
Jahrzehntelang standen Healthcare-Aktien für stetiges Wachstum und steigende Gewinne. Dabei spielen Forschung und Entwicklung sowie innovative Therapien und Technologien die zentrale Rolle. Viele Innovationsführer und Highflyer sind jedoch im letzten Jahr in schwieriges Fahrwasser gekommen. Novo Nordisk stürzte ab. Über diese Aktie, Merck, Intuitive Surgical und weitere Titel im Bellevue AI Healthcare Fund sprach schweizeraktien.net mit dem Fondsmanager Marcel Fritsch. Weitere Themen sind Bewertungsanpassungen am Aktienmarkt, die Zukunft der Medikamentenpreise in den USA und die Rolle von US-Gesundheitsminister Robert Kennedy Jr.
Herr Fritsch, der AI Health Fonds von Bellevue hatte nach der Lancierung am 30.11.2023 im ersten Jahr eine überzeugende Performance von bis zu 25% erzielt. Die letzten neun Monate brachten aber Korrekturen. Was sind, abgesehen von der Performance einzelner Titel, die wichtigsten Gründe hierfür?
Die relative Underperformance des breiten Gesundheitssektors gegenüber dem globalen Aktienmarkt seit Jahresbeginn ist aus unserer Sicht vor allem zwei Faktoren geschuldet: Zum einen belasten politische Unsicherheiten in den USA die Stimmung, zum anderen hat sich die US-Wirtschaft deutlich besser entwickelt als erwartet, was die Nachfrage nach zyklischen Sektoren stützt. Gleichzeitig bleiben die Fundamentaldaten im Gesundheitssektor unverändert stark. Die jüngste Schwäche hat daher vor allem zu einer relativen Bewertungsanpassung innerhalb des Sektors geführt (she. Grafik).

Quelle: Bloomberg, Bellevue Asset Management AG
Wir gehen davon aus, dass sich diese Unsicherheit im Zuge der Umsetzung neuer Regulierungen schrittweise abschwächen wird. Mit dem Abklingen des negativen Investorensentiments dürften Innovation, technologische Fortschritte und M&A-Aktivitäten wieder stärker in den Vordergrund rücken.
Der Pharma- und der Biotech-Sektor wurden von Investoren eher gemieden. Die Branchenindizes liegen deutlich tiefer, wobei sich die Biotech-Indizes zuletzt wieder verbesserten, Big Pharma aber noch nicht. Was sind Ihres Erachtens die Hintergründe dieser divergierenden Entwicklung?
Die schwächere Nachfrage nach Aktien grosskapitalisierter Pharma- und Biotechnologieunternehmen ist vor allem auf die von US-Präsident Trump geplante Reform der Medikamentenpreise nach dem Meistbegünstigungsprinzip («Most Favored Nation», MFN) zurückzuführen. Im Rahmen dieses potenziellen Modells wurden mehrere grosse Unternehmen aufgefordert, ihre Preise binnen 60 Tagen zu senken. Da die Umsetzung wahrscheinlich die Zustimmung des US-Kongresses erfordert, halten wir die Einführung für eher unwahrscheinlich.
Inwieweit sind die Zollängste seit Jahresbeginn für die Zurückhaltung der Investoren verantwortlich?
Die neuen Zölle haben insbesondere nach ihrer Ankündigung durch die US-Regierung am Liberation Day im vergangenen April für Verunsicherung gesorgt. Zwar sind Pharma- und Biotechunternehmen derzeit noch ausgenommen, wir erwarten jedoch langfristig keinen signifikanten negativen Einfluss auf deren Gewinne. Andere Gesundheitsbranchen wie die Medizintechnik sind bereits betroffen und verlagern ihre Produktion schneller als erwartet in Länder, die aus Zollsicht optimal sind. Wir gehen davon aus, dass Biopharmaunternehmen diesem Beispiel folgen werden.
Und welche Rolle spielen die Verunsicherungen durch die unkonventionellen Entscheidungen von Gesundheitsminister Robert Kennedy Jr.?
