EW Jona-Rapperswil AG: Stromverkäufer wird Energiedienstleister

Herausforderungen einer neuen Energiewelt

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Strom, der vom Energieversorger zum Kunden fliesst: So einfach ist es längst nicht mehr. «Prosumenten» speisen selbst in die Verteilnetze ein, die Energiepolitik strafft regulatorisch die Zügel, die E-Mobilität will integriert werden. Kommunale Energieversorgungsunternehmen (EVU) werden darum zu breit agierenden Dienstleistern – das zeigt auch das Geschäftsjahr 2021 der Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG (EWJR).

Einmal Kunde, immer Kunde – so sah die Stromwelt Schweiz bis 2009 aus Sicht der Endverbraucher aus. Der Stromanbieter war nicht wählbar, als Neuzuzüger vergrösserte man automatisch das Kundenportfolio des kommunalen EVU. Seit 2009 dürfen zumindest grosse Endverbraucher mit mehr als 100’000 kWh Jahresverbrauch ihren Stromversorger frei wählen. Zum Vergleich: Ein 4-Personen-Haushalt in einem Einfamilienhaus verbraucht ca. 4’500 kWh/Jahr. Die Politik plant, dass künftig auch Haushalte und Kleinbetriebe ihr EVU selbst wählen können– das Monopol zum Stromverkauf soll also weiter erodieren. Zudem müssen die Verteilnetze für die neue Energiewelt fit gemacht werden. Denn immer mehr Kunden speisen mit ihren Solarzellen selbst Strom ins System ein – und immer mehr Elektroautos verlangen nach starken Hausanschlüssen.

Das Ziel: In den neuen, intelligenten Netzen der Zukunft – sogenannten «Smart Grids» – sollen alle Spannungsebenen permanent beobachtbar sein und über das Datennetz automatisch optimiert werden. Neue Sensoren und Smart-Meter (Messgeräte) werden die nötigen Infos liefern und Ansteuermöglichkeiten für alle Verbraucher und Erzeuger bieten. Kommunale Strombezüger, Privathaushalte, Elektro-Ladestationen und (Batterie-)Speicher sollen dereinst alle Teil dieses intelligenten Netzes sein. Doch IT-Unternehmen und andere branchenfremde Player drängen ebenfalls in diese Nische – denn ihre Kompetenzen sind dort gefragt wie nie zuvor. Der E-Auto-Titan Tesla etwa belässt es nicht bei Solarziegeln und Batterien, mit denen die Kunden ihren Strom selber generieren und speichern können. In Deutschland trumpft Tesla bereits mit einer KI-Plattform namens «Autobidder» auf. Die Lithium-Autobatterien, wenn im Netz angeschlossen, werden dadurch zu einem «virtuellen Kraftwerk» – und Tesla-Besitzer können Strom ganz privat unter sich handeln.

Für angestammte Elektrizitätsversorger/Verteilnetzbetreiber ohne eigene Produktion – wie die EWJR – ist diese Entwicklung Krux wie Chance. Der Fokus kann nicht länger nur auf Strom liegen, wo die Konkurrenz immer wilder und der Margendruck grösser wird – die Unternehmen müssen vielmehr zu Unterstützern der Energiewende werden. Basierend auf dem Vertrauen, das sie seit vielen Jahren in ihren Gemeinden geniessen, kann diese herausfordernde Veränderung und Angebots-Diversifikation auch durchaus gelingen.

Auf dem Dach der Helbling & Co. AG im Joner Industriegebiet Buech produziert seit 2021 eine 1’000 m² grosse Photovoltaikanlage Strom. Realisiert wurde sie vom Bereich «Smart Energy» der EWJR.

Planung von Photovoltaik, E-Mobilität, Energieberatung, Glasfasernetzen…
«Die Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG blickt auf ein erfolgreiches und vielseitiges, aber auch herausforderndes Geschäftsjahr zurück», schreibt das Unternehmen im Geschäftsbericht 2021. Mit einem konsolidierten Umsatz von CHF 39.7 Mio. und einem Gewinn von CHF 4.2 Mio zeige man sich zufrieden. Der Umsatz konnte im Vergleich zum Vorjahr um 7.5 % gesteigert werden, der Gewinn erhöhte sich um 18.6 %. «Im regulierten Geschäft führten die über die letzten Jahre verordneten Anpassungen zu Einbussen», sagt Michael Bätscher, Geschäftsführer der EWJR. Die EWJR habe sich in dieser Zeit aber auch stetig weiterentwickelt und sei vor allem im Bereich der Dienstleistungen deutlich gewachsen. «Gerade dank dem erfreulichen Zuwachs im Dienstleistungsgeschäft können wir erneut einen soliden Gewinn ausweisen». Insbesondere bei der Energieberatung, der Planung von Heizungen, Lüftungen und Klimalösungen sowie bei der Installation von Photovoltaikanlagen hat sich die EWJR in den letzten Jahren wesentlich bemerkbar gemacht. Zudem konnte sie im Bereich der Glasfasernetze ihre Kompetenzen erweitern. Und das EVU sieht sich als Partner für die persönliche E-Mobilität (78 neue E-Ladestationen 2021). «Wir stehen von der ersten Kontaktaufnahme über Ihren ersten eigenen Ladevorgang bis hin zur Wartung der Ladestation zur Seite», verspricht die firmeneigene Broschüre «Strom im Tank».

