Aktiensparen: gerade auch im Alter – unbedingt!

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Jetzt aber Vorsicht. Senioren sollten nichts mehr anbrennen lassen. Zum Einmaleins des Anlegerlateins zählt folgerichtig die Empfehlung, das Risiko mit zunehmendem Alter sukzessive zu reduzieren. Wer jung sei, könne mehr wagen, weil er noch mehr Zeit zur Verfügung habe, um Geld zur Seite zu legen und Kursrückschläge auszusitzen. Zweckmässig sei es also, die Aktienquote nach der Formel „100 minus Lebensalter“ festzulegen. Ein 80-Jähriger dürfte demnach höchsten 20% Dividendenwerte in seinem Depot haben.

Aktienquote mit fortschreitendem Alter erhöhen

Doch so einleuchtend dieses Prinzip auch erscheint, so kreuzfalsch ist es nach Ansicht von Experten, die sich auf Anlagen im Rentenalter spezialisiert haben. Pensionäre, die möglichst lange einen Teil ihres Vermögens für den Konsum verwenden wollen, sollten nämlich genau das Gegenteil tun, rät beispielsweise US-Finanzprofessor Wade Pfau, Professor am American College in Bryn Mawr im US-Bundesstaat Philadelphia, und sein Co-Autor Michael Kitces.

Die Ausgangsfrage ihrer Forschungen: Wie soll ein Pensionär sein Geld auf Aktien und Obligationen aufteilen, wenn er plant, 30 Jahre lang 4 oder 5% des bei Rentenbeginn vorhandenen Vermögens zu verbrauchen? Die überraschende Antwort: Angehende Rentner, die 20 bis 40% Aktien in ihrem Portfolio halten, sollten diese Quote mit fortschreitendem Alter nicht senken, sondern sukzessiv auf 40 bis 80% ausbauen. Bei dieser Strategie sei einerseits die Chance am grössten, die Entnahmen über den gesamten Zeitraum vornehmen zu können, andererseits auch die Gefahr am geringsten, dass das Vermögen früh aufgebraucht sei.

Begründen lässt sich das verblüffende Resultat damit, dass der Anlageerfolg über einen langen Anlagezeitraum von 30 Jahren mit Aktien deutlich grösser ist als mit Obligationen. Die grösste Gefahr des traditionellen Vorgehens liege darin, dass Verluste einer frühen Aktienbaisse später mit einer dann niedrigeren Aktienquote fast nicht aufzuholen seien. Ein Fakt, den auch viele Schweizer Pensionskassen in den letzten Jahren immer wieder schmerzlich erfahren haben. Das von Pfau favorisierte Vorgehen ermöglicht dagegen, später mit höheren Aktienquoten mehr „billige“ Aktien zu erwerben und von einer Normalisierung überproportional zu partizipieren. Auf Basis dieser Erkenntnisse hat Pfau mehrere Anlagestrategien für Rentner ausgetüftelt.

Banken zeigen sich zurückhaltend

Schweizer Banken zeigen sich gegenüber dieser These eher zurückhaltend. Christian Gattiker, Anlagestratege der Bank Julius Bär, hält es für gefährlich, mit Faustregeln zu operieren. Julius Bär empfehle ebenso wenig eine altersabhängige Aktienquote wie eine nach Geschlecht oder Herkunftsland. Im Wesentlichen hängt die Quote von der Fähigkeit der Kunden ab, Risiken zu nehmen, wie auch vom Willen, Risiken zu tragen. Die Zürcher Kantonalbank, UBS und Credit Suisse raten ebenfalls von einer altersabhängigen Aktienquote ab. Diese müsse sich stets an der individuellen Risikofähigkeit orientieren, dazu an der Risikoneigung und an den Renditeerwartungen. „Und sofern Rentner einen eher schwankungsarmen Einkommensstrom bevorzugen, wäre eine hohe Aktienquote nicht die richtige Entscheidung“, erklärt die ZKB.

