Macro Perspective: Drei Entlassungen, ein Rücktritt und ein Todesfall – Krisenszenario löst Kaskadeneffekte aus

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„Es gibt viele Leute, die dazu bestimmt sind, falsch zu denken, andere dazu, gar nicht zu denken, und wieder andere dazu, diejenigen zu verfolgen, welche denken.“ Voltaire (1694-1778) Philosoph, Historiker, Schriftsteller

Werner Faymann, der ehemalige österreichische Bundeskanzler. Bild: SPÖ
Werner Faymann, der ehemalige österreichische Bundeskanzler. Bild: SPÖ

Der plötzliche Rücktritt von Bundeskanzler Faymann im Nachbarland Österreich zeigt die ersten politischen Konsequenzen der gescheiterten EU-Nahostpolitik. Schlag zwei in Österreich könnte schon bald bei der Wahl des Bundespräsidenten folgen, denn beide Kandidaten sagen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, „Nein“ zur Fortsetzung der bisherigen EU-Politik.

Österreich im Spannungsfeld

Zwar handelt es sich beim Amt des Präsidenten in Österreich um ein primär repräsentatives, dennoch drückt sich im Wahlverhalten eine fundamentale Verlagerung der politischen Kräfte aus, was erstens auch ein vorauslaufender Schatten der österreichischen Parlamentswahlen im Herbst 2018 ist, sollte es nicht zu einer vorgezogenen Neuwahl kommen, und zweitens symptomatisch für den ganzen Kontinent. Seit 1945 gab es in Österreich praktisch ein Zwei-Parteien-System: die konservative ÖVP und die sozialdemokratische SPÖ. Diese stellten bis zur laufenden Präsidentenwahl stets auch die Kandidaten. Doch dieses Jahr ist alles anders. Im ersten Wahlgang erzielte der Kandidat der rechtspopulistischen Freiheitspartei, Norbert Hofer, mit 35% die meisten Stimmen. Auf Rang zwei folgte Alexander van der Bellen von der Grünen Partei. Die traditionellen Volksparteien haben wie in Frankreich, Spanien und Deutschland scheinbar ihre Glaubwürdigkeit durch die inkonsistente Politik weitgehend verspielt.

Faymann – Opfer des Populismus

Gerade der Fall Faymann zeigt beispielhaft die Rückgratlosigkeit der Protagonisten auf der politischen Bühne. Zunächst war Faymann, wie man es von einem Sozialdemokraten erwarten würde, mit der deutschen Kanzlerin gemeinsam für offene Grenzen eingetreten. Die Dynamik der Situation mit der Weigerung nahezu aller EU-Länder, ihren humanitären Verpflichtungen nachzukommen, liess Österreich jedoch zum Flaschenhals der Flüchtlingsrouten werden, was die nationalistischen Kräfte mobilisierte. Dies zwang Faymann zu einer 180-Grad-Wende, Österreich schloss die Grenzen, woraufhin Faymann bei Merkel und Juncker zur „persona non grata“ wurde. Der Rücktritt war konsequent und auch zu erwarten. Spätestens seit im erzkonservativen Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann jedoch ein Grüner überaus erfolgreich Politik macht, erscheint auch in Österreich und anderswo ein solcher Wechsel nicht mehr unmöglich. Allerdings ist es genauso gut möglich, dass sich in Österreich die Last der Geschichte entlädt, wie bereits beim Aufstieg des Demagogen Haider, der schliesslich sogar Kärnten regierte und ganz wesentlich an der Entstehung des Hypo Alpe Adria Debakels beteiligt war.

Einigung mit Hypo Alpe Adria Gläubigern

Kurz nach dem Rücktritt Faymanns und der Vereidigung seines Nachfolgers Christian Kern wurde jetzt durch die Einigung des Bundeslands Kärnten (tatsächlich Bundesrepublik Österreich) mit den Gläubigern der Hypo Alpe Adria dieses gewaltige Damoklesschwert über der Alpenrepublik entfernt. Die milliardenschweren Garantien des Bundeslandes Kärnten hätten zweifellos in dessen Insolvenz gemündet und dann wohl auch Österreichs Bonität geschadet. Jetzt einigte man sich auf die Befriedigung von 90% der Forderungen, davon 75% in bar. Der Rest, und wahlweise auch die Barquote, wird durch eine Nullkuponanleihe mit expliziter Garantie des Bundes bedient. Banken hatten auf Druck der EZB bereits 50% der Forderungen abgeschrieben und freuen sich jetzt über den ausserordentlichen Gewinn. Hedge Fonds, die auf stark ermässigtem Kursniveau eingestiegen sind und sich bei den Verhandlungen hart gezeigt hatten, freuen sich noch mehr.

