Nachdem gestern bekannt wurde, dass die Familie Burkhard-Schenker ihr Aktienpaket am Bauchemiekonzern Sika an die französische Saint-Gobain-Gruppe verkauft hat, fiel der Aktienkurs der an der SIX-kotierten Sika-Inhaberaktien teilweise um über 20%. Die Namenaktien der Sika AG, über welche die Familie mit einem Kapitalanteil von 16.1% einen Stimmenanteil von 52.4% hält, wurden im ausserbörslichen Handel auf der Plattform OTC-X zu 520 und 560 CHF gehandelt. Zwar gingen nur 78 Aktien um. Im Vergleich zu 92 Namenaktien, die im gesamten Jahr 2014 den Besitzer wechselten, ist das Volumen jedoch vergleichsweise hoch.
Denn von den Namenaktien mit einem Nominalwert von 0.10 CHF befinden sich nur sehr wenige Stücke im Free Float. Es ist allerdings davon auszugehen, dass Saint Gobain auch für diese freien Aktien – ebenso wie für die börsenkotierten Inhaberaktien – kein Übernahmeangebot unterbreiten bzw. versuchen wird, noch verbliebene Namenaktien über den Markt zu erwerben. Immerhin hat Saint Gobain 2.75 Mrd. CHF für die 16.1% (oder 1117 CHF pro Namenaktie) bezahlt. Die Prämie, um die Kontrolle über die Firma zu erlangen, beträgt, im Verhältnis zu den aktuellen Börsenkursen, rund 80%. Eine Prämie, von der die übrigen Aktionäre nicht profitieren können. Diese Ungleichbehandlung der Aktionäre zeigt wieder, wie wenig zeitgemäss das heutige Übernahmerecht in der Schweiz ist. Zwar ist es nachvollziehbar, dass familiengeführte Unternehmen mit einer historisch gewachsenen Aktionärsstruktur an der bestehenden Struktur festhalten möchten. Schliesslich führt ein starkes Ankeraktionariat in der Mehrzahl der Fälle auch zu einer Outperformance der Unternehmen. Bei einem Verkauf darf dieser Vorteil aber nicht dazu genutzt werden, für die Stimmrechte einen Aufpreis zu verlangen. Spätestens in diesem Fall müsste die Gleichbehandlung der Aktionäre sichergestellt werden.
Der Fall Sika rückt damit das Thema „One share – One vote“ wieder stärker in die öffentliche Diskussion. Auch wenn die Revision des Aktiengesetzes bisher nicht darauf eingeht, so könnte eine breiter geführte Diskussion eines Tages doch noch die Reform begünstigen. Auch im OTC-Markt gibt es zahlreiche Gesellschaften, welche dieses veraltete Konstrukt noch nutzen, und so eine Aktionärspolitik betreiben, die teilweise zu Lasten der Kleinaktionäre geht. Sicherlich muss man den Stimmrechtsaktionären zugute halten, dass der Anleger in dem Moment, in dem er eine Aktie mit einer für ihn unvorteilhaften Stimmrechtsausstattung kaufte, die Nachteile gekannt haben sollte. Daher werden Aktien einer Kategorie, die ein Stimmrecht beschränken bzw. wie PS ohne ein Stimmrecht ausgestattet sind, in der Regel auch mit einem Abschlag gegenüber vergleichbaren Unternehmen gehandelt. Dieser Marktmechanismus ist bei den Sika-Aktien in den letzten Wochen offenbar ausser Kraft gesetzt worden. Angesichts der guten operativen Entwicklung haben die Investoren diese Risiken offenbar ausgeblendet. Nach dem Verkauf der Namenaktien durch die Familienaktionäre zeigt sich allerdings, dass dieser Optimismus übertrieben war. Der Markt hat entsprechend korrigiert.
Es ist zwar bitter für die Inhaberaktionäre, wahrscheinlich auch ungerecht, und zeugt weder von einem guten Stil noch von einem verantwortungsbewussten Handeln der verkaufenden Familienaktionäre. Doch die rechtliche Situation ist klar: Das Konstrukt der Stimmrechtsaktien ist in der Schweiz erlaubt und wird in naher Zukunft voraussichtlich auch nicht abgeschafft. Wer in der Vergangenheit Sika-Aktien erworben hat, musste sich bewusst sein, dass er nur als Aktionär 2. Klasse im Sika-Zug mitfährt. Mit dem Verkauf ist nun klar geworden, dass die Inhaberaktionäre, die zwar über die Mehrheit am Kapital verfügen, auch in Zukunft wenig zu sagen haben werden. Saint Gobain dürfte als Aktionär mit der Stimmenmehrheit die Zukunft der Gesellschaft bestimmen. Dass ein industrieller Ankeraktionär, der zudem auch in Teilbereichen Mitbewerber ist, andere Interessen als die übrigen Aktionäre und auch die früheren Familienaktionäre verfolgt, erscheint logisch. Angesichts dieser neuen Konstellation ist ein Einstieg in Sika-Aktien – ganz gleich ob Inhaber- oder Namenaktien – mit grossen Unsicherheiten behaftet. Wenn sich ein Investor derzeit mit dem Gedanken trägt, trotz der Abhängigkeit vom Ankeraktionär Saint Gobain in Sika zu investieren, so dürften die ausserbörslich gehandelten Sika-Namenaktien die interessantere Wahl sein. Bei Kursen um die 560 CHF pro Namenaktie erhält der Investor für etwa 3360 CHF sechsmal mehr Stimmen, aber nur einen Sechstel am Kapital. Allerdings muss beachtet werden, dass die Anzahl der gehandelten Sika-Namenaktien nur sehr gering ist. Für grössere Engagements in Sika sind die Titel daher keine echte Alternative. Aufträge müssen zudem unbedingt limitiert werden.