Macro Perspective: Das Komplott des Jahrhunderts – Wie Cambridge Analytica mit ukrainischen Schönheiten, Bestechung und Ex-Spionen Wahlen manipuliert

0
2565

„Die Hölle ist leer, und alle Teufel sind hier.“ Aus „Der Sturm“, William Shakespeare, 1564-1616, Dramatiker

Die dubiose Rolle von Facebook – Market Cap verliert 50 Mrd. USD

Dass verblendete Demagogen und herrschsüchtige Wichtigtuer mit allen Mitteln an die Hebel der Macht wollen, ist nichts Neues. Dass jedoch die Medien- und Informationsindustrie – die vierte Gewalt – zum Instrument und integralen Bestandteil bei der Zerstörung von Demokratie und Marktwirtschaft geworden ist, verlangt, dass die beste Regierungsform, die wir kennen, nun mehr tut, als nur die Zähne zu zeigen.

Dieser Tage feiert das World Wide Web den 29. Geburtstag. Als Erfinder gilt Tim Berners-Lee, Professor der Oxford University. Schon seit geraumer Zeit ist ihm nicht mehr ganz wohl bei der Betrachtung der Entwicklung des Internets, und er hat seine kritischen Gedanken auch schon mehrfach geäussert. Jetzt jedoch, nachdem der Cambridge Analytica Fall so richtig im Licht der Öffentlichkeit steht, wird er unmissverständlich deutlich: „Was einst eine reichhaltige Auswahl an Blogs und Websites war, ist nun unter dem mächtigen Gewicht einiger dominierender Plattformen zusammengepresst. Diese Machtkonzentration schafft eine neue Liga von Torwächtern, die es einer Handvoll von Plattformen erlaubt zu kontrollieren, welche Ideen und Meinungen öffentlich zu sehen sind oder zugänglich gemacht werden.“ Diese Machtkonzentration habe es möglich gemacht, aus dem Web eine Waffe zu machen, mit der Wahlen beeinflusst und über falsche Accounts soziale Spannungen erzeugt und geschürt werden. Das Web solle unsere Hoffnungen reflektieren und Wünsche erfüllen, anstatt Ängste zu verstärken und die trennenden Klüfte zu vertiefen, so der WWW-Erfinder Berners-Lee.

Mit schmutzigen Tricks an die Macht

Genau das aber ist das Ziel von populistischen und polarisierenden Politikern, die gewählt werden wollen und auch vor schmutzigen Tricks nicht Halt machen. Da kommt die Beratungsfirma Cambridge Analytica ins Spiel, die sich damit brüstet, Trump ins Amt gebracht zu haben und Wahlen in Malaysia, Mexico, Nigeria und anderswo für ihre Klienten entschieden zu haben. Wie Alexander Nix, der CEO, ausführt, können ukrainische Schönheiten, Ex-Geheimdienstmitarbeiter, Bestechungen und dergleichen den Weg zum Wahlsieg ebnen. Er habe sehr viel Erfahrung damit. Journalisten vom britischen TV-Sender Channel 4 haben mit versteckter Kamera und als Interessierte aus Sri Lanka getarnt durch mehrere Treffen mit der Geschäftsleitung tief gebohrt und mit der Aufdeckung dieser Machenschaften die Welt geschockt. Sofern es denn überhaupt zur Kenntnis genommen wird.

Spitzen der Gesellschaft ohne Skrupel

Denn der kritische Blick auf Cambridge Analytica ist bereits im März 2017 durch den New Yorker im Zusammenhang mit der unwahrscheinlichen Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten gefallen. Die Macro Perspective hatte im April 2017 explizit auf die hervorragend recherchierte Story hingewiesen. Die Akteure in dieser ominösen Grauzone könnten buchstäblich einer der Netflix-Erfolgsserien um Macht, Geld und Intrigen der „Spitzen der Gesellschaft“ entsprungen sein. Der unterkühlt-mathematische Multimilliardär und Hedge Fund Manager Mercer, seine tiefgefroren-exaltierte Tochter Rebekah, der smarte Eton-Absolvent Nix, der lange bei der Barings Bank war, die auch die Queen zu ihren Kunden zählen durfte und dann 1995 glorios durch Fehlspekulationen ihres Händlers Nick Leeson unterging. Ganz ähnlich scheint auch Nix immer ganz hoch hinaus zu wollen. Wie auch der Milliardär Trump, den im Vorfeld der Wahlen lange Zeit niemand ernst nimmt. Als er schliesslich, etwas näher am Wahltermin, einer von 16 Kandidaten der Republikaner ist, wundern sich noch viele. Der Rest ist Geschichte!

