Branchentalk Tourismus: Eine radikale Sicht auf das eigene Unternehmen ist gefragt

Der 11. Branchentalk Tourismus stand unter dem Motto «Tourismus anders denken»

0
39
Berns Stadtpräsidentin Marieke Kruit (mi.) sprach am Branchentalk mit Bernexpo-Chef Tom Winter (li.) und Kursaal-CEO Kevin Kunz (re.) über Events in der Bundesstadt Bern. Bilder: André Grimm, schweizeraktien.net

Wie entwickelt sich der Tourismus weiter? Wo liegen Chancen, wo Risiken? Welche Strategien braucht es, um einerseits weiter quantitativ zu wachsen, andererseits qualitativ nachhaltig zu wirtschaften? Diese Fragen beantworteten eine Reihe von Tourismus-Profis am 11. Branchentalk Tourismus von schweizeraktien.net, der unter dem Motto «Tourismus anders denken» im Kursaal Bern stattfand.

Bern stand dann auch sofort im Brennpunkt. Nicht unbescheiden will sich die politische Hauptstadt auch als Eventhauptstadt der Schweiz etablieren. Dazu äusserten sich drei hochkarätige Berner Akteure auf dem Podium vor den zahlreich erschienenen Besucherinnen und Besuchern: einerseits die Berner Stadtpräsidentin, Marieke Kruit, andererseits der CEO der Bernexpo, Tom Winter, und der Location-Gastgeber, der CEO des Kursaals Bern, Kevin Kunz.

Eventhauptstadt Bern

Zum einen sei Bern zentral gelegen und hätte ein hochklassiges Mobilitätskonzept, führte Kruit aus. Die Wege seien kurz, die Grösse der Stadt sei ideal. «Wir können Events», freute sich Kruit, auch mit Blick auf die Veranstaltung «Rendezvous Bundesplatz», die dieser Tage bis zu 300’000 Besucher anlocken soll. Tom Winter sprach davon, dass man die Herzen der Bern-Besucher berühren wolle. Mit Messen wie der BEA, aber auch vielen anderen Veranstaltungen, die auf dem Gelände der Bernexpo stattfinden. Oder mit Kongressen, auch beim direkten Konkurrenten der Bernexpo, dem Kursaal Bern, der sich zum Teil um die gleichen Events bemüht. Aber, und das ist die neue Stimmungslage: Heute wird nicht mehr von Konkurrenten, sondern von Mitbewerbern gesprochen.

Früher seien die einzelnen Akteure zerstritten gewesen, heute arbeite man gemeinsam am Congress-Hub Bern, da waren sich die drei Exponenten einig. Zum Vorteil aller, denn der Business-Tourismus macht bedeutende 60% der gesamten Besucher Berns aus.

Man wolle verträgliches Wachstum, so Kunz. Stadtpräsidentin Kruit doppelte nach: Qualität sei gefordert, man wolle keine Drehkreuze wie in Iseltwald am Brienzersee, das von Touristen aus aller Welt überrannt wird. Bern sei weit weg von Overtourism, so Kruit weiter, das einzige Problem in dieser Hinsicht seien die Busse, die durch die Altstadt führen. Aber daran arbeite man.

Zukunftsperspektive Gesundheitstourismus

Zwei der wichtigen Anbieter im Bereich Gesundheitstourismus, die Aevis Victoria Gruppe und das Grand Resort Bad Ragaz, äusserten sich dediziert zur Zukunft dieses immer wichtiger werdenden Tourismus-Zweiges der Schweiz. Antoine Hubert, VRP der Aevis Gruppe, die 11 Hotels und 21 Kliniken betreibt, sprach über den für die Branche wichtigen Trend hin zur Longevity, also zur Langlebigkeit. Die Gäste, die gesund altern wollten, müsse die Schweiz anziehen, auch und vor allem im Hochpreissegment.

