Klingelnberg IPO: Weltmarktführer nutzt gutes Börsenklima für ambitioniertes Pricing

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Spezialisiert ist der Klingelnberg-Konzern unter anderem auf höchst komplizierte Zahnräder, die in Antrieben und Getrieben sowie Werkzeugmaschinen zum Einsatz kommen. Bild: klingelnberg.com

Erst Ende Mai war die Absicht des Familienunternehmens, an die Börse zu gehen, publik gemacht worden. Weniger als zwei Wochen später erfolgte schon das Zeichnungsangebot, wobei die Zeichnungsfrist nur von 11. Juni bis 19. Juni laufen soll. Nach jüngsten Meldungen ist die Aktie jedoch bereits nach dem ersten Tag überzeichnet. Empfiehlt es sich für Anleger dennoch, kurzentschlossen aufzuspringen?

Die Familiengesellschaft mit deutschen Wurzeln, die in der siebten Generation von Familienmitgliedern geführt wird, ist aufgrund ihrer Marktführerschaft bei technologisch fortgeschrittenen Schleif- und Fräsmaschinen für Automobilindustrie, Schiffbau, Bergbau, Robotik, Energiewirtschaft und weitere Industrien eine wahre Bereicherung für die Schweizer Börse SIX.

Ein profitabler Marktführer

Das Unternehmen ist technologisch führend und hochprofitabel. Zuletzt wurde im Geschäftsjahr 2017/2018, das im März endete, ein EBIT von 22,8 Mio. Euro bei 257 Mio. Euro Umsatz erzielt. Das stellt nach einer Bereinigung um die Kotierungskosten von 0,7 Mio. Euro eine Marge von beachtlichen 8,9% dar. Der Umsatz verzeichnete einen Zuwachs von 11%. Die Bilanzierung erfolgt in Euro, da die Hauptabsatzgebiete in der EU liegen. Produziert wird in Deutschland und Ungarn, da die Kosten in der Schweiz, währungsbedingt, nicht wettbewerbsfähig wären. Spezialisiert ist der Klingelnberg-Konzern u.a. auf teilweise höchst komplizierte Zahnräder, die in Antrieben und Getrieben sowie Werkzeugmaschinen in den genannten Industrien zum Einsatz kommen. Wettbewerber sind u.a. Reishauer (OTC-X) und Starrag (SIX).

Die Gesellschaft war bislang vollständig in Familienbesitz. Sollte der Greenshoe vollständig ausgeübt werden, fällt der Anteil der Altaktionäre auf 43%, der Rest wird den neuen Aktionären gehören, darunter wohl mehrheitlich institutionellen Anlegern. Es wird auch Änderungen im Verwaltungsrat geben, in der Geschäftsleitung soll, so CEO Jan Klingelnberg, die achte Generation der Familie nicht mehr vertreten sein.

90% des Emissionsertrags fliesst an Altaktionäre

Allerdings braucht die Gesellschaft das Kapital aus dem Börsengang für das organische Wachstum gar nicht, wie sie auch selbst sagt. Der weitaus grösste Teil des Emissionsertrags fliesst der Familie Klingelnberg zu. Sollten das IPO vollgezeichnet und auch die Greenshoe-Option ausgeübt werden sowie die Zuteilung am oberen Ende der Bookbuildingspanne erfolgen, läge das Platzierungsvolumen bei 270 Mio. CHF, davon würden nur 27,7 Mio. CHF (512 800 Aktien zu 54 CHF) der Gesellschaft zufliessen, also knapp 10%. Zur Verwendung könnte das beim Börsengang beschaffte Kapital bei der Übernahme kleinerer Anbieter kommen, von denen es nach Angaben von Klingelnberg viele gibt, die zwischen 5 Mio. CHF und 50 Mio. Euro Jahresumsatz generieren und die ihre Nachfolge zu regeln hätten.

Motive für den Börsengang

Klingelnberg geht also aus verschiedenen Gründen an die Börse. Ein gewichtiger Grund ist die Monetarisierung des seit 150 Jahren aufgebauten Familienvermögens. Der Familie fliessen rund 230 Mio. CHF durch den Verkauf der Mehrheit an die neuen Aktionäre zu. Der verbleibende Anteil von 43% an der Gesellschaft repräsentiert auf Basis von 54 CHF je Aktie weitere 206 Mio. CHF. Ein solches Vorgehen ist durchaus legitim und dient einerseits der Diversifikation des Familienvermögens, ermöglicht jedoch auch eine beschleunigte Entwicklung der Gesellschaft durch die verbesserte Sichtbarkeit und den direkten Zugang zum Kapitalmarkt.