Entlassung Davutoglus

Ebenso plötzlich kam die Entlassung des türkischen Premierministers Davutoglu. Der immer freundlich lächelnde Ökonom war seit seinem Amtsantritt 2014 immer mehr zum Gesicht der Türkei geworden. Ob in Berlin oder Brüssel, man hatte lieber mit dem zuverlässigen und freundlichen Davutoglu zu tun als mit dem aufbrausenden, cholerischen und immer weniger berechenbaren Erdogan. Der Premier galt als mässigend, auch mit Blick auf die Eskalation des Konflikts mit den Kurden und die inzwischen uneingeschränkte Beschneidung von Presse- und Meinungsfreiheit. Davutoglu unterstützte auch nicht mit dem von Erdogan gewünschten Enthusiasmus dessen Bestrebungen zur Etablierung eines präsidialen Systems, also die Konzentration der Macht beim Präsidenten, wofür erst mal eine Verfassungsänderung erforderlich ist. In der Türkei gilt eine 10%-Schwelle, um als Partei ins Parlament zu gelangen. Das Kalkül Erdogans ist, die im Parlament vertretene Kurdenpartei als Terroristen zu diskreditieren und so bei den kommenden Wahlen ebenso wie andere marginale Parteien unter die 10%-Schwelle zu bringen. Bei so einer Konstellation dürfte die AKP genügend Sitze gewinnen, um Erdogans Vorhaben umzusetzen.

Sinkflug der Türkischen Lira

Am Tag der Ankündigung der Entlassung stürzte die Türkische Lira um weitere 4%, was die Einschätzung der Finanzmärkte deutlich zum Ausdruck bringt. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass kurz zuvor bereits der Präsident der Zentralbank ausgetauscht worden war. Nach fünf Jahren war der Vertrag von Erdem Basci abgelaufen. Er stand für eine wenn auch unorthodoxe, doch immerhin effektive und unabhängige Notenbankpolitik. Es ist bekannt, dass es mit Erdogan ständig Auseinandersetzungen um die Zinspolitik gab. Basci erreichte zwar nie in den fünf Jahren das Inflationsziel von 5%, doch immerhin eine gewisse Stabilität und Glaubwürdigkeit, die ganz wesentlich für die fortgesetzten Kapitalzuflüsse aus dem Ausland waren. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum während seiner Ägide belief sich auf rund 5% p.a., weit stärker als in den meisten Emerging Markets. Doch Erdogan scheint davon überzeugt zu sein, dass dramatisch niedrigere Zinsen alle seine Probleme lösen werden, und dass Basci Opfer und Vertreter einer „internationalen Zinslobby“ sei. Sein jetzt ernannter Nachfolger, Murat Cetinkaya, war zwar stellvertretender Zentralbank Gouverneur in einer Provinz, doch ist ansonsten ein unbeschriebenes Blatt. Dass der jedoch einen Hintergrund in „Islamic Finance“ hat, zeigt klar die gesamte Richtung von Erdogans Zielsetzungen. Sein erster Akt war eine Zinssenkung um 50 Basispunkte. Bei einer fortgesetzt willfährigen Notenbankpolitik dürfte die Währung weiter im Sinkflug bleiben, und das Wachstum, 4% in 2015, wird weiter an Fahrt verlieren, nicht zuletzt in Folge des kollabierenden Tourismus sowie der Kriegssituation an der syrischen Grenze wie auch des Bürgerkriegs im Kurdengebiet. Die Inflation steuert dann wieder in den zweistelligen Prozentbereich. Der vielfach kritisierte Deal zwischen der EU und der Türkei dürfte aus heutiger Sicht nicht mehr zustande kommen. Vielmehr dürften Kurden, andere Minoritäten, Wissenschaftler und Intellektuelle ihrerseits die autokratische Türkei in Richtung Europa verlassen.

