Digitale Transformation: Warum die Bankbilanz unter Druck steht

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Alwin Meyer, CEO und Co-Gründer von Swisspeers.

Banken betreiben Transformationsgeschäfte, seit das europäische Bankwesen im 13. Jahrhundert in Florenz begründet wurde. Die Bankbilanz dient als Zwischenspeicher für das Anlage- und Finanzierungsgeschäft. Dieser Zwischenspeicher ist ein spannendes Gebilde: Dank hohem Hebel auf eingesetztem Kapital sowie Fristentransformation zwischen Einlagen und Ausleihungen resultieren automatisch Erträge.

Mit dem technologischen Fortschritt entstehen neue Geschäftsmodelle, die den Wert dieser Transformationsfunktionen in Frage stellen. Das Übernehmen von Losgrössen-, Fristen und Risiko-Transformationsfunktionen generiert heute keinen geldwerten Nutzen mehr für die Endkunden, weil sich komplementäre Bedürfnisse im Markt digital direkt finden lassen. Die eingegangenen Risiken dienen allein der Ertragsgenerierung in einem Risiko-Ertragsgerüst, das komplexe Regulierungen notwendig macht.

Digitale Marktplätze stellen den Zwischenspeicher «Bankbilanz» in Frage. Sie bereiten Informationen so auf, dass Angebot und Nachfrage für die verschiedensten Bedürfnisse in Bezug auf Losgrössen, Fristen und Risiken direkt zwischen Endkunden zusammengeführt werden.

Neben Fintech Start-ups und den agilsten Banken selbst steigen immer mehr «Branchenfremde» in das Geschäft ein, wie die Ankündigung von scout24 im Bereich Hypotheken zeigt.

Marktplätze von Fintech Start-ups nehmen sich spezifischen Geschäftsfeldern an

In der Schweiz bauen neu gegründete Technologie-Firmen Marktplätze für die verschiedensten Finanzierungs- und Anlagebedürfnisse auf und führen die Parteien online direkt zusammen:

Instimatch nimmt sich dem Geldmarktgeschäft an und baut ein globales digitales Netzwerk auf. Das Netzwerk bringt institutionelle Anbieter und Nachfrager kurzfristiger Liquidität zusammen. Ein Geschäft, das bisher bilateral zwischen Banken und den Finanzabteilungen von Firmenkunden stattfand.

Loanboox gewann mit seinem digitalen Marktplatz innert kürzester Zeit einen grossen Marktanteil für Ausleihungen an öffentlich-rechtliche Institute. Kapitalgeber sind Versicherungen, Pensionskassen – und Banken.

Diverse Plattformen nehmen sich des Konsumkredits an und greifen die hohen Margen der Konsumkreditbanken an.

Swisspeers bedient Unternehmenskunden mit Finanzierungsbedarf und bringt diese mit privaten und institutionellen Anlegern zusammen.

Hypotheke.ch vermittelt Privathypotheken. Hypotheke.ch ist ein Start-up, gegründet von vermögenspartner.ch, einem Vermögensverwalter. Privatkunden werden an den günstigsten Hypothekargeber vermittelt.

Etablierte Player künden neue Finanzierungsmarktplätze im Wochenrhythmus an

Diesen Herbst scheint der Durchbruch der Marktplätze imminent. Praktisch im Wochenrhythmus werden neue Projekte angekündigt oder gehen online. Hier der aktuelle Stand der Entwicklung:

Credex: Das Joint Venture von Swisscom, Vaudoise und der Clientis Zürcher Regionalbank baut eine Auktionsplattform für Privathypotheken auf. Abnehmer sind Institutionelle Investoren wie die Vaudoise selbst.

UBS: Sie hat angekündigt, ihr Marktplatzmodell Atrium auf Privathypotheken für selbst bewohntes Eigentum auszuweiten. Sie schafft gleichzeitig einen Bereich ‘Digital Platforms & Marketplaces’.

Valiant: Ende Oktober hat die Regionalbank Valiant einen Hypothekenvergleich lanciert und ihr Finanzierungsgeschäft damit erstmals für Pensionskassen und Versicherungen geöffnet.

Scout24: Am 20.11.2019 hat die Scout24-Gruppe angekündigt, ins Finanzierungs- und Versicherungsgeschäft einzusteigen und über ihre Plattform Hypotheken und Versicherungen zu vermitteln. Scout24 hat dafür die Plattform Hypoguide anfangs 2019 übernommen.

Weitere Anbieter sind bereits operativ im Hypothekarbereich, wie Postfinance mit Valuu, die Helvetia Versicherung mit Moneypark oder Comaparis mit Hypoplus.

Bankbilanz versus Marktplatz: die Konsequenzen

Die Rolle der Bilanz als Zwischenspeicher für Retail- und Kommerzbanken verliert an Bedeutung. Künftig wird die Kundenberatung den Kern einer Bank ausmachen und nicht länger die «Produktion» von Produkten über ihre Bankbilanz. Die Beratungsleistungen werden weit über das heutige banktypische Angebot hinausgehen. Ein Beispiel ist der Einstieg von Raiffeisen in die Immobilienvermittlung.

Ob und welche Banken es schaffen, selbst einen Marktplatz aufzubauen, hängt davon ab, wie stark die internen Kräfteverhältnisse sind zwischen Traditionalisten und Erneuerern. Es braucht Mut und Kraft, ganze Geschäftsbereiche auf ein neues Modell umzustellen. Mut, weil die Transformationserträge infrage gestellt werden und Kraft, weil die internen Widerstände gross sind bei tief greifenden Veränderungen. Jene, die es nicht schaffen, werden als Finanzierer enden im radikalen Preiswettbewerb auf den Marktplätzen der anderen. Im Bereich der Ausleihungen an öffentlich-rechtliche Institute ist das mit der Plattform Loanboox bereits Realität.

Der Beitrag stammt von Alwin Meyer, dem CEO und Co-Gründer von swisspeers.ch, einer Peer-to-peer-lending-Plattform. Seit Juni 2016 hat das Fintech-Start-up bereits 266 KMU-Kredite mit einer Kreditsumme von über 40 Mio. CHF vergeben.

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