Thomas Baumgartner, VRP Weiss+Appetito: «Entscheidend ist die Verlängerung der Wertschöpfungskette»

Baudienstleister kommt mit Umsatz- und Gewinnwachstum durch die Pandemie

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Bereits seit der Gründung 1923 hat sich Weiss+Appetito dem Ausbau und dem Wandel verschrieben. Innovative Technologien, neue Materialien und Verfahren sowie vor allem die klare Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse prägen von jeher die DNA des Unternehmens. Das Jahr 2020 brachte allerdings nicht nur eine trotz Pandemie positive Geschäftsentwicklung. So verstarb der namensgebende Partner Mario Appetito. Zudem übergibt der langjährige Partner und Verwaltungsratspräsident sowie bis 30.6.2021 Vorsitzender der Geschäftsleitung in Personalunion, Thomas Baumgartner, ab 1. Juli 2021 den Vorsitz der Geschäftsleitung an Dr. Walter Daumann, ebenfalls Partner und langjähriger CEO der Sparte Telekom, deren Kerngeschäft im Bereich Bau von Mobilfunk- und Festnetzen er in der Schweiz und in Deutschland verantwortete.

Thomas Baumgartner ist Präsident des Verwaltungsrats der Weiss+Appetito Gruppe. Zum 1. Juli 2021 hat er das Amt der Gruppenleitung an Dr. Walter Daumann abgegeben. Bild: zvg

Im Interview mit schweizeraktien.net steht der bis zur GV 2022 im Amt bleibende VRP noch einmal Rede und Antwort – zu Themen wie Nachhaltigkeit am Bau, das Besetzen neuer Geschäftsfelder und wie Weiss+Appetito dem Fachkräftemangel durch offene Türen für Frauen im Gewerbe entgegenwirken will.

Das Geschäftsjahr 2020 lief ja ganz hervorragend für Weiss+Appetito, obwohl viele Unternehmensteile von den allgemeinen Einschränkungen im In- und Ausland betroffen waren. Worauf führen Sie Ihr gutes Abschneiden vor allem zurück?

Thomas Baumgartner: Es hat sich gezeigt, dass die im Vorjahr etablierte neue Gruppen-Organisation ihren Test im schwierigen Jahr 2020 recht gut bestanden hat. Dank dem Engagement unserer Mitarbeitenden konnten wir in allen Geschäftsbereichen gute Resultate erzielen. Dies hat sich auch im Jahresergebnis manifestiert, das um 42% über dem Vorjahr liegt.

Die Neuorganisation, die Zusammenlegung von Geschäftsbereichen und Ihre Strategie 2021-2025 haben sich also im Pandemie-Jahr 2020 bewährt?

Der Stresstest in einer besonderen Lage hat gezeigt, dass sich die gewählten Massnahmen und Organisationsformen bewährt haben. Die aussergewöhnlich gute Entwicklung ist aber insbesondere dem tollen Einsatz aller Mitarbeitenden in dieser schwierigen Zeit zu verdanken. Homeoffice geht bei uns im Bereich Bau und Baudienstleistungen und generell im Projektgeschäft nicht.

Was genau sind die strategischen Ziele, die Weiss + Appetito bis 2025 erreichen will?

Die auf Basis des „Bottom up-Ansatzes “ erarbeiteten strategischen Ziele der verschiedenen Geschäftseinheiten sind mit dem Verwaltungsrat auf Stufe Unternehmung koordiniert und bewilligt worden. Dabei werden insbesondere auch die Anliegen ESG (Environment / Social / Governance) stark gewichtet. Es wird ein moderates Wachstum angestrebt und, wichtiger, eine Verbesserung der Margen durch Besetzen von neuen Geschäftsfeldern.

Das Unternehmen macht einen sehr agilen und ausgesprochen innovationsfreudigen Eindruck. Erzählen Sie bitte unseren Lesern, was es mit LiveCharger auf sich hat. Die neue Ladetechnologie soll jetzt im Sommer am Markt eingeführt werden.

In all unseren Geschäften sind wir der Nachhaltigkeit verpflichtet. Dabei haben unsere talentierten Mitarbeiter das Potenzial entdeckt, durch eigene bauinfrastrukturnahe Technologie einen eigenen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. So sind u.a. unsere patentierten LiveCharger entstanden: Auf sehr effektive Art wird Energieverteilung mit Ladeinfrastruktur für Elektroautos verknüpft, sodass Unternehmen motiviert werden, in neue Technologien im Bereich Elektromobilität zu investieren und gleichzeitig Komfort und Bedienungsfreundlichkeit für den Nutzer erheblich verbessert wird. Aktuell stehen wir vor der ersten Inbetriebnahme von nicht weniger als neun Ladestationen an unserer Betriebszentrale in Kerzers.