Gleichwohl steht für die gesuchten neuen Aktionäre die Frage im Raum, warum die Altaktionäre jetzt verkaufen oder teilweise aussteigen. Die Antwort könnte lauten: Weil es jetzt auf einem hohen Preisniveau möglich ist – angesichts des seit langem andauernden Börsenaufschwungs und des Anlagenotstands bei institutionellen Investoren. Beides hat zu hohen Bewertungen geführt sowie einer ebenso hohen Aufnahmebereitschaft der Anleger, was jetzt opportunistisch zum ‚Kasse machen‘ genutzt wird. Das EBIT lag im letzten Geschäftsjahr bei 22,8 Mio. Euro, was bei einer Post-Money Market Cap von 480 Mio. CHF ein Multiple von über 18x darstellt.

Wachstumsaktie oder zyklischer Wert?

Umsatz- und Gewinnentwicklung sind in den vergangenen Jahren sehr gut ausgefallen, was die Bewertung von Klingelnberg wie bei einer Wachstumsaktie im Technologiebereich plausibel macht. Automobilindustrie, Robotik, Energiewirtschaft – das alles klingt nach starken strukturellen Wachstumsraten und untermauert die Bewertung, scheinbar. Denn das zyklische Element wird übersehen. Zum einen ist der globale Konjunkturaufschwung inzwischen ziemlich alt und zeigt auch allerlei Ermüdungserscheinungen, so dass ein Nachlassen der Dynamik nicht wirklich überraschen würde.

Der Verlauf des Aktienkurses der an der SIX gelisteten Starrag AG, einem Wettbewerber von Klingelnberg. In Rezessionszeiten wie 2001 und 2008 spüren die Produzenten von Investitionsgütern als erste den zyklischen Abschwung. Quelle: reuters.com

Sollte die Nachfrage bei Schiffen, Automobilen, Minenequipment usw. rückläufig werden, so spüren es als erste die Produzenten von Investitionsgütern wie Werkzeugmaschinenhersteller vom Typ Klingelnberg, Starrag etc. Zwar weist deren Geschäft durchaus Züge einer strukturellen Wachstumsindustrie auf, aber der Härtetest kommt erst beim nächsten zyklischen Abschwung. Die letzten Rezessionen von 2008 und 2001 liegen scheinbar schon so lange zurück, dass sich kaum noch jemand daran erinnern kann. Wer noch weiter zurückblickt, erinnert sich vielleicht, dass insbesondere die hochgradig zyklischen Maschinenbauer und Werkzeugmaschinenhersteller, meist aus Familienbesitz, gerne am Ende des Konjunkturzyklus an die Börse gehen, weil sie dann beeindruckende tiefschwarze Zahlen liefern können und die Aktien von Vergleichsunternehmen auf Rekordniveau geklettert sind. Gar zu oft treten dann im ersten Abschwung gravierende Probleme auf, mit denen die neuen Aktionäre überhaupt nicht gerechnet haben. Die langfristigen Kursverläufe demonstrieren dies, mancher Börsenneuling ist aber auch wieder verschwunden.

Zusammenfassend gesagt: Das Timing für das IPO und den Verkauf der Mehrheit ist aus Sicht der Altaktionäre optimal, indem die einmalig günstigen Bedingungen an der Börse opportunistisch für die Transaktion genützt werden. Wegen der übersehenen zyklischen Komponente könnte jedoch der Zeitpunkt für den Einstieg, spiegelverkehrt, der schlechtmöglichste sein.

Verzahnung im 21. Jahrhundert

Ein weiterer Risiko-Faktor ist die fortschreitende Digitalisierung in den bedienten Industrien. Zwar werden insbesondere in der Schwerindustrie weiterhin Zahnräder benötigt, doch das mechanische Zeitalter kommt trotzdem allmählich zu seinem Ende. Automobile des 21. Jahrhunderts, vor allem E-Fahrzeuge, brauchen jedenfalls sehr viel weniger Verzahnung als ihre Vorläufer. Das gilt auch für Mining Equipment und weitere Anwendungsgebiete. Unter diesem Blickwinkel erscheint die langfristige Wachstumsstory kein so ganz klarer Fall mehr zu sein.

Fazit

Mit dem IPO von Klingelnberg erfährt der Kurszettel der SIX eine weitere Bereicherung um einen Marktführer mit klaren Alleinstellungsmerkmalen. Aufgrund des fortgeschrittenen Investitionsgüterzyklus fallen die Zahlen überaus positiv aus und scheinen die hohe Bewertung zu rechtfertigen. Ob die Rentabilität und die Trendwachstumsrate in einem konjunkturell schwierigeren Umfeld aufrechterhalten werden kann, bleibt abzuwarten. Zudem könnte der industrielle Bedarf an Verzahnungstechnik als Folge von Digitalisierung und Elektrifizierung der Mobilität mittelfristig rückläufig sein, was die weiteren Perspektiven für Klingelnberg und deren Aktie eintrübt. Eine Zeichnung auf dem hohen Bewertungsniveau ist für risikoaverse langfristige Anleger nicht empfehlenswert.

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