Macro Perspective: Ein aktueller Risikokatalog, bevor der Trump-Slump kommt?

Gold-Rally setzt sich fort

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Anti-China-Proteste in Hong Kong. Bild: Getty Images

„Nichts macht den Menschen argwöhnischer, als wenig zu wissen.“ Francis Bacon, 1561-1626, Philosoph, Staatsmann, Jurist.

Der starke Dollar, abgesackte Bondrenditen und viele weitere Bremsspuren lasten auf der Weltkonjunktur und den Börsen. Zwar wird jeder Schwächeanfall der Aktienindizes mit der üblichen Medizin von den Notenbanken bisher noch überwunden, doch wer sich jetzt noch immer darauf verlässt, dass es Draghi & Co schon wieder richten werden, der wird allein mit seinem Portfolio und verlassen sein.

Seit mehr als 10 Jahren sind die Notenbanken „the only game in town“, wie es der Allianz-Berater und Bond-Guru Mohamed El-Erian formuliert. Was damit implizit gesagt ist: Die Politik, die ja für fiskalische Anreize und die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zuständig ist, hat nahezu vollständig versagt in der Erfüllung ihrer Aufgabe. Das Problem ist nur, dass monetäre Anreize zwar vorübergehend sehr effektiv sein können, jedoch mit der Zeit ihre Wirksamkeit verlieren. Mehr als 10 Jahre unkonventioneller Notenbankpolitik zeigen Verschiedenes, darunter auch, dass die Effekte zunehmend verpuffen und, fast zwangsläufig, inzwischen sogar zu einem unverhohlenen Abwertungswettlauf geführt haben, den man nun auch getrost als „Währungskrieg“ bezeichnen kann.

Vom Handelskrieg zum Währungskrieg

Der Abwertungswettlauf ist eine logische Konsequenz aus dem von Trump angezettelten Handelskrieg. So hat sich der chinesische Yuan, der schon immer äusserst sorgfältig gemanagt wird, erstmals seit der Währungskrise 2008 wieder über die Hürde von 7 Yuan zum USD bewegt – eine Massnahme zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit angesichts der auferlegten Zölle. Inzwischen ist jedoch klar, dass der „Zollstreit“ weitreichendere Folgen gezeitigt hat. Über 30 Länder haben seit Jahresbeginn ihre Zinssätze gesenkt, darunter Neuseeland, Indien, Mexiko, Brasilien, Saudi-Arabien, Russland und Thailand. Kein Wunder also, dass die Mini-Zinssenkung in den USA ebenfalls verpufft ist und Trump wieder oder immer noch der Fed im Nacken sitzt und grössere Zinssenkungen verlangt.  “The Fed’s high interest rate level, in comparison to other countries, is keeping the dollar high, making it more difficult for our great manufacturers”, so Trump in einem aktuellen Twitter-Statement.

Quelle: New York Times

180 Grad-Wende der Notenbanken

Laut der Rating-Agentur Fitch waren zum Jahresende 2018 noch 38 der 53 untersuchten Notenbanken dabei, die ultratiefen Zinsen durch Erhöhungen zu normalisieren, nur drei bewegten sich noch innerhalb ihres Zinssenkungszyklus. Das wirft Fragen auf. Wenn die Notenbanken schon bei den ersten Rezessionsanzeichen ihren Kurs um 180 Grad wenden, so lässt sich das zwar in einigen Fällen als Willfährigkeit interpretieren, doch in den meisten Fällen geht es um Wettbewerbsfähigkeit. Daher hat auch die EZB bereits angekündigt, die Märkte wieder mit mehr Liquidität zu versorgen, nachdem erst im Dezember 2018 das Anleihekaufprogramm beendet worden war. Die Inflation ist tief und fallend, das Wachstum schwach. Das zeigt sich besonders ausgeprägt bei den Exportweltmeistern Deutschland und China. Eine Folge der wiederbelebten protektionistischen Politik, die, so das Urteil der Geschichte, noch immer schlecht für Welthandel, Wachstum und Wohlstand war.