Wir gehen davon aus, dass der Einfluss von Robert F. Kennedy Jr. seit seiner Nominierung eher abgenommen hat. Zum einen ist seine Zustimmungsrate unter Republikanern rückläufig, zum anderen wächst der Widerstand aus der Wissenschaft.
«Wir gehen davon aus, dass der Einfluss von Robert F. Kennedy Jr. seit seiner Nominierung eher abgenommen hat»
Welche Effekte und Herausforderungen sehen Sie, die aus der Kürzung von staatlichen Budgets in der medizinischen Forschung und dem Personalabbau in zahlreichen Gesundheitsbehörden wie FDA und CDC erwachsen?
Das Budget des National Institutes of Health (NIH), das überwiegend für medizinische Forschung eingesetzt wird, beträgt 2025 rund 48 Mrd. USD. Präsident Trump hat für 2026 eine Kürzung um 40% vorgeschlagen. Während der Senat eine leichte Erhöhung anstrebt, möchte das Repräsentantenhaus das Budget auf dem Niveau von 2025 halten. Wir halten eine Reduktion um 10% für realistisch, die unserer Einschätzung nach gut verkraftbar wäre.
Trotz kleinerer Personalkürzungen konnten wir keine Zulassungsverzögerungen bei der FDA feststellen.
Eine Ihrer grössten Positionen war und ist UnitedHealth Group. Der Kurs hat sich gegenüber dem Hoch mehr als halbiert, nachdem erst der CEO Opfer eines Attentats wurde und dann die Trump Administration betrügerische Abrechnungspraktiken unterstellte. Jetzt finden Ermittlungen der Justizbehörde statt. Wie schätzen Sie die Situation ein, und warum haben Sie die Aktie des schlechtesten Performers im Dow-Jones Index im ersten Halbjahr 2025 behalten?
Der Aktienkurs von UnitedHealth hat sich aus unserer Sicht aus keinem der von Ihnen genannten Gründe halbiert. Die schwache Kursentwicklung ist massgeblich auf den stark gestiegenen, vom früheren Management unter Sir Andrew Witty jedoch unzureichend antizipierten Trend steigender Behandlungskosten zurückzuführen.
Besonders deutlich zeigt sich dieser Trend im Bereich der Medicare-Advantage-Krankenversicherungen für Senioren. Unserer Ansicht nach ist das Älterwerden der Babyboomer-Generation in die Altersgruppe von 70 bis 75 Jahren ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung. Diese Kostensteigerung hat zudem das Geschäft von OptumHealth belastet. In diesem Bereich übernimmt OptumHealth die Gesundheitsversorgung einer definierten Patientengruppe zu einem Fixpreis. Dieser wurde jedoch zu tief angesetzt, was die Margen drückt.

Den höheren Kostentrend beobachten wir auch im Medicaid-Segment für Geringverdienende. Hier hat sich das Risikoprofil der Versicherten nach der Coronapandemie verschlechtert, da viele gesündere Versicherte wieder eine Arbeitsstelle gefunden haben und damit aus dem System ausgeschieden sind.
Der neue CEO von UnitedHealth, Steve Hemsley, der das Unternehmen bereits zwischen 2006 und 2017 sehr erfolgreich geführt hat, hat im Rahmen der Zweit-Quartalsberichterstattung die Investorenerwartungen deutlich angepasst. UnitedHealth wird seine Medicare-Advantage-Prämien per 1. Januar 2026 erhöhen, was im Jahr 2026 zu steigenden Margen führen dürfte. Bei Medicaid erfolgt eine Anpassung mit zeitlicher Verzögerung; üblicherweise dauert dieser Prozess neun bis zwölf Monate.
Während sich Ihre grösste Position Eli Lilly auf erhöhtem Kursniveau hält und Abbott Labs sogar zulegt, hat Merck substanziell verloren. Was ist der Grund?
Merck erlebt in China einen drastischen Einbruch beim Absatz seines HPV-Impfstoffs Gardasil. HPV (Humane Papillomaviren) sind weit verbreitete Erreger, die unter anderem Gebärmutterhalskrebs verursachen können. Grund für den Einbruch sind deutlich günstigere einheimische Konkurrenzprodukte, schwache Konsumausgaben sowie eine Anti-Korruptionskampagne im Gesundheitswesen.
