Andreas Wicki, CEO HBM Healthcare: «Es gibt noch viel Raum zur Expansion»

Die Covid-Krise hat die Bedeutung für Unternehmen aus dem Gesundheitssektor gestärkt

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Seit fast 20 Jahren investiert die börsenkotierte HBM Healthcare Investments AG international in privat gehaltene Unternehmen, die sich in früheren Phasen der Entwicklung befinden, wie auch in kotierte Aktien des Sektors. Insbesondere durch die zunehmende Reifung der Biotechnologie kommt es bei den Portfolio-Gesellschaften zu immer mehr Börsengängen oder profitablen Übernahmen, die den Wert des HBM Healthcare Portfolios erhöhen und damit den Aktienkurs treiben. Zuletzt erreichte die Aktie ein neues Hoch bei 299 CHF. Das IPO von Cathay Biotech im neuen STAR-Segment der Börse in Shanghai erhöhte den NAV um 13,7%, aus den seit 2006 investierten 37 Mio. CHF wurden so 613 Mio. CHF. Im Interview mit schweizeraktien.net gewährt CEO Andreas Wicki tiefe Einblicke in die Healthcare-Industrie, nennt Investment-Trends beim Namen und informiert über die spezifische Anlage-Strategie von HBM Healthcare.

Andreas Wicki ist ein erfolgreicher Unternehmer und Investor im Bereich des Gesundheitswesens und verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der Pharma- und Biotechnologiebranche. Er war Miteigentümer und Geschäftsführer der ANAWA Holding AG und der Clinserve AG, zwei Auftragsforschungsgesellschaften für Analyse, Logistik und Datenmanagement klinischer und präklinischer Studienproben. Wicki studierte Chemie und Biochemie an der Universität Bern, schloss mit dem Doktorexamen ab und war u.a. Mitglied im Verwaltungsrat der Basilea und PharmaSwiss. Er ist aktiver VR bei zahlreichen Biotechunternehmen wie Viela Bio, Harmony Biosciences und Pacira BioSciences sowie bei HBM Healthcare Investments (Cayman) Ltd. Bild: zVg.

Glückwunsch zu der hervorragenden Aktienkursentwicklung von HBM Healthcare! Ist der Kurs trotz oder gerade wegen der Pandemie dieses Jahr so stark gelaufen?

Erfolgreiche klinische Studien, Börsengänge und Unternehmensverkäufe aus dem Portfolio der privaten Unternehmen haben zu diesem Erfolg beigetragen. Der gesamte Gesundheitssektor profitiert derzeit von einem sehr positiven Sentiment – die Unternehmen der Biopharma-Branche werden als wichtige Pfeiler zur Bekämpfung der Pandemie gesehen. Ein Abbild der Stimmung ist auch die Tatsache, dass derzeit eine Vielzahl von Börsengängen in den USA stattfindet, während es in früheren Jahren während den Sommermonaten eher ruhig war.

Kursverlauf der HBM-Aktie während der letzten zwei Jahre. Quelle: six-group.com

Erfährt die Biotechnologie als Folge der positiven Nachrichten zur Entwicklung von Impfstoffen oder den therapeutischen Effekten von Remdesivir bei Corona-Infizierten nun eine, im Vergleich zu vorher, höhere Akzeptanz in der Gesellschaft und insbesondere bei Investoren?

Die Covid-Krise hat die Bedeutung für Unternehmen aus dem Gesundheitssektor, als Zulieferer von Innovation beispielsweise in der Form von neuen Medikamenten, oder von adäquater Infrastruktur, gestärkt.

Die Nebelschwaden, ausgelöst durch die Diskussion um vermeintlich überteuerte Medikamente, die lange Zeit über dem Sektor lagen, sind grösstenteils gewichen. Das kommt dem Sektor zugute. Die Beurteilung eines Unternehmens aus fundamentaler Sicht kommt wieder mehr zum Tragen. Und da kann der Sektor brillieren: Der Sektor präsentiert sich in einer sehr guten fundamentalen Verfassung. Noch nie befanden sich derart viele Medikamente in der klinischen Entwicklung von Biotech-Gesellschaften. Die Bedeutung von Biotech als Innovations-Rückgrat der Pharma-Industrie nimmt stetig zu.

In Ihrem Quartalsbericht zum 30.06. entfallen 2% des Portfolios auf Infektionskrankheiten, 13% auf Immunologie/Entzündung. Für Nicht-Experten: Worunter fällt die Stimulierung einer Immunantwort auf das Corona-Virus, wie von den meisten Vakzinentwicklern nun verfolgt?

