Macro Perspective: Verwerfungen an der Börse durch „abrupten und disruptiven“ Politikwechsel

Unsicherheiten durch Wachstumsschwäche, Greta-Effekt, Proteste, Unruhen und Politikwechsel 

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„Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“ Mahatma Gandhi, 1869-1948, Rechtsanwalt, Revolutionär, Publizist, Pazifist

Tempolimit 100 km/h in den Niederlanden, Fracking-Verbot im UK, Klimaschutzgesetz in Deutschland – der abrupte und disruptive Politikwechsel ist bereits da. Er zeitigt auch direkte Auswirkungen an der Börse. So fielen die Aktien der beim Fracking involvierten Unternehmen an der Börse London hart auf den Boden der Realität. Was dazu überhaupt nicht passt, ist das „engineered IPO“ des Öl-Giganten Aramco – als Börsengang in Scheiben. Denn der Grossteil der Reserven wird wohl im Boden bleiben müssen!

Die ersten Zeichen des „abrupten und disruptiven“ Politikwechsels gehen vielleicht im Moment noch an den Anlegern vorbei. Jedenfalls solange die neuerliche Hausse anhält – und dann am besten gleich in die jedes Jahr von Börsennovizen aufs Neue erwartete Santa-Rallye übergeht. Angesichts stagnierender Unternehmensgewinne fällt an der Börse mehr ins Gewicht, dass die Notenbanken wieder die Schleusen geöffnet haben – und die Kurse deshalb steigen. Die Hoffnungen sind hoch, dass die Fed unter dem Druck Trumps die Leitzinsen weiter senkt und dass Christine Lagarde im Wesentlichen da weiter macht, wo Mario Draghi aufgehört hat. Allerdings ist zu beachten, dass beide Narrative eher Börsenpropaganda sind als dass sie der Wirklichkeit entsprechen. Die Fed ist wirklich über die protektionistischen Tendenzen und ihre dämpfenden Effekte auf die US- und die Weltwirtschaft besorgt, und dass sich die von alten Männern beherrschte Medien- und Politiklandschaft negativ über Lagarde äussert, noch bevor sie ihr Amt wirklich angetreten hat, überrascht auch nicht. Tatsächlich setzt sie durchaus eigene Akzente.

Melt-up durch QE

Dass die Aktienbewertungen schon ziemlich gedehnt sind, stört die Investoren in ihrem Gewinnrausch scheinbar nicht. Dabei ist der jüngste „Melt-up“ wohl hauptsächlich auf die inzwischen über 300 Mrd. USD zurückzuführen, die von der Fed seit September für Käufe von kurzlaufenden Staatsanleihen aufgewendet wurden. Deren Bilanzsumme ist damit von unter 3.8 Billionen USD wieder auf über 4 Billionen USD gestiegen.

Grafik: marketwatch.com

Schwäche der Exportnationen

Das ist durchaus so zu interpretieren, dass die rapide wirtschaftliche Abschwächung in China, Japan und Deutschland, also bei den Export-Champions, aus Sicht der Fed nichts Gutes verheisst. Der Zoll- und Handelskrieg lastet weit schwerer als für den Einzelnen erkennbar auf der weiteren globalen wirtschaftlichen Entwicklung. Das ohnehin abgeschwächte Wachstum dürfte 2020 allein durch die dümmliche Einführung von Zöllen um bis zu 1% verlieren.

Südamerika – ein Kontinent wankt

Vielleicht noch gar nicht einkalkuliert ist das allmähliche Umkippen des ganzen südamerikanischen Kontinents in Chaos und Unregierbarkeit. Nach Venezuela und Argentinien folgten Brasilien, Chile, Bolivien und jetzt auch das nach Brasilien mit 50 Mio. bevölkerungsreichste Land Kolumbien. Im Kern geht es immer um Ungleichheit, Korruption, Vermögenskonzentration und die Unterdrückung von Minoritäten. Leider ist die Prognose aufgrund der historischen Verhaltensmuster negativ. Das Militär steht jeweils bereit, die Interessen der Oligarchen und Eliten durchzusetzen. Mit Demokratie hat das bedauerlicherweise wenig zu tun. Umso entschlossener sind die Proteste, auch weil Menschenrechts- und Umwelt-Aktivisten, Oppositionelle sowie Journalisten verschwinden oder ermordet werden.

