Chronext: Können die ambitionierten Wachstumsziele nach dem IPO erfüllt werden?

Schwarze Zahlen erst langfristig realistisch

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Der Schweizer Primärmarkt nimmt Fahrt auf. Nach der Abspaltung und dem IPO der Healthcare-Sparte Medmix aus dem Sulzer-Konzern von Ende September ist die Reihe nun an Chronext. Um das rasante Wachstum seit der Gründung im Jahr 2013 fortzusetzen, wagt der Luxusuhrenhändler den Börsengang. Während die Uhrenindustrie gesamthaft aufgrund der Covid-19-Pandemie zwischen 25 und 30% Umsatzeinbussen zu verzeichnen hatte, legte Chronext 2020 gar um 18% zu. Der online-Händler erhielt durch den zumindest temporären Quasi-Stillstand des stationären Handels einen weiteren Wachstumsboost.

Steigende Akzeptanz des online-Luxusgeschäfts

Traditionell werden Käufe von Luxusuhren physisch in Geschäften abgewickelt. Gemäss einer Studie von McKinsey belief sich das Volumen des Luxusuhren-Marktes 2019 auf 55 Mrd. EUR und soll bis 2025 auf 69-73 Mrd. anwachsen. Der online-Anteil lag dabei 2019 bei gerade einmal 12%, soll bis 2025 aber bis auf 23% ansteigen. Für den online-Handel von Luxusuhren impliziert dies ein Marktwachstum von 16% jährlich. Durch die demografische Verschiebung der Kunden zu den digital aufgewachsenen Generationen Y und Z, welche mittlerweile über die nötigen Mittel für Investitionen in Luxusgüter verfügen, gewinnen die online-Angebote Marktanteile. Von dieser Transformation von offline zu online profitiert Chronext.

Über ihre digitale Plattform bietet Chronext über 7'000 neue und zertifizierte, gebrauchte Luxusuhren von 50 Marken an. 2020 wickelte das Unternehmen über 14'000 Aufträge ab und generierte so Umsätze in Höhe von 101.3 Mio. EUR. Einen Teil der auf der Plattform angebotenen Luxusuhren führt Chronext selbst am Lager, die restlichen Modelle werden erst nach Auftragseingang beschafft. In jedem Fall übernimmt Chronext die Uhr aber zuerst vom Anbieter – sei dies vom Hersteller selbst, über einen Händler oder von Privatpersonen – und verkauft sie anschliessend dem Kunden weiter. Dadurch realisiert Chronext den gesamten Verkaufspreis als Umsatz, während konkurrierende online-Plattformen wie beispielsweise chrono24 häufig Käufer und Verkäufer bloss gegen eine Kommission zusammenführen. Umsatzmässig ist das in Zug domizilierte Unternehmen deshalb auch marktführend in der DACH-Region.

Emissionserlös zur Stärkung des globalen Wachstums

Seit der Gründung verzeichnete Chronext ein Umsatzwachstum von jährlich 104%, und seit 2018 betrug die jährliche Wachstumsrate noch 47%. Der Börsengang soll die Fortsetzung dieses starken Wachstums ermöglichen. Von der Kapitalerhöhung um 9.5 Mio. Aktien erwartet sich das Unternehmen einen Bruttoertrag von 152 Mio. bis 200 Mio. CHF. Die Preisspanne pro Aktie liegt zwischen 16 und 21 CHF; die Angebotsfrist läuft voraussichtlich noch bis heute Mittag. Zusätzlich zu den neu geschaffenen Aktien können im Rahmen einer Mehrzuteilungsoption bis zu 1.4 Mio. Aktien von bisherigen Aktionären ins Angebot gelangen.

Rund 125 Mio. CHF des Nettoerlöses will Chronext zur Förderung des organischen Wachstums investieren. Spezifisch soll in den Kernmärkten die Bekanntheit der Marke Chronext steigen und in neuen Märkten eine Präsenz erschaffen werden. Bisher lag der Fokus mehrheitlich auf Deutschland, wo 2020 76% des Umsatzes erzielt wurde. Mit sieben Pick-Up Lounges ist auch die physische Präsenz in Deutschland am höchsten. In den Pick-Up Lounges können die Uhren nach Wunsch begutachtet werden und der letzte Schritt des Uhrenkaufs – die Übergabe – stattfinden und so das Kauferlebnis abschliessen. Nebst Deutschland verfügt Chronext über solche Lounges in Zug, London, Paris und Hong Kong.