Ins gleiche Horn blies Dr. Klaus Tschütscher, VRP des Grand Resorts Bad Ragaz. Er wolle den Menschen bis ins Alter von 90 Jahren und darüber hinaus ein gutes Leben ermöglichen. Deshalb nehme das GRBR eine Neupositionierung des Bereichs Medizin vor, weg von der Reparaturmedizin hin zur Präventionsmedizin.

Die Bedeutung der Marke                

Der Glacier-Express von St. Moritz nach Zermatt ist eine weltweit bekannte Marke. Er gilt als der langsamste Expresszug der Welt, wie Annemarie Meyer, CEO des Glacier Express, ausführte. Und wie Hubert betonte auch Meyer den Mut zur Höherpositionierung ihres Angebots und damit zu höheren Preisen. Um 65% ist das Gästeaufkommen in den letzten zehn Jahren gestiegen, die Einführung der hochpreisigen Excellence Class habe sich gelohnt, auch wenn das Unternehmen bei der Einführung ins Risiko gegangen sei.

Corona habe geholfen, dass sich das Verhältnis von Gruppen- zu Individualtouristen beim Glacier Express gedreht hätte. Hätten früher 40% das bevorzugte Segment der Individualreisenden ausgemacht, so seien es heute 60%. Individualreisende sind für die Anbieter meist interessanter, weil sie ein anderes Buchungsverhalten als Gruppen an den Tag legen, also z.B. direkt beim Anbieter buchen.

Eine Destination auf neuen, unkonventionellen Wegen

Arosa ist in erster Linie als schneesicheres Skigebiet bekannt. Seit vielen Jahren geht man aber auch unkonventionelle Wege, um Besucher anzulocken, wie der Präsident von Arosa Tourismus, Pascal Jenny, anschaulich verdeutlichte. Unter seiner Ägide wurde das Bärenland Arosa initiiert, das den Sommertourismus beleben soll. Seit langem schon gibt es das Humorfestival in der ansonsten schwachen ersten Dezemberhälfte, das Besucher auch jenseits des Skisports anzieht.

Investorenmeeting und ein (fast-) Start-up

Im Vorfeld des Branchentalks stellten bei einem Investoren-Meeting Unternehmen wie die Titlis Bergbahnen, aber auch die Flughafen Zürich AG und die Aevis Victoria Gruppe ihre Geschäftsmodelle vor.

Neben diesen börsenkotierten Unternehmen war auch das (fast) Start-up-Unternehmen Twiliner eingeladen, sein Geschäftsmodell zu präsentieren. Twiliner soll noch dieses Jahr Nachtbusfahrten durch Europa aufnehmen. Das innovative Modell wurde von CEO Luca Bortolani vorgestellt.

Radikale Sicht auf das eigene Unternehmen

Der Schweizer Tourismus muss neben den traditionellen Angeboten auch neue Wege beschreiten, soviel wurde am Branchentalk klar. Dabei wünscht sich so mancher mehr Unterstützung auch durch die Politik. Bern und die Zusammenarbeit mit der Expo und dem Kursaal kann hier als positives Beispiel herausgehoben werden. «Wir haben niemanden in der Politik, der Tourismus versteht», bemängelte hingegen Antoine Hubert. Pascal Jenny ist nicht dieser Ansicht: Mit dem neuen Bundesrat Martin Pfister, der neben Verteidigung auch für Sport zuständig ist, sei ein kompetenter Politiker am richtigen Platz.

Aber am Ende zählt in erster Linie sowieso der unternehmerische Gestaltungswille und die Kraft, mit den richtigen Investments auf die Erfolgsspur zu kommen und sie mit voller Kraft zu fahren. Dazu braucht es, wie Klaus Tschütscher forderte, eine radikale Sicht auf das eigene Unternehmen. Die Bereitschaft dazu ist bei den Unternehmen, die am 11. Branchentalk und am Investorenmeeting teilnahmen, durchaus vorhanden.

Kommentar verfassen