Michael Steiner, CEO acrevis Bank: «Wir gehen aktuell nicht von einem Worst-Case-Szenario aus»

Ostschweizer Regionalbank zahlte bisher über 400 Covid-Notkredite aus

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Nach einem erfolgreichen Geschäftsjahr 2019 und einem guten Jahresauftakt wurde auch die Ostschweizer acrevis Bank mit der Corona-Pandemie konfrontiert. Wie CEO Dr. Michael Steiner im Interview mit schweizeraktien.net berichtet, konnten bereits über 400 Covid-Kredite ausgezahlt werden. Sofern es keine zweite Ansteckungswelle gibt, gibt sich Steiner vorsichtig optimistisch für das Geschäftsjahr 2020. Im Hypothekargeschäft verzeichne acrevis seit April eine Rückkehr zur Normalität. Auch im Anlagegeschäft erlebe die Bank eine «gewisse Robustheit», so Steiner. Allerdings betont der CEO in dem Interview auch die grossen Risiken im aktuellen Umfeld.

Michael Steiner
Michael Steiner ist seit März 2018 Vorsitzender der Geschäftsleitung bei der in St. Gallen ansässigen acrevis Bank. Er hat das Masterstudium der Volkswirtschaftslehre mit Vertiefung Finanz- und Kapitalmärkte sowie seine Dissertation an der Universität St.Gallen abgeschlossen. Bild: zvg

Seit rund zwei Monaten befindet sich die Schweiz im Lockdown, nun werden die Massnahmen laufend gelockert. Wie war diese Zeit für Sie und die acrevis Bank?

Es war eine sehr intensive Zeit für die acrevis Bank. Innerhalb eines Monats haben wir unsere gesamte Organisation und Prozesse auf den Kopf gestellt und überarbeitet, insbesondere auch wegen Homeoffice und Office Splitting. Gleichzeitig waren wir bei der Kundenbetreuung überdurchschnittlich stark gefordert, um KMU liquiditätsmässig zu unterstützen und Anlagekunden während der Börsenturbulenzen zu begleiten. Innert kürzester Zeit mussten wir die Covid-Kredite umsetzen und haben bereits über 400 solcher Kredite mit einem Volumen von rund 55 Mio. CHF gesprochen und ausgezahlt. Für mich persönlich war es enorm erfreulich zu sehen, wie reibungslos acrevis auf den neuen Modus umstellen konnte.

Wie ist die Stimmung bei Ihren KMU-Kunden, welche die Notkredite abschliessen mussten?

Naturgemäss ist die Stimmung bei denjenigen Kunden, welche tatsächlich einen solchen Kredit aufnehmen mussten, nicht allzu gut. Wir hatten jedoch eine grössere Welle an Anträgen erwartet. Im Einzelfall sind diese Situationen natürlich sehr dramatisch, aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist es aber positiv zu werten, dass sich das Ausmass in Grenzen hielt.

Am 27. März schlossen Sie an der Generalversammlung im kleinen Kreis mit dem erfolgreichen Geschäftsjahr 2019 ab. Was nehmen Sie von dieser ungewöhnlichen GV mit?

Ein lachendes und ein weinendes Auge. Es ist eine grosse Enttäuschung, dass wir unsere Aktionäre und Kunden nicht persönlich begrüssen durften. Wir hoffen, die GV nächstes Jahr wieder in gewohntem Rahmen durchführen zu können: Mit rund 2’800 Teilnehmenden ist sie jeweils für die gesamte Region ein Grossanlass. Erfreulich ist dafür, dass es unserer Bank gut geht und wir eine unveränderte Dividende ausschütten konnten.

Wie wird sich die Krise auf die Geschäftszahlen des aktuellen Jahres auswirken?