Das würdelose Ende von Mr. Oil

Weit dramatischer fiel das Revirement in Saudi-Arabien aus. Seit 1995 galt der saudische Ölminister Ali al-Naimi weltweit als „Mr. Oil“. Er dirigierte die OPEC und war Architekt der „Swing Producer“ Rolle, die Saudi-Arabien lange eingenommen hatte. Mr. Oil drehte den Hahn auf bei Preisspitzen und Engpässen und wieder zu bei drohendem oder tatsächlichem Überangebot. Dass der über 80-Jährige abtreten würde, stand im Raum, doch dass es eine relativ würdelose Entlassung durch den gerade 31-jährigen Thronfolger sein würde, überraschte dann doch, machte jedoch den totalen Machtanspruch von Prinz Muhammad ben Salman deutlich, der jetzt über Militär und Öl gebietet. Gleichzeitig wurden diverse Ministerien reorganisiert, und schliesslich wurde auch der Gouverneur der Saudi Arabia Central Bank neu besetzt. Das Ganze folgt scheinbar einem McKinsey Script, denn die Aktionen im Zusammenhang mit der vor kurzem vorgestellten „Vision 2030“ folgen weitgehend den Empfehlungen einer Ende 2015 vom McKinsey Global Institute veröffentlichten Studie: „Moving Saudi Arabia´s Economy Beyond Oil“. Bei saudischen Unternehmern wird das Planungsministerium neuerdings als McKinsey Ministerium bezeichnet. Ziele sind u.a. der Abbau der Abhängigkeit von Ölexporten durch eine Stärkung des privaten Sektors. Auf den entfallen 40% der Wirtschaftsleistung, die durch geeignete Massnahmen auf 60% ansteigen sollen. Dadurch soll die Arbeitslosigkeit von 11% signifikant reduziert werden. Das Land steht unter Druck, denn nach vielen Jahren der Budgetüberschüsse brachte 2015 ein Budgetdefizit von 15% des GDP, das sich dieses Jahr auf bis zu 20% ausweiten könnte. Die Defizite wurden durch den Verkauf von Aktiva im Wert von bisher über 150 Mrd. USD aus dem Sovereign Wealth Fund ausgeglichen. Weiterhin nahm Saudi-Arabien im April 10 Mrd. USD Bankkredit in Anspruch, davon je 1,3 Mrd. USD von Bank of Tokyo-Mitsubishi, JP Morgan und HSBC. Mindeststückelung waren 500 Mio. USD. Laufzeit ist 5 Jahre, der Zinssatz bewegt sich bei 120 Basispunkten über USD Libor. Das war der erste internationale Kredit für Saudi-Arabien seit 1991 und sollte den Markt testen für Bond-Emissionen. Teil des McKinsey-Programms ist der Wandel vom Gläubiger- zum Schuldnerstatus.

Aramco-IPO angekündigt

Die angekündigte Platzierung von weniger als 5% an der staatlichen Ölgesellschaft Aramco soll ebenfalls Kapital beschaffen für den Umbau der Wirtschaft und die Finanzierung des Konflikts mit dem Iran. Saudi-Arabien ist schon nach den USA und China die Nation mit dem höchsten Militärbudget, 13% des GDP. Das für 2017 oder 2018 angekündigte Aramco-IPO wird schon jetzt vorvermarktet, denn es geht um beträchtliche Gebühren für Banken und Berater. Die Anleger sollten mit der gebotenen Sorgfalt erst prüfen, was das Angebot beinhaltet. Die Reserven z.B. sind gar nicht bei Aramco angesiedelt, sondern gehören dem Herrscherhaus privat. Schon deshalb sind die herumgereichten Bewertungen von bis zu 2’500 Mrd. USD abwegig. Wenn es aber nur um Pipelines, Terminals und Raffinerien geht, so sind diese bei einer marktkonformen Bewertung sehr viel weniger wert. Der neue Ölminister war bislang Chairman von Aramco, es bleibt abzuwarten, ob er die diplomatische Rolle seines Vorgängers ausfüllen können wird.

