Pharma-Aktien: Baisse oder Turnaround-Chance?

Investment Exodus bedroht Pharma-Standort Europa

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Die Pharma-Industrie ist einer von fünf Sektoren, die von der Trump Administration im Kontext der Zollpolitik besonders genau ins Visier genommen werden.Bild: stock.adobe.ch

Eigentlich ist die Nachrichtenlage gut für den als defensiv geltenden Pharma- und Healthcare-Sektor. Wenn Inflation, Rezession und Handelskriege die Schlagzeilen prägen, ist an der Börse in aller Regel die Stunde der nicht-zyklischen Branchen gekommen – wie vor allem des stetig wachsenden Gesundheitssektors. Doch dieses Mal scheint alles anders, denn auch die Pillendreher sind im Visier der US-Administration. Angekündigte Multi-Milliarden-Investitionen von Roche, Novartis, Astra-Zeneca & Co. in den USA sind die ersten erkennbaren Konsequenzen.

Seit August 2024 ist der NYSE Arca Pharmaceutical Index von 1140 Punkten auf 860 Punkte abgestürzt. Nach einer technischen Erholung bewegt sich der Index aktuell wieder bei 930 Punkten. Er umfasst derzeit 24 hochkapitalisierte und liquide Pharma-Aktien, von Eli Lilly, Merck und Pfizer in den USA bis hin zu den ADRs von europäischen Titeln wie Astra-Zeneca, Novartis und Novo Nordisk sowie Takeda aus Japan. 80% entfallen auf US-Titel. Das ist plausibel, wenn die Marktkapitalisierungen zueinander in Relation gesetzt werden.

Verteilungskämpfe im Healthcare-Markt

Die USA sind der nach Volumen grösste Healthcare-Markt der Welt. Und viele der grössten Pharma-Unternehmen sitzen dort. Wichtig ist der Markt aber auch für Big-Pharma-Unternehmen aus Europa und Japan sowie zunehmend auch für die in die erste Liga aufstrebenden indischen und chinesischen Player. Die beschränken sich immer weniger auf Low-Tech und Auftragsfertigung, sondern haben vielmehr die eigene Forschung und Entwicklung sowie neue und selbstentwickelte Technologien zu ihren Wachstumstreibern gemacht.

Baisse in Raten

Der Schock für Healthcare-Investoren entwickelte sich schrittweise. Zunächst war die Hausse im Sektor bis Mitte 2024 zu weit gelaufen. Die war hauptsächlich getragen von der ausufernden Euphorie über die kommerzielen Erfolge der Abnehmspritzen sowie die Fantasie zu Technologiesprüngen und nie gesehenen Effizienzgewinnen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Erste Enttäuschungen der zu hohen Erwartungen wie bei Novo Nordisk wirkten wie eine kalte Dusche.

Zölle – ein Problem der Wahrnehmung

Wie in anderen Branchen waren die Zollandrohungen Trumps weder nach der Wahl noch nach dem Amtsantritt wirklich ernst genommen worden. Inzwischen ist die Pharma-Industrie jedoch einer von fünf Sektoren, die von der Trump Administration besonders genau im Kontext der nationalen Prioritäten und damit auch der Zollpolitik ins Visier genommen werden.

Liberation Day oder Trumpcession?

Anfang April stürzten die Kurse an der Wall Street zeitgleich an den Aktien- und Anleihemärkten. Auch die Währung verlor substanziell, und die Rohstoffmärkt erlebten ebenfalls schwere Verwerfungen. Innerhalb von nur 10 Tagen sackte der Wert der US-Aktienmärkte um 4 Billionen USD ab. Der Greenback verlor gegen alle Währungen, ob Franken, Euro, Yen, Kanada-Dollar oder Mexikanischer Peso. Der DXY-Index, der den USD gegen die sechs wichtigsten Handelswährungen abbildet, verlor seit Anfang Jahr bis zu 10%, das meiste davon seit Ende März. Viele private und institutionelle Anleger haben ihre sogenannten «Trump Trades» aufgelöst und sind stattdessen opportunistisch oder angsterfüllt dem «Sell America» Trend gefolgt.

Kettensägeneffekte im Gesundheitswesen

Zu der Verkaufswelle im April trugen aber auch sektor-spezifische Entwicklungen bei. Bei der FDA und weiteren Institutionen im Umfeld der Gesundheitsbehörden wurde, wie zu befürchten war, eine breite Axt angesetzt. Zehntausende Mitarbeiter wurden verunsichert, gekündigt, zur Kündigung aufgefordert oder damit bedroht. Die Direktoren von 17 staatlichen Behörden wurden gefeuert. Viele leitende Mitarbeiter kündigten von sich aus, angesichts der als untragbar angesehenen Arbeitsbedingungen. Erst nachdem sich breite Opposition formiert hatte, formulierte der neue FDA Direktor, dass die Behörde einen Plan hat. Demnach sollen die Arzneimittelzulassungen zukünftig schneller erteilt werden. Beispielsweise soll in Einzelfällen auf die Phase III Studie verzichtet werden können, sofern diese nur aus regulatorischen Gründen erforderlich ist. Insbesondere bei Krebs und Seltenen Krankheiten sollen die Zulassungen beschleunigt werden.