Unternehmen mit derartigen Ansätzen würden dem Bereich „Infektionskrankheiten“ zugeordnet. Wir sind derzeit in keinem Unternehmen investiert, welches Vakzine entwickelt. Covid-19 ist für uns per se kein eigenes Investment-Thema, auf das wir uns fokussieren.

Hohe Hürden in der Herstellung eines Impfstoffes sind zu meistern, um dieses als sicheres, wirkendes und in hunderten Millionen Dosen verfügbares Medikament bereitzustellen. Letztlich, und nicht minder wichtig, ist die Frage zu klären, zu welchem Preis ein Impfstoff zur Verfügung gestellt wird. Viele Firmen haben angekündigt, diesen zu einem Selbstkostenpreis anzubieten. Aus unserer Sicht sind die grossen Pharma-Unternehmen im Vorteil. Sie haben die nötige Infrastruktur und das Know-how. Jedoch liegen diese nicht im Investment-Fokus von HBM.

Haben Sie in den letzten Monaten ihr Portfolio umstrukturiert oder neu ausgerichtet? Wenn ja, wie?

Nein, wir halten an unserer langfristigen Ausrichtung des Portfolios fest. Unser Fokus gilt Unternehmen, die innovative Medikamente für schwerwiegende oder chronische Erkrankungen entwickeln. Noch immer gibt es einen grossen ungestillten Bedarf nach Medikamenten für die Behandlung von Krankheiten, für die es keine Therapie oder Heilung gibt.

Wieso sollte der Anleger nicht nur auf börsenkotierte, sondern auch auf private Gesellschaften im Gesundheitssektor setzen?

Im Gesundheitsbereich beispielsweise kann es als Ergänzung zu Kerninvestments aus dem Pharma-Bereich sinnvoll sein, mit einer Investition in private Biotechnologie-Gesellschaften frühzeitig Zugang zu aussichtsreichen, in der Wertschöpfungskette vorgelagerten, «Innovationsträgern» zu sichern. Dafür ist wohl Listed Private Equity der einfachste Weg für einen Privatinvestor, um in Private Equity zu investieren. Traditionell standen Private Equity Anlagen nur einer ausgewählten Anlegerschaft offen, die über eine bestimmte Investitions-Grösse sowie die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen verfügte. Bei Listed Private Equity, so wie zum Beispiel bei HBM Healthcare Investments, kann ein Privatinvestor täglich Aktien kaufen oder verkaufen. Der Vorteil des HBM Beteiligungsmodells ist auch, dass die Gesellschaft je nach Marktsituation einmal eine höhere Quote von privaten Beteiligungen und wiederum ein anderes Mal eine höhere Allokation zu börsenkotierten Investitionen aufweisen kann.

Das Besondere bei HBM Healthcare ist ja die hohe Gewichtung von privat gehaltenen Life-Science-Unternehmen, die im besten Fall an die Börse kommen oder Ziel eines hohen Übernahmeangebots werden. Wie kann sich der Nicht-HNWI-Privatanleger den Zugang zu solchen Investments vorstellen?

HBM ist seit bald 20 Jahren unterwegs und hat ein grosses weltweites Netzwerk zu wichtigen Stakeholdern in der Industrie – sei es zu Gründern, Unternehmern, Wissenschaftlern und Forschern, Entscheidungspersonen in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Big Pharma und Biotech und vielen Finanzintermediären. Gerne arbeiten wir mit Unternehmern zusammen, mit denen wir in der Vergangenheit schon Erfolge gefeiert haben. Denn jeder weiss, was er vom Gegenüber zu erwarten hat beziehungsweise erwarten kann. HBM pflegt einen engen Kontakt mit anderen spezialisierten Investoren auf der ganzen Welt. Zudem sind wir an den wichtigsten Branchen-Konferenzen präsent. Gesamthaft gelangen so gegen 1000 Businesspläne von Unternehmen pro Jahr zu HBM, von denen es letztlich 8 bis 12  ins Portfolio schaffen. Die Auswahl erfordert viel Spezialwissen, Industrie-Know-how und Erfahrung.

In den 1990er Jahren und auch noch nach der Jahrtausendwende gab es immer wieder lange Phasen, in denen es für innovative Biotech- und Medtech-Unternehmen schwierig war, neue Finanzierungen zu erhalten. Das scheint jetzt nicht mehr unbedingt der Fall zu sein. Woran liegt das?