Sie haben auch ein substanzielles Geschäft im Bereich Dachbegrünung aufgebaut. Die Projekte sind höchst unterschiedlich – von der Überdachung bei Tunnelbauten bis zum Biodiversitätsdach eines Kinderzentrums. Was können Sie uns zum Mega-Trend Begrünung von Bauten und Städten sagen?

Ein wirklich tolles Thema. Kurz gesagt lassen sich die Vorteile der Dachbegrünung so zusammenfassen: Sie haben eine wesentlich höhere Lebensdauer der Dachabdichtung gegenüber Kiesdächern. Das isolierende Grün verringert die Heizkosten und mindert die Hitze im Sommer. Ausserdem ist das Dach optisch attraktiv und somit eine Augenweide. Ein
weiterer Vorteil besteht darin, dass das Gründach bei Gewitter als Retentionsbecken wirkt und das Meteorwasser nicht sofort in die Kanalisation gelangt. Dies kann je nach Gemeinde zu tieferen Abwasserkosten pro m2 Fläche führen.

Ist die Kombination von nachhaltiger Dachbegrünung und Solardach eine direkte Folge des angewandten Cross-Selling-Gedankens für die weitere Unternehmensentwicklung von Weiss + Appetito?

Der Cross-Selling-Gedanken ist aus meiner Sicht weniger wichtig. Entscheidend ist die Verlängerung der Wertschöpfungskette. Wenn wir schon Dächer bekiesen, haben wir auch gleich ein eigenes zertifiziertes Dachbegrünungs-Substrat für Dachbegrünungen angeboten. So können sogenannte tote Kiesdächer als Lebensraum für Vögel, Insekten und Pflanzen genutzt werden. Zudem wird auch der Dachunterhalt, welcher spätestens nach einem Vegetations-Jahr nötig wird, integral in unsere Angebotspalette aufgenommen. Alles aus einer Hand.

Für einen Geflügelzüchter haben Sie eine innovative Lösung gefunden. Eine Spezialmaschine für pneumatische Futterförderung spart nicht nur Zeit ein, sondern reduziert auch die Emissionen und die Staubbildung. Ist diese Individuallösung für einen Kunden ein weiteres lebendiges Zeichen für Ihr einleuchtendes Motto: Mit Hand, Herz und Kopf?

Es ist ein weiteres schönes Beispiel, wie von unseren Mitarbeitenden kreative Lösungen zusammen mit Kunden direkt entwickelt und realisiert werden, die sich dann auch in der Praxis bewähren.

Wenn man sich die zuvor angesprochenen Beispiele für neue Dienstleistungen und Produkte so anschaut, dann drängt sich schon der Eindruck auf, dass Ihr Unternehmen vielfältige Lösungen gegen den Klimawandel und für Umwelt und Natur anbieten kann, oder?

Wie bereits erwähnt, sind wir als wichtiger Teil der Wertschöpfungskette in der Baubranche der Nachhaltigkeit verpflichtet, und so nutzen wir jedes Projekt, um Verbesserungen aufzuspüren, die der Umwelt und der Natur dienen oder sie zumindest weniger belasten. Die Ideen werden zu Konzepten aggregiert, die Konzepte in Bezug auf ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit überprüft, und dann wird umgesetzt oder zurückgeführt.

Ihre Arbeitsfelder sind breit gestreut. Unter anderem sind da Tankstellen, Pharma-Produktion, Armee und Zivilschutz. Wie gehen Sie mit kontaminierten Böden und Infrastrukturen um? Was geschieht mit Gefahrenstoffen bei Rückbau oder Renovierung von Liegenschaften?

Wenn es uns betrifft, was in der Regel nicht der Fall ist, ziehen wir die entsprechenden Fachspezialisten hinzu, um ein umweltgerechtes Lösen dieser Probleme sicherzustellen. Darüber hinaus befolgen wir in jedem unserer Projekte die diesbezüglichen Gesetze zur Behandlung und Rückführung von Gefahrstoffen. Insbesondere versuchen wir bereits in den Bauvorabklärungsrunden, die Risiken mit in das Projekt zu integrieren, um am Ende nicht böse überrascht zu werden.

