Remo Rosenau und Manuel Peter, Helvetische Bank: «Wir bleiben für Aktien grundsätzlich positiv eingestellt»

Wo die Research-Profis im derzeitgen Umfeld Anlageopportunitäten sehen

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Die Helvetische Bank AG mit Sitz in Zürich wurde im Dezember 2010 gegründet und am 1. März 2011 operativ. Die Bank ist politisch und wirtschaftlich unabhängig. Ihr Angebot umfasst Dienstleistungen in den Bereichen Private Banking und Vermögensverwaltung sowie Structured Products, Corporate Finance und Research. Backoffice und IT-Services sind «in-house» und nicht ausgelagert. Die Helvetische Bank richtet sich in erster Linie an aktive und ehemalige Unternehmer sowie an qualifizierte Privatanleger.

Die Helvetische Bank weist eine Bilanzsumme von rund 800 Mio. CHF aus und betreut rund 3.6 Mrd. CHF an Kundenvermögen. Sie weist ein Musterportfolio von 12-15 grösser kapitalisierten Werte auf («Swiss Equity Investment Propositions»), das jederzeit Änderungen erfahren kann, und veröffentlicht zusätzlich auch zwei Mal im Jahr eine überarbeitete Empfehlungsliste von 12 Small & Mid Caps.

Im Interview erläutern Remo Rosenau und Manuel Peter unter anderem, warum sie direkte Schäden im Börsenumfeld durch die US-Zölle für eher überschaubar halten, warum sie die Aktien von Cembra Money Bank denen von Swissquote vorziehen und warum ihnen Interroll gefällt.

Manuel Peter ist seit 2020 Research Analyst bei der Helvetischen Bank, davor war er während rund zwei Jahren als Analyst auf der Sell-Side für die Firma Research Partners tätig. Remo Rosenau ist seit dem Start der Helvetischen Bank im Jahr 2011 dessen Head of Research. Davor arbeitete er während 18 Jahren auch in leitenden Funktionen als Sell-Side Analyst für die UBS, die Deutsche Bank, die Bank Vontobel und die MainFirst Bank. Bild: schweizeraktien.net

Herr Rosenau, Herr Peter, es gibt ja das geflügelte Wort, dass politische Börsen kurze Beine haben. Nach der Zollankündigung von 39% für Schweizer Exporte in die USA ist es nicht zum befürchteten Einbruch gekommen, im Gegenteil, die Kurse haben noch etwas angezogen. Nehmen die Börsen die US-Administration nicht mehr ernst (Stichwort «Taco»), nachdem sie bei der ersten Zoll-Ankündigung noch stark eingebrochen sind?

Remo Rosenau: Das stimmt sicher zum Teil. Man kann auf Deutsch auch sagen: «Die Suppe wird nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht wird.» Die meisten Marktteilnehmer gehen wohl davon aus, dass es in absehbarer Zeit zu einem neuen, besseren «Deal» kommen wird.

Zum anderen muss man aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die grösseren, börsenkotierten Gesellschaften ja auch nur am Rande betroffen sind, da sie mehrheitlich auch in den USA produzieren. Für kleinere KMUs, vor allem auch Maschinenproduzenten (z.B. Bobst), bei Präzisionsinstrumenten und Komponenten hat es hingegen schon grosse Konsequenzen, die sie tatsächlich von der Schweiz und/oder Europa her in die USA exportieren. Oft betrifft dies aber kleinere börsenkotierte und noch öfter nicht börsenkotierte Firmen. Das sind dann die Unternehmen die im Verband «Swissmem» zusammengefasst sind und rund 300’000 Mitarbeitende beschäftigen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Gefahren, die durch die erratische Zollpolitik der USA den Schweizer Unternehmen drohen?

Remo Rosenau: Aus dem oben Gesagten würden wir schliessen, dass der direkte Schaden im «börsenkotierten Universum» eher überschaubar ist. Die Schweizer Börse repräsentiert eben die Weltwirtschaft und ist kein Spiegelbild der Schweizer Volkswirtschaft.

