscheint nicht ausgeschlossen, da die mit einem Sitz in London verbundenen Kosten so erheblich gesenkt werden können. Die Frage wird geprüft, und eine Entscheidung hierüber ist am Ende des Jahres zu erwarten. Zudem verlagert sich der Nexus wirtschaftlicher Dynamik ja auch offensichtlich von der transatlantischen Region hin zum asiatisch-pazifischen Raum. Hier erzielte HSBC 2014 schon 78 % der Vorsteuergewinne. Bei Betrachtung der langfristigen Historie der Gesellschaft ist ein solcher opportunistischer Schritt sogar geradezu vorgezeichnet. HSBC ist im asiatisch-pazifischen Raum die Bank Nr. 1 mit besten Netzwerken in Europa und Amerika und somit der perfekte verlängerte Arm Chinas, wenn es um die globalen Ambitionen geht. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Leitung von HSBC und die chinesische Führung gute und enge Kontakte unterhalten.

Deutsche Bank – der Fall

Der Aktienkurs der Deutsche Bank-Aktie hat sich in den letzten zehn Jahren etwa halbiert. Chart: www.moneynet.ch
Der Aktienkurs der Deutsche Bank-Aktie hat sich in den letzten zehn Jahren etwa halbiert. Chart: www.moneynet.ch

Über 6 000 laufende Verfahren, Milliardenstrafen, Durchsuchungen, täglich neue Hiobsbotschaften – bei der HV am 21.05. kam es schließlich zur Revolte der Aktionäre. Die Entlastung des Vorstands mit nur 61 % markiert zweifellos den bisherigen Tiefpunkt in der langen Geschichte des Bankinstituts. Es waren vor allem institutionelle Anleger, vornehmlich aus dem angelsächsischen Raum, die die Entlastung verweigerten, häufig unter dem Gesichtspunkt mangelnder Governance. Die Ohrfeige war deutlich. Innerhalb weniger Tage kündigten beide CEOs ihren Rücktritt an, Jain sofort, Fitschen in einem Jahr. Die Vertrauenskrise hat inzwischen auch den Aufsichtsrat erreicht, dessen Entlastung mit 93 % nicht mehr zufriedenstellend ausfiel. Es war offensichtlich nicht gelungen, eine höhere Präsenz freundlicher Aktionäre herbeizuführen, was zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, die Präsenz bei der HV betrug lediglich 33.37 % des stimmberechtigten Kapitals. Nachfolger als CEO wird das Aufsichtsratsmitglied John Cryan, ein Brite und Investment Banker, der durch seine Tätigkeit bei UBS (1992-2011) in der Schweiz kein Unbekannter ist.

Management-Fehler und Versäumnisse

Die Ursachen für die Krise bei der Deutschen Bank sind fast gleich wie bei HSBC und anderen Großbanken. Regulierungskosten, Rechtsstreitigkeiten, Strafzahlungen, Margenkontraktion. Im Unterschied zu UBS und auch HSBC hat die Deutsche Bank allerdings die Zeit nach 2008 nicht dazu genutzt, sich auf Geschäftsbereiche mit stabileren Erträgen zu konzentrieren, sondern hat den Rückzug der Wettbewerber aus einzelnen Investment Banking Bereichen sogar dazu genutzt, um ihre Marktanteile auszuweiten. Ein Beispiel ist der Edelmetallhandel, in den zunächst expandiert wurde mit dem Resultat, dass die Bank jetzt im Zentrum der Ermittlungen zu Manipulationsvorwürfen gegen das Goldhandelsoligopol steht.

Down-sizing

In der Konsequenz wird es jetzt bei der Deutschen Bank zu einem Down-sizing kommen. Am Ende könnten der Filialbetrieb und das Privatkundengeschäft nur noch ein Schatten ihrer früheren dominanten Stellung sein. Bleiben werden Asset Management, Wealth Management, Corporate Finance etc., die Bank könnte Deutschland sogar verlassen und ihren Sitz nach London verlegen, wo das Handeln als Investment Bank auf absehbare Zeit bessere Konditionen vorfinden wird als in Kontinentaleuropa. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Briten der EU den Rücken zukehren.

