Immobilienmarkt Schweiz: Krise oder was?

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Seit diesem Frühling ist ein schmucker Neubau in unserem Zürcher Quartier bezugsbereit. Beste Bauqualität, moderner Ausbaustandard und über 150m2 Wohnfläche. Erster Schönheitsfehler: Der nagelneue Abfallcontainer ist völlig unbenutzt. Denn es gibt keine Müll produzierenden Bewohner in diesem Haus. Gab es nie, und wer weiss, wann es sie je geben wird. Die Erklärung liegt im zweiten Schönheitsfehler. Die Miete für die Attika-Wohnung beträgt über 5’000 Franken. Vermieter haben seit etwa zwei Jahren Mühe, solche Luxusobjekte zu vermieten. Einige Firmen locken mit Gratismieten oder grosszügigen Gutscheinen. Derweil bilden sich in derselben Stadt bei der Besichtigung einer sehr preisgünstigen Wohnung schon mal Warteschlagen mit Hunderten Menschen.

Neuer Schauplatz: Rund 5’000 Personen wohnen in der Berner Gemeinde Huttwil. Platz für Einwohner gibt es genügend. Im Dorf stehen schon länger 14 Prozent der Wohnungen leer. Dennoch schiessen neue Wohnbauten immer noch wie Pilze aus dem Boden. Neue Zuzüger gibt es kaum. Wenn alle aktuell bewilligten Neubauten realisiert werden, entstehen in Huttwil bald 200 neue Wohnungen. Sind das die Vorzeichen einer Krise im bis anhin boomenden Immobilienmarkt?

Das Krisennarrativ der Schweizerischen Nationalbank

Laut Thomas Jordan liegen aus der Perspektive der Finanzmarktstabilität die grössten Risiken in den Entwicklungen im Markt von Renditeliegenschaften (d.h. Mehrfamilienhäuser). In einem SRF-Interview Mitte Dezember beschreibt der Chef der Nationalbank das Krisenmoment so: Während die Preise für Renditeliegenschaften ständig hochgeklettert sind, gibt es im Markt seit etwa zwei Jahren ein Überangebot, was sich in den leer stehenden Wohnungen manifestiert. Immer wieder verweist die Nationalbank auf den Ausfallschaden der letzten grossen Immobilienkrise. Damals Anfang der 1990er Jahre verschwand ein Drittel der Bankenlandschaft von der Bildfläche. Zwar gibt es Ähnlichkeiten zum damaligen Marktszenario – wachsende Leerstände, fehlende Nachfrage, steigende Preise -, doch der entscheidende Impuls fehlt, der damals die Spekulationsblase zum Platzen brachte.

Die Nationalbank erhöht 1989 unerwartet den Diskontsatz von 3,5 auf 6%. Kredite werden teurer, die Wirtschaftslokomotive gerät ins Stottern, die Nachfrage nach Immobilien sinkt. Plötzlich gibt es Leerstände von 12% (derzeit 1,7%). Viele Finanzinstitute sitzen auf faulen Krediten. Besorgte Sparer stürmen ihre Hausbank. Und der Rest ist Geschichte. Der Finanzplatz hat allerdings aus Letzterer gelernt. Einige Mechanismen sind sukzessive eingebaut worden, um den drohenden Flächenbrand im Keim zu ersticken. Beispielsweise der etwas sperrig klingende antizyklische Kapitalpuffer. Zudem durchlaufen Banken regelmässig sogenannte Stresstests. Und schliesslich sind die Leitzinsen sehr weit von einer Erhöhung entfernt. Es wäre schon ein Wunder, wenn sie in einigen Jahren wieder in den positiven Bereich kletterten.

Lockendes Einstiegsszenario

Krise abgeblasen? Obwohl die harten Fakten der letzten Immobilienkrise fehlen, gibt es reelle Gefahrenmomente. Aufgrund der steigenden Leerstände gehen Wohnungsmieten seit letztem Jahr stetig zurück, und der Trend wird sich weiter fortsetzen. Ungeachtet dessen steigen die Preise für Mehrfamilienhäuser weiterhin an. Die Renditen verharren auf einem tiefen Niveau. Mit einer Rendite von durchschnittlich 2.5% an zentralen Lagen bleibt eine solche Anlage attraktiv im Vergleich zu den teilweise nullprozentigen Renditen auf dem Anleihenmarkt. Es fehlt derzeit eine sichere, konservative Anlagealternative.

