Eugen Perger, Energieanalyst Research Partners (Teil II): „Die kleine Schweiz ist keinesfalls eine Insel, sondern vielmehr ein Transitland.“

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Durch Ölpreiskrise, Liberalisierung des Strommarktes und technologische Fortschritte stehen die Schweizer Energiemärkte vor grossen Herausforderungen. Die traditionell wichtige Wasserkraft ist defizitär, von der Kernkraft soll sukzessive die vollständige Trennung erfolgen. Eugen Perger lässt die Leser von schweizeraktien.net mit seinem analytischen Auge hinter die Kulissen und jenseits der Schlagzeilen blicken.

Kommen wir doch auf den Energie-Mix und die Energiestrategie 2050 zu sprechen. Dort sind Ziele für die einzelnen Energieformen genannt, z.B. soll ja langfristig die Kernenergie vollständig ersetzt werden. Die Wasserkraft, die traditionell in der Schweiz eine grosse Rolle spielt, ist heute defizitär. Die Akzeptanz von Windkraftparks erscheint sehr begrenzt. Welche Entwicklungen erwarten Sie?

Zusammengefasst erwarte ich kurzfristig gar keine so grossen Änderungen. Die Wasserkraft hat es gegenwärtig schwer, wird aber ihre historisch gewachsene Stellung kaum aufgeben. Natürlich werden einzelne Kraftwerke leiden, die Investitionen werden heruntergefahren oder die eingeplante Stufe II wird jetzt doch nicht realisiert, siehe etwa die bereits erwähnte Erweiterung der Anlagen an der Grimsel.

Aber es gibt auch viele, vor allem ältere, Wasserkraftwerke, die gar nicht so weit vom Break-Even entfernt sind. Da braucht es nicht viel, eine Trockenperiode wie im Spätsommer 2015 genügt, und diese Anlagen können wieder rentabel Spitzenenergie einspeisen. Auch die Lage des klassischen Flusskraftwerks an Rhein, Rhone oder Aare ist gar nicht aussichtslos. Bei diesen Anlagen ist der Investitionsbedarf überschaubar, und die Turbinen laufen idealerweise Tag und Nacht. Wo geringe Kosten auf hohe Betriebszeiten treffen, dürfte die Konkurrenzfähigkeit grundsätzlich gegeben sein.

Die Kernkraft bleibt wohl noch eine Weile ein wichtiger Energielieferant, denn die beiden grossen Kraftwerke Gösgen und Leibstadt bleiben aus heutiger Sicht noch Jahrzehnte am Netz, es wird nämlich mit einer technischen Lebensdauer von ca. 60 Jahren gerechnet. Die Abschaltung von Mühleberg hingegen ist beschlossene Sache, und die beiden Beznau-Reaktoren dürften wohl auch in absehbarer Zeit stillgelegt werden.

Die Nutzung der Windkraft stösst in der Schweiz auch auf topografische und klimatische Bedingungen, die weniger optimal als in der Nordsee oder in Süditalien sind. Das Potenzial ist eher begrenzt. Es kam auch schon zu Enttäuschungen in den Schweizer Alpen, da geplante Standorte nicht die erhoffte Windhäufigkeit erreichen konnten. Generell sind die vielen lokalen Windsysteme wie Föhn, Bise, Talwinde und die im Sommer häufigen Gewitter einfach nicht besonders zuverlässig für die Nutzung der Windkraft. Dennoch wird der Anteil der Erneuerbaren Energien zunehmen.

Stark investiert wird in die Kleinwasserkraft, das sind Kleinanlagen, welche maximal 10 Megawatt installierte Leistung haben und berechtigt sind, Fördermittel zu erhalten. Die waldreiche Schweiz produziert grosse Mengen an Holzabfällen – das ist ein nachwachsender, CO2-neutraler Brennstoff. Romande Energie produziert so heute Strom.

Bleiben wir doch bei der Wasserkraft, da gab es in letzter Zeit auch Veräusserungen von Kraftwerken, und an anderer Stelle sollen institutionelle Anleger ins Boot geholt werden. Wie interpretieren Sie das?

Es handelt sich um Anpassungen und strategische Bereinigungen; beispielsweise expandieren die Schweizer Versorger ja in alle Richtungen: Deutschland, Frankreich, Italien. Andere konzentrieren sich. Mit Blick auf die institutionellen Anleger ist es so, dass diese aufgrund des Negativzins-Szenarios nach Alternativen suchen müssen, die noch positive Renditen bringen. Bei langfristiger Betrachtung macht es für Pensionskassen Sinn, sich an Wasserkraftwerken oder auch Windkraftparks zu beteiligen.

Auf Ebene der Versorgungsunternehmen bleibt die Aktien- und Stimmen-Mehrheit erhalten, indem eine Holdingstruktur eingeführt wird. Etwas problematisch kann es werden, wenn dem Finanzinvestor das Know-how zum Betrieb der Windanlage fehlt. Aber das ist mit ein Grund, warum grosse Stromkonzerne wie etwa Alpiq hier ihre Dienstleistungspalette so entschieden ausbauen.