Hongkong – der Konflikt spitzt sich zu

Es geht um sehr ähnliche Punkte in Hongkong – und das seit fünf Monaten. Die oberflächliche Berichterstattung der westlichen Medien kommt ähnlich wie bei der zu Südamerika kaum ihrer Aufklärungspflicht nach und übernimmt gar zu bereitwillig die offiziellen Wortlaute. Es fällt kaum noch auf durch die ganze Flut an Desinformation, dass, egal, ob die Katalanen in Spanien, die Kurden im Nahen Osten, die Indigenen und Gewerkschafter in Südamerika und oft sogar Mehrheiten, undifferenziert als „Terroristen“ bezeichnet werden. Das gilt in Chile, aber auch in Hongkong. Es sind die Testfälle der demokratischen Grundrechte. Die stehen auf dem Spiel und werden allmählich, aber eben doch merklich abgebaut. Ein schleichender Übergang in totalitäre Systeme. Das Tragische ist, dass sich in Hongkong keine vernünftige Lösung abzeichnet. Der übermächtige Rote Drache wird ein Exempel statuieren, das den unbedingten Machtanspruch der Kommunistischen Partei untermauert und zugleich die Weichen für die weitere territoriale Expansion stellt. Das Muster bei der Annexion oder Heimholung exterritorialer Gebiete durch Mächte, die nach Hegemonie streben, ist historisch Bewanderten durchaus bekannt. Das logische nächste Ziel, sofern die Volksrepublik China in Hongkong – ein Land, zwei Systeme – mit ihrer Strategie durchkommt, ist dann Taiwan!

Proteste rund um den Globus

Breite Proteste der Bevölkerung gibt es aber auch im Iran, im Irak, im Libanon, in Algerien und auch in Israel. Die auslösenden Gründe sind vordergründig ein wenig unterschiedlich, doch auch hier geht es um dieselben Punkte: Machtmissbrauch, Ungleichheit, Perspektivlosigkeit. In Israel wurde der Populist Netanyahu angeklagt, wegen Korruption, Bestechlichkeit und weiteren Vergehen. In den meisten Punkten geht es bezeichnenderweise um Einflussnahme auf die Medien, indem Gesetze geändert oder dubiose Transaktionen ermöglicht wurden. Im Vielvölkerstaat Libanon wird der täglich zunehmende Protest von Christen, Sunniten und Schiiten gleichermassen getragen – zum ersten Mal seit dem Ende des 15-jährigen Bürgerkrieges 1990 werden die religiösen und sozialen Trennlinien unter den Libanesen aufgehoben. 25% der Bevölkerung will den Sturz der korrupten religionsübergreifenden Macht-Elite. Das scheint ein gutes Beispiel für eine reflektierte Revolte zu sein, bei der die tatsächlichen Ursachen der Missstände erkannt werden und die massive Propaganda der Verantwortlichen ins Leere läuft.

Lügen-Propaganda mit Facebook ohne Sanktionen

Das wäre auch in den USA, Europa und überall wünschenswert. Doch egal, die fortgesetzten politischen Diskussionen zum Brexit auf den britischen Inseln oder die Trump-Ukraine-Affäre, Propaganda, Fake-News und digitale Wahl-Strategien wie schon durch Cambridge Analytica in Verbindung mit Facebook praktiziert, prägen auch heute das Bild. Und obwohl nach heutigem Wissensstand sowohl das Brexit-Referendum als auch die Wahl zum US-Präsidenten manipuliert waren, findet die gleiche Beeinflussung immer noch statt. Doch die Plattform-Unternehmen operieren offensichtlich bislang ausserhalb aller Regeln. Anders ist kaum zu erklären, dass Facebook politische Werbung bringt, selbst wenn die Behauptungen offenkundige Lügen sind. Für „normale“ Medienunternehmen verbietet sich ein solches unethisches Verhalten. Für Plattform-Unternehmen scheint das nicht zu gelten, Facebook ist sogar behilflich, solche Werbung dann bei den genau richtigen Zielgruppen zu platzieren.

Mass Shootings – ein amerikanisches Problem?