Anleiherenditen im freien Fall

Die veränderten Erwartungen der Marktteilnehmer spiegeln sich nirgends deutlicher wider als in den kollabierenden Bondrenditen. Seit November 2018 haben die Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihen um volle 1,7 Prozentpunkte auf aktuell nur noch 1,56% verloren, und einen beachtlichen Teil davon nach der Fed-Zinssenkung vom 31. Juli. Deutsche 10-jährige Bunds rentieren mit -0,67% auf dem tiefsten Stand ihrer Geschichte. Was aber aus Anlegersicht ominöser als die nackten Renditezahlen ist, ist die erstmals seit 2008 vorübergehend inverse Zinsstruktur zwischen amerikanischen Anleihen mit 2 Jahren und 10 Jahren Laufzeit, ein nahezu untrüglicher Indikator für eine gravierende Rezession. Experten sprechen in diesem Fall von einer Bond Recession.

Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihen in 2019. Quelle: investing.com

Aktienkäufer bleiben optimistisch

Das passt nicht zusammen mit den rosigen Prognosen für den Aktienmarkt, die tagtäglich wie ein Mantra wiederholt werden. Manche der Argumente sind durchaus stichhaltig. Die Schwäche in den USA als Leitökonomie und -börse ist bislang auf den Industriebereich und die Investitionen beschränkt, doch zwei Drittel der Nachfrage entfallen auf den Konsumenten. Und dem geht es angesichts der Nahezu-Vollbeschäftigung gut, so die Argumentationslinie. Die wirtschaftliche Schwäche in anderen Regionen würde die USA kaum berühren, da Exporte eine vergleichsweise geringe Rolle spielen.

Finanz-Alchemie

Das ist jedoch kurzsichtig, denn die Kapitalmärkte schaffen eigene Realitäten, die wiederum Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben. Ein allgemein unterschätzter oder gar nicht wahrgenommener Faktor der Hausse ist, dass in den USA kreditfinanzierte Aktienrückkaufprogramme in beträchtlicher Höhe einerseits die Kurse treiben, andererseits die Gewinne je Aktie um rund 3% p.a. erhöhen. Die Marktkapitalisierung der US-Aktienbörsen erreicht ca. 30 Billionen USD, die Aktienrückkaufprogramme rund 1 Billion USD p.a. Da Kredite in Europa günstiger sind, finanzieren tatsächlich die Europäer nicht unwesentlich den Wealth-Effect in den USA. Das gilt auch für die SNB mit ihren grossen Käufen und Beständen an US-Aktien.

Brexit-Debakel führt zu Kapitalabfluss

Ein starker Trend wie an den US-Börsen lockt auch Kapital von anderen Börsenplätzen weg. So sind ca. 30 Mrd. USD seit dem Referendum 2016 aus dem britischen Aktienmarkt abgeflossen, davon der grössere Teil erst in der jüngeren Vergangenheit. Das schlägt sich auch auf Entwicklung des GBP nieder. Zunehmend hat sich der US-Aktienmarkt von den wirtschaftlichen Realitäten entfernt. Aufgrund der Liquiditätsschwemme werden auch die allerorts zunehmenden Risiken ausgeblendet.

Hong-Kong-Krise spitzt sich zu

So scheint es nach über zwei Monaten immer intensiverer Proteste in Hong Kong keinen Weg aus der Eskalation zu geben. Während die chinesische Regierung ihren totalitären Anspruch auch in der ehemaligen Kronkolonie durchsetzt, wollen die Bewohner von Hong Kong – ein Land, zwei Systeme – nicht auf ihre demokratischen Freiheiten verzichten. Ein brutales Ende der Aufstände wie 1989 in Peking erscheint unabwendbar. Der Hang-Seng-Index hat seit Beginn der Proteste im Mai um 15% verloren.

