Montana Aerospace: Ein IPO zum Abheben?

Zeichnungsfrist endet am 11. Mai – erster Handelstag am 12. Mai

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Der Primärmarkt in der Schweiz lebt wieder auf. Kurz nach dem erfolgreich vollzogenen Börsengang von PolyPeptide läuft nun bereits mit kurzer Ankündigung die Zeichnungsfrist von Montana Aerospace. Die Tochtergesellschaft von Montana Tech, deren Aktie auf OTC-X gehandelt wird, bezeichnet sich als „One-Stop-Shop“ für Flugzeugbauer sowie deren Tier-1 Zulieferer und will am erwarteten starken Wachstum der Industrie partizipieren. Doch wie zuverlässig sind die Wachstumsprognosen der globalen Luftfahrt-Industrie? Damit hängen ganz direkt auch die Perspektiven von Zulieferern wie Montana Aerospace zusammen.

Der Zeitpunkt für den Börsengang von Montana Aerospace ist kühn gewählt. Die Börsenlage und die Absorptionskraft der Primärmärkte ermöglichen es. Der viel zitierte Anlagenotstand herrscht weiterhin. So gelang es bereits im Vorfeld der Eröffnung der Zeichnungsfrist, mit Capital International Investors und M&G zwei institutionelle Investoren zu einem Zeichnungs-Commitment in Höhe von 124 Mio. CHF zu gewinnen.

Bookbuilding-Spanne und Pre-IPO Bewertung

Insgesamt soll das IPO über eine Kapitalerhöhung 440 Mio. CHF an Emissionsertrag für die Gesellschaft bringen. Dazu kommen bei vollumfänglicher Ausübung der Mehrzuteilungsoption weitere 66 Mio. CHF aus dem Besitz des Altaktionärs Montana Tech Compoments. In diesem Fall wären 43,5% des Aktienkapitals im Free-Float. Dies impliziert eine Pre-IPO Bewertung von 1.163 Mrd. CHF. Die Preisspanne für das Bookbuilding-Verfahren ist relativ eng zwischen 24.15 CHF und 25.65 CHF je Aktie abgesteckt.

Mittelverwendung

Der Emissionsertrag soll zu 40% in das organische Wachstum investiert werden, zwei Drittel davon im laufenden Jahr. Schwerpunkte bilden u.a. die Recyclingaktivitäten, das Giessen und Pressen, die Oberflächenbehandlung sowie die Titanverarbeitung. Letztere ist ein wichtiger Baustein im Bestreben der „single source supplier“ für die Kunden aus der Aerospace Industrie zu werden. Kurz vor dem IPO wurde in Frankreich der etablierte Innovationsführer in der Titanverarbeitung Cefival übernommen. 60% des Emissionsertrages sind für weitere Akquisitionen vorgesehen. Die Gesellschaft kann einen langen Track Record erfolgreich integrierter Akquisitionen vorweisen.

Konsolidierungsprozess in der Aerospace Industrie

In der Zuliefererindustrie hat ein Konsolidierungsprozess eingesetzt, in dem es darum geht, durch hochgradig vertikal integrierte Wertschöpfungsketten als One-Stop-Shop die überschaubare Anzahl an Kunden zu bedienen. Dies sind vor allem Boeing, Airbus, Embraer und weitere Flugzeughersteller sowie deren Tier-1-Zulieferer. Ein Trend in der Konsolidierungsphase sind langfristige Verträge mit den wichtigsten „Single Source Suppliers“. Montana Aerospace ist es gelungen, den langfristigen Auftragsbestand von 100 Mio. Euro in 2009 auf aktuell 3.9 Mrd. Euro auszuweiten. Die Laufzeiten erstrecken sich bis 2033. Dies gilt für den dominierenden Aerospace-Bereich. Doch das ist nicht alles.