Ende der OPEC

Die Frage ist, ob mit dem grossen Revirement in Ryad nicht auch gleichzeitig das Ende der OPEC im Raum steht, weil Saudi-Arabien den Kampf um Marktanteile um jeden Preis ohne Rücksicht auf Angola, Nigeria, Venezuela, Ecuador führt, mit den repressiven Golfmonarchien wie Kuwait, Qatar und Bahrein hinter sich, im Hegemonialstreben gegen das OPEC-Mitglied Iran und jetzt auch Irak. Die dramatische Verschlechterung der Beziehungen Saudi-Arabiens mit der „Schutzmacht“ USA fand ihren jüngsten Tiefpunkt in der Drohung des Hauses Saud, amerikanische Staatsanleihen im Wert von 750 Mrd. USD auf den Markt zu werfen, nachdem in den USA eine Gesetzesvorlage diskutiert wurde, die es US-Bürgern ermöglichen würde, Saudi-Arabien wegen 9/11 zu verklagen. Die meisten Attentäter damals waren Saudis. Tatsächlich finden neuerdings Abstimmungen eher mit Moskau statt, wie die rege Reisetätigkeit aus Riyad belegt. Russland und Saudi-Arabien sind mit jeweils knapp 10 Mio. bpd Fördervolumen die beiden grössten Produzenten. Auch Russland braucht Geld und plant daher u.a. die weitere Teilprivatisierung des grössten Ölunternehmens Rosneft. Sowohl bei Aramco als auch bei Rosneft wird China als interessierter Käufer genannt. Die langfristige Sicherung der Energieversorgung ist das Ziel Chinas. Die Preisschwäche bei Öl am Jahresanfang hat China genutzt, um die strategischen Reserven von 30 auf 90 Tage zu erhöhen. Die massiven Käufe waren wohl die Hauptursache für den mysteriösen Preisanstieg seit März von 27 USD pro Fass auf über 40 USD – trotz überquellender Lager. Auch in Europa ist China die Adresse, die nicht weniger, sondern mehr investiert und damit, ganz allmählich, zu einem gewichtigen Mitentscheider wird.

Salman und Panama

Was bisher in den Medien zu den Enthüllungen der Panama Papers berichtet wurde, lässt den Nahen Osten, speziell die Golfmonarchien, überwiegend aus. Dabei ist die Fülle der Aktivitäten wirklich vielsagend. Allein das Firmennetz des saudischen Königs Salman umfasst zahlreiche Aktivitäten, u.a. in London und Luxemburg. Dies kann auch als Vorbereitung für die Zeit nach der Monarchie interpretiert werden.

BND-Chef stolpert über die Wahrheit

Es war ungewöhnlich, dass der deutsche Nachrichtendienst BND Ende 2015 ein kurzes Memo zur gefährlichen Politik Saudi-Arabiens unter der neuen Führung veröffentlichte. Schon kurz hinterher erteilte die deutsche Regierung dem eigenen Geheimdienst einen öffentlichen Rüffel und betonte, dass „Saudi-Arabien ein wichtiger Partner in einer krisengeschüttelten Welt sei und grosse Bedeutung habe auf dem Weg zum Frieden in Syrien“. Im April schliesslich wurde Gerhard Schindler von Kanzlerin Merkel in den Ruhestand geschickt.

Iran auf Konfrontationskurs

Militärausgaben 2014 der einzelnen Länder in Prozent des BIP. Quelle: Wikipedia.de
Militärausgaben 2014 der einzelnen Länder in Prozent des BIP. Quelle: Wikipedia.de

