Aevis Victoria: Value-Play, Wachstumsstory oder Value-Falle?

Starke Semesterzahlen stimulieren Aktienkursentwicklung noch nicht

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Die Clinique de Genolier in der gleichnamigen Waadtländer Gemeinde war die erste Klinik der Aevis-Gruppe. Im Vordergrund der 2024 eröffnete Innovation Hub. Bild: Genolier Innovation Hub / OLIVIER MAIRE

Gerade weil Pure-Plays wie Sandoz, Accelleron, Medmix oder SMG an der Börse so beliebt sind, lohnt sich aus Anlegersicht auch ein Blick in die andere Richtung, also auf vernachlässigte und schwerer verständliche Aktien. Dazu zählt die Beteiligungsgesellschaft Aevis Victoria, die über Luxus-Hotels, Immobilien, Privatkliniken und Healthcare-Aktivitäten diversifiziert ist. Die Aktie führt ein Schattendasein an der SIX. Während der Net-Asset-Value mit 2 Mrd. CHF errechnet wird, beträgt die aktuelle Börsenkapitalisierung gerade 1.1 Mrd. CHF. Ein Value-Play für weitsichtige Investoren?

Die Bewertungen an den Börsen sind hoch. Wo es Enttäuschungen gibt oder in der Luft liegen, sind rasante Talfahrten derzeit keine Seltenheit. Das betrifft natürlich hauptsächlich Aktien, die populär und in vielen Portfolios vertreten sind. Im Fachjargon ist auch von «übergekauften» oder «überspekulierten» Werten die Rede, oder, neudeutsch, von «most-crowded trades». Dazu zählt Aevis Victoria ganz bestimmt nicht. Tatsächlich liegt der tägliche Aktienumsatz meist bei mehreren Hundert oder Tausend Stück, selten über 10’000 Aktien.

Finanz-Eckdaten

Im Geschäftsjahr 2024 lag der Umsatz von Aevis Victoria bei 965.9 Mio. CHF, eine Steigerung um 5,6% zum Vorjahr. 2022 lag der Umsatz bei 1 Mrd. CHF und 2020 noch bei 696.6 Mio. CHF. Während der letzten fünf Geschäftsjahre wurde nur im Jahr 2022 ein Gewinn verzeichnet. Dividenden wurden in den Jahren 2022 und 2023 in beträchtlicher Höhe ausgeschüttet. Die Bilanzsumme hat sich seit 2020 von 1.5 Mrd. CHF auf 2 Mrd. CHF erhöht, das Fremdkapital stieg in dieser Periode von 1.1 Mrd. CHF auf 1.4 Mrd. CHF.  Die Eigenkapitalquote bewegt sich über die Jahre bei rund 31%.

Wachstumsbeschleunigung im ersten Semester

Im ersten Halbjahr 2025 beschleunigte sich die Wachstumsrate auf 17,7%. Der Semesterumsatz erreichte 621.3 Mio. CHF. Der den Aevis-Aktionären zurechenbare Vorjahresperiodenverlust von 0.8 Mio. CHF verwandelte sich in einen Gewinn von 4.2 Mio. CHF. Im Bereich der Mietimmobilien von Spitälern, Casinos und ähnlichen Geschäftsaktivitäten wird die übliche operative Kennzahl EBITDA noch um ein «R» für Restrukturierungs- und Mietkosten zum EBITDAR erweitert. Diese Kennzahl verbesserte sich auf eine Marge von 19,1%. Die Erlöse aus den Verkäufen von Immobilien und Finanzanlagen wurden zur Reduzierung der Verbindlichkeiten um 120 Mio. CHF verwendet. Die Eigenkapitalquote liegt zum Semesterende bei 30,5%.

Segment-Betrachtung

Fast 80% des Geschäftsvolumens entfällt auf die grösste Beteiligung Swiss Medical Network, die mittlerweile grösste private Klinikgrupe der Schweiz. Vor allem durch die Akquisition und Integration des Spitals Zofingen und des CentroMedico-Netzwerks im Tessin erhöhte sich der Umsatz im ersten Halbjahr um 20,1% auf 501.4 Mio. CHF. Die EBITDAR-Marge in diesem Segment beträgt 18,6%. Im Hotellerie-Segment nahm der Umsatz um 2,8% auf 104 Mio. CHF zu. Die EBITDAR-Marge liegt bei 26,1%. Bei fast 179’000 Übernachtungen lag der Durchschnittspreis bei 633 CHF.