Automotive, Energie und Spezialmaschinenbau

Als weitere wichtige Industrie wird auch die Automobil-Industrie bedient. Insbesondere in der Elektromobilität geht es um das möglichst geringe Gewicht der Bauteile. Auch hier wurde ein Auftragsbestand von immerhin 300 Mio. Euro mit Vertragslaufzeiten bis 2027 erarbeitet. Weiterhin hat die Muttergesellschaft alle relevanten Töchter in die neue Montana Aerospace eingebracht. Das sind neben der UAC-Gruppe und Alu Menziken auch die Energie-Sub-Division mit Namen ASTA sowie der Spezialmaschinenbau mit Namen Alpine Metal Tech. Als Kernkompetenz nennt Montana Aerospace die Expertise im Umgang mit den Materialien, insbesondere mit Blick auf die hohen Anforderungen im Flugzeugbau. Spritzguss, CNC-Fertigung, Oberflächenbehandlung sowie das Assembling von Teilen und Sub-Systemen werden besonders hervorgehoben.

Geschäftsjahr 2020

2020 lag der Umsatz bei 614 Mio. Euro. Das operative Ergebnis wird mit 39.9 Mio. Euro beziffert. Das adjustierte operative EBITDA wird mit 44.8 Mio. Euro angegeben. Im Vorjahr hatte der Umsatz 785.5 Mio. Euro betragen; der Rückgang wird auf die Pandemie und die Lockdowns zurückgeführt. Montana Aerospace unterhält 28 Standorte auf vier Kontinenten und beschäftigt zum Ende des letzten Geschäftsjahres 4’788 Mitarbeitende. 15 Standorte befinden sich in Europa, fünf in Asien (China, Indien, Vietnam) und je zwei in den USA und Brasilien. Das soll die Kosteneffizienz in den wettbewerbsintensiven Märkten verbessern. Auf Europa entfallen 48% des Umsatzes, auf Amerika 32% und auf Asien 20%.

Märkte und Marktstellung

Die Marktstellung von Montana Aerospace ist, wie die Kundenliste zeigt, sehr gut fundiert und erscheint auch langfristig abgesichert. Die Stärken in der Material-Kompetenz sowie in der Fähigkeit, komplementäre Akquisitionen zu tätigen und diese dann auch erfolgreich zu integrieren, ermöglichen dem Börsendebütanten eine führende Rolle in der weiteren Konsolidierung des bedienten Teilmarktes zu spielen. Die relevanten Marktgrössen werden im Prospekt mit der Quelle Counterpoint wie folgt angegeben: Aerostructures, der bisher von Montana Aerospace schwerpunktmässig adressierte Teilmarkt, soll bis 2029 auf 79 Mrd. USD anwachsen. Die Marktgrösse des Triebwerk-Segments betrug 2019 rund 81 Mrd. USD und die des Interior-Segments 16 Mrd. USD. Die Akquisition von Cefival soll zum Türöffner im Triebwerksgeschäft werden, das von einigen wenigen Unternehmen beherrscht wird.

Wachstumsprognosen
Kursverlauf der Lufthansa-Aktie während der letzten drei Jahre. Chart: money-net.ch

Generell werden der Luftfahrt-Industrie in Dutzenden von Studien deutlich über dem BIP-Wachstum liegende Zuwachsraten prognostiziert – von Deloitte über Frost & Sullivan bis zur IATA. Die Revenue Passengers Kilometers, eine bevorzugte Mess-Grösse, soll beispielsweise bis 2025 den Stand von 2019 wieder erreichen, was ein jährliches Wachstum von 24% impliziert. Längerfristig gesehen sagt Boeing ein Wachstum von 4% p.a. für die nächsten 20 Jahre voraus. Boeing und auch Airbus erwarten ein jährliches Wachstum der Flugzeugflotte über die kommenden 20 Jahre von etwa 3,2%. Der Flugzeugflotte in Asien, ein weiteres Beispiel, werden bis 2031 Zuwachsraten zwischen 4% und 5% prognostiziert. Liegen die erwarteten Wachstumsraten in der zivilen Luftfahrt bei, je nach Segment, zwischen 3% und 5%, so werden für den gesamten Aviatik-Bereich, also inklusive Militär, Helikopter, etc., Wachstumsraten von 7,6% vorhergesagt. Das kann nur bedeuten, dass der Rüstungsanteil mindestens doppelt so hoch zulegt. Auffällig ist, dass nahezu alle aktuellen Langfrist-Prognosen nur geringfügig unter den Vor-Pandemie Prognosen von 2019 liegen.

