Orell Füssli: Value-Aktie mit Upside im Bereich digitaler Identitäten

Tochterunternehmen Procivis will mit Software punkten

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Der Banknotendruck ist für Orell Füssli ein wichtiger Ertragspfeiler. Bild: orellfuessli.com/medienkit

Die Orell Füssli Gruppe gehört mit über 500 Jahren zu den ältesten Schweizer Unternehmen. Seit 1897 ist die Aktie an der Börse kotiert. Bekannt sind vor allem die gleichnamigen Buchläden, etwas weniger der Banknotendruck. In den letzten Jahren verstärkten Zukäufe im Lehrmittelbereich das Verlagsgeschäft mit Fokus auf Bildung. Doch die traditionellen Bereiche Buchhandel, Sicherheitsdruck und Verlagsgeschäft sind vom Strukturwandel betroffen und wachsen nur noch moderat. Den grossen Schub verspricht sich die Gruppe daher von Procivis AG, einem Start-up, an dem sich Orell Füssli 2021 beteiligt hat und das heute fast zu 100% dem Zürcher Traditionsunternehmen gehört. Mit der Software von Procivis will Orell Füssli am stark wachsenden Markt für digitale Identitätsprüfungen und sichere elektronische Geldbörsen – sogenannte e-Wallets – teilhaben.

«Totgesagte leben länger»

Daniel Link, der CEO der Orell Füssli Gruppe, verwendet gerne die Aussage «Totgesagte leben länger», wenn er über das Kerngeschäft und die Zukunft von Orell Füssli spricht. Denn das 1519 gegründete Unternehmen ist in Bereichen tätig, von denen viele schon als überholt gelten: stationärer Buchhandel – seit es Amazon gibt, angeblich überflüssig; Verlagsgeschäft – sollte schon längst durch digitale Medien ersetzt sein; und Banknotendruck – ein Auslaufmodell, da sich digitale Zahlungsmittel mehr und mehr durchsetzen und einige Regierungen an der Abschaffung von Bargeld arbeiten.

Doch die Orell Füssli Gruppe erfreut sich auch 2025 an einem soliden Wachstum. Der Umsatz stieg im 1. Halbjahr 2025 auf 120.1 Mio. CHF (Vorjahr: 107.1 Mio. CHF). Für 2024 erreichten die Verkäufe insgesamt 252.5 Mio. CHF, und der Reingewinn betrug 17.5 Mio. CHF, was die Zahlung einer Dividende in Höhe von 4.40 CHF pro Aktie ermöglichte.

Banknoten weiterhin gefragt

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht ganz plausibel klingt, so betont Daniel Link, dass sein Unternehmen in wachsenden Märkten tätig sei. So wachse der weltweite Markt für Banknoten seit 2023 um durchschnittlich 6% pro Jahr – Treiber seien Wirtschaftswachstum und Inflation. Allerdings darf Orell Füssli nur für etwa 12% der Länder weltweit Banknoten drucken. In anderen Ländern, wie z. B. den USA oder China, erfolgt der Notendruck lokal. Neben der Schweizerische Nationalbank (SNB), die mit 33,3% auch Hauptaktionär von Orell Füssli ist, gehört auch Costa Rica zu den Kunden von Orell Füssli. Auch der Druck von Sicherheitsdokumenten wächst. Hier produziert das Unternehmen u. a. die roten Schweizer Pässe.

In allen drei Märkten sieht Orell Füssli Wachstumspotenzial, wobei der Digitalbereich am stärksten wächst. Abb. orellfuessli.com/finanzberichte-und-praesentationen

Zukäufe im Verlagsgeschäft und Buchhandel

Auch im Bereich der Contenterstellung und -distribution – so bezeichnet Orell Füssli das Verlagsgeschäft und den Buchhandel – konnte das Unternehmen vor allem durch Akquisitionen den Umsatz seit 2021 deutlich steigern. Zuletzt kaufte Orell Füssli im März 2025 mit der SKV AG den Verlag des kaufmännischen Verbandes. Im Buchhandel, welcher im Joint-Venture mit Thalia betrieben wird, kommen laufend neue Buchhandlungen hinzu. Alleine 2024 wurden sechs neue Läden eröffnet. Insgesamt sind es mittlerweile 60 Filialen in der ganzen Schweiz.

Buchhandel: Umsatzanteil, geringe Marge

Knapp 50% des Umsatzes von CHF 252.5 Mio. stammen aus dem Buchhandel, 34% aus dem Sicherheitsdruck, 10% aus dem Industriegeschäft mit der Tochterfirma Zeiser Inc., die weltweit Maschinen für die Nummerierung von Sicherheitsdokumenten entwickelt und vertreibt. Die übrigen rund 7% des Umsatzes stammen aus dem Verlagsgeschäft und dem noch jungen Bereich der digitalen Identitäten von Procivis.

Kräftiges Wachstum im Sicherheitsdruck

Ein Blick in den Halbjahresbericht 2025 zeigt, dass der Sicherheitsdruck mit einem Umsatz von 47.3 Mio. CHF (+25,7%) besonders kräftig gewachsen ist. Mit einer EBIT-Marge von 25,0% ist das Geschäft hochrentabel, während der Buchhandel mit 54.2 Mio. CHF (+6,3%) und einer Marge von knapp 3,0% bescheidenere Ergebnisbeiträge beisteuert. Die industriellen Systeme (9.3 Mio. CHF ) und das übrige Geschäft (9.8 Mio. CHF) lieferten keine positiven Margen. Im Bereich der digitalen Identitäten investiert Procivis derzeit in Produktentwicklung und Vertrieb. Laut Daniel Link wird der Aufwand für die Softwareentwicklung nicht aktiviert, sondern direkt der Erfolgsrechnung belastet. Gesamthaft erreichte der Umsatz von Januar bis Juni 2025 120.1 Mio. CHF , das Betriebsergebnis (EBIT) lag bei 10.2 Mio. CHF.