«Eine grössere Gefahr droht aus der generellen Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung»

Eine grössere Gefahr droht hingegen aus der generellen Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung, was die Endkunden zurückhaltend agieren lässt. Das heisst, die US-Nachfrage kommt in einigen Branchen generell zurück, weil die Kunden abwarten, um zu sehen, wie sich die Situation weiter entwickelt. So werden Aufträge eben vorerst einmal aufgeschoben. Das trifft dann eben alle Unternehmen, die in den USA Geschäfte machen, auch diejenigen, die vor Ort produzieren. Das sind dann die sogenannten indirekten Effekte der ganzen Zollproblematik.

Völlig unklar ist immer noch die Frage, wie in Zukunft mit Pharma-Exporten in die USA umgegangen wird. Was könnte da auf uns noch zukommen?

Remo Rosenau: Ja, die Pharmaprodukte sind derzeit nicht von Zöllen betroffen, es wird von den USA aber weiter untersucht, und es stehen Tarifandrohungen im Raum, mit einem schrittweisen Anstieg der Zölle von zunächst 25% auf später bis zu 150% und langfristig bis zu 250%.

Sollte Pharma unter die 39%-Zölle fallen, könnte der BIP-Verlust für die Schweiz über 1% betragen – allein durch die Pharmasparte, während das KOF bei den aktuell beschlossenen Zöllen nur von einem negativen BIP-Einfluss von -0.3% bis -0.6% ausgeht. Präsident Trump erwartet politische Zugeständnisse. Es wird Druck auf die Pharmaindustrie ausgeübt, US-Preise zu senken, wobei die hohen Preise aber auch auf das komplexe Krankenversicherungssystem in den USA zurückzuführen sind. Es ist eine komplexe Ausgangslage, und Prognosen über deren Ausgang zu machen, ist sehr schwer.

Rund zweimal im Jahr aktualisieren Sie Ihre Empfehlungsliste der Mid- und Small Caps, welche 12 Aktien enthält. Im März 2025 haben Sie Swissquote durch die R&S Group ersetzt. Das war die einzige Änderung gegenüber Herbst 2024. Weiter halten Sie an Ihrer Empfehlung für die Cembra Money Bank fest. Was veranlasste Sie, Swissquote auf «sell» zu setzen und Cembra auf «buy»?

Manuel Peter: Wenn wir eine Aktie von unserer Favoritenliste bei den Schweizer Small- und Midcaps nehmen, dann ist das keine «Sell»-Empfehlung. Sie gehört dann einfach nicht mehr zu den engsten Favoriten. Wir geben generell keine «Buy»- und «Sell»-Empfehlungen ab, denn wir betreiben keine Brokerage.

Die Swissquote-Aktie nahmen wir im Februar 2022 in unsere Favoriten im Schweizer Small- und Midcap-Bereich auf, damals bei Kursen um die 160 CHF. Kaum ein Analyst hat die Aktie damals abgedeckt, und die Bewertung war weniger als die Hälfte der heutige Bewertung. Nach einer sehr erfolgreichen Phase mit stark steigenden Gewinnen und Kursen ist die Aktie heute bei vielen Investoren beliebt und bei einem P/E 2025e von 25x auch nicht mehr zu günstig bewertet. Wir mögen das Geschäftsmodell und schätzen die diversifizierten Ertragsquellen sowie die Innovationskraft von Swissquote, aber die heutige Bewertung nimmt viel Positives vorweg.

«Cembra liefert verlässliche Dividenden und arbeitet stark an der Kostenbasis»

Bei Cembra ist das anders. Es gibt wenig «Fans», aber die Firma liefert trotzdem verlässliche Dividenden und arbeitet stark an der Kostenbasis. Wir rechnen mit einem zweistelligen Gewinnwachstum im 2025 und 2026, was in einem generell nicht sehr zyklischen und inlandorientierten Geschäft in unseren Augen attraktiv ist. Auch ist die Bewertung bei Cembra mit einem P/E 2025e von 15x noch viel günstiger als bei Swissquote.

Der Schweizer Tiefkühl- und Convenience-Backwaren-Konzern Aryzta hat mit fast 20% YTD eine überaus überzeugende Performance hingelegt und gehört damit zu einer der best performenden Aktien Ihrer Empfehlungen. Warum macht ein Investment in Aryzta Sinn?