Besonders stark ist auch Novo Nordisk eingebrochen, um mehr als die Hälfte. Die Aktie findet sich nicht mehr unter Ihren Top 10 Positionen. Wie sind Sie verfahren? Was ist Ihr Ausblick für die Aktie?
Novo Nordisk hat in den vergangenen zwölf Monaten mehrere Rückschläge erlitten. Im Dezember 2024 konnte der dänische Konzern die hohen Erwartungen der Anleger an die Wirksamkeit seines Adipositas-Medikaments der nächsten Generation, CagriSema, nicht erfüllen. Die Investoren hatten einen durchschnittlichen Gewichtsverlust von mehr als 25% erwartet, doch CagriSema erreichte lediglich 22.7%.

Im Juli 2025 folgte eine weitere Enttäuschung: Novo Nordisk gab eine Gewinnwarnung ab und senkte seine Prognose für 2025 auf ein Umsatzwachstum von 8 bis 14% (zuvor 13 bis 21%) sowie ein operatives Gewinnwachstum von 10 bis 16% (zuvor 16 bis 24%). Hauptgrund waren die schwächer als erwartete Entwicklung von Wegovy und Ozempic in den USA. In diesem Umfeld hat Novo Nordisk mit diesen Medikamenten Marktanteile an Eli Lilly verloren.
«Dank der tiefen Bewertung und des nach wie vor hohen Wachstums hat NOVA NORDISK für uns jedoch an Attraktivität gewonneN»
Dank der tiefen Bewertung und des nach wie vor hohen Wachstums hat die Aktie für uns jedoch an Attraktivität gewonnen.
Intuitive Surgical ist ein Innovationsführer im Bereich Operationen und Chirurgie. Sie hatten beim letzten Interview auf da Vinci 5 als Wachstumstreiber hingewiesen. Jetzt ist von Schwierigkeiten bei der Product Transition und Margenschwäche die Rede? Wie sieht Ihre Evaluierung aus?
Im zweiten Quartal verkaufte Intuitive Surgical insgesamt etwas weniger Operationsroboter als erwartet. Die Verkäufe des neuesten Chirurgieroboters, da Vinci 5, übertrafen jedoch die Erwartungen der Anleger – ein Aspekt von grosser Bedeutung für die zukünftige Entwicklung. Wir schätzen, dass das Unternehmen im Jahr 2025 eine adjustierte EBITDA-Marge von über 40% erzielen wird.
Für die kommenden Jahre sehen wir weiteres Potenzial: Ältere da Vinci XI-Systeme können mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand erworben, generalüberholt und anschliessend mit hohen Margen in preissensitivere Märkte verkauft werden.
Am Markt scheint es derzeit zwei unterschiedliche Einschätzungen zum Tempo der Kommerzialisierung der KI zu geben. Die eine sieht unverändert zu den letzten Jahren ein rasches Vordringen der KI in nahezu allen Industrien und exorbitante Wachstumsraten, wie sie von der Kursentwicklung beispielsweise von Nvidia abgebildet wird. Die andere besteht darin, dass die Kurse zu viel vorwegnehmen und tatsächlich das Investitionstempo durch die Unsicherheiten der Zollpolitik, der Kriege und der geopolitischen Spannungen abgebremst ist, wie es die Kurskorrektur von ASML nahelegt. Wie lautet Ihre Einordnung?
Einerseits fliessen enorme Mittel in KI-Infrastruktur, und die Investitionen der grossen Technologiekonzerne treiben das Wirtschaftswachstum sichtbar an. Andererseits bremsen geopolitische Spannungen, Exportrestriktionen und makroökonomische Unsicherheiten in Teilen der Halbleiter-Lieferkette wie bei ASML und Nvidia (z.B. nach China) die Expansion. Der strukturelle Trend zur Kommerzialisierung von KI bleibt aus unserer Sicht ungebrochen, wird kurzfristig jedoch durch politische und wirtschaftliche Risiken gedämpft. Mittel- und Langfristig dürfte der Transformationsdruck in nahezu allen Branchen den Investitionspfad wieder beschleunigen.
Besten Dank, Herr Fritsch, für die erhellenden Antworten.