Andere Anlageberater raten dazu, das Vermögen im Alter in mehrere Töpfe aufzuteilen. Geld, das man erst in einer ferneren Zukunft braucht, solle man ganz in Aktien anzulegen, den Liquidätsbedarf auf dem Sparkonto belassen und Geld, das mittelfristig verfügbar sein sollte, in gemischte Fonds investieren.

Das grösste Risiko ist, zu wenig Risiko einzugehen

Generell unterschätzen die meisten Leute, wie lange sie wahrscheinlich noch leben werden. Wer einen Anlagehorizont von 20 Jahren oder mehr hat, kann und soll im Grunde in riskante Anlagen, sprich Aktien, investieren. Denn wer viel Zeit hat, kann Kursschwankungen aussitzen. Soweit zumindest die Theorie. In der Praxis zeigt sich aber, dass ältere Anleger – und nicht nur sie – deutliche Kursverluste weit weniger gut verdauen als sie anfangs dachten.

Mit 65 Jahren, da fängt das Leben an

Beispiel USA: Die vertikale Achse zeigt den Median der Lebenserwartung in Jahren, die horizontale Achse das Alter. Die gelbe Linie zeigt die Lebenserwartung des länger lebenden Verheirateten. Quelle: soa.org

Finanzkrise 2007/08 hat zu einer tief greifenden Verunsicherung geführt

Doch, doch wir wagen es. Die künftigen Rentner zeigen sich zumindest auf den ersten Blick risikofreudiger, als man ihnen unterstellt. Nach einer Umfrage der Zeitung „Finanz und Wirtschaft“ wäre eine erdrückende Mehrheit von ihnen bereit, im Pensionsalter mehr als 35 Prozent Aktien zu halten. Wollen und Tun sind allerdings zwei verschiedene paar Schuhe: Gemäss einer aktuellen Erhebung der Schweizerischen Nationalbank halten Schweizer Privatanleger derzeit 44% ihrer Aktiven in Immobilien, 22% liegen im PK-Vermögen, 18% sind Cash und nicht einmal ganz 10% Aktien. Und bei Rentnern dürfte diese bescheidene Quote nochmals tiefer ausfallen. Noch bemerkenswerter: Um die Jahrtausendwende lag die Aktienquote mit 15% um die Hälfte höher als heute. Die Finanzkrise von 2007/08 hat offensichtlich zu einer tief greifenden Verunsicherung geführt.

Rentner und Aktien, das passt durchaus

„Angst ist aber ein schlechter Ratgeber. So magere Aktienquoten sind ganz eindeutig suboptimal“, sagt Thomas Braun, Partner des Zürcher Fondsunternehmens Braun, von Wyss & Müller (BWM): „Wer rational handelt, der investiert das für den Ruhestand angesparte Vermögen ab der Pensionierung nicht bloss zu 40 bis 80%, sondern gleich zu 100% in Aktien. Die 100-minus-Alter-Regel und auch die Tipps von Pfau&Co gehen Braun eindeutig zu wenig weit: „Unsere jahrelangen Studien zeigen ein unumstössliches Resultat: Die zweckmässigste Lösung ist es, die privaten Vorsorgegelder gleich zu 100% in Aktien zu investieren und das Kapital dann diszipliniert zu verbrauchen“.

Das Fondsunternehmen hat sich sehr intensiv mit dem optimalen Anlageverhalten im Alter auseinandergesetzt. Nach Angaben von Braun enthält die Datenbasis des Unternehmens weltweite Börsen- und Obligationenrenditen sowie Inflationsdaten von hundertvierzehn Jahren. Auf Basis dieser Daten rentierten Weltaktien in Franken von 1899 bis 2017 im jährlichen Durchschnitt und nach Berücksichtigung aller Depotbankgebühren, Vermögenssteuern und Einkommenssteuern auf Dividenden mit beachtlichen 5,8%. Langfriststudien der Bank Pictet und der Credit Suisse stützen dieses Ergebnis. Die Genfer Vermögenswaltungsbank kommt bei ihren Berechnungen für Schweizer Aktien seit 1926 auf eine jährliche Realrendite von 7,4%, die Grossbank auf eine jährliche Realrendite der Weltaktien seit 1900 von 6,5%. Die Risikoprämien gebenüber Geldmarktanlagen lagen bei 4,2% für Weltaktien und bei 5,5% für US-Aktien.