Es gibt ja auch sehr viele kleine Wasserkraftwerke. Wie ist da die Entwicklung?

Der Trend wird durch die Dezentralisierung eher gestützt. Viele Schweizer Stromkonzerne planen und bauen neue Kleinwasserkraftwerke, auch im benachbarten Ausland. Häufig werden alte Anlagen optimiert. Im Gegensatz etwa zu Windrädern ist der Eingriff ins Landschaftsbild (und damit auch der politische Widerstand) gering. Die insgesamt in Form von Kleinwasserkraftwerken installierte Leistung fällt mit einigen 100 Megawatt allerdings nicht sonderlich ins Gewicht. Grosse alpine Wasserkraftwerke wie Grande-Dixence haben installierte Leistungen von über 1000 Megawatt.

Gutes Stichwort. Wie sehen die Konsequenzen für die Netzbetreiber aus, wenn Kleinkraftwerke, Dezentralisierung und Smart Grids die Nachfrage nach Netzleistung sukzessive reduzieren?

Es ist eher so, dass die neuen erneuerbaren Energien die Anforderungen an das Stromnetz erhöhen. Etwas bildlich gesprochen war es bisher so, dass ein grosses Kraftwerk Strom einspeist und es bis zum einzelnen Verbraucher verteilt. Neu ist, dass viele Verbraucher auch Produzenten sind, Strom fliesst also in beide Richtungen, und Wind- und Solarstrom schwanken bezüglich ihrer Einspeiseleistung ganz erheblich.

Da das Netzgeschäft gesetzlich stark reglementiert ist, können Netzbetreiber wie BKW, Romande Energie oder der Energiedienst die hohen Investitionen ins Netz über eine Erhöhung der Entschädigungen für den Netzbetrieb kompensieren. Von dem vom Endkunden bezahlten Strompreis fallen rund 6 bis 8 Rappen auf die Entschädigung des Netzbetreibers, also grob ein Drittel. Ein weiterer Drittel betrifft den eigentlichen Strom, also das Entgelt für die Erzeugung der elektrischen Spannung, und der letzte Drittel sind Gebühren und Abgaben. Die daraus resultierende Chance bei Beratung und Installationen versuchen die Unternehmen ja ebenfalls ganz gezielt zu nutzen.

Die Industrie in der Schweiz gilt als sehr effizient, aber mehr Wachstum geht ja in der Regel auch mit mehr Energieverbrauch einher. Welche Einblicke können Sie hier unseren Lesern vermitteln?

Das Wichtigste ist, dass nicht zuletzt wegen der Frankenstärke und dem allgemein sehr hohen Preisniveau viele Unternehmen ihre Produktion bereits verstärkt ins Ausland verlagert haben, in die EU, aber auch nach China, in die USA, nach Brasilien. Und die klassischen energieintensiven Industrien wie Glas-, Kiesel- oder Stahlproduktion findet man heute kaum noch in der Schweiz, mit einigen wenigen Ausnahmen. Dienstleistungsgesellschaften leben eher von Humankapital als von der energieintensiven Schwerindustrie, ich denke da etwa an die in der Schweiz prominent vertretene Medizinaltechnik oder die pharmazeutische Industrie. Generell ist die Schweiz auch in der Mess- und Regeltechnik stark. Auch wird sie ein Finanzzentrum bleiben. Diese Industrien sind aber alle nicht besonders energieintensiv.

Welche Rolle spielt die Geo-Politik für die Schweizer Energiemärkte?

Die kleine Schweiz ist keinesfalls eine Insel, sondern vielmehr ein Transitland. Dies gilt auch für den elektrischen Strom, zum Teil auch für Erdgas. Daher ist die Schweiz eine Stromdrehscheibe; alle grossen Schweizer Stromkonzerne sind auch Stromhändler. Die grosse Politik wirkt sich über den Hebel Erdölpreis unmittelbar auch auf die Schweiz bzw. das Schweizer Energiepreisniveau aus, wie eingangs besprochen.

Ein weiteres Thema ist das Verhältnis zum Gas-Riesen Russland. Soll man etwa Kohlekraftwerke und ältere Atommeiler in Osteuropa weiter laufen lassen, um so etwas unabhängiger von Russland zu werden? Soll man deswegen Abstriche machen bei den CO2-Reduktionszielen? Solche Fragestellungen betreffen die Schweiz genauso wie Europa als Ganzes.

Generell erwarte ich gewisse Anpassungen bei der Subventionierung der neuen Erneuerbaren Energien wie der Windkraft. Es werden nicht mehr alle Anlagen gefördert, sondern nur noch diejenigen, die aufzeigen können, dass sie besonders effizient sind und mit wenig staatlicher Unterstützung auskommen können. Auch wird die Höhe der ausgezahlten Subventionen künftig weniger von der installierten Kapazität als vielmehr von der tatsächlich eingespeisten Strommenge abhängen. Der Windfarm-Betreiber wird beispielsweise das unternehmerische Risiko ungünstiger Wetterlagen vermehrt selber tragen müssen und im Wettbewerb mit anderen Windfarmen stehen, wenn es um die Zuteilung öffentlicher Fördermittel geht.

