Toni Caradonna, Krypto-Unternehmer: „Der Währungsaspekt der Blockchain-Technologie wird überbewertet. Das Potenzial steckt meines Erachtens woanders.“

Berner KMU gibt ersten privaten digitalen Schweizer Franken heraus.

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Der Physiker und Krypto-Unternehmer Toni Caradonna hat einen privaten digitalen Schweizer Franken herausgegeben. Bild: schweizeraktien.net

Kaum ein Thema erregte in den letzten Monaten mehr Aufmerksamkeit als Krypto-Währungen und ICOs, die auf der Blockchain-Technologie basieren. Mythos und Realität klaffen jedoch weit auseinander, was allerdings Spekulanten und Medien nicht davon abhält, fantastische Prognosen abzugeben. Mit Toni Caradonna, Krypto-Unternehmer und Mitglied der Schweizer Industrievereinigung Crypto-Valley Zug, hat schweizeraktien.net einen kundigen Insider als Gesprächspartner gefunden. Er bezieht offen und ehrlich Stellung zu kritischen Punkten und wirft Licht auf Aspekte, die fern der aktuellen Schlagzeilen langfristige Trends und mögliche Konsequenzen aufzeigen. Ganz aktuell platziert seine Gesellschaft Scenic Swisscoast GmbH private digitale Schweizer Franken – eine Innovation!

Gratulation, Herr Caradonna! Wie kamen Sie auf die Idee, einen digitalen Franken zu schaffen?

Vielen Dank! Ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit Blockchain und Distributed Ledger Technologien. Die Idee des privaten digitalen Schweizer Franken trage ich schon länger mit mir herum und habe es auch schon mit potenziellen Kunden besprochen. Ende letzten Jahres habe ich mich dann entschlossen, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.

Wenn wir über das Festival und Ihre Dienstleistungen hinausdenken, was ist die Perspektive für die Halter von digitalen CHF?

Ich glaube, die Innovation, auf der der private digitale Schweizer Franken beruht, ist disruptiv. Daher kann man die Märkte, Entwicklungen und gesellschaftlichen Veränderungen, welche so eine Technologie mit sich bringt, nicht antizipieren. Die Technologie ist noch sehr jung. Ich schätze, da stehen uns noch einige Überraschungen in vielerlei Hinsicht bevor. Was der private digitale Schweizer Franken ganz konkret kann und macht, steht auf der Webseite der swisscoast.ch und auf der Webseite des internationalen Innovations Film Festival. Aber wer weiss, vielleicht gibt es ja wie bei Münzen oder Briefmarken Menschen, die solche digitalen Unikate sammeln.

Sie heben die hohe Stabilität hervor, da das Verhältnis zum CHF immer 1:1 sein wird, abgesehen von dem Discount zur Einführung. Aber ist nicht gerade das Preissteigerungspotenzial das stärkste Motiv für all die neuen Käufer von Krypto-Währungen?

Ich kenne die Beweggründe von Käufern zu wenig und kenne leider auch keine Untersuchungen, die diese Frage ausführlich beantworten. Grundsätzlich nehme ich den Kryptomarkt als sehr irrational wahr. Und viele Menschen sind tatsächlich von Gier getrieben. Das Ziel des Projekts IIFF und von privaten digitalen Schweizer Franken ist aber auch nicht das Preissteigerungspotenzial. Wir wollen die Innovationsmöglichkeiten der neuen Technologie ausloten und die hohe Innovationskompetenz von Schweizer KMUs unter Beweis stellen. Am IIFF wollen wir auch einige Projekte im Zusammenhang mit der Technologie testen, welche den Besuchern zusätzlich einen nicht monetären Mehrwert geben.

Wie ist das mit der „vordefinierten Geldmenge“, die Sie in der Medienmitteilung anführen? Bezieht sich das auf den digitalen CHF oder die Geldmengen, die von der SNB gesteuert werden?

Das bezieht sich auf die Menge der privaten digitalen Schweizer Franken, die wir produziert haben und die wir verkaufen. Es gibt zur Zeit 15’000 private digitale Schweizer Franken mit je zwei Nachkommastellen.

Wie schätzen Sie das Argument von kritischen Stimmen ein, dass Krypto-Währungen wie Bitcoin mit ihrer mengenmässigen Limitierung deflationär seien, weil Wachstum und Produktivitätssteigerungen eine beschränkte Geldmenge gegenübersteht, so dass die Preise sinken müssen?

Ich glaube nicht, dass die Krypto-Währungen die bestehenden Währungen ersetzen werden. Ich gehe eher davon aus, dass ähnlich wie bei der Einführung des Internets gewisse Marktteilnehmer in einem Markt Ihre Monopolstellung verlieren. Und dann gibt es ja ganz unterschiedliche Ansätze bei den Krypto-Währungen. Nicht alle haben eine mengenmässige Limitierung. Im Weiteren denke ich, dass der Währungsaspekt der Blockchain-Technologie überbewertet wird. Das Potenzial steckt meines Erachtens woanders.