Alternative Fakten schaffen Scheinrealität

Doch diese Geschichte trotzt eben von Anfang an von „alternativen Fakten“. Wie inzwischen jeder wissen kann, sind diese alternativen Fakten oftmals Fiktion, in manipulativer Weise erstellt. Wer kann sich nicht an die wenig überzeugenden, dafür umso mehr unfreiwillig komischen Daily White House Briefings durch Sean Spicer erinnern? Er war nur wenige Monate im Amt. Während Spicer allerdings nur ein Sprecher war, ist auch der Mann im Zentrum, das Bindeglied zwischen Mercer, Nix und Trump, Steve Bannon, längst gestürzt. Er war letztlich ganz wesentlich für die Parolen und Schmierkampagnen verantwortlich, die dann von Social Bots oder Trollen in den Echokammern der Neuzeit, den sogenannten „Sozialen Netzwerken“, verbreitet wurden.

Die Kernfrage

Doch auch die inzwischen von Sonderermittler Mueller unter Anklage gestellten 13 russischen Spione bedienten sich mit ähnlichen Zielen der gleichen Mittel. Eine der Fragen, wenn nicht die Frage schlechthin, ist, ob und wie die verschiedenen illegalen Manipulationsversuche um die US-Präsidentschaft koordiniert sind. Und vor allem, durch wen?

Channel-4-Enthüllungen ziehen weite Kreise

Die einfache Antwort wäre es zu sagen, dass Mercer und seine geltungssüchtige Tochter eben durchgeknallt sind, und wo nur genug Geld ist, finden sich auch Subjekte ein, die alles dafür tun, es auf ihre Konten wechseln zu lassen. Punkt. Eine vollständige Aufklärung, wie sie nun in den USA und im UK gefordert wird, könnte glimpflich ausgehen, indem einige wenige Köpfe rollen. Nix und seine Mitstreiter sind bestimmt die ersten Kandidaten. Einen Tag nach Veröffentlichung der Channel-4-Videos erfolgte zumindest die Entbindung von den Aufgaben als CEO, wenngleich die Erklärungen von Cambridge Analytica kaum zu überzeugen vermögen. Aufsichtsratsmitglied Rebekah will jedenfalls „Teil der Lösung“ sein. Inzwischen ist auch das britische Verteidigungsministerium in die Kritik geraten, weil 2013 Cambridge Analytica Zugang zu geheimen Dokumenten gewährt worden war! Nun fordern zahlreiche Parlamentsmitglieder eine Untersuchung.

Die fragwürdige Rolle von Facebook

Wahrscheinlich ist es jedoch viel komplizierter. Allein dadurch, dass Facebook tief in diesen Sumpf verstrickt ist, eine Gesellschaft, die erst 2004 entstanden ist, und die heute 2 Mrd. Nutzer oder Kunden hat. Eigentlich stellt sie nichts her oder verleiht etwas, sondern sie bedient im Wesentlichen den Narzissmus von Heranwachsenden und sozialen Randgruppen, die bei distanzierter Betrachtung von aussen stark gestört wirken. Und deshalb auch anfällig für Suggestionen auf einem niedrigen Niveau sind.

Glaubwürdigkeit verspielt

51,8 Mio. Wählerprofile auf Facebook haben sich die modernen Propagandisten von Cambridge Analytica verschafft – als Forscher getarnt, oder für diese Studie oder jene Untersuchung. Die Daten wurden auch nie gelöscht, wie sich jetzt herausstellte! Solchermassen mit Intelligence versorgt, wurden anschliessend mit durchaus komplexen analytischen Methoden algo-massgeschneiderte Botschaften an affine Gruppen in deren Jargon auf den Weg gebracht und vielfach verstärkt durch wiederum Facebook & Co. Das Co. steht weitgehend für Instagram und andere Facebook-Töchter, was die Thesen des eingangs zitierten WWW-Erfinders Berners-Lee zur Machtkonzentration der Plattformen wiederum substantiiert.

Unbewusste Ängste wecken als Wahlkampfstrategie

Die Experten von Cambridge Analytica haben auf den Filmmitschnitten von Channel 4 genau dargelegt, dass am Ende nur Hoffnungen und Ängste auf einer tiefen und sogar meist unbewussten Ebene das Fühlen und Handeln der Wähler bestimmen, und zwar solche Ängste, mit denen sie im wirklichen Leben nie konfrontiert waren, bis die von Cambridge Analytica ersonnenen Wahlkampagnen sie erwecken – Aufstände, Plünderungen, Ausnahmezustand, exzessive Gewalt von Minderheiten. Dabei gehe es nicht darum, dass es der Wahrheit entspricht, sondern darum, dass es in den Vorstellungen der Zielgruppen der Wahlkampagnen wahr sein könnte. Bezogen auf den US-Wahlkampf sind Schwarze, Lateinamerikaner und Muslims diese Minderheiten gewesen.