Technische Erholung oder «dead-cat-bounce»?

Danach setzte zwar sektorweit eine technische Erholung ein, doch Statistiken und Marktdaten zeigen das Ausmass des Ausverkaufs. Die Unprognostizierbarkeit der Zölle, die Kürzungen bei der FDA und auch das angestiegene Zinsniveau, vor allem am langen Ende, führten zu starken Abflüssen bei Fonds und ETFs. Besonders sensitiv ist das Biotech-Segment. Über ein Viertel der börsenkotierten Branchenvertreter weisen inzwischen eine Marktkapitalisierung auf, die unter den Cash-Beständen liegt. Institutionelle Aktionäre halten inzwischen etwa der Hälfte der Market Cap aller Biotech-Unternehmen an den US-Börsen. Davon entfällt wiederum die Hälfte auf passive Index-Fonds und -ETFs. Die Biotech-Welt erscheint somit ausgebombt und mit Blick auf das Sentiment auf einem All-Time-Low.

Auswirkungen auf BB Biotech und HBM Healthcare

Das zeigt sich auch an den Kursen der beiden Schweizer Beteiligungsgesellschaften BB Biotech und HBM Healthcare. Die Kurse liegen trotz einzelner Erfolge 50% oder mehr unter den historischen Hochs und um 10% respektive 20% unter den aktuellen NAVs. BB Biotech profitierte von dem Übernahmeangebot in Höhe von 14.6 Mrd. USD für die Beteiligung Intra-Cellular Therapies durch Johnson & Johnson. Dennoch sank der BB Biotech Kurs, wozu die Dollarschwäche wesentlich beiträgt.

Roche und der Exodus der Pharma-Industrie?

In Europa mehren sich die Anzeichen für einen regelrechten Exodus der Pharma-Industrie. Das betrifft die Schweizer Volkswirtschaft besonders stark. Roche kündigte vor kurzem an, in den USA in den nächsten fünf Jahren 50 Mrd. USD zu investieren. Die Basler betreiben in den USA bereits an 24 Orten Fertigungstätten und Forschungslabore. Nach der Realisierung der Investitionen wird Roche mehr aus den USA exportieren als gegenwärtig importiert wird. Die Zölle für Schweizer Importe in die USA werden voraussichtlich auf 31% angehoben. Dazu können spezifische Zölle für Pharmaprodukte in bisher unbekannter Höhe kommen.

Chart Roche Mai 25
Roche kündigte vor kurzem an, in den USA in den nächsten fünf Jahren 50 Mrd. USD zu investieren. Chart (in CHF): six-group.com

Investitionsboom in den USA

Auch Novartis kündigte an, in den USA Mega-Investitionen zu tätigen. Novartis will 23 Mrd. USD in den kommenden Jahren aufwenden, um die Präsenz in den USA zu erhöhen. Astra-Zeneca hat in den letzten Monaten 3.5 Mrd. USD in den USA investiert und angekündigt, 2.5 Mrd. USD in China zu investieren. Alles in allem wurden in letzter Zeit 150 Mrd. USD an Investitionen in den USA von europäischen Pharma-Unternehmen angekündigt. Dazu kommen noch Aussagen von Johnson & Johnson sowie Eli Lilly, die Investitionen von 55 Mrd. USD respektive 27 Mrd. USD in den USA ankündigten.

Standort Europa in Gefahr

Novartis, Astra-Zeneca und Sanofi lobbyieren bei der EU für höhere Forschungsanstrengungen, soll Europa nicht von den USA, China und Indien abgehängt werden. Die Kernaussage der Pharma-Bosse ist, dass in Europa Innovation bestraft wird, in den USA dagegen belohnt. Sparmassnahmen, niedrige Preise und Überregulierung machen Europa zu einem zunehmend unattraktiven Markt. Während die EU-Staaten in 2022 durchschnittlich 7,7% des BIP für die Gesundheitssysteme aufwendeten, liegt der Vergleichswert in den USA bei 16,5%. Die Ausgaben für Gesundheit, so die Einschätzung der Big Pharma CEOs, müssen in Europa einen Stellenwert auf der Höhe der Verteidigungsausgaben erhalten, soll der Kontinent seine Bedeutung im globalen Gesundheitswesen behalten.

100 Tage Voodoo Economics

Der US-Präsident ist gerade 100 Tage im Amt und hat mit seinem beispiellosen Verwirrspiel in dieser kurzen Zeit die Weltwirtschaft auf den Kopf gestellt. Die Unsicherheiten für viele Industrien sind enorm gestiegen, und kaum ein integriertes, weltweit aktives Unternehmen kann die Folgen der antiquierten Zollpolitik quantifizieren. Die europäische Automobilindustrie kappte in den letzten Tagen alle Prognosen. Immerhin wissen die Hersteller, mit welchen Zollsätzen zu rechnen ist. Das ist in der Pharma-Industrie noch nicht der Fall, weshalb die Unsicherheiten gross bleiben. Die Faktoren sind vielfältig. Für Roche beispielsweise senken etliche Analysten die Gewinnprognosen, vor allem wegen der Dollarschwäche, aber auch mit Blick auf erwartete schwächere Wachstumsraten einzelner Produkte. Andere Analysten heben die Prognosen dagegen mit Verweis auf die Pipeline und Neuzulassugen an.