Hotel-Portfolio

Über die Jahre hat Aevis Victoria ein substanzielles Portfolio von Top-Hotels sowie einer grossen Anzahl von Kliniken und Fachkliniken in der gesamten Schweiz aufgebaut. Dazu kommen Immobilien und Beteiligungen, hauptsächlich an Healthcareunternehmen. Die Hotel-Kette wird auf einen Immobilienwert von 872.1 Mio. CHF taxiert. Neubewertungsgewinne spielen in der längerfristigen Wertentwicklung eine bedeutende Rolle. Akquisitionen und Devestitionen sollen die Wert- und Geschäftsentwicklung langfristig optimieren.

Der innere Wert (NAV) von Aevis hat sich seit 2011 versiebzehnfacht; die Marktkapitalisierung ist in den letzten sechs Jahren konstant geblieben. Abb. www.aevis.com/de/news-berichte/praesentationen/

Klinik-Portfolio

Im Lauf der Zeit hat Aevis Victoria nicht weniger als 21 Kliniken zu der markführenden Kette in der Schweiz zusammengefügt. Dabei wird eine M&A- sowie Restrukturierungsstrategie verfolgt, welche die Schwachstellen eliminiert und eine neue Positionierung beispielsweise als Fachklinik verfolgt. Durch die grosse Flächenabdeckung in der Schweiz können solche organisatorischen Veränderungen zu mehr Patienten, mehr Effizienz, der Optimierung der Prozesse und verkürzten Hospitalaufenthalten beitragen. Wo dies erreicht wird, sind auch hohe Auslastungen und Margen realisierbar.

Gemeinsames Management der Villa im Park und Zofingen mit wichtigen Synergien in den nächsten 18 Monaten;
EBITDAR-Margen: <10% rot; orange: 10% bis 20%; grün: >20%; alle Angaben Stand Juni 2025 Abb. www.aevis.com/en/news-reports/presentations/

Gesundheitsmarkt im Wandel

Die Gesundheitsmärkte und -systeme sind bereits im Umbruch. Die Strategie von Aevis Victoria zielt auf die schrittweise Privatisierung hin. Für Unruhe in der Branche sorgt die Etablierung eines auf Mitgliedschaften basierenden Systems, das von der Prävention über Diagnostik und Therapie bis zur Nachsorge und Alterspflege innerhalb des eigenen Netzwerkes von Spezialisten alle Leistungen erbringt. 2024 gründeten der Kanton Bern, der Krankenversicherer Visana und Aevis Victoria die Gesundheitsorganisation Viva, die alle Gesundheitsleistungen «aus einer Hand» bieten soll. In den USA sind solche Systeme verbreitet, ein bekannter Anbieter ist Kaiser Permanente. Der allgemeinen Hochschätzung stehen jedoch auch zahlreiche Kontroversen entgegen, die zeigen, welche Manipulationsmöglichkeiten zulasten der Patienten und Beitragszahler solche nicht regulierten Gesundheitssysteme eröffnen. Die Kosten für Gesundheit sollen durch solche auf Mitgliedschaft basierende Systeme unter Kontrolle gehalten werden.

Die Medikamentenpreis-Initiative des US-Präsidenten

In den USA sind die Gesundheitskosten dennoch sehr viel höher als in vergleichbaren Ländern. Deshalb will der US-Präsident durch Zollpolitik und tiefere Medikamentenpreise die Kosten senken und darüber hinaus die Mittelsmänner aussparen. Das Resultat könnten deutlich höhere Medikamentenpreise in Europa sein, was den Druck auf die europäischen Gesundheitssysteme immens erhöhen könnte. Eine Folge wären wohl mehr Privatisierungen und Public-Private-Partnerships, wie sie von Swiss Medical Network bereits praktiziert werden.

Innovationen

Ob KI-gestützte Operationsroboter, Schmerztherapie oder Better-Aging, die Aktivitäten von SMN bieten Gesundheitsprodukte und Dienstleistungen zum Wohl des Patienten und Kunden auf einer breiten Palette und auch auf hohem Niveau. Schon seit 2010 fokussiert die Tochter Nescens auf Anti-Aging-Technologien wie die Reaktivierung zellulärer Regenerationsprozesse, u.a. durch Stammzellen. Ziel ist die Prävention durch personalisierte Behandlungen, die nicht nur ästhetische Verbesserungen wie Falten und Hautstraffungen zum Gegenstand hat, sondern auch die Gehirngesundheit, also mentale und kognitive Fähigkeiten. Neben der Fachklinik in Genolier werden Spas in vielen Hotels betrieben. Dabei kommen selbstentwickelte wissenschaftsbasierte Anti-Aging-Produkte zum Einsatz, die auch vertrieben werden. Die Verbindung von Kosmetika und Pharmazeutika wird Kosmezeutika genannt.