Bei der Erschliessung neuer Märkte geht das Unternehmen nach einem klaren Muster vor. Zuerst wird mittels Investitionen ins Suchmaschinen-Marketing in die Bekanntheit der Marke und Plattform Chronext investiert. Sobald das Geschäft ausreichend gereift ist, wird dann durch eine Pick-Up Lounge die physische Präsenz etabliert. Dieser Prozess wurde in Österreich, Italien und den Niederlanden bereits gestartet, weitere Expansionen nach Spanien, Belgien, verschiedene nordische Länder, Australien und in die Vereinigten Arabischen Emirate sollen folgen. Insgesamt lieferte Chronext 2020 bereits Uhren in 62 Länder, wobei diese jeweils nur einen kleinen Anteil am Geschäft ausmachen.

Pandemie treibt etablierte Konkurrenten zu digitalen Lösungen

Von der Transformation von einem Marktführer der DACH-Region hin zu einem globalen Leader für online-Luxusuhrenhandel erhofft sich Chronext mittelfristig ein Umsatzwachstum von 40% jährlich. In Anbetracht der von McKinsey prognostizierten Wachstumsraten von 16% jährlich für den globalen Markt für Luxusuhren impliziert dies eine klare Outperformance des Marktes. Die Konkurrenz wird diese Anteile aber nicht kampflos hergeben. Zwar hat sich die Covid-Pandemie nicht merklich negativ auf das Resultat von Chronext ausgewirkt, allerdings hat sie bei der Konkurrenz die Digitalisierung vorangetrieben. Bisher hauptsächlich standortbasiert agierende Händler haben vermehrt in ihre online-Plattformen investiert. Grosskonzerne wie LVMH oder Richemont haben ausserdem bedeutend mehr finanzielle Mittel zur Verfügung als Chronext, um in die technologische Weiterentwicklung des online-Angebots zu investieren und Marketing zu betreiben.

Kommt hinzu, dass Chronext ausserhalb der DACH-Region noch keine allzu bedeutende Marktposition etabliert hat und somit gegenüber den bekannteren Grossunternehmen einen Bekanntheitsnachteil hat. Um die ambitionierten Wachstumsziele zu erreichen, ist Chronext aber auch auf starkes globales Wachstum angewiesen. 2020 gingen die Umsätze ausserhalb von Deutschland jedoch gar zurück, eine Kehrtwende ist gefragt. Ob dies aber mit dem bekannten Weg von Suchmaschinen- und Social-Media-Marketing sowie dem für 2022 geplanten Launch einer Mobile-App im nötigen Umfang möglich ist, ist in Anbetracht der Konkurrenzsituation zumindest fraglich. Ein Teil des Emissionserlöses könnte auch in Akquisitionen von Luxusuhren-Plattformen und Uhren-Werkstätten fliessen, um die Konsolidierung in Europa voranzutreiben und den Eintritt in die USA und APAC-Region zu beschleunigen. Chronext beobachtet dazu rund 50 potenzielle Übernahmeziele aktiv.

Streben nach Profitabilität geht weiter

Auch acht Jahre nach der Gründung arbeitet Chronext weiterhin daran, profitabel zu wirtschaften. In den letzten drei Jahren resultierte jeweils ein Jahresverlust zwischen 12 und 18 Mio. EUR. Beinahe 90% der Umsätze fliessen durch die Übernahmen der Uhren vor dem Weiterverkauf in die Cost of Sales. Abzüglich der weiteren Betriebskosten resultiert bereits auf Stufe EBITDA ein negatives Ergebnis. Innerhalb der nächsten drei Jahre will Chronext zumindest eine positive bereinigte EBITDA-Marge erzielen und mittelfristig einen Wert im mittleren einstelligen Bereich erreichen. Während dieser Zeit muss wohl weiterhin mit Verlusten gerechnet werden.

Ein Teil der Margenverbesserung erhofft sich das Unternehmen von einer verstärkten Fokussierung auf das Geschäft mit gebrauchten Luxusuhren. In diesem Bereich resultieren aktuell Bruttogewinnmargen von 17%, deutlich höher als die 10% bei neuen Luxusuhren. Durch den ausführlichen Authentifizierungsprozess sieht sich Chronext gut aufgestellt, um den Umsatzanteil des Geschäfts mit gebrauchten Luxusuhren mittelfristig auf 50% zu erhöhen. Zudem legen die jüngeren Generationen Wert auf eine Geschichte hinter den Produkten, Vintage-Uhren sind deshalb je länger desto mehr gefragt. Weiter gelang es dem Unternehmen, durch einen Strategiewechsel auf teurere Modelle den durchschnittlichen Auftragswert von 4'600 EUR in 2019 auf 7'100 EUR in 2020 zu steigern. Dadurch reduzierten sich die Erfüllungskosten im Verhältnis zum Umsatz.