Aktienkurs von Boeing seit 2018. Chart: money-net.ch
Prognosen ohne Wandel der Zeit

Doch wie realistisch sind diese Prognosen, wenn man bedenkt, dass Boeing vor einem Jahr zeitweilig sogar eine Pleite zugetraut wurde oder dass Lufthansa in der HV Anfang der laufenden Woche eine Kapitalerhöhung von 5,.5 Mrd. Euro beantragen musste, nachdem das Unternehmen wie viele Airlines im Pandemiejahr 2020 von den Steuerzahlern mit Milliardenbeträgen hatte gerettet werden müssen. Egal, ob Zürich, Frankfurt oder Amsterdam, die Passagierzahlen erholen sich nur langsam, und das von einem sehr tiefen Niveau aus. Wenn auch der Cargo-Bereich floriert, ohne Geschäftsreisende und Touristen irgendwo nahe den alten Marken, rechnet sich die gesamte aufgeblähte Flug-Infrastruktur nicht. Man denke an die überdimensionierten Airline-Hubs auf der einen Seite und die gigantischen Flugzeugparks für die seit März 2020 nicht benötigten Maschinen auf der anderen Seite.

Economies of Scale

Der Trend zu Zoom-Konferenzen, die Angst vor Ansteckung und die höheren Preise dürften die Geschäftsreisenden wohl noch länger auf dem Boden halten, eine schnelle Rückkehr zu alten Geschäftsreisegewohnheiten ist nicht absehbar. Und Geschäftsreisende sind nun mal die „Cash-Cows“ im internationalen Fluggeschäft. Selbst wenn der Massentourismus voll zurückkommen würde, was sich auch nicht abzeichnet, so müssten die Flugpreise dann deutlich steigen, denn allein mit Touristen lässt sich bei den „alten“ Preisen nicht wirtschaftlich arbeiten. Dazu kommt als Kostentreiber die absehbare Besteuerung von Carbon, die vielleicht niedrig beginnt, aber stark eskalierend sein muss, wollen die Staaten ihre Klimaziele einhalten. So hat das deutsche Bundesverfassungsgericht diese Woche die Regierung dazu verurteilt mehr für den Klimaschutz zu tun, woraufhin innert Tagen das Net-Zero-Ziel von 2050 auf 2045 vorverlegt wurde. Eine Lösung wäre die beschleunigte Entwicklung von elektrisch oder mit anderen klimaneutralen Antriebstechnologien betriebenen Flugzeugen. Daran wird auch gearbeitet, doch ist es wenig wahrscheinlich, dass bis 2025 mehr als einige Prototypen in der Luft sind.

Expansion oder Kontraktion?

Ein weiterer gegen vollmundige Wachstumsprognosen sprechender Punkt ist die „Flugscham“, auch wenn der Terminus seit Beginn der Pandemie in Vergessenheit geraten ist. Nicht wenige Bürger des Planeten wollen nicht fliegen! Nicht unbedingt, weil sie etwas gegen die Fortbewegungsart haben, sondern gegen die Verschmutzung. Auch die geo-politischen Spannungen, vor allem zwischen den USA und China, sprechen nicht unbedingt für ein zukünftig flugfreundliches Klima. Werden die chinesischen Touristen, die Europa und speziell auch die Schweiz mit ihren Besuchen und Reiseausgaben in den letzten Jahren in grosser Zahl beglückt haben, jemals wieder in diesem Ausmass zurückkehren?