Alte und neue Medien

Auch ohne zu wissen, dass Cambridge Analytica ebenfalls vor dem Brexitreferendum gewirkt hat, kommt die ganze Mechanik nicht nur Historikern der Neuzeit bekannt vor, sondern ihre Gleichförmigkeit muss jedem aufmerksamen Beobachter der Wahlen in ganz Europa aufgefallen sein. Dabei wirken neue Medien und alte Medien durchaus zusammen. Während sich der Wunderjunge Zuckerberg zu Facebooks Rolle und Pflichtversäumnissen im Cambridge Analytica-Fall tagelang gar nicht äusserte, um dann ein unbefriedigendes Statement zu posten, wirft nun der Abgang des Fox News Analysten Ralph Peters ein weiteres Licht auf die Rolle der Massenmedien.

Fox News Analyst schämt sich für Propaganda-Maschine

Der Ex-Leutnant des Nachrichtendienstes der US Army ist seit über 10 Jahren bei Fox News auf politische Analysen, vor allem Russland, spezialisiert. „Über mein Jahrzehnt mit Fox hinweg war ich lange stolz auf den Sender, jetzt bin ich beschämt.“: so der politische Analyst Peters . Und weiter: „Heute spüre ich, dass Fox unsere Verfassungsordnung und den Rechtsstaat angreift und zugleich zersetzende und ungerechtfertigte Paranoia unter den Zuschauern nährt.“ Peters ist bekanntermassen konservativ und war 2015 sogar zeitweilig suspendiert, weil er Präsident Obama auf Sendung eine „totale Pussy“ genannt hatte. Jetzt sagt er in der wirklich lesenswerten Abschiedsmail an seine Kollegen: „… Fox ist degeneriert … in eine reine Propaganda-Maschine für eine destruktive und ethisch ruinöse Administration (Regierung). … werden Fakten und empirische Realitäten ausgeblendet, um unredliche Angriffe auf das FBI, das Justice Department, die Gerichte, die Nachrichtendienste und nicht zuletzt einen vorbildlichen Staatsdiener und wahren Kriegshelden, Robert Mueller, zu richten.“

Medien im Zwielicht

Sind die Medien also ihren Aufgaben zur ausgewogenen und hintergründigen Berichterstattung nicht mehr gewachsen? Sind sie korrumpiert, haben sie ihre eigentliche Daseinsberechtigung vergessen oder sind die Akteure schlichtweg verblödet? Wahrscheinlich von allem ein wenig. Der einfachere Teil ist die Konzentration bei Besitzern wie dem Fox-Eigentümer Rupert Murdoch, der schon immer gern seine konservative Agenda mit allen Mitteln voranbrachte und entsprechende Politiker wie Thatcher unterstützte. Facebook dagegen gibt sich unpolitisch, ist es aber nicht. Nicht etwa, dass bestimmte Parteien gefördert werden oder politische Botschaften selbst verbreitet werden – es ist viel subtiler.

Facebook macht krank

Diverse Studien zum Online-Verhalten zeigen wahrhaft Erschreckendes. So verbringen die amerikanischen Nutzer 50 Min. pro Tag mit endlosem Scrollen auf Facebook und ähnlichen Websites. Hochgerechnet ergibt das 5 Jahre und 4 Monate ihrer Lebenszeit. Die echte soziale Interaktion mit Familie und Freunden bleibt dabei auf der Strecke. Dabei zeigt eine 2017 veröffentlichte Studie unter Beteiligung der Yale University recht klar, dass über einen Zeitraum von drei Jahren mit drei Datenreihen in einjährigem Abstand die Effekte desaströs sind.