Chinas Power Play

China lässt auch weiterhin im südchinesischen Meer die Muskeln spielen. Obwohl die maritimen Gebietsansprüche Chinas vom Internationalen Gerichtshof schon vor drei Jahren verworfen wurden, steigt die Präsenz chinesischer Schiffe. Selbst die Philippinen, die seit längerem auf Schmusekurs mit China sind, haben allein in den letzten Monaten drei Proteste gegen die Verletzung ihrer Hoheitsrechte artikuliert. Das bestätigt die Skepsis der anderen Anrainer wie Vietnam und Malaysia. Es geht auch um die Kontrolle der Seewege, durch die jährlich Waren im Wert wie 3.4 Billionen USD bewegt werden. Es ist ein neuralgischer Punkt für die globalen Lieferketten und damit die Weltwirtschaft.

Konflikt zwischen Indien und Pakistan flammt auf

Zwischen Indien und Pakistan hat sich der schwelende Konflikt erneut zugespitzt. In dem indischen Bundesstaat Kaschmir, dem einzigen mit moslemischer Bevölkerungsmehrheit, wurde der Sonderstatus mit gewissen Selbstverwaltungsrechten durch den indischen Premierminister Modi aufgehoben. Stattdessen wurden die Truppen verstärkt, woraufhin Pakistan den bilateralen Handel einschränkte und Premierminister Khan die Erwartung äusserte, dass sich die Gewalttätigkeiten fortsetzen werden. Beide Länder verfügen über Nuklearwaffen. Pakistan ist ein Verbündeter Chinas, das wiederum mit Indien diverse Grenzstreitigkeiten austrägt.

Zollkrieg USA-Indien

Und obwohl Indien, die fünftgrösste Volkswirtschaft der Welt, ein natürlicher Verbündeter gegen China ist, eskaliert der Zollstreit mit den USA. Im Juni hatten die Inder Zölle auf US-Waren im Wert von 1.4 Billionen USD erhoben, nachdem die Amerikaner Zölle auf Aluminium und Stahl eingeführt hatten. Dies sei, so Trump in einem weiteren Tweet „nicht länger akzeptabel“.

Zölle auf Automobilimporte

Wenngleich die im Mai angekündigten Zölle auf Automobile und Teile – Ziel EU und Japan – von Trump um sechs Monate aufgeschoben wurden, das Damoklesschwert hängt über den beiden wachstumsschwachen Regionen, deren Konjunktur ganz wesentlich von Automobilexporten bestimmt wird. Deutschland ist das extremste Beispiel, wo, je nach Schätzung, jeder sechste oder dritte Arbeitsplatz direkt und indirekt von der Automobilindustrie abhängt.

Zollkrieg USA-EU

Abgesehen von Zöllen auf Automobile ist die EU aber auch Ziel eines von Trump breiter angelegten Handelsstreits. Europa war ja auch von den Zöllen auf Aluminium und Stahl betroffen und belegte im Gegenzug, etwas unbeholfen, US-Stahl mit Zöllen. Jetzt hat Trump die Luftfahrtindustrie als nächstes Ziel gewählt. Airbus soll auch mit Zöllen belegt werden. Eine Gegenmassnahme würde offensichtlich Boeing betreffen – eine Eskalation zwischen den USA und der EU würde wegen der weit höheren wirtschaftlichen Integration der beiden Regionen sehr viel schädlicher für die Weltwirtschaft sein als der USA-China-Konflikt.

Brexit am 31. Oktober

Weiterhin, auch wenn man sich daran gewöhnt hat, steht der Brexit zum 31. Oktober an, dieses Mal, wie es scheint, unumstösslich. Es läuft wohl auf einen „No-Deal Brexit“ hinaus, also die maximal schädliche Exit-Variante, da sich die politischen Kräfte auf nichts einigen können. Mag es vielleicht langfristig für die Engländer gut sein, kurzfristig sind keinerlei wirtschaftliche Vorteile zu erkennen. Zudem will Schottland in der EU bleiben – es könnte zu einem Ausstieg aus dem Vereinigten Königreich kommen.