Und wenn ich über das Thema Preisstabilität nachdenke, dann fände ich eine Diskussion beispielsweise der Aktivitäten der EZB viel interessanter. Ich schätze die aktuelle Systemrelevanz der EZB viel höher ein diejenige aller Krypto-Währungen.

Die Crypto-Valley Association Zug hat ja früh in der Token-Manie 2017 zur kritischen Prüfung von Angeboten aufgerufen, an die Vernunft appelliert und auch vor Betrügern gewarnt. Hätte das Ihrer Ansicht nach nicht eigentlich von Seiten der Aufsichtsbehörden kommen sollen?

Es steht mir nicht zu, die Arbeit der Aufsichtsbehörden zu kommentieren. Ich kann nur für mich und meine Firma sprechen. Die Scenic Swisscoast GmbH ist seit der ersten öffentlichen Vereinssitzung Businessmember der Crypto-Valley Association. Ich bin mit dem Crypto-Valley einig, dass man unbedingt jedes Projekt kritisch begutachten muss, bevor man weitere Schritte unternimmt. Grundsätzlich gibt es bei vielen disruptiven Innovationen einen Paradigmenwechsel. Konkret bedeutet das für die Blockchain-Technologie vielleicht Folgendes: Wenn man eine dezentralisierte Wertestruktur ermöglicht und damit dem User Macht über Werte gibt, die auf solchen Strukturen abgebildet werden, dann gibt man ihm eben auch eine Verantwortung. Nicht alle Menschen können oder wollen mit dieser Verantwortung umgehen. Das liegt auch daran, dass ein gewisses technisches Verständnis notwendig ist im Umgang mit neuen Technologien. Eine weitere Herausforderung sind fehlende Standards. Die Swisscoast GmbH ist beim Schweizerischen Normen Verband (SNV) in der Kommission, welche an den ISO Standards für Blockchains arbeitet. Ich finde es auch persönlich absolut notwendig und hilfreich, Standards zu entwickeln. Nur so finden wir eine gemeinsame Sprache und Massstäbe, an denen sich Menschen und Marktteilnehmer orientieren können.

Wie erklären Sie sich das lange Schweigen der Zentralbanken und Regulatoren, die ja erst jetzt ihre Stimme erheben, nachdem die Spekulationsblase fürs Erste geplatzt ist?

Vielleicht ist dies ja auch nur eine Medien- oder Wahrnehmungssache. Ich verfolge das Thema schon länger und habe schon länger Stimmen von verschiedenen Seiten wahrgenommen.

Wie schätzen Sie als Industrieinsider Aussagen wie von Nouriel Roubini ein, der sagt, dass es bisher keine industriellen Anwendungen der Blockchain-Technologie gibt ausser Bitcoin, und dass daher das Thema überbewertet wird?

Auch hier müsste man genau anschauen, was er mit einer industriellen Anwendung meint und was der Kontext der Aussage ist. Ich kann nur das geflügelte Wort über Innovationen wiederholen. Wir überschätzen wahrscheinlich die kurzfristigen, und unterschätzen die langfristigen Auswirkungen von Innovationen. Das Thema ist medial tatsächlich sehr präsent, wird inhaltlich aber oft nicht adäquat behandelt.

Was ich hingegen sehe und als Unternehmer wahrnehme, ist Folgendes: Mit dem Internet haben wir Menschen einen Grossteil der Macht verloren, die wir über Daten hatten und meiner Meinung nach haben sollten. Menschen geben die Datenhoheit aus Faulheit und/oder Sparsamkeit und Unwissenheit ab und nehmen die Folgen der dadurch externalisierten Kosten nicht wahr. Die Firmen, welche grosse Datenmengen besitzen, sind die neuen Mächte in vielerlei Hinsicht. Sie entziehen sich bis zu einem gewissen Grad staatlichen Strukturen oder beeinflussen sie sogar. Die Blockchain-Technologie ermöglicht nun aber den Menschen wieder die Klärung von Datenbesitz. Diese Technologie ermöglicht eine Werteabbildung, die unabhängig sowohl von staatlichen als auch betrieblichen Strukturen erfolgt. Ich kann mir vorstellen, dass diese Tatsache wesentlich ist für unsere Gesellschaft und einige Veränderungen bewirken wird.