Gewichtszunahme, Depressionen, Suizid

Je mehr Zeit die User auf Facebook & Co. verbringen, umso schlechter fühlen sie sich. Es ist eine regelrechte Sucht, die immer weniger Dopamin freisetzt, je mehr ihr nachgegeben wird. Die Folgen sind dramatisch, echte Beziehungen zu Menschen verkümmern, die neuralen Schaltkreise passen sich der „Like“-Methodologie an, das Selbstwertgefühl wird immer schwächer, die Suizidraten steigen, ebenso gesundheitliche Probleme wie Gewichtszunahme und Depressionen. Und während wirkliche soziale Interaktion die Persönlichkeit entwickelt und reifen lässt, neue Perspektiven und Erfahrungen vermittelt, ist es in der Online-Scheinwelt gerade umgekehrt: Der Geist verkümmert, das Interesse an der wirklichen Welt nimmt ab, und aus der Vielfalt wird schnell eine kranke Einfalt! Jeder kann selbst beobachten, wie an ehemaligen Orten der Begegnung und lebendigen Diskussion heute jeder für sich in sein Smartphone starrt, nervös klickt, enttäuscht wird, weiter klickt und dann leuchtende Augen bekommt – für einige Sekunden –, um dann weiterzuhetzen im virtuellen Raum der Belanglosigkeiten. Das wird dann sogar von wissenschaftlichen Koryphäen als Weltbewusstsein tituliert!

Der Facebook-Kurssturz

Kursentwicklung der Facebook-Aktie seit Jahresbeginn. Quelle: money-net.ch

So oder so, der Wurm ist bei Facebook drin. Die Market Cap hat in den Tagen der Inaktivität seit Ausbruch der Cambridge Analytica-Krise 50 Mrd. USD eingebüsst. Zwar gibt es schon wieder viele Stimmen, die das als „Buying Opportunity“ sehen, doch auch solche, die es als Anfang vom Ende bezeichnen. Die Vertrauenskrise ist mit ein paar Statements, dass nun alles besser wird mit dem Schutz der persönlichen Daten, nicht abgewendet. Die User von Facebook seien nicht jung, und daher würde es wie bei MySpace verlaufen. Das sei das Schicksal aller sozialen Netzwerke. So gibt es auch den daraus resultierenden Ansatz, die Facebook-Aktie leer zu verkaufen, da nicht viel bleibe, wenn die User aussterben.

EU führt strenge Datenschutzregulierung und empfindliche Strafen ein

Zudem wird am 25. Mai in der EU die General Data Protection Regulation eingeführt. Die ist sehr viel strenger als alles, was die Datenkonzerne bisher kennen. Konsumenten konnten bisher in komplizierten Verfahren unterbinden, dass ihre Daten Dritten zur Verfügung gestellt werden, nun müssen sie aktiv und ebenso kompliziert erlauben, dass dies geschieht. Und das wird kaum passieren, da das bisherige Regime nur aus der Faulheit und Unbekümmertheit der Konsumenten Kapital geschlagen hat. Auch die Strafen werden empfindlich in der EU. Bis zu 4% des Jahresumsatzes des Datensünders können als Strafe verhängt werden. Das wären bei Google 4,4 Mrd. USD bei einem Jahresumsatz von 111 Mrd. USD und bei Facebook 1,6 Mrd. USD bei 40 Mrd. USD. Offensichtlich schreitet die EU beim Schutz der privaten Daten der Konsumenten und Bürger voran. Auch in den USA kippt die Stimmung, und es ist wahrscheinlich, dass ähnliche Schritte folgen.

Fall-out für Börsen und Politik zu erwarten

Da insbesondere die FAANG-Aktien die Hausse an Wall Street angeführt und befeuert haben, und nun plötzlich inmitten eines Komplotts von epischen Proportionen stehen, könnten die Krise, die Aufarbeitung, der Crack-down, die verschärfte Regulierung unabsehbare Folgen für die US-Börsen und aufgrund deren Leitfunktion auch weltweit nach sich ziehen. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass das Brexit-Referendum wegen der nun offensichtlichen Einflussnahme undemokratischer Kräfte noch einmal neu aufgesetzt wird. In den USA wird es für Trump immer enger. Die Zustimmung der breiten Bevölkerung ist drastisch auf unter 40% abgesackt. Bei den Mid-term-Wahlen später im Jahr zeichnen sich starke Zugewinne für die Demokraten ab, die dann möglicherweise auf Mehrheiten in beiden Kammern kommen. Sonderermittler Mueller treibt seine Untersuchungen unterdessen weiter voran, und auch Ivanka Trump und Jared Kushner sind fest ins Visier geraten. Es bleibt spannend, aber ohne Folgen für die Börsen wird der Fall-out bestimmt nicht sein.

Neu sind die nun ans Tageslicht kommenden Machenschaften freilich nicht, wie nachfolgendes 400 Jahre altes Shakespeare-Zitat aus dem Drama Heinrich IV zeigt:

„Beschäft’ge stets die schwindlichten Gemüter
mit fremdem Zwist, daß Wirken in der Ferne
das Angedenken voriger Tage banne!“

Kommentar verfassen