Europäische Bankenkrise mit neuem Tiefpunkt

In Italien ist die Regierungskoalition gescheitert. Wie es auch konkret weitergehen wird, die Wirtschaft stottert, die Banken wackeln, und die Zeichen stehen auf eine weitere Erhöhung der Verschuldung, die sich bereits bei 132% des BSP bewegt. Italien ist vielleicht der schlimmste Fall, doch Bankaktien in ganz Europa bewegen sich auf Krisenniveau. Zusammen beträgt die Market Cap aller europäischer Banken gerade noch eine halbe Billion USD. Noch vor zwei, drei Jahren war es das Drei- bis Vierfache, obwohl die Krise da bereits lange zugebissen hatte. Zum Vergleich: JP Morgan bringt allein 360 Mrd. USD auf die Börsenwaage. Der Unterschied besteht darin, dass sich die US-Banken rekapitalisiert und Marktanteile zugewonnen haben.

US-Milliardäre fordern höhere Steuern

Was aber die meisten Politiker und Wähler nicht zu verstehen scheinen, ist, dass es nicht Aufgabe der Notenbanken ist, die Wirtschaft zu stimulieren und diese es vor allem deshalb tun, weil die Politiker versagen. Die tun zwar alles, damit es so bleibt, wie es ist, aber nichts dafür, wie es sein sollte. Die Folge ist u.a., dass aufgrund der anhaltenden tiefen Zinsen die Vermögenskonzentration exorbitant voranschreitet. Doch Multimilliardäre konsumieren nicht mehr, wenn noch eine Milliarde dazukommt. Die ganze Argumentation vom „trickle-down effect“ hat sich als nicht stichhaltig erwiesen. Das erkennen selbst die Multimilliardäre, die deshalb zu einem nicht geringen Teil auch höhere Steuern fordern, darunter Abigail Disney, George Soros, die Pritzker Familie.

Notenbankpolitik führt zu wachsender Ungleichheit

Denn die andere Seite der Inaktivität der Politik und der fortgesetzt akkommodierenden Notenbankpolitik ist, dass immer weitere Teile der Bevölkerungen den Eindruck haben müssen, dass sie nicht von Wachstum und Wohlstand profitieren, sondern vielmehr abgehängt werden. Daher gewinnen auch populistische Parteien Zulauf, da sie eine Heimat für die Benachteiligten und Scheinlösungen für die globalen Fehlentwicklungen zu bieten vorgeben. Doch diese Polarisierung und die Kreierung von Sündenböcken bringt gar nichts, wie man ja derzeit sieht. Tatsächlich bietet die Geschichte ja genügend Anschauungsmaterial, wohin Protektionismus, Nationalismus und Populismus führen.

Da Änderungen angesichts der in vielerlei Hinsicht festgefahrenen Positionen und Fronten, ob Brexit, Handels-, Währungs- oder tatsächlicher Krieg wie in der Iranfrage möglich, sich nicht abzeichnen, aber der Druck jeweils zunimmt, sind gravierendere Verwerfungen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Art zu erwarten.

Gold als sicherer Hafen

Auch wenn Aktien immer noch wie die beste Anlageform aussehen – es ist sehr unwahrscheinlich, dass all die rezessiven Kräfte die Gewinnentwicklung der Unternehmen nicht gravierend beeinflussen sollten. Durch das Zusammenwirken der diversen Krisenfaktoren könnten die Gewinne schnell und kräftig einbrechen, was die Aktienkurse nach unten ziehen würde. Demgegenüber scheint der beschwingte Preisanstieg beim Gold noch viel Raum nach oben zu haben, auch deshalb, weil die meisten Investoren gar nicht oder kaum bei der ultimativen Währung engagiert sind.

Entwicklung des Goldpreises in USD im vergangenen Jahr. Quelle: finanzen.ch

Für erfolgreiche Investoren ist es selbstverständlich, dass sie die anlagerelevanten Argumente kritisch prüfen, nicht, wer sie verbreitet. Bacon sagt: „Das Argument gleicht dem Schuss einer Armbrust – es ist gleichermassen wirksam, ob ein Riese oder ein Zwerg geschossen hat.“

 

 

 

 

 

 

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