Das Stromabkommen mit der EU scheint eine Endlosgeschichte zu sein. Was ist hier Stand der Dinge?

Das Verhältnis Schweiz-EU wird gegenwärtig stark von der konkreten Umsetzung der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative geprägt. Da laufen komplexe, langwierige Verhandlungen, die sich auf andere Dossiers wie eben das Stromabkommen ebenfalls auswirken dürften. Offensichtlich rechnet heute niemand mehr mit einer raschen Verabschiedung, ich persönlich genauso wenig. Die vollständige Strommarktliberalisierung auch für Kleinstkunden wird in der Schweiz kaum vor 2020 Realität werden können.

Kommen wir doch noch einmal zu den Aktien. Warum genau sind BKW und Romande Energie Ihre Favoriten, und welche Kursziele haben Sie im Auge?

Genau: Ich habe gegenwärtig zwei Favoriten, nämlich die BKW und die Romande Energie. Beide Titel haben ein grosses eigenes Stromnetz, und bei beiden Unternehmen wurden nur moderate Investitionen in gegenwärtig nicht mehr rentable Grosskraftwerke getätigt. Romande Energie hat zudem den Vorteil, dass das eigene Einzugsgebiet im Vergleich zur eigenen Stromerzeugung gross ist. Die Firma kann so von den gegenwärtig tiefen Strompreisen beim Einkauf über den Markt profitieren. Da dieser Strom über das eigene Netz zum Endkunden fliesst, wird Romande Energie für die Netzdienstleistung entsprechend entschädigt.

Für die BKW ergeben unsere Berechnungen ein 12-Monats-Kursziel von 54 Franken und für die Romande Energie ein solches von 1400 Franken. Obwohl beide Aktien dieses Jahr stark gelaufen sind, besteht meines Erachtens weiteres Potenzial. Beide Titel wurden in den Boomjahren im Übrigen sehr viel höher gehandelt. Beide Unternehmen sind finanziell gesund und entrichten eine ansprechende Dividende auf ihre Aktien.

Worauf sollten denn Anleger, ganz generell, bei Energie- und Versorgeraktien achten? Welche sind die wichtigsten Kriterien und Faktoren für die weitere Kursentwicklung?

Ich rechne wie eingangs eingeführt mit einer weiteren Entspannung der Situation, sprich einer weiteren Erholung der Strompreise. Wie weit diese geht, bleibt unklar, denn das Strom-Überangebot in Europa wird nicht so schnell bereinigt werden können. Daher bleiben Unternehmen mit einer breiten Diversifikation die Favoriten. Ein eigenes Stromnetz ist Gold wert, denn dieser Bereich ist reguliert, und das Stromnetz ist unersetzbar. Wer finanziell agil ist und rasch handelt, hat beim Aufbau des Dienstleistungssektors die Nase vorn. Dies ist mit ein Grund, warum mir die BKW gut gefällt. Wer, wie Alpiq, sehr stark auf die Erholung der Strompreise angewiesen ist, bleibt riskant, da das Ausmass der gegenwärtig laufenden Strompreiserholung einfach nicht eingeschätzt werden kann.

Ungünstig ist es, wenn in den Boomjahren vor der Finanzkrise 2008 gross in Pumpspeicherkraftwerke investiert worden ist. Diese Grossanlagen kommen heute auf einen Markt, der für sie wenig geeignet ist. Pumpspeicherwerke kaufen billige Bandenergie ein, um damit Pumpen zu betreiben und Wasser in die Stauseen hochzupumpen. Falls die Gelegenheit günstig ist, etwa an einem kalten Wintertag, lassen sie das Wasser wieder über die Turbine laufen und verkaufen den erzeugten Strom als teure Spitzenenergie.

Physikalisch entsteht durch das Pumpen notwendigerweise ein Verlust, wirtschaftlich jedoch ein Gewinn, vorausgesetzt, Spitzenenergie ist deutlich teurer als Bandenergie. Gerade dies ist heute aber generell nicht mehr der Fall. Bandenergie kostet gegenwärtig etwas über 3 Eurocents je Kilowattstunde, Spitzenenergie etwas über 4. Der Unterschied von 1 Cent je Kilowattstunde ist viel geringer als in den Boomjahren und macht Pumpspeicherwerke generell unrentabel. Umgekehrt ist im Vorteil, wer wenig in Kraftwerke investieren muss und über ältere alpine Anlagen oder Flusskraftwerke verfügt. Von denen sind nämlich nicht wenige mit Produktionskosten von nahe 3 Rappen je Kilowattstunde nach wie vor rentabel.

Vielen Dank, Herr Perger, für die spannenden und hintergründigen Einblicke, die Sie mit unseren Lesern zu teilen bereit waren.

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