Alternative Finance: Crypto-Manie total, Fall-out bei Schweizer Star-ICO Tezos

Vontobel und Leonteq ermöglichen Bitcoin Short-Spekulation.

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ICO Initial Coin Offering
Initial Coin Offerings (ICOs): Jeder will dabei sein. Bild: Fotolia

Während der Bitcoin trotz „Forking“ (spin-off einer Abspaltung) stramm auf die 8’000 USD-Marke zumarschiert, kommen fast täglich neue Projekte und Akteure an den Markt, darunter auch Schwindler, Trittbrettfahrer und solche, die Gelegenheiten mangels Regulierung nutzen wollen. Unterdessen steigt auch die Schadensbilanz in der Crypto-Welt – und doch erwarten die Bitcoin-Besitzer, dass der Preis auf 200’000 USD steigen wird, wie eine aktuelle Studie zeigt!

Das wäre eine Verdreissigfachung vom Niveau von 6’490 USD zum Zeitpunkt der Erhebung, und dennoch ist das der durchschnittliche Preis (196’166 USD), bei dem die 564 Teilnehmer der Anfang November in den USA erhobenen Umfrage ihre Bitcoins verkaufen würden. Das zeigt vor allem eines: Die Mehrzahl der Eigentümer von Bitcoins hat einen sehr langfristigen Horizont. Weniger als 33% haben trotz der rapiden Preissteigerungen bisher überhaupt Bitcoins verkauft. Gefragt nach der beabsichtigten Haltedauer gaben nur 16.5% weniger als ein Jahr an, 39.5% ein Jahr bis drei Jahre und 11.7% sogar mehr als 10 Jahre! Allerdings lag der Durchschnittswert der Bitcoin-Holdings der Umfrageteilnehmer bei nur 2’930 USD, was nahelegt, dass sie auf schon erhöhtem Preisniveau mit niedrigen Beträgen eingestiegen sind.

Studie zeigt Motive und Ziele der Bitcoin-Anleger


Die spannende Frage in der Studie ist die nach dem „Warum“. 40.8% sagen, weil Bitcoin eine Technologie sei, die die Welt verändert. 21.8% sagen, es sei ein Anlagemedium für den langfristigen Werterhalt wie Edelmetalle. 15.3% kauften Bitcoins, weil Familien- und Freundeskreis Überzeugungsarbeit geleistet hatten. Das Frappierende an den Antworten ist, dass kein einziges finanzielles Motiv genannt wird. Selbst wenn die Blockchain-Technologie die Welt verändert, muss deshalb noch lange nicht der Bitcoin im Wert steigen, zumal keine IP an der Technologie besteht. Der Vergleich mit den seit Jahrtausenden benutzten Edelmetallen erscheint verfrüht, da nur ein Vergleichszeitraum von wenigen Jahren besteht. Zudem ist die hohe Volatilität der Crypto-Währungen bestimmt kein Argument für Werterhalt.

Steuerhinterziehung weit verbreitet

Interessant ist auch, dass 56% der Bitcoin-Eigentümer sich keine Gedanken über die technologische Sicherheit ihrer Holdings machen. Wie Reuters ermittelte, sind ja bereits ca. 9 Mrd. USD an Crypto-Währungen von Hackern und Cyberkriminellen gestohlen worden. Und immerhin 36% der Umfrageteilnehmer wollen ihre mit Bitcoin erzielten Gewinne (und Verluste) bei der Steuererklärung nicht angeben! Auch bei dieser Frage geht es um viele Mrd. USD. Aktuell beläuft sich der Marktwert aller ausgegebenen Bitcoins auf über 130 Mrd. USD. Noch am Jahresanfang waren es weniger als 20 Mrd. USD gewesen!

Unregulierte Crypto-Landschaft vor grossen Veränderungen

Und damit wird auch klar, warum die schöne unregulierte Zeit bald zu Ende gehen wird. Die Staaten wollen bestimmt nicht auf Steuereinnahmen verzichten. Oder sich noch länger dem Vorwurf aussetzen lassen, sie erlaubten Geldwäsche oder die Finanzierung illegaler Aktivitäten. Die Öffentlichkeit ist nicht zuletzt wegen der Veröffentlichung der „Paradise Papers“ stark sensibilisiert für die Thematik. Nicht auszuschliessen ist, dass ähnlich der plötzlich gewandelten „Sexismus Debatte“ die Zeit des Wegschauens und Ignorierens zu Ende geht!

Das Drama der Mt.-Gox-Geschädigten

Unterdessen tauchen just im Moment grösster Crypto-Euphorie, die fast schon Manie genannt werden kann, die ersten echten juristischen Probleme auf. 2014 war die bis dahin grösste Handelsplattform Mt. Gox in Japan nach wiederholten Hackerattacken und Diebstählen von über 800’000 Bitcoins in die Insolvenz gegangen. 24 500 Geschädigte warten bis heute auf Kompensation. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stand der Bitcoin bei 463 USD. Inzwischen liegt er bei 7’880 USD. Durch den Preisanstieg sollte eine grosszügige Kompensation möglich sein, denn mehrere hunderttausend Bitcoins sind ja bei Mt. Gox doch noch aufgetaucht. So denken jedenfalls die Opfer von Mt. Gox. Doch das japanische Insolvenzrecht sieht vor, dass deren Kompensation auf Basis des Preises bei Eröffnung des Verfahrens, also 463 USD, erfolgen wird. Etwaige Überschüsse aus der Insolvenzmasse fallen dann den Aktionären zu, nicht den Geschädigten. Weiterhin ist die rechtliche Lage weitgehend unsicher, da zahlreiche Klagen in mehreren Ländern gegen diverse Akteure und ihre Firmen laufen, die teilweise verschwunden sind. Die Affäre dürfte sich noch Jahre hinziehen, eine zeitnahe Kompensation ist nicht zu erwarten. Dass jedoch ausgerechnet die Akteure, die für die Schäden verantwortlich sind, die Nutzniesser des Preisanstiegs der eingefrorenen Firmenaktiva werden sollen, löst Entrüstung aus. Die ganze lehrreiche und erstklassig recherchierte Geschichte findet sich bei Reuters hier.