Dies wiederum führt zu manipulierten Wahlen und Phänomenen, wie den „mass shootings“ vor allem in den USA. Dort hat deren Anzahl allein bis Oktober 370 erreicht. Dabei starben 1’466 unschuldige Opfer. Gründe sind oft Rassenhass, Frauenhass, Gefühle der Benachteiligung und Ablehnung. Auffällig ist, dass es abgesehen von einigen wenigen Fällen in Kanada, Neuseeland und Deutschland nahezu ausschliesslich ein US-Phänomen ist! Stichhaltige wissenschaftliche Ursachenforschung liegt bisher noch kaum vor. Bedenkt man aber, dass das „live-streaming“ von Massenmord über Facebook oder andere Plattformen zu den Markenzeichen dieses überflüssigen Phänomens unserer „digitalen“ Ära gehört, so muss man keine akademische Koryphäe sein, um die Ursachen zu erkennen. Ein wichtiger Hinweis ist, dass zahlreiche der Massenmörder im Vorfeld dieselben Online-Plattformen verwendeten, um ihre Frustration als „incel“, Abkürzung für involuntary celibates oder unfreiwillige Zölibatäre kundzutun.

Milliardär Bloomberg will Trump ablösen

Ein anderes typisch amerikanisches Phänomen ist nicht weniger verwunderlich. Seit klar ist, dass der Wohlstand eben doch nicht von oben nach unten fliesst, sondern die Milliardäre immer noch reicher werden und die anderen ärmer, ist es auch politisch durchaus in Ordnung, den Raubtier-Kapitalismus, wie nicht zuletzt durch Trump repräsentiert, zu kritisieren. Das tun nicht nur Ökonomen wie Stieglitz, sondern auch Präsidentschaftskandidaten wie Elizabeth Warren und auch viele Milliardäre selbst. Bill Gates hätte kein Problem damit, 20 Mrd. USD an Wealth Tax zu bezahlen. Andere wie Warren Buffett verlangen sie sogar. Und Michael Bloomberg hat sich nun entschieden, doch noch die Präsidentschaft anzustreben. Sein Vermögen ist mit geschätzten 55 Mrd. USD sehr viel höher als das von Trump. Er will keine Wahlspenden akzeptieren und keine Bezahlung, sollte er gewinnen. Er kündigte an auszugeben, was immer erforderlich sei, um Trump zu besiegen! Die beigefügte Grafik zeigt, wie der langfristige Vermögenseffekt auf die amerikanischen Multi-Milliardäre ausfallen würde, wäre Warrens Wealth Tax bereits 1982 eingeführt worden.

Grafik: marketwatch.com

Aramco und die Loyalität der Milliardäre

Milliardäre spielen auch eine zentrale Rolle beim IPO von Aramco. Zunächst werden 1,5% der Aktien an der heimischen Börse in Riad zum Handel eingeführt. Das Platzierungsvolumen dieser ersten Tranche beträgt ca. 25 Mrd. USD – ein Rekordwert für ein IPO. Kommendes Jahr sollen weitere 3% des Aktienkapitals an einer oder mehreren internationalen Börsen eingeführt werden. Die Marktkapitalisierung liegt mit etwa 1.7 Billionen USD nur unwesentlich unter den erträumten 2 Billionen USD. Ein Erfolg? Aus Sicht des saudischen Königshauses ganz bestimmt. Wissenswert ist, dass viele der Milliardäre in Saudi-Arabien mit ihren Zeichnungen ihre Loyalität zu Prinz Mohamed bin Salman beweisen wollen und müssen. Einige wie der Cousin des Kronprinzen und Grossaktionär von u.a. Citigroup und Twitter, Prinz Alwaleed bin Talal, waren ab November 2017 monatelang wegen angeblichen Korruptionsvorwürfen im luxuriösen Ritz Hotel interniert. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch und wird ständig höher, dass die immensen Ölreserven von Aramco zum grossen Teil nicht gefördert werden können. Die Aktie qualifiziert sich somit als „stranded asset“.

Bei den zahlreichen politischen Auseinandersetzungen lässt sich der weitere Verlauf mit Gandhis Erkenntnis „Was man mit Gewalt gewinnt, kann man nur mit Gewalt behalten“ prognostizieren.

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