Tektonik

Abgesehen von dem fortgesetzten beispiellosen Fehlverhalten nahezu aller Großbanken bei den Manipulationen von Zinssätzen, Devisen, Rohstoffen usw. und den daraus resultierenden negativen langfristigen Auswirkungen zerren auch mächtige säkulare Kräfte an den Banken, die einen immer größeren Tribut fordern. Zwar befinden sich die überschuldeten Staaten und die Großbanken in einer unheilvollen Allianz, die durch wechselseitige Abhängigkeit und Erpressbarkeit gekennzeichnet ist, doch im Endresultat zerstört eine langfristige Nullzinspolitik die Basis und das Geschäftsmodell der Banken, die ja zunächst und vor allem Kreditinstitute sind, indem die Marge sukzessive gen null tendiert. Warum sollten die Banken Kredite an private oder gewerbliche Kunden vergeben, mit allen Ausfallrisiken, dem administrativen Aufwand und der Eigenkapitalunterlegung, wenn sie doch unlimitiert Zentralbankgeld aufnehmen können, fast kostenfrei, und damit Staatsanleihen kaufen können, ohne Eigenkapital unterlegen zu müssen, oder Beteiligungen, Wertpapiere, Derivate. Auf Kredite an Nicht-Banken entfällt daher ein immer geringer werdender Anteil der Bilanzsumme der Bankindustrie, in Deutschland sind es nach einer aktuellen Erhebung nur noch ca. 40 %, die Differenz entfällt auf Staatsanleihen, Wertpapiere, Beteiligungen und Derivate.

EZB-Politik verfehlt Ziel

Damit wird offensichtlich, dass die QE Maßnahmen eben nicht zu der vermehrten Kreditvergabe an Unternehmen führen, sondern lediglich dazu, dass die Banken zu Hedge Fonds mutieren und die Hedge Fonds wiederum als nicht regulierte Schattenbanken im Kreditgeschäft ein immer größeres Rad drehen. Beispielsweise wird insbesondere in den USA und China ein bedeutender Anteil der Unternehmenskredite von Nicht-Banken gewährt. Diese Kreditgeber, also andere Unternehmen, Privatanleger, Schattenbanken, unterliegen nicht der Finanzaufsicht, womit Klumpenrisiken bei bspw. bedeutenden Finanzinvestoren nicht gesehen werden und dann wie bei LTCM zu plötzlichen systembedrohenden Verwerfungen führen können. Die europäischen Banken sitzen auch laut IWF auf 900 Mrd. Euro NPLs, also Krediten, die nicht mehr bedient werden.

Finanzmathematik ad absurdum geführt

Der Zins, so lernt es jeder angehende Banker, ist der Preis für den Zeitfaktor im Kreditgeschäft. Doch wenn der Barwert einer Zahlung heute und in 20 Jahren gleich ist, so führt dies zwangsläufig in einer auf Renditeerzielung basierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsform zu einer massiven Fehlallokation von Kapital – mit weitreichenden Folgen. Dies ist umso ausgeprägter als die gegenwärtigen Bedingungen am Kapitalmarkt ja nicht Ergebnis des freien Spiels von Angebot und Nachfrage sind, sondern vielmehr Ergebnis eines Zwangs der Regierungen, ihre ohnehin weit überdehnte Schuldentragfähigkeit noch mehr zu belasten, was ja zumindest unter Cashflow-Aspekten solange gut gehen kann, wie der Zinssatz bei oder nahe null liegt. Jedem sachkundigen Beobachter muss auffallen, dass die Basler Richtlinien bis hin zur Stufe III und die entsprechenden Richtlinien für Versicherer die Banken und Versicherungen praktisch zum Kauf von Staatsanleihen in großem Maßstab verpflichten, oder sie eine dramatische Verkürzung der Bilanz hinnehmen müssen, da jedes andere Aktivum mit bedeutendem Eigenkapital unterlegt werden muss. Eine Zweckgemeinschaft auf Zeit, solange es noch geht.

Finanzmarktrevolution von unten

Zusätzlich haben die rapiden Veränderungen in Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft eine disruptive Welle ausgelöst, die nun zu allem anderen die Bankenwelt wie ein sich auftürmender Tsunami ereilt. Banking Disintermediation ist ein Prozess, der längst läuft und im Prinzip die Zerlegung der Bankdienstleistungen in ihre einzelnen Bestandteile und Abläufe beinhaltet und mehr generell die Umgehung des Mittelsmannes durch direkte Geschäftsbeziehungen bedeutet. Zahlungsabwicklung, Origination, Collateralization etc. Das bedeutet aber auch, dass über die verschiedenen Einfallstore Nicht-Banken in das Kreditgeschäft einbrechen, um sich Marktanteile zu sichern. Google, Amazon, Apple stehen in der ersten Linie. Jamie Dimon, CEO von J.P.Morgan, sagte vor kurzem:“Silicon Valley is coming (to banking)“. Ein ganz entscheidender Faktor ist jedoch die bislang von der Hochfinanz eher belächelte Crowdfunding Revolution, eine bisher ungebrochene Wachstums- und Erfolgsgeschichte.