Nichterreichen der wichtigsten Ziele als Hauptrisiko

Durch die wiederholten negativen Ergebnisse hat sich in der Bilanz der Chronext bis Juni 2021 ein Verlustvortrag von 84.2 Mio. EUR angesammelt. Bei vollständiger Zeichnung aller angebotenen Aktien am unteren Ende der Preisspanne zu 16 CHF würde das Eigenkapital post-IPO 148.8 Mio. EUR betragen, entsprechend einer Eigenkapitalquote von 84%. Somit ist Chronext nach dem IPO strukturell gut aufgestellt, dennoch bestehen Risiken, die im Emissionsprospekt auch ausführlich diskutiert werden. Operativ stechen ein allfälliges Scheitern in der Ausweitung des Kundenstammes, eine damit einhergehende nicht zufriedenstellende Umsatzentwicklung und das Nichterreichen der Gewinnzone ins Auge. Auch könnte eine Abschwächung der Konjunktur negative Auswirkungen auf den zyklischen Luxusmarkt haben und dementsprechend die Nachfrage nach Luxusuhren reduzieren.

Mit CEO Philipp Man und CPO Ludwig Wurlitzer sind zudem die beiden Unternehmensgründer weiter in der operativen Leitung tätig. Sollte einer oder beide das Unternehmen verlassen, würde dies mit einem erheblichen Know-how-Verlust einhergehen. Mit 11% respektive 3% gehören Man und Wurlitzer auch nach dem IPO und vollständiger Ausübung der Mehrzuteilungsoption zu den bedeutenderen Aktionären. Ersterer ist gar grösster Altaktionär.

Moderate Bewertung

Bei vollständiger Ausübung der Mehrzuteilungsoption würde der Streubesitz nach dem IPO bei 32.5% liegen. Die Marktkapitalisierung wird sich auf 520 bis 680 Mio. CHF belaufen und durch die Umwandlung einer Wandelanleihe weiter auf 540 bis 702 Mio. erhöhen. Auf Basis des Umsatzes von 2020 entspricht die Bewertung einem Kurs/Umsatz-Verhältnis zwischen 4.9 und 6.5. Sofern das angestrebte Umsatzwachstum von 40% 2021 erreicht wird, sinkt das vorwärtsgerichtete KUV auf Basis des 2021er Umsatzes auf eine Bandbreite von 3.5 bis 4.6. Werte in diesem Bereich scheinen bei Betrachtung von vergleichbaren online-Luxushändlern wie Farfetch nicht übertrieben zu sein.

Das IPO kommt zu einem günstigen Zeitpunkt für das Unternehmen. Nach einem Einbruch zu Beginn der Pandemie hat der Luxusgütermarkt stark aufgeholt. Somit besteht aber auch die Gefahr einer gewissen Stagnation nach der schnellen Erholung. Erst recht, falls die im Raum stehenden, befürchteten höheren Inflationsraten Tatsache werden und die Zins- und Diskontierungssätze steigen sollten.

Bewegte sich der S&P Global Luxury Index (weiss) vor der Pandemie im Gleichschritt mit dem S&P 500 (blau), so hat er den breiteren Index in den letzten eineinhalb Jahren doch klar überflügelt. Chart: S&P Dow Jones Indices
Fazit

Der Investment Case von Chronext basiert hauptsächlich auf hohen Wachstumszahlen und dem Erreichen der Gewinnzone. Auch wenn der online-Markt für Luxusuhren durch das Eintreten der jüngeren Generationen ins Nachfragebild und die steigende Akzeptanz des digitalen Angebots durchaus Wachstumspotenzial bietet, so scheint die angestrebte Wachstumsrate von 40% bei Chronext doch sehr ambitioniert zu sein. Bis 2025 würde dies ein Verfünffachen des Umsatzes auf 554 Mio. EUR bedeuten. Auch wenn Chronext als digital native einen gewissen Vorteil gegenüber stationären Händlern, welche erst jetzt vermehrt auf digital umstellen, hat, so scheint zumindest fraglich, dass das Unternehmen auch in den neu angestrebten Märkten gleich führend sein kann.

Das angestrebte Wachstum bedingt zudem hohe Investitionen in Marketing, Infrastruktur und Erweiterung des Webshops, was das Erreichen der Gewinnzone erschwert. Realistisch scheint, dass während den nächsten fünf Jahren weiter mit Verlusten gerechnet werden muss. Die Planung scheint zu optimistisch zu sein, weshalb zu einer Zeichnung trotz der moderaten Bewertung nicht zu raten ist.

Nachträgliche Ergänzung: Aufgrund der derzeit ungünstigen Marktbedingungen für Wachstumsunternehmen hat Chronext heute Mittag kurzfristig bekanntgegeben, dass der Börsengang verschoben wird.

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