Mega-Investitionen in das «Goldene Zeitalter» der USA

Ob die Entscheidungen der europäischen Pharma-Industrie, inklusive Zulieferer und Auftragsfertiger, massiv in den USA zu investieren, wirklich klug sind, wird sich erst noch erweisen müssen. Wenn die Unabhängigkeit der Justiz unter Trump verloren geht, ist es mit der Rechtssicherheit in den USA nicht mehr weit her. Ob die FDA und andere elementare Institutionen im Gesundheitswesen nach dem fortschreitenden Kahlschlag ihre Funktionsfähigkeit behalten, ist zumindest fraglich. Und was wäre, wenn die USA, wie angedroht, Grönland besetzen und damit praktisch im Kriegszustand mit Europa wären – mit allen möglichen Konsequenzen für europäisches Eigentum in den USA?

Ist Lonza «gut aufgestellt»?

Neben Roche und Novartis sind viele weitere Schweizer Aktien von der veränderten US-Politik betroffen. Lonza als Auftragsfertiger und Entwicklungspartner der Big Pharma Player hat vergangenes Jahr ein Werk von Roche in Kalifornien übernommen, was nun vorteilhaft zu sein scheint. Andererseits hat Lonza stark in mRNA-basierte Technologien und Fertigungskapazitäten investiert. Die beiben im Visier von Gesundheitsminister Robert Kennedy und könnten sogar vor dem Aus stehen. So fortschrittlich und effektiv die mRNA-Technologie ist, der grosse Teil der Stamm-Wählerschaft Trumps aus dem Lager der evangelikalen Christen will solche Eingriffe in die Evolution nicht. Demgegenüber gibt sich der andere CDMO-Vertreter an der SIX, Siegfried, zuversichtlich. Das Geschäft von Siegfried ist laut Unternehmensaussagen kaum von den US-Zöllen betroffen.

Chart Sandoz Mai 25
Sandoz hat die Wachstumserwartungen im ersten Quartal des Jahres nicht erfüllt. Chart (in CHF): six-group.com

Ypsomed und Sandoz

Ypsomed will die Produktion für den amerikanischen Markt in den USA aufbauen. Laut CEO Michel sind aktuell etwa 9% des weltweiten Umsatzes von US-Zöllen betroffen. Der Markt ist wenig elastisch, die Preiserhöhungen werden die Nachfrage nicht dämpfen. Sandoz, als Hersteller von Generika und Biosimilars, hat die Wachstumserwartungen im ersten Quartal des Jahres nicht erfüllt. Eine von 15 Fertigungsstätten befindet sich in den USA. Der US-Umsatz entspricht etwa einem Fünftel des Geschäftsvolumens.

Medtech im Visier

Der Medizingerätemarkt ist zwar derzeit noch von Zöllen auf Importe in die USA ausgenommen, doch wird der Sektor ebenfalls daraufhin überprüft, wie wichtig die einzelnen Produkte für die Unabhängigkeit der USA nach Ansicht der US Administration sein werden. Dies betrifft nicht nur Sonova und Straumann, sondern alle Hersteller von Komponenten, Vorprodukten und Rohstoffen. Ein weiterer Aspekt ist der in Europa verschärfte Wettbewerb durch chinesischen Anbieter, die durch Zollschranken von 145% praktisch aus dem US-Markt gedrängt werden und deshalb nach anderen Absatzmärkten suchen müssen.

Fazit

Die sorgenlose Jahre mit konstanten Trendwachstumsraten in der Gesundheitswirtschaft sind fürs Erste scheinbar vorbei. Ein Grund ist, wie es der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann Anfang April in einem Interview mit Watson ausdrückt: «die grösste Zollerhöhung der Geschichte, die mir bekannt ist.» Natürlich kann alles doch noch zu einem guten Ende kommen, doch die ersten rezessiven Tendenzen bahnen sich bereits ihren Weg. Unsicherheiten mögen die Börsen nicht, auch wenn versprochen wird, dass das «Goldene Zeitalter» nur noch wenige Schritte entfernt ist. Da auch die Gesundheitswirtschaft im Fokus von «Make America great again» steht, ist die Schweiz unvermittelt im Auge des Sturms. Fast die Hälfte der Exporte des Landes entfallen auf Pharma- und Healthcare-Produkte. Für Investoren im Healthcare-Universum sind aufgrund der reduzierten Bewertungen die Chancen zwar grösser geworden, allerdings haben auch die zyklischen wie die strukturellen Risiken beträchtlich zugenommen – in den ersten 100 Tagen Trump 2.0.

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