Andere Risiken

Die langfristigen Prognosen für den Luftverkehr sind zumindest fragwürdig vor dem Hintergrund, dass die Pandemie-Bedingungen, wie es sich abzeichnet, noch länger Bestand haben können. Dazu kommen verschiedene Faktoren wie Preisdruck von der Rohstoff- und der Steuerseite sowie die Flugverweigerung umweltbewusster Bürger. Es ist schon frappierend, dass die Prognosen so unisono rosarot eingefärbt und alle Risikofaktoren ausgeblendet scheinen. Der Vollständigkeit halber ist auch das „Aerotoxische Syndrom“  als Risiko zu nennen, ein Begriff, von dem die meisten bisher noch nie gehört haben, weil das Phänomen so gut wie irgend möglich von der Industrie und auch den Behörden unter Verschluss gehalten wird. Fliegen ist eben auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.

Bilanz-Transaktionen vor dem IPO

Diese Makro-Risiken sind eine Sache, sie gehören auf jeden Fall in eine Analyse der Investment Opportunität. Sie können von jedem Anleger subjektiv so oder so eingeschätzt werden. Eine ganz andere Sache ist dagegen, welchen Änderungen die Bilanz im Vorfeld des IPOs unterworfen wurde – und zwar zuungunsten der neuen Aktionäre. Stand 31. März 2021 zeigte die Bilanz ein Eigenkapital von 204.2 Mio. Euro und ein Fremdkapital von 711.6 Mio. Euro. Dann wurde ein debt-for-equity-Swap vereinbart, der zwar die Bilanzrelationen auf ein Eigenkapital von 384.2 Mio. Euro und ein Fremdkapital von 537.6 Mio. Euro verbessert, aber auch der von Michael Tojner beherrschten Montana Tech Components (Satz nachträgl. geändert) die Gelegenheit einräumte, 29.9 Mio. Aktien zu 1 CHF je Stück zu erwerben. Die Transaktion wurde am 29. April 2021 geschlossen. Für die Aktien der Montana Aerospace sollen die Erstzeichner nun rund 25 CHF bezahlen. Beteiligte Kapitalmarktexperten bezeichnen einen solchen „Quasi-Aktiensplit“ als durchaus üblich. (Satz nachträgl. ergänzt).

Fazit

Auch wenn Montana Aerospace eine gute Stellung im Zulieferungsgeschäft für Flugzeugbauer und deren Top-Systemlieferanten erarbeitet hat, die Zukunft für die Aerospace Industrie scheint spätestens seit Beginn der Pandemie nicht mehr zu sein, was sie davor zu sein schien. Die losgelösten Prognosen der Beratergesellschaften scheinen im Widerspruch zu den Realitäten zu stehen, die jeder selbst beobachten kann – kaum Kondensstreifen am Himmel, relative Ruhe über den Flugkreuzen, unbeschäftigte Stewardessen und Piloten, geschlossene Reisbüros.

Gegen den Börsengang und auch die Bewertung ist dennoch nichts einzuwenden, schliesslich entscheiden die Investoren selbst, welche Investment Cases sie als investitionswürdig betrachten. Was jedoch wirklich missfällt, ist die geringe Zeit, um das Investment gründlich zu prüfen, zumindest für nicht privilegierte Anleger im Gegensatz zu den Institutionen, die bestimmt reichlich Zeit für ihre Due-Diligence-Prüfung hatten, bevor sie die 124 Mio. CHF zusagten. Solche Informationsasymmetrien sollte es heute eigentlich nicht mehr geben. Der wie schon bei AluFlexPack kurz getaktete Zeitplan hat jedoch nicht verhindern können, dass aufmerksame Leser des Prospektes über die nicht nachvollziehbare und einen höchst irregulären Eindruck hinterlassende Transaktion vom 29. April mit dem Hauptaktionär stolpern. Zur Zeichnung ist nicht zu raten.

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