Sie suchen Lehrlinge und Mitarbeitende und appellieren sogar im Kundenmagazin an die Leser, geeignete Kandidaten heranzuführen. Wie ernst ist der Facharbeiter-Engpass in den von Ihnen bedienten Branchen?

Der Bedarf an Fachkräften ist enorm. Obwohl wir in der Schweiz im Ländervergleich führend sind, wünschen wir uns eine noch engere Verzahnung zwischen Ausbildung und Betrieb.

In den nächsten 10 Jahren werden pro Jahr rund 130’000 Babyboomer ins Pensionsalter kommen. Die neuen Jahrgänge, die jetzt ins Erwerbsleben einsteigen, zählen rund 80’000. Es fehlen somit pro Jahr rund 50’000 Arbeitskräfte, was in zehn Jahren rund 500’000 ausmacht. Wenn man nun noch ein moderates Wirtschaftswachstum anstrebt, werden uns in der Schweiz innerhalb von 10 Jahren, ohne Zuwanderung, rund eine Million Arbeitskräfte fehlen.

Für unsere Gruppe ist der Fachkräftemangel eines der grössten Probleme. Wir sind ein Ausbildungsbetrieb, welcher bis gegen 10 verschiedene Berufe ausbildet. Die frühzeitige Gewinnung von jungen Talenten müssen wir als Firma verstärken.

Ihre Unternehmensleitung besteht aus acht Männern. Ist das noch zeitgemäss und attraktiv mit Blick auf die Gewinnung von Mitarbeitenden beiderlei Geschlechts?

Im Verwaltungsrat der Holding hat es eine Frau. Zudem ist die Partnerpräsidentin unserer Gruppe, welche massgeblich die Vertretung der Stimmrechtsaktien beeinflusst, auch eine Frau. Aber klar ist, dass wir im gewerblichen Umfeld noch mehr Diversität begrüssen würden. Frauen ins Gewerbe! Unsere Stellenausschreibungen für neue Mitarbeitende sind geschlechtsneutral formuliert, und wir bieten allen Mitarbeitenden eine gleichwertige Startchance und sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten. Wir gehen davon aus, dass wir so auch in den Führungsfunktionen noch einen höheren Anteil von Frauen erwarten können. Wichtiger als das Thema Frau/Mann ist, die fähigste Person auf der richtigen Stufe zu haben!

Die Bewertung der Weiss+Appetito-Aktie ist mit einem KGV von 5 und einem Discount zum Buchwert von 55% tief. Was sagen Sie einem freien Aktionär, der mit der Performance nicht zufrieden ist?

Der Aktienkurs reagiert auf Angebot und Nachfrage. Wir als Firmengruppe stellen keine Kurse und verfügen über keine eigenen Aktien. Es wäre in einem engen Markt ohne Probleme möglich, den Aktienkurs hochzutreiben. Uns ist wichtig, dass wir langfristig eine moderate positive Entwicklung des Aktienkurses sehen können und noch wichtiger, eine kontinuierliche Dividendenpolitik haben, auf die sich die Aktionäre verlassen können.

Die Namenaktien der Weiss+Appetito AG sind trotz der Erfolge während der Pandemie noch von den Höchstkursen in 2018 entfernt. Chart: www.otc-x.ch

Geben sie uns bitte zum Abschluss noch einen Ausblick. Was sehen Sie für 2022 und darüber hinaus?

Wie alle Schweizer Unternehmen müssen auch wir den sozial-wirtschaftlichen Schäden, die die Corona-Pandemie gebracht hat, entgegentreten und durch geeignete Massnahmen Vorkehrungen für die Zukunft schaffen. Noch wichtiger ist aber das Erkennen der Chancen aus einer solchen Krise, diese zu konkretisieren und zu effizienten Lösungen für unsere Kunden zu formen. Wir wollen nicht Wachstum des Wachstums wegen, sondern Kunden mit unseren Lösungen begeistern, sodass wir ergebnisorientiert auf einen stabilen Aktienkurs hinarbeiten und die Liquidität unseres Unternehmens sichern, und ferner, dass wir auf stolze Mitarbeitende blicken können.

Vielen Dank, Herr Baumgartner, für die interessanten Einblicke. Wir wünschen Ihnen, dass auch die nächste Lebensphase spannende Aufgaben für Sie bringt.

Mitarbeit: Björn Zern

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