Laut Swiss Life beträgt der erwartete Mehrertrag von Schweizer Immobilien gegenüber Schweizer Staatsanleihen rund 3%. Für private Investoren scheint dieses Einstiegsszenario verlockend. Mit Obligationen lassen sich im derzeitigen Regime der Minuszinsen kaum Einkünfte erzielen, bei grösseren Spareinlagen verrechnen Banken bereits Strafzinsen. Doch das angepriesene Betongold birgt auch einige Risiken. Wachsende Leerstände lassen die Mieteinnahmen schrumpfen, was wiederum die Rendite herabdrückt. Im Falle, dass die Preiskurve abknickt, verringert sich der Wert einer Liegenschaft. Damit diese nicht überbelehnt ist, müssten Investoren Ausgleichszahlungen an den Hypothekargeber leisten.

Aus diesem Blickpunkt scheinen die von der Finma in diesem Jahr angestossenen verschärften Regeln für die Hypothekarvergabe sinnvoll. Ähnlich wie bei den Eigenheimen vor etwa fünf Jahren haben die Banken nun durch sogenannte Selbstregulierung die Hürden für die Hypothekarkredite erhöht. Sie wollen Mehrfamilienhäuser künftig nicht mehr bis 90% belehnen, sondern nur noch bis zu 75%. Es wird also 25% Eigenkapital brauchen. Zudem sollen die Kunden ihre Hypothekarschuld neu innert maximal 10 (bisher 15) Jahren auf zwei Drittel des Belehnungswerts reduzieren müssen.

„Bekämpfung von Symptomen“

Die Verschärfung der Selbstregulierung war auf Druck der Behörden entstanden, die der Ansicht sind, dass die Banken in diesem Segment zu viele riskante Hypotheken vergeben. Mit der Eigeninitiative sollte verhindert werden, dass der Bundesrat seinerseits den Banken – über eine Verschärfung der Eigenmittelverordnung (ERV) – neue Vorschriften aufs Auge drückt. Mirko Käppeli, CFO von Zug Estates, bezeichnet die neue Regulation als eine „Bekämpfung von Symptomen“. Das überwiegende Problem seien die stark steigenden Immobilienpreise und nicht die Belehnungshöhe. „Die Preise werden weniger von einer zunehmenden Verschuldungspolitik getrieben als vom generellen Anlagenotstand, ausgelöst durch Negativzinsen“, sagt Käppeli. Ein grosser institutioneller Anleger mit Negativzinsen habe ein Interesse, sein Geld in der Immobilie zu platzieren und werde gar nicht mal unbedingt ein besonders hohes Belehnungsniveau anpeilen. „Entsprechend gehe ich davon aus, dass diese Massnahme, wenn überhaupt, nur im Investmentbereich unter 10 Mio. einen beruhigenden Effekt hat.“

Viele Käufer von Renditeliegenschaften sind nicht auf Bankfinanzierungen angewiesen

Haben die verschärften Regeln für die Kreditfinanzierung von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen vor etwa fünf Jahren zu einem Abflachen der Preiskurve geführt, besteht die Hoffnung, dass sich diese Geschichte für Renditeliegenschaften wiederholt. Allerdings sind hier berechtigte Zweifel angebracht. Tatsächlich ist die Situation für Mehrfamilienhäuser nicht eins zu eins vergleichbar mit dem Markt für selbstgenutztes Wohneigentum. Während Letzteres grösstenteils über Hypotheken und damit von Banken finanziert wird, sind bei den Renditeliegenschaften viele Käufer gar nicht auf Bankfinanzierungen angewiesen.

Pensionskassen oder Versicherungen, zwei sehr aktive Player auf dem Markt, investieren ihre eigenen Gelder bzw. die Gelder ihrer Versicherten; gemäss Schätzungen sind rund 50% des Marktes für Renditewohnliegenschaften eigenfinanziert. Solange es auf dem Anlagemarkt keine renditeträchtige Alternative gibt – dafür müssten die Zinsen wieder in den positiven Bereich emporklimmen – bleibt den institutionellen Investoren wohl kein anderer Ausweg, als ihre Anlagegelder auch für solche Objekte zu verwenden, die in puncto Lagequalität ein eindeutiges Leerstandrisiko aufweisen. Die Frage bleibt dann, ob die Sparer der zweiten Säule es begrüssen, dass ihr sauer verdientes Kapital in Risikoliegenschaften investiert ist.

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