Der Fachbereich Smart Energy der EWJR wächst durch die grosse Nachfrage nach Ladestationen und Photovoltaikanlagen stetig. Die grösste realisierte PV-Anlage hat aktuell eine Leistung von rund 300 Kilowatt – genug für die Versorgung von rund 70 Haushalten. Zudem hat die Firma im letzten Jahr 22 neue Batteriespeicher installiert – und bietet sich zudem als Experte für Elektroinstallationen an. Auch in der pittoresken Kirche Maria Himmelfahrt in Jona, wo neue LED-Leuchten installiert wurden.

«Die Entwicklung bei den Dienstleistungen, die höheren Erträge aus den Liegenschaften sowie die Dividendeneinnahmen aus den Beteiligungen trugen wesentlich zum starken Ergebnis bei», fügt Matthias Wickli, Bereichsleiter Finanzen & Energie, an. Der Finanzertrag enthalte substanzielle Einnahmen aus den Wertschriften mit Börsenkurs, was das gute Börsenjahr sowie die hohen Ausschüttungen auf den Wertschriften widerspiegelt. Aus Investorensicht spannend ist auch das beachtliche Portfolio an nicht betrieblichen Liegenschaften der EWJR – im Wert von knapp 14 Mio. Franken. Ein interessanter Substanzwert angesichts der gewaltigen Immobilienhausse der letzten Jahre. Diese Sachanlagen dürfen zudem OR-konform jährlich abgeschrieben werden.

Mehr Nachfrage, kostspielige Produktion aus Erdgas, weniger Wettbewerb um den günstigsten Preis, steigende Netzentgelte, teurere CO2-Zertifikate: Auch 2022 werden in Europa flächendeckend steigende Strompreise erwartet.

Der unerwartet starke Anstieg der Strompreise in den letzten Monaten führte bei EVU ohne eigene Produktion zu ebenso unerwartet hohen Beschaffungskosten. Diese dürfen jedoch nicht unterjährig, sondern wie bisher nur von Jahr zu Jahr an die gebundenen Endkunden weitergegeben werden, wie die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom jüngst erklärte. «Der Fachbereich Energie war bei der Verlängerung von Marktverträgen stark gefordert», räumen auch die EWJR ein.

Weg vom Stromverkäufer, hin zum diversifizierten Dienstleister einer neuen Energiewelt? Auch das Eingangs-Zitat zum EWJR-Geschäftsbericht 2021 bemüht das Selbstverständnis des «Energiewende-Enablers»: «Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist», wird der grosse Autopionier Henry Ford zitiert. Oder zwischen den Zeilen gelesen: «Wir bleiben nicht stehen, wir prägen die aktuellen Veränderungen mit».

Im Peer-Group-Vergleich (unten 2020) ist die EWJR-Aktie preislich im Mittelfeld anzusiedeln (KGV 2021: 20,59, Preis/Buchwert: 5,63). Sie bietet eine attraktive Dividendenrendite von 3,7%. Dank ihrem grossen Fächer an Dienstleistungen ist die EWJR ist auf gutem Weg, ein substanzielles und wachsendes Geschäft
ausserhalb des von Margendruck geprägten regulierten Bereichs aufzubauen. Zudem erhalten Investoren mit der Aktie auch ein substanzielles Immobilien-Investment.

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für Ihren Bericht. Anfügen möchte ich noch, dass das EWJR, indirekt via ihre Betetiligung SN Energie, welche ihr 100% des Stroms liefert. Eben den verkauften Strom auch selber produziert und deswegen von höheren Strompreisen nicht gross tangiert wird. Im Gegenteil, es erlaubt ihr die von der ELCOM abgesegneten Preise für Stromkunden einzuziehen und auf der anderen Seite erzielt die SN Energie deutlich Mehrerträge. Daran profitiert die EWJR im Umfang ihrer Beteiligung mit.

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