Aus systemischer Sicht ist aber unklar, was die Zukunft bringt. Wenn ich aber die Hoffnungen, die in die Blockchain-Technologie gesetzt werden, mit den Verheissungen der Internet-Technologie vergleiche, wird mir unwohl. Auch damals hatte die neue Technologie Freiheit und Unabhängigkeit versprochen. Und heute sind wir in einer quasi totalitären und vollständig überwachten Welt aufgewacht. Ich wünsche mir und hoffe, dass die neue Generation von Usern ein bisschen aktiver und kritischer mit der neuen Technologie umgeht als meine Generation mit dem Internet umgegangen ist.

Und was sagen Sie zu dem Argument des General Manager der Basler BIZ, Carstens, dass Experimente der Zentralbanken gezeigt hätten, dass Blockchain teuer, langsam und weniger effizient als konventionelle Zahlungs- und Settlement-Systeme sei?

Ich kenne diese erwähnten Experimente nicht. Hierzu aber vielleicht drei Gedanken:

Die Blockchain-Technologie ist ein wesentliches Element in der Dezentralisierungsentwicklung. Diese Entwicklung widerspricht im Kern systematisch jeglichen Zentralisierungsbestrebungen.

Wenn man sagt, etwas sei teurer als etwas anderes, ist die Metrik entscheidend. Werden externalisierte Kosten aufgeführt und wenn ja, wie werden sie gewichtet? Das ist sicher ein ganz spannendes Thema.

Wir sind in einer ganz frühen Phase dieser Technologie. Und ja, die Blockchain-Technologie ist noch langsam und schwer skalierbar. Und ja, es stellt sich die Frage, ob sich die aktuelle Blockchain-Technologie zum Beispiel als Zahlungssystem für Micro-Payments eignet oder ob nicht andere Use-Cases das Rennen machen werden. Umgekehrt sind einige vielversprechende Projekte in der Testphase, welche all diese Probleme mittelfristig zu lösen versprechen.

Was denken Sie, wo werden Blockchain und Krypto-Währungen in 2 bis 3 Jahren stehen?

Eine konkrete Prognose traue ich mir nicht zu, denke da aber an ein paar Szenarien, die sich nicht in zwei, drei Minuten erläutern lassen. Auf technischer Ebene schätze ich jedoch, dass wir in drei Jahren technisch einen mehr oder weniger dezentralen Proof-of-Stake-Algorithmus haben, welcher sowohl Skalierungs- als auch Energieprobleme löst. Im Weiteren werden wir hoffentlich einen gewissen Grad an Interoperabilität zwischen einigen Blockchains haben. Das wiederum würde die Szene unabhängiger von zentralisierten Strukturen machen und auch eine gewisse Systemstabilisierung und Konsolidierung in der Blockchainwelt bringen.

Abschliessend kann man auch hier den viel zitierten Vergleich erwähnen. Was das Mail mit der Post und das Internet mit den Medien gemacht hat, wird die Blockchain mit institutionellen Anbietern von Vertrauen machen, den sogenannten „trusted third parties“. Es wird sie nicht verdrängen, aber ihre Monopolstellung ist in Gefahr.

Und was haben Sie noch so vor? Worauf wollen Sie sich konzentrieren?

Ich werde meine zwei Hauptziele weiterverfolgen. Ich möchte, dass diese neue Technologie zum Einsatz kommt in den beiden Gebieten, die mir am meisten am Herzen liegen. Der Kultur und der Natur. Ich bin überzeugt, dass der Mensch sehr viel aus Geschichten und Filmen lernt. Darum bin ich auch kulturell sehr engagiert und versuche auf verschiedene Arten, mein Know-how und Wissen auch im Kulturbereich einzubringen. Wie gesagt, das ist auch einer der Gründe, warum wir zusammen mit dem privaten digitalen Schweizer Franken das 1. Internationale Innovations Film Festival in Bern geschaffen haben.

Im Bereich Natur bin ich sehr aktiv mit der Porini Foundation. Da haben wir eine gesamte Blockchaininfrastruktur für Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen entwickelt. Da sind wir mit tollen Partnern global im Einsatz und kümmern uns darum, dass Innovationstechnologien zum Wohl der Nachhaltigkeitsziele im Einsatz sind.

Denken Sie, dass ICOs die Unternehmensfinanzierung revolutionieren, werden wir in 5 Jahren überhaupt noch herkömmliche IPOs sehen?

Das ist eine realistische Möglichkeit, hängt aber stark von den regulatorischen, technischen und volkswirtschaftlichen Entwicklungen ab. Und eben, 5 Jahre sind eine extrem lange Zeit im Innovationsbereich.

Besten Dank für die hintergründigen Informationen und Ihre Offenheit. Bleibt zu wünschen, dass Ihre lobenswerten und wichtigen Initiativen zugunsten von Natur, Kultur und einem veränderten kritischen Bewusstsein der Nutzer von neuen Technologien als Vorbild dienen mögen und auch nachhaltig etwas bewirken.

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