Hundertprozentig auf Aktien setzen

Diese langfristige Überlegenheit der Aktien, und unter diesen speziell der sogenannten Value-Aktien, ist der Hauptgrund dafür, dass es sich nach Ansicht der BWM-Experten lohnt, auch  nach der Pensionierung hundertprozentig  auf diese Anlageklasse zu setzen. Denn schliesslich beträgt der Anlagehorizont bei der Pensionierung mit 65 Jahren im Durchschnitt immer noch 20 Jahre für Männer und 23 Jahre für Frauen. Und in dieser Zeit können vorübergehende Rückschläge an den Aktienmärkten, wie sie immer wieder vorkommen, in aller Regel mehr als nur wettgemacht werden. In der Tat: Mit einem breiten Aktienengagement hätten Anleger seit dem Zweiten Weltkrieg in keiner 20- oder 23-Jahres-Periode schlechter abgeschnitten als mit 5,3% Rendite pro Jahr.

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Schöner Zustupf für Hans Huber

Für Ruheständler, die voll auf Aktienanlagen setzen wollen, hat das Züricher Fondshaus Braun, von Wyss, Müller (BWM) die Sockel-Überschuss-Methode entwickelt, die der Planung des Vermögensverbrauchs nach der Pensionierung dient. Das Prinzip dieser Methode besteht darin, den Vermögensverzehr in einen sicheren Sockelbetrag (in der Regel 2 bis 4% des Vermögens) und in einen Überschussbetrag aufzuteilen, der von der Aktienkursentwicklung abhängig ist. Diese Überschüsse darf der Rentner ebenfalls konsumieren. Nur der Betrag, der eine bestimmte Bezugsobergrenze überschreitet, wird zum Vermögen beigefügt. In besonders guten Börsenjahren wird also ein schöner Teil des Überschusses auf die hohe Kante gelegt.

Und was darf mit dieser Methode konkret erwartet werden? Nehmen wir das Beispiel von Hans Huber, der per 30. Juni pensioniert wird. Er hat ab dem Alter 45 jährlich 5’000 CHF in einen Weltaktienfonds investiert hat, kann nun mit rund 154’000 CHF ins Rentenalter starten. Dieser Betrag erlaubt es ihm nach der Sockel-Überschuss-Methode, in der 30-jährigen Verbrauchsphase zusätzlich zur AHV und Pensionskasse im Mittel jährlich CHF 9’264 CHF zu beziehen. Eine sicher beachtliche Rentenaufbesserung. Im besten Fall, bei einer überdurchschnittlich guten Entwicklung an den Aktienmärken, resultieren sogar 14’774 CHF. Und auch wenn sich Kurse in den nächsten 30 Jahren so schlecht entwickeln wie im historisch bisher miesesten Fall, gäbe es noch CHF 5’364 CHF.  Das wäre immer noch deutlich mehr als im besten Fall mit Obligationenanlagen möglich sind und nur unwesentlich weniger als mit dem Topresultat der 100-minus-Alter-Regel. Rentner, die ihr Erspartes in Obligationen investieren oder auf dem Sparheft belassen, können nach den BWM-Daten mit nur gut einem Viertel dieser Beträge rechnen. Diese Zahlen sprechen für sich: Auch Rentner sollten Aktien keinesfalls den Rücken kehren. Es sei denn, ihr Vermögen ist so gross, dass sie auch mit Erträgen leben können, die drei- oder viermal tiefer sind als mit der Sockel-Überschuss-Methode.

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