Procivis als Wachstumsbooster?

Der Druck von Banknoten und Ausweisen ist hoch lukrativ und wächst konstant. Buchhandel und Verlagswesen sollen vor allem durch Akquisitionen und neue digitale Bildungsangebote Wachstum bringen. Doch das grosse Potenzial für Orell Füssli liegt bei Procivis. Schliesslich hat CEO Daniel Link als Ziel ausgegeben, dass die Gruppe im Jahr 2028 einen Umsatz von mehr als 300 Mio. CHF erzielen soll. Dazu fehlen derzeit noch rund  50 Mio. CHF, was allein durch weitere Druckaufträge sowie Zukäufe im Buchhandel und Verlagsbereich nur schwer zu realisieren sein wird.

In den kommenden zwei Jahrfen werden in der Schweiz und der EU e-Wallets eingeführt. Abb: orellfuessli.com/finanzberichte-und-praesentationen

30 bis 50 Mio. CHF soll daher das Digitalgeschäft bis 2028 beisteuern. Die Chancen dafür stehen nach Aussagen der Geschäftsleitung gut, denn sowohl in der Schweiz als auch in der EU werden in den kommenden Jahren elektronische IDs eingeführt. So plant die EU, bis Ende 2026 sogenannte «EUDI-Wallets» im Bereich der öffentlichen Verwaltung einzuführen. Bereits im Dezember 2027 sollen diese dann auch privaten Anwendern wie Finanzdienstleistern, Onlinehändlern etc. – also einem breiten Ökosystem – zur Verfügung stehen. Gleiches gilt auch für die Schweizer E-ID, die im 3. Quartal 2026 live gehen soll.

Multimilliarden-Dollar-Markt

Werden die E-ID oder das europäische Pendant in die Wallets geladen, können diese dank der von Procivis entwickelten Softwarelösung Procivis One das sichere Ausfüllen von elektronischen Dokumenten effizienter und einfacher machen. Procivis spricht von einer «Goldgrube der Möglichkeiten». Verdienen will die Tochtergesellschaft von Orell Füssli an dieser Entwicklung durch Lizenzgebühren, darunter Gebühren für Open-Source-Lizenzen im öffentlichen Bereich, und jährliche Gebühren im privaten Bereich. Erste Pilotprojekte mit der EU‑Kommission, der Stadt Zug und sogar mit US-Behörden gibt es bereits. Der Markt soll gemäss einer Studie bis 2032 um jährlich knapp 20% auf über 150 Mrd. US-Dollar wachsen. So gesehen ist der Anteil, den Orell Füssli mit Procivis anvisiert, nicht unrealistisch.

Für Daniel Link ist klar: «Digitale Wallets werden in Zukunft unser Leben beeinflussen.» Deshalb hat der 2019 zum Traditionsunternehmen gestossene CEO bewusst auf diesen Pfeiler als Wachstumsbooster gesetzt.

Fazit

Die Orell-Füssli-Aktie hat in diesem Jahr um fast 50% zugelegt. Besonders das Wachstum im Banknotendruck und die in diesem Geschäft erzielten Margen beeindrucken. Auch wenn Banknoten in den kommenden Jahren weiterhin benötigt werden, dürfte das Geschäft in naher oder ferner Zukunft, ähnlich wie im Verlagsbereich, schrittweise durch digitale Lösungen ersetzt werden. Daher erscheint es strategisch sinnvoll, die heutige Marktposition in den analogen Märkten zwar zu stärken, aber gleichzeitig ins digitale Business zu investieren. Ob und wie sich die Investitionen in Procivis auszahlen, ist zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer zu beurteilen. Dies insbesondere, da es sich hier um öffentliche Aufträge und letztlich um politische Entscheide handelt. Allerdings verfügt die Orell Füssli Gruppe aufgrund ihrer langjährigen Expertise im Bereich von Sicherheitsdokumenten national und international über einen Vertrauensbonus, der bei Verhandlungen mit diesen Institutionen gegenüber anderen Start-ups von Vorteil sein dürfte.

Der Aktienkurs von Orell Füssli hat seit Jahresbeginn rund 50% zugelegt. Chart: six-group.com

Welchen Ergebnisbeitrag das neue Geschäftsfeld liefern wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Klar ist aber, dass die Orell Füssli Gruppe auch in ihrem angestammten Geschäft weiterhin gutes Geld verdient. Gemäss Dividendenpolitik sollen 60–80% des jährlichen Reingewinns als Dividende ausgeschüttet werden. Bei 4.40 CHF, die für 2024 gezahlt wurden, und einem Kurs von 115 CHF pro Aktie entspricht dies einer Dividendenrendite von 3,8%. Eine Erhöhung ist angesichts der guten Halbjahreszahlen nicht ausgeschlossen. Mit einer Eigenkapitalquote von über 70% und einer hohen Nettoliquidität ist das Unternehmen zudem solide finanziert und lässt weitere Akquisitionen zu.

So gesehen ist die Orell-Füssli-Aktie ein Value-Titel mit attraktiver Dividendenrendite, der bei einem erfolgreichen Markteintritt von Procivis eine interessante Upside bietet. Gelingt dies nicht, ist das Risiko überschaubar. Denn die Kosten für den Kauf des Start-ups wurden mit dem Eigenkapital verrechnet, Investitionen gehen direkt zu Lasten der Erfolgsrechnung. Abschreiber werden das Kerngeschäft daher nicht belasten.

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