Der Todesfall betrifft den Chefkommandeur der schiitischen Hisbollah-Milizen in Syrien, Mustafa Bader Al-Din, am Freitag, dem 13. Mai. In den arabischen und auch israelischen Medien wurde die Eliminierung durch eine Flugzeugattacke oder Rakete in der Nähe von Damaskus zunächst einhellig den Israelis zugeschrieben. Doch ebenso wahrscheinlich ist, dass er ein Opfer der Überwerfungen bei den Allianzen im Syrienkrieg ist. Denn kurz hinterher bezichtigte die Hisbollah Führung die USA und Russland, woraufhin die USA in höchst ungewöhnlicher Weise ein Statement veröffentlichten, dass sie dort keine Operationen durchgeführt haben. In der westlichen Berichterstattung zum Syrienkrieg ist offensichtlich der Überblick verloren gegangen. Putin hatte zunächst mit der Ankündigung, die Luftwaffe und Truppen abzuziehen, die IS-Milizen in einen Freudentaumel versetzt und übermütig werden lassen. Nach einem weiteren Winkelzug und der Befreiung von Palmyra vor allem durch russische Luftstreitkräfte und iranische Bodentruppen überraschte Putin jedoch durch eine Reihe unvorhergesehener Entscheidungen, was zum Dissens mit dem Iran führte. Die Ayatollahs wollen Assad aus strategischen Gründen halten, um so ihr Einflussgebiet bis zur Hisbollah im Libanon zu schützen und auszubauen. Doch Putin will Assad nicht um jeden Preis halten, sondern die Einheit des Staatsgebietes. Sowohl Russland als auch die USA bauen dabei auf den einzigen verlässlichen Partner in der Region, die Kurden im Norden Syriens. Das Rapprochement von Putin und Obama zur Beendigung des Konflikts bringt deshalb alle lokalen kriegsführenden Parteien in Rage und treibt sie zu Verzweiflungstaten, wie in der Türkei und Saudi-Arabien. So könnte die Liquidierung von Al-Din auch aus dem Iran betrieben worden sein, weil der sich weigerte, weiterhin im Auftrag des Iran in Syrien zu operieren und einen hohen Blutzoll zu zahlen, weil der Iran zugelassen habe, dass er von Russland verraten worden sei. Der Libanon, der mehr als 1 Mio. Flüchtlinge aufgenommen hat, könnte schnell zum nächsten Kriegsgebiet mutieren, weil Saudi-Arabien 4 Mrd. USD an Unterstützungszahlungen im April gestrichen hat, nachdem der Libanon ein Abkommen mit dem Iran unterzeichnet hatte. Das Militär des winzigen neutralen Landes, einst die „Schweiz des Nahen Ostens“ genannt, kann ohne Unterstützung den fundamentalistischen Terrormilizen kaum etwas entgegensetzen.

IS-Sturm auf Jerusalem und Kairo

Ägypten ist ins Visier der IS-Terroristen geraten.
Ägypten ist ins Visier der IS-Terroristen geraten.

Nach jüngsten Informationen könnte der Syrienkrieg durch die USA und Russland auch sehr schnell beendet werden; Assad, Familie und Führungskader haben das Angebot, straffrei ins Exil zu gehen. Auf der anderen Seite dürften die USA ihre Unterstützung für die Türkei und die Golfstaaten weiter zurückfahren. Zudem scheint eine geografische Verlagerung der Fronten bereits fortgeschritten im Gang zu sein. Der ägyptische Präsident Al-Sisi hatte Obama um Unterstützung im Kampf gegen den IS auf dem Sinai gebeten, doch der hatte abgelehnt. Kurz hinterher besuchte der saudische König Salman Kairo mit einem 20 Mrd.-USD-Scheck. Er bekam zwei strategisch wichtige Inseln im Roten Meer, und Al-Sisi musste bei den folgenden Protesten in Cairo die Presse ausschliessen. Inzwischen wurden schon erste Urteile zwischen 2 und 5 Jahren verlautbart. Kurz nach den Protesten erschossen IS-Terroristen mitten im Grossraum Kairo 8 Polizisten. Zeitgleich erhielt Israel gleichlautende Videos von IS-Milizen aus unterschiedlichen Regionen, wonach der Marsch auf Jerusalem begonnen habe. Wegen dem Frieden von Camp David wird Ägypten von den Fundamentalisten mit Israel zusammen als Ziel betrachtet. Aufgrund der geostrategischen Bedeutung der beiden Länder könnte sich das Kriegsszenario im Nahen Osten dramatisch zuspitzen. Auch weil die fundamentalistischen Terrormilizen in Syrien inzwischen offenbar über fortgeschrittene Waffensysteme wie MILAN-Raketen verfügen, die nach israelischen Geheimdienstberichten von der Türkei geliefert und von Saudi-Arabien finanziert werden. Die blasierte und auf intentionelle Desinformation beruhende Haltung der Akteure an den Börsen wäre im Fall der Eskalation einer ernsten Prüfung unterworfen.