Manuel Peter: Sowohl das operative Geschäft als auch die Bilanz sind bei Aryzta heute in einem deutlich besseren Zustand als noch vor 5 Jahren. Strategisch will das Unternehmen künftig primär organisch – und vor allem wertgenerierend – wachsen, während das Geschäftsmodell früher rein akquisitionsgetrieben war. Durch diese Akquisitionen wurden in der Vergangenheit viele Aktionärs- wie auch Stakeholderwerte vernichtet. Dieses Kapitel gehört nun aber der Vergangenheit an, und in den vergangenen drei Geschäftsjahren konnte Aryzta mit einem zweistelligen ROIC (FY 2024: 13,4%) wieder positive Aktionärswerte generieren (ROIC > WACC).

Zudem stellt Aryzta als Hersteller Nummer eins für Grundnahrungsmittel zu einem guten Teil auch sogenannte «inferiore Güter» her, die kaum abhängig von den Zyklen der Weltwirtschaft sind, weil die Nachfrage nach diesen Gütern bei abnehmenden verfügbaren Einkommen steigt, während teure Nahrungsmittel in Krisen stark leiden. Damit ist Aryzta eher defensiv aufgestellt. Mit der Ausrichtung auf Europa und Asien ist Aryzta zudem auch nicht von den Zöllen betroffen.

Am südlichen Ende der Performances Ihrer Empfehlungen im März stand Dottikon mit -11%. Mittlerweile hat sich der Kurs stark erholt und liegt bei 35% YTD im Plus. Was macht das Unternehmen besser als z.B. Bachem, ein Unternehmen, das lange der Liebling der Anleger war?

Manuel Peter: Dottikon und Bachem haben unterschiedliche Fokusbereiche. Man kann sie gar nicht wirklich vergleichen. Dottikon ES konzentriert sich als CDMO auf den Bereich «Small Molecules» bzw. kleine Moleküle, während Bachem auf den Bereich «Biologics» spezialisiert ist. Neben der kleineren Grösse und des geringeren Gewichts von kleinen Molekülen liegt der Hauptunterschied zwischen diesen beiden therapeutischen Modalitäten darin, dass kleine Moleküle chemisch gewonnen werden, während Biologics aus lebenden Organismen extrahiert werden.

«Das Unternehmen verfolgt eine Ein-Standort-Strategie mit seinem Produktionsstandort in Dottikon, was kurze Kommunikations- und Entscheidungswege erlaubt»

Das beinhaltet komplett andere Produktionsmethoden, und auch die Kunden sind andere. Dottikon ist dabei, als ehemaliger Sprengstoffspezialist, heute noch spezialisiert auf sicherheitskritische Reaktionen. Das Unternehmen verfolgt zudem auch eine Ein-Standort-Strategie mit seinem Produktionsstandort in Dottikon, was kurze Kommunikations- und Entscheidungswege erlaubt. Gemeinsam haben die Unternehmen, dass beide aktuell ihre Produktionskapazitäten massiv ausbauen, weil bei beiden die Nachfrage stark anzieht. Dies sollte bei beiden in den kommenden Jahren steigende Umsätze und Gewinne erwarten lassen.

Wie hoch sehen Sie die Gefahr, dass Zulieferer der Pharmaindustrie wie Dottikon, Bachem oder Polypeptide in den Sog möglicher Massnahmen aus den USA geraten könnten?

Manuel Peter: Dieses Risiko halten wir für überschaubar. Es mangelt allgemein an hochqualitativen Produktionskapazitäten, und deren Aufbau ist hochkomplex und nimmt mehrere Jahre und viel Geld in Anspruch.

Welche Ihrer weiteren Empfehlungen möchten Sie besonders herausstreichen?

Manuel Peter: Neben den bereits erwähnten Aktien empfehlen wir seit einigen Jahren mit Mikron auch einen «Hidden Champion» im Small-Cap-Segment. Zuletzt war die Gesellschaft auch Gast beim gemeinsam mit «schweizeraktien.net» veranstalteten «Branchentalk Industrie“» und konnte sich somit einem breiteren Publikum präsentieren. Wir halten die Aktien für unterbewertet und glauben weiterhin an ihr mittelfristiges Potenzial. Aufgrund der tiefen Liquidität und des geringen Free-Floats sollten Investitionen aber nur mit einem Anlagehorizont von mehreren Jahren getätigt werden.