Hedge Fonds mögen digitale Privatkredite

Spätestens seit dem erfolgreichen Börsengang von Lending Club (LC) ist das Thema Crowdfunding auch an der Wall Street angekommen. Inzwischen allokieren Hedge Fonds und andere Finanzinvestoren durchaus ein Mal 50 oder 200 Mio. US-Dollar an die p2p lending (Kredite von Privat an Privat) Asset Klasse. Das bedeutet, dass ein solcher Betrag über kleine Stückelungen in Tausende von Privatkrediten angelegt wird mit Renditen von 5-25 %, je nach Risikoklasse. Seit auch hier Verbriefungen vorgenommen werden, ist auch Crowdfunding zum festen Bestandteil der Finanzindustrie geworden. Es existiert sogar ein Sekundärmarkt für solche Privatkredite, das bieten Banken dem privaten Kreditgeber bis heute nicht.

Digitaler Wandel – Endzeit für Banken

Es liegt auf der Hand, dass die Kreditwelt im digitalen Zeitalter den Banken mehr und mehr entgleitet. Die junge Generation hat ein anderes Verhältnis zum Kredit und zum Internet und nutzt das p2p lending sowohl als Anleger als auch als Kreditnehmer zunehmend. Wenn die Akzeptanz dieser marktgerechteren Nachfolge von Bankdienstleistungen in der Gesellschaft ein gewisses Maß erreicht hat, finden die Umwälzungen nicht mehr langsam und linear statt, sondern plötzlich und disruptiv. Da Anleger bei anderen Kreditprodukten keinen nennenswerten Zins mehr erhalten, werden sie sich auf der Suche nach Rendite schnell vom p2p lending überzeugen lassen. Die Ausfallrisiken sind unter Auslassung der höheren Risikoklassen nach allen verfügbaren Statistiken ähnlich wie bei Mikro-Krediten bei kaum 1 %, die Renditen liegen auch in Europa bei 5-20 %. Das Entscheidende ist, dass der Mittelsmann, die Bank, ausgespart bleibt und sich Kreditgeber und -nehmer die Marge teilen. Dies wird die Bankenlandschaft in den nächsten Jahren redefinieren. Die Bankindustrie wird wohl demselben Strukturwandel unterworfen, der schon Einzelhandel und Medien transformiert hat. Wahrscheinlich sogar noch stärker wegen der höheren IT-Lastigkeit beim Banking. Und dies wiederum wird gravierende Auswirkungen auf das gesamte monetäre Umfeld haben, denn beim p2p lending handelt es sich nicht um frisch geschöpftes Giralgeld wie bei den Banken, sondern um bereits bestehendes Geld. Die Notenbanken haben dann noch weniger Einflussmöglichkeiten bei der Steuerung der Geldmenge.

Kollektive Illusion und die harte Realität

Realwirtschaft und Finanzwirtschaft, die derzeit scheinbar voneinander losgelöst existieren, driften weiter auseinander. Dies verstärkt die gesellschaftlichen Gegensätze. Statt die existenziellen Probleme zu lösen, singen die gewählten Politiker zusammen mit den Militärs „We are the World“ oder machen auf große Familie, für 360 Mio. Euro deutsche Steuergelder, wie in Elmau. Die Blindheit gegenüber den Machenschaften von Fifa und den ganzen mafiösen Strukturen im Fußball zeigt nicht nur die weitreichenden Verflechtungen, auch die Clinton Foundation und Interpol sind betroffen, sondern vor allem, dass Brot und Spiele unverändert ein integraler Bestandteil der Volksverblödung sind, während sich Kleptokraten ohne jede Scham die Taschen füllen. Tatsächlich ist die durch die willfährige Notenbankpolitik beschleunigte Vermögens- und Einkommenskonzentration aus wirtschaftshistorischer Sicht nur noch mit den Verhältnissen zu der Zeit Ende des Römischen Reiches oder am Vorabend der französischen Revolution zu vergleichen.

Hayeks Einschätzung aus den 60er Jahren gilt unverändert: „Die heute praktizierte Form der Demokratie ist zunehmend ein Synonym für den Prozess des Stimmenkaufs und für das Schmieren und Belohnen von unlauteren Sonderinteressen, ein Auktionssystem, in dem alle paar Jahre die Macht der Gesetzgebung denen anvertraut wird, die ihren Gefolgsleuten die größten Sondervorteile versprechen, ein durch das Erpressungs- und Korruptionssystem der Politik hervorgebrachtes System mit einer einzigen allmächtigen Versammlung, mit dem Wortfetisch Demokratie belegt.“

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