Re-Demokratisierung Europas und Führungswechsel

Unterdessen findet überall in Europa eine demokratische Erneuerung statt. In Spanien sind zwei Parteien im Parlament, die als Bürger- und Protestbewegungen begonnen haben. In Dänemark ist aus einer Bürgerinitiative zum humanen Umgang mit Kriegsflüchtlingen inzwischen eine respektierte Kraft im Parlament geworden. Besondere Beachtung sollte Frankreich gelten, wo mit der noch völlig basisdemokratischen Bürgerbewegung „Nuit Debout“ ein grundsätzlicher Dialog der Bürger darüber gestartet wurde, ob und wie der Staat des 21. Jahrhunderts überhaupt noch die Interessen des Souveräns, des Volkes, vertritt. Es war zu erwarten, dass die Franzosen nicht so ohne Weiteres zulassen, dass aus der Bastion der Freiheit und der Aufklärung durch die mickrige Politik der letzten Präsidenten ein Armenhaus und Polizeistaat wird. Da, wie schon Stalin formulierte, „der deutsche Arbeiter nie den Rasen betreten wird“ und Merkels Führungspolitik von allen Seiten desavouiert wird, ist aus historischer Warte betrachtet die Zeit reif für einen Führungswechsel in Europa. Die Impulse kommen aus den romanischen Ländern, die ja auch eine sehr viel längere staatliche Historie und Krisenerfahrung aufweisen. Speziell Italien und Frankreich mit den jungen wilden Politikern wie Renzi und dem Wirtschaftsminister Emmanuel Macron ist eine Erneuerung Europas auf Basis der Werte der Aufklärung von Galileo Galilei über Voltaire und die französische Revolution bis hin zur Höhe der zeitgenössischen Philosophie zuzutrauen. Gegen den restaurativen und revanchistischen Ungeist.

Einstweilen verhalten sich die politischen Akteure Europas aber noch völlig vorhersehbar gemäss Voltaires Erkenntnis: „Wenn man fünf oder sechs Miseren vereinigt, so ergeben sie zusammengenommen einen ganz erträglichen Zustand.“

Epilog: Die Leser der Macro Perspective sind seit Dezember 2014 bestens auf neue Trends, das Geschehen an den Kapitalmärkten und auf der geo-politischen Ebene vorbereitet. Prognosen abzugeben ist einfach, diese zu überprüfen dagegen schwierig. Oft fallen die Prognosen deshalb einfach der Amnesie zum Opfer, hier sollen sie jedoch der Prüfung standhalten. Die in der ersten Macro Perspective getroffenen Prognosen für 2015 sind zu 96% eingetroffen. Zunächst richtig, doch in der Konsequenz falsch war die Einschätzung zum Verhältnis Russland und Türkei, Punkt 5.

Marktbeeinflussende Makrofaktoren 2015

  1. Dollarstärke setzt sich zunächst fort.
  2. Schuldenkrise wird wieder Hauptthema.
  3. Proteste und soziale Unruhen nehmen in so unterschiedlichen Ländern wie China, Griechenland, Venezuela zu.
  4. Spannungen zwischen USA und Russland steigen.
  5. Russland baut Allianzen mit u.a. China, Indien, Türkei aus.
  6. EU verliert in jeder Hinsicht und desintegriert.
  7. Ölpreis bleibt schwach und drängt marginale Unternehmen und Exportländer aus dem Markt.
  8. Wachstum in Europa schwächt sich ab.

Die längerfristigen Prognosen aus dem Oktober 2015 sind überwiegend dabei, sich zu realisieren. Gold steigt, die Immobilienmärkte erzielen keine Höchstpreise mehr, auf Exxon warten beträchtliche Klagen, und Total investiert in Batterien und Regenerative Energien. Wo die Zentralbanken die freie Preisbildung an den Finanzmärkten verhindern, wie am Bondmarkt und bei Aktien, verschiebt sich die Erfüllung, aber es sind ja auch noch 4 Jahre bis zum Ende des Prognosezeitraums.

Die politischen Prognosen vom Januar 2016 sind zwar erst 4 Monate alt, doch dürften nach den jüngsten Entwicklungen sowohl Erdogan als auch das saudische Königshaus ihrem Ende beträchtlich näher gekommen sein. Der Kurdenstaat ist eine Frage der Zeit. Wie das britische Referendum ausgehen wird, wissen wir bald. Und dann auch, ob Hillary Clinton bei der Präsidentenwahl Trump schlagen wird. Die Yuan-Abwertung ist dagegen Realität, der Abwertungsdruck bei den meisten Währungen auch.

Politische Prognosen (exkl. EU)

  1. Machtwechsel in Saudi-Arabien. Ende der Monarchie.
  2. Machtwechsel in der Türkei. Erdogan muss abtreten.
  3. Kurdenstaat etabliert sich.
  4. UK verlässt per Referendum die EU.
  5. Hillary Clinton wird US Präsidentin.
  6. China wertet Yuan ab und intensiviert Währungskrieg.

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