Die Situation ist heute eine komplett andere. Der Sektor hat sich enorm weiterentwickelt, auch dank den Fortschritten in der Bioinformatik um die Jahrtausendwende. Während früher mehrheitlich von Potenzialen gesprochen wurden, werden heute viele  hoch innovative Medikamente mit mehreren Milliarden Umsatz pro Jahr auf den Markt gebracht. Aus den vielen Erfolgen hat sich insbesondere in den USA eine spezialisierte und breite Investorenbasis mit grosser Kapitalbasis entwickelt. Natürlich spielt derzeit auch das äusserst positive Kapitalmarktumfeld den Unternehmen in die Karten. Es ist viel Kapital vorhanden, das investiert werden muss.

Auf Europa entfallen nur 13% Ihres Portfolios, auf Asien bereits 25%. Wo liegen die jeweiligen Stärken und Schwächen und damit die Gründe für Ihre Gewichtungen?

Wir haben keine Bandbreiten bezüglich der geografischen Portfolioallokation definiert. Wir beurteilen jeden Investmentcase separat nach unterschiedlichen Kriterien, die vor allem das Wachstumspotenzial und die Risiken im Fokus haben. Ob nun das Unternehmen in den USA, in Europa oder in Asien domiziliert ist, spielt eine sekundäre Rolle. Die geografische Allokation ist somit mehr ein Resultat des Auswahlprozesses. Der US-Markt, der grösste Biopharma-Markt der Welt, wartet mit einer hohen Anzahl und Dichte an jungen und innovativen Unternehmen auf. Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass die USA einen bedeutenden Portfolioanteil innehaben. In Europa sehen wir leider nicht so viele interessante Gesellschaften, die in unseren, auf die spätere Entwicklungsphase ausgerichteten, Investmentfokus passen. Mit dem Verkauf von Advanced Accelerator Applications (AAAP) an Novartis im 2017 – für knapp 4 Milliarden US-Dollar – haben wir allerdings den bisher grössten Gewinn mit einer ursprünglich europäischen Beteiligung erzielt. In Asien fällt ein hohes Gewicht auf die Beteiligung an der chinesischen Cathay Biotech. Der chinesische Gesundheitsmarkt ist auf mittlere bis lange Sicht ein Wachstumsmarkt – schon heute ist China der zweitgrösste Pharma-Markt der Welt. Zudem setzt China vorwiegend auf die Karte Innovation.

Die Onkologie bildet mit 22% Portfolio-Gewichtung die grösste Konzentration. Bitte geben Sie uns einen kurzen Überblick zum Investment Case.

Im Bereich der Onkologie wird am meisten geforscht und entwickelt, dadurch ist die Anzahl an Medikamentenkandidaten in der klinischen Entwicklung die mit Abstand grösste. Auch wenn der Markt bereits generell sehr kompetitiv ist, gibt es andererseits noch viele Krebsarten, die gar nicht, nur ungenügend oder mit starken Nebenwirkungen verbunden therapiert werden können. Beispielsweise gefällt uns die Präzision-Onkologie, die sogenannten «Targeted Therapies», sehr gut.

Lange Zeit dominierten Chemotherapien die medikamentöse Behandlung von Krebs. Diese hochgiftigen Substanzen hemmen zwar Tumorzellen, schädigen gleichzeitig aber auch gesunde Zellen und verursachen so oft schwere Nebenwirkungen. Demgegenüber sind zielgerichtete Wirkstoffe im Kampf gegen Krebs eher mit Scharfschützen vergleichbar. Diese kleinmolekularen, oft als Tablette einnehmbaren Substanzen richten sich gegen spezifische genetische Veränderungen, die für das Wachstum bestimmter Tumoren eine entscheidende Rolle spielen. Aufgrund ihres Wirkungsmechanismus sind zielgerichtete Medikamente auf bestimmte molekulare Veränderungen in Tumoren zugeschnitten, unabhängig von deren Ursprungsgewebe.

Sie weisen mit 17% Liquidität zum 30.06. eine hohe Barmittelquote aus. Was ist der Hintergrund, und wie hat sich die Quote langfristig entwickelt?

Wir hatten in den letzten Jahren stets eine Barmittelquote von 10 bis 20%. Dieser relativ hohe Barmittelbestand ist einerseits für Investitionsverpflichtungen aus bestehenden privaten Beteiligungen und Fonds, andererseits für Neuinvestitionen sowie für unsere aktionärsfreundliche Ausschüttungspolitik reserviert.

HBM Healthcare steigert ja die Gewinne und entsprechend auch die Dividenden, so dass Ihre Anleger in den Genuss einer hohen und potenziell weiterhin steigenden Dividende kommen. Und dies, obwohl sie schwerpunktmässig in einer Industrie investiert sind, die besonders in den frühen Unternehmens-Phasen nicht gerade für Ausschüttungen bekannt ist. Ist dieses „Paradoxon“ Teil Ihrer spezifischen Strategie am Kapitalmarkt?