«Wir halten die Aktien von Mikron für unterbewertet und glauben an ein mittelfristiges Potential»

Remo Rosenau: Dann gefällt uns auch Interroll. Die Aktie musste in den letzten Jahren durch das Tal der Tränen. Nun wurde der CEO im März 2025 aber ausgewechselt, und der VRP – und Übervater – Paul Zumbühl hat klargemacht, dass nun «Execution» wieder vor «Strategie» kommen muss, um auf den alten Wachstumspfad zurückzukehren, was das erklärte Ziel ist. Der neue CEO, Markus Asch, macht uns einen guten Eindruck und hat in unseren Augen das Zeug dazu. Zudem gab es im 1. Halbjahr 2025 erste Signale, dass die Aufträge aus dem wichtigen E-Commerce-Bereich (30-40% des Umsatzes) erstmals seit 2021 wieder deutlich anziehen.

Neben Aktien: Empfehlen Sie Ihren Kunden auch Commodities oder Kryptowährungen zur Beimischung in deren Portfolios?

Remo Rosenau: Wir sind bei der Helvetischen Bank für das Aktien- und Bond-Research zuständig. Aber auch als Bank fokussieren wir uns im Anlageuniversum vor allem auf Aktien und auf Anleihen. Wir sehen uns nicht als ausgewiesene Commodity-Spezialisten, ausser sie zählen Gold dazu.

Wir führen als Bank schon seit 2011 eine erhebliche Gold-Position in unserem Eigenkapital, die sich seitdem sehr gut entwickelt hat. In Zeiten des stetigen Kaufkraftverlustes der klassischen Währungen, durch die weiterhin rasant steigenden Staatsverschuldungen, ist Gold ein Sachwert, der seine Kaufkraft behält, wie auch Aktien. Zudem reagiert Gold in Krisen als «sicherer Hafen». Es ist damit auch eine Art Versicherung für ernste Systemkrisen. Deshalb empfehlen wir Anlegern, generell eine physische Goldposition von mindesten 5% des Gesamtvermögens zu halten.

Bei Kryptowährungen sind wir zurückhaltend. Wir sehen diese nicht als wirkliche Anlageklasse an und empfehlen diese nicht aktiv. Auch hier sind wir keine ausgewiesenen Spezialisten. Zudem dürfte dieser Sektor früher oder später auch noch strikter reguliert werden. Wie sich dies auswirken könnte, ist schwer abzuschätzen.

Wie sehen Sie den weiteren Verlauf des Börsenjahres 2025?

Remo Rosenau: Die Risiken sind für alle sichtbar und hinlänglich bekannt. Zölle, drohende Konsumschwäche, Deglobalisierung, geopolitische Spannungen etc. Auf der anderen Seite sind aber auch ein paar positiv wirkende fundamentale Treiber für die Aktienbörsen auszumachen. Die Staatsverschuldung in den USA wird in 2025 um nochmals rund 1.9 USD Billionen ansteigen, in Deutschland sind rund 500 Mrd. EUR für Infrastrukturinvestitionen aus dem «Sondervermögen» geplant und weitere erhebliche Ausgaben für die Rüstung.

Dasselbe gilt auch für die EU. Der Anstieg der Staatsverschuldungen geht also links und rechts – zum Teil sogar noch heftiger – weiter. Langfristig, also auf 10 bis 30 Jahre gesehen, kann das natürlich nicht ewig so weitergehen. Aber kurzfristig sind das zusätzliche Gelder, die auf die eine oder andere Art in den Wirtschaftskreislauf kommen, vor allem bei Infrastrukturausgaben. Die Kaufkraft pro Einheit Geld nimmt mit diesen Zusatzschulden zwar stetig ab, aber Sachwerte behalten ihre Kaufkraft, wie eben Aktien.

Dazu kommt, dass die Zinsen in Europa und der Schweiz schon gesunken sind und wohl noch weiter sinken werden. In den USA besteht ebenfalls ein grosser politischer Druck, die Zinsen zu senken, ob sinnvoll oder nicht. Mehr Geld im System kombiniert mit tendenziell sinkenden Zinsen wirkt für die Aktienbörsen positiv. Kurzfristige Korrekturen sind dabei aber immer möglich, wie wir im April gesehen haben. Aber am Ende des Tages führt langfristig nichts an