Wir haben ein sehr gutes erstes Quartal gehabt, dies war jedoch noch hauptsächlich vor Corona. Im zweiten Quartal präsentiert sich das laufende Geschäft überraschend robust. Allerdings hängt der weitere Verlauf stark von der Entwicklung der Pandemie ab. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob wir eine V-Entwicklung haben werden oder ob es plötzlich 10-15% Arbeitslosigkeit und ein breit gestreutes Firmensterben geben wird. Eine konkrete Prognose zur Höhe der Wertberichtigungen zum jetzigen Zeitpunkt wäre wenig seriös. Wir gehen aber aktuell nicht von einem Worst-Case-Szenario aus.

Nach dem Absturz der Börse bis Mitte März haben viele Titel bereits wieder kräftig zugelegt, manche befinden sich schon wieder auf Vorkrisen-Niveau. Wie schätzen Sie die Entwicklung an der Börse ein? Ist das Schlimmste überstanden oder ist mit neuerlichen Einbussen zu rechnen?

Meiner Einschätzung nach geht die Börse momentan tatsächlich von einer V-Entwicklung aus. Diese Erholung ist durchaus gerechtfertigt, wenn sich die Lockerungen des Lockdowns als nachhaltig erweisen. Die Lage an der Börse kann jedoch nicht allgemein beurteilt werden, es bestehen zu grosse Unterschiede zwischen einzelnen Branchen. Ein Vergleich beispielsweise der Pharma-Industrie mit der exportorientierten Maschinenindustrie ist wenig sinnvoll. Die Bandbreite deckt von „existenziell bedroht“ bis „profitiert von der Krise“ alles ab.

Seit geraumer Zeit wurde von überhitzten Aktienmärkten und überhöhten Kursen gesprochen. Was für einen Einfluss hat die schockartige Korrektur auf das Anlageverhalten von Investoren?

Wir erleben auch im zinsindifferenten Geschäft eine gewisse Robustheit im Vergleich zum Vorjahr. Wenn sich die Erholung der Aktienmärkte tatsächlich als nachhaltig erweisen wird, rechnen wir mit keinen grossen Änderungen im Anlageverhalten.

Wie sehen Sie generell die weitere Entwicklung der Schweizer Wirtschaft? Müssen wir uns auf eine länger anhaltende Rezession gefasst machen?

Natürlich werden wir einen massiven Einbruch erleben. Wenn allerdings die Lockerung des Lockdowns nachhaltig ist, werden wir auch eine schnelle Erholung sehen. Für gut aufgestellte Unternehmen sollten die erlittenen Umsatzeinbussen nicht existenzbedrohend sein. Dies gilt auch für die schwer betroffenen Branchen wie Gastronomie und Hotellerie. Problematisch wird es für Unternehmen, welche sich bereits vor der Krise in finanzieller Schieflage befanden. Hier wird es zu Konkursen kommen und somit sozusagen analog zur Evolutionstheorie zu einem Überleben der Stärkeren.

Viele Unternehmen haben bereits von den vom Bund verbürgten Überbrückungskrediten Gebrauch gemacht, um ihre Liquidität sicherzustellen. Rechnen Sie mit höheren Kreditausfällen in 2020 und 2021 aufgrund der Corona-Krise?

Es wird einen Anstieg an Ausfällen geben, dies nur schon dadurch, weil es in den letzten Jahren praktisch keine Ausfälle gab. Unser Kreditportfolio sieht gemäss unserer laufenden Analyse robust aus, und wir rechnen nicht mit einem dramatischen Anstieg der Ausfälle. Dank unserer guten Eigenkapital- und Liquiditätssituation und der vorsichtigen Risikopolitik können wir der weiteren Entwicklung unaufgeregt entgegensehen.

Wie sehen die Ziele der acrevis für das Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft aus? Wird nach wie vor ein 50:50-Verhältnis zwischen Zinsengeschäft und Private Banking angestrebt?

Unser mittelfristiges Ziel ist ein Wachstum von 5% jährlich im Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft und nach wie vor ein ausbalanciertes Verhältnis zum Zinsengeschäft. Mit „acrevis invest“ als Weiterentwicklung von „acrevis spektrum“ investieren wir auch gezielt in diesen Bereich.

Wie kann die acrevis Bank im momentanen Umfeld an ihrer vorsichtigen Risikopolitik und dem verantwortungsvollen Banking festhalten?

Im aktuellen Umfeld liegt der Fokus darauf, keine zusätzlichen Risiken wie beispielsweise ungedeckte Kredite einzugehen. Die vorsichtige Risikopolitik in der Vergangenheit kommt uns nun zugute, und wir wollen diese deshalb auch weiterführen. Es ist uns allerdings sehr wichtig, aufkommende Probleme schnell anzugehen und unsere Verantwortung gegenüber unseren Kunden wahrzunehmen.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Immobilienmarktes in der Region Ostschweiz? Wird es krisenbedingt zu einem „Baustopp“ kommen?

Die Nachfrage ist wie vor der Krise grösser als das Angebot. Mit dem Beginn der Corona-Krise in der Schweiz im März kamen sämtliche Kauf- und Verkaufsaktivitäten zum Stillstand. Bereits seit April wurden diese aber wieder aufgenommen, und die Rückkehr zur Normalität hat begonnen. Ein Baustopp ist von unserer Seite her deshalb weder zu beobachten noch zu erwarten. Kaufwillige Kunden bleiben weiterhin kaufwillig. Stand heute rechnen wir deshalb auch nicht mit einem Rückgang der Ausleihungen im laufenden Geschäftsjahr. Allerdings: Eine zweite Infektionswelle könnte diese Beurteilung natürlich rasch obsolet machen.

Die acrevis Bank misst der Digitalisierung eine grosse Bedeutung zu. Der Schalter der Zukunft bietet Beratung aus der Distanz; eine neue Technologieplattform wurde implementiert, und über die acrevis on AG werden Digitalisierungsprojekte finanziert. Welche weiteren Innovationen und Neuerungen im Bereich der Digitalisierung haben Sie für die nähere Zukunft geplant?

Per Anfang Jahr haben wir die digital unterstützte Anlageberatung „acrevis invest“ eingeführt. Diese hybride Beratung findet ab dem ersten Gespräch mit einem Kunden statt und erfolgt als Mischung aus persönlicher und digitaler Beratung. Bis Mitte Jahr soll die gesamte interne und externe Kontoeröffnung digital erfolgen. Wenn man bedenkt, dass jährlich mehrere tausend Konten eröffnet werden und diese bisher an verschiedenen Stellen manuell ins System eingegeben werden mussten, ist dies ein massiver Effizienzgewinn. Nächste Schritte werden der weitere Ausbau der digitalen Unterstützung der Beratung, insbesondere auch im Finanzierungsgeschäft, sowie die Digitalisierung interner Prozesse sein.

Zu guter Letzt: Immer wieder hört man die Parole „Jede Krise ist zugleich auch eine Chance.“ Welche Chancen bietet die Corona-Krise der acrevis Bank?

Die Corona-Krise wird der Digitalisierung einen grossen Schub verleihen. Wie viele andere Banken haben auch wir in diesem Bereich noch viel Potenzial und wollen diesen Schub nutzen, sei dies im Bereich Homeoffice oder Digitalisierung von Prozessen. Auch für die Gesellschaft bietet sich eine grosse Chance. Viele alternative Wege, im beruflichen als auch im privaten Sinn, werden momentan aufgezeigt. Änderungen im Reiseverhalten wären zwar möglich und wünschenswert, ein grundlegendes Umdenken betrachte ich aber als eher unrealistisch. Die Krise hat aber aufgezeigt, dass wir unser Verhalten durchaus anpassen könnten.

Die Aktien der acevis Bank AG werden ausserbörslich gehandelt. Auf OTC-X wurden zuletzt 1’380 CHF für eine Aktie bezahlt.

Mitarbeit: Daniel Eichenberger

Hinweis in eigener Sache: schweizeraktien.net veranstaltet am 25. August wieder einen Branchentalk Banken. Das Thema lautet: „Der Lockdown als Booster der digitalen Transformation.“

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