Wir zielen auf eine ausgewogene Balance zwischen Investitionen und Ausschüttungen. Die Ausschüttungen finanzieren wir eins zu eins aus den Verkäufen von erfolgreichen Investitionen. Wir möchten die Aktionäre explizit nicht nur am Wachstum partizipieren lassen, sondern auch an einer Ausschüttung in der Grössenordnung von 3 bis 5% pro Jahr auf Basis des Aktienkurses. Diese Strategie hat sich in den letzten Jahren bezahlt gemacht.

Inzwischen entfallen ja mehr Neuzulassungen am Arzneimittelmarkt auf biotechnologische Entwicklungen als auf pharmazeutische. Wagen Sie eine Prognose, wie das Verhältnis 2030 aussehen wird?

Die Bedeutung wird weiter zunehmen. Bereits heute stammt die Mehrheit der hundert meistverkauften Medikamente aus den Entwicklungslabors der Biotech-Gesellschaften. Beispiele finden sich in der Immunonkologie: Die Mittel mit den grössten Marktanteilen stammen alle aus den Forschungslabors der kleinen Biotechnologieunternehmen und gelangten durch eine Übernahme in die Pipeline der „Grossen“: Keytruda wird heute vom Pharmakonzern Merck hergestellt und vertrieben, erfunden wurde es von der kleinen holländischen Firma Organon. Das Gleiche gilt auch für Opdivo (heute Bristol Myers) von Medarex und Imfinzi (heute AstraZeneca) von MedImmune. Die Externalisierung der Innovationstätigkeit durch Big Pharma, also die Auslagerung der früheren Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, ist voll im Gang. Biotech ist der grosse Gewinner dieser Entwicklung.

Welche Performance von Healthcare-Aktien erwarten Sie für die kommenden 12 Monate? Was werden die bestimmenden Trends am Kapitalmarkt sein?

Bezüglich den Aussichten für den Gesundheitssektor aus fundamentaler Sicht sind wir sehr zuversichtlich. Noch nie gab es eine so hohe Anzahl von sich in der klinischen Entwicklung befindenden Medikamentenkandidaten. Ebenso rekordverdächtig ist die Grösse des Investmentuniversums sowohl auf privater als auch auf börsenkotierter Seite. Es gibt noch viel Raum zur Expansion. Der globale Biotech-Sektor hat als Ganzes nicht einmal den Marktwert, den Apple aufweist. Auf Therapieseite finden wir vor allem den Bereich der seltenen und neurologischen Erkrankungen, neue Krebs-Immuntherapien, die Präzisions-Onkologie und Gen- und Zelltherapien interessant. Etwas eintrüben könnte die Stimmung die generell hohe Bewertung der Aktienmärkte. Sollte die Risikoaversion zunehmen, dürften insbesondere die kleineren und mittelgross kapitalisierten Werte überdurchschnittlich unter Druck kommen. Wir sind daher nach der starken Entwicklung an den Aktienmärkten in den vergangenen Wochen – was das allgemeine Marktumfeld anbelangt – vorsichtig positioniert und haben die Absicherung des Marktrisikos etwas erhöht.

Wie sieht Ihre Timeline bezüglich der Pandemie, Impfstoffen, wirkungsvollen Therapeutika und dem voraussichtlichen Ende der globalen Ausnahmebedingungen aus?

Eine Prognose vornehmen zu wollen, wäre wohl vermessen. Die Unternehmen aus unserem Sektor testen mit Hochdruck bestehende und neue Wirk- und Impfstoffe zur Eindämmung oder sogar Bekämpfung der Pandemie. Wir alle können hoffen, dass die grossen Anstrengungen Früchte tragen werden, denn letztlich wird wohl nur eine wirkungsvolle Impfung die Rückkehren in die „Normalität“ ermöglichen. Erste Studienresultate von gross angelegten Studien mit neuen potenziellen Impfstoffen werden im Herbst vorliegen. Bisher konnte erst in kleinen und frühen Studien eine gewisse „ermutigende“ Wirksamkeit und Verträglichkeit belegt werden. Je nach Erfolg dürfte ein Impfstoff vielleicht Ende Jahr in beschränktem Umfang zur Verfügung stehen. Bis breite Bevölkerungsschichten davon profitieren können, wird es aber vermutlich noch weitere 6 bis 12 Monate dauern.

Vielen Dank für die Einblicke, Herr Wicki.

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