Klagen gegen Tezos

Tezos
Tezos sammelte 232 Mio. USD über ein ICO ein.

Bekanntlich fand das weltweit grösste Initial Coin Offering (ICO) in der Schweiz statt. Tezos sammelte 232 Mio. USD ein, um eine neue Crypto-Währung zu entwickeln. Doch dann zerstritten sich die beteiligten Parteien – eine in Delaware, USA, registrierte Gesellschaft, die die IP besitzt, und eine Schweizer Stiftung, bei der die eingesammelten Bitcoins und Ethers eingefroren sind. Durch den Preisanstieg der Crypto-Währungen bewegt sich der Wert der ICO-Funds nun auf die 500 Mio. USD zu. Ähnlich wie bei Mt. Gox sind die Firmenstrukturen, der Kreis der Einzahler, eigentlich alles, international. Jetzt haben amerikanische Anwaltskanzleien zwei Klagen vor amerikanischen Gerichten eingereicht: Betrug und Verkauf nicht zugelassener Wertpapiere sind die Hauptpunkte der potenziellen Sammelklagen.

SEC weist Celebrity ICO-Promoter in die Schranken

Das war zu erwarten, denn bei unregulierten neuen Milliardengeschäften wird von den Pionieren stets ausgelotet, wie weit gegangen werden kann. Tatsächlich dienen die meisten halbwegs ernst zu nehmenden „Token Sales“ der verdeckten Unternehmensfinanzierung. Sie sollten daher auch die entsprechenden Erfordernisse erfüllen. Tezos wird als Prototyp für eine lange Reihe ähnlicher Verfahren gesehen. Da die SEC mehrfach vor Crypto-Währungen und ICOs gewarnt hat, zuletzt mit dem humorvollen Hinweis, dass die als ICO-Promoter auftretenden Prominenten wie Paris Hilton nicht unbedingt die Expertise aufweisen würden, um zu beurteilen, ob die spezifische beworbene Crypto-Währung eine gute Entwicklung in der Zukunft nehmen wird. Weiterhin würden die Prominenten potenziell „illegale Aktivitäten“ unterstützen, was zu Strafverfolgung führen könne. Die Kanzleien wollen wohl eine klarere Position der SEC sowie der Judikative herausfordern. Sind ICOs wie die von Tezos Mittel der Unternehmensfinanzierung oder nicht?

Unternehmensfinanzierung via ICO – Aktueller Fall: Naga Group

Ein gutes aktuelles Beispiel liefert die deutsche Naga Group. 2016 wurden Umsätze von 2 Mio. Euro getätigt, im ersten Halbjahr 2017 waren es schon 3,7 Mio. Euro. Im Juli 2017 wurden 1 Mio. Aktien zu 2,60 Euro neu begeben und im Rahmen eines IPOs im Freiverkehrssegment „Scale“ der Deutschen Börse bei neuen Anlegern platziert. Emissionsertrag: 2,5 Mio. Euro. Obwohl die Gesellschaft erst 2015 gegründet worden war, standen zum Zeitpunkt des IPOs bereits mehr als 20 Mio. Aktien aus. Unter hohen Schwankungen stieg die Aktie in der Spitze auf 16 Euro, aktuell sind es 14,30 Euro – was einer Börsenbewertung von 300 Mio. Euro entspricht. Am 27. Oktober veröffentlichte die Gesellschaft erstmals Details zu dem zuvor angekündigten „Token Sale“ (ICO) im Volumen von 220 Mio. USD. Die Verkaufsfrist läuft vom 1. – 15. Dezember. Der Mitteilung ist offen zu entnehmen, dass 50% des Ertrags ins Marketing fliessen soll, 6% in Löhne, 7% in Research & Development etc. – alles offensichtlich wie bei einem IPO, allerdings ohne die Voraussetzungen und Publikationspflichten zu erfüllen!

Auf sinkende Bitcoin-Preise spekulieren

Seit Freitag, 17. November, können Anleger in der Schweiz auch erstmals auf sinkende Bitcoin-Preise spekulieren oder Positionen absichern. Die Bank Vontobel hat nach dem grossen Erfolg der Long-Mini-Futures nun auch Short-Instrumente begeben. Auch Leonteq hat angekündigt, Bitcoin-Derivate für die Short-Seite zu lancieren. Vor kurzem hatte die CME Group in New York angekündigt, Futures Produkte für Crypto-Währungen einzuführen.

Ob dies zu einer erhöhten Akzeptanz beitragen wird, bleibt abzuwarten. Einstweilen zeigen die opportunistischen (oder innovativen) Finanzprodukte nur, dass die Banken ihren Kunden immer noch das verkaufen können, was diese wollen.

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