Transaktionen

Das Zahlenwerk von Aevis Victoria ist komplex und von Dekonsolidierungen, Akquisitionen, Neubewertungen und Wertberichtigungen auf diversen Ebenen geprägt. Eine wichtige Rolle spielen dabei das beträchtliche Immobilienvermögen sowie Transaktionen mit Geschäftspartnern und Aktionären. Dazu zählen die Krankenversicherung Visana, die 11,1% an der Klinikgruppe Swiss Medical Network für 150 Mio. CHF erworben hat. Auch die Baloise war 2018 in ähnlicher Weise bei der Tochtergesellschaft Infracore, den Spital-Liegenschaften, mit 20% eingestiegen, trennte sich jedoch zwei Jahre später von der Beteiligung und stieg bei der amerikanischen Medical Properties Trust (MPT) ein, die wiederum inzwischen 70% an Infrascore hält und seit 2019 mit 4,6% an Aevis Victoria beteiligt ist.

Knapper Free Float

Bei Aevis Victoria ist der handelbare Streubesitz mit weniger als 11% gering. 75,6% der Anteile werden von Medical Research, Services & Investments gehalten, welche Antoine Hubert und seinem langjährigen Geschäftspartner Michel Reybier gehört. Beide sind im Verwaltungsrat vertreten. Auf MPT entfallen 4,6%, auf die Kuwait Investment Authority 3,1%. Die verbleibenden wenigen Prozente werden von Vermögensverwaltern oder Privatpersonen gehalten.

Für und Wider

Der langfristige Kursverlauf spiegelt nicht die Wertentwicklung des Immobilienportfolios wider. Das Geschäftsmodell ist jedoch auf langfristige Wertsteigerung ausgerichtet, was zu hohen und auch schwankenden Investitionen führt sowie einer aktiven Investment- und Divestmentpolitik. Das verzerrt das Zahlenwerk und hat in den vergangenen Jahren auch zu mehreren Verlustausweisen geführt. Dennoch zeigt sich, dass beispielsweise die Kliniken, die bereits voll restrukturiert und repositioniert sind, sehr befriedigende EBITDAR-Margen erzielen. Die Spezialisierung auf Wachstumsmärkte wie Aging zeigt, dass Mega-Trends erkannt und unternehmerisch genutzt werden. Synergien und Netzwerk-Effekte sowie «economies-of-scale» sprechen für den Erfolg der Strategie und die Schliessung der Bewertungslücke an der Börse. Dem stehen jedoch auch offensichtlich diverse Risiken entgegen, was verschiedene Beispiele im US-Privatklinikmarkt zeigen, darunter auch im Umfeld von Aktionär MPT.

Fazit

Obwohl die Aevis Victoria-Gruppe in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist, bewegt sich der Aktienkurs nach wie vor auf dem gleichen Niveau wie vor fünf Jahren. Chart: six-group.com

Jeder Umbruch schafft Gewinner und Verlierer. Er schafft auch neue Chancen und Risiken. Die müssen nicht immer klar erkennbar sein, wie die noch schwer quantifizierbaren Auswirkungen der US-Medikamentenpreispolitik für die europäischen Gesundheitssysteme – ein externer Schock, der kaum in linearen Prognosemodellen vorgesehen war. Denn die vergangenen 80 Jahre waren vom kontinuierlichen Abbau von Zoll- und Handelsschranken geprägt. Die Erforschung der spezifischen Risiken eines Investments in Aevis Victoria mit Blick auf die diversen Geschäftsbeziehungen, auch innerhalb der Unternehmensgruppe, bleibt Branchen-Analysten und Experten oder auch investigativen Investoren vorbehalten. Die dazu bisher verfügbaren Informationen sind naturgemäss einseitig und daher für Anlageentscheidungen inkonklusiv. Das sind auch die Marktmeinungen zur CEO-Wahl im letzten Jahr, die auf Fabrice Zumbrunnen fiel, den früheren Migros-Chef. Ein Trigger für den Aktienkurs könnte das im laufenden Jahr beschleunigte Wachstum im operativen Geschäft sein. Die Publikation der Halbjahreszahlen hat jedenfalls noch kein Kursfeuerwerk entfacht.

Hinweis in eigener Sache: Am 21. Oktober 2025 findet der Branchentalk Tourismus im Kursaal Bern statt. Am Investoren-Meeting präsentieren CEO Fabrice Zumbrunnen und CFO Michel Keusch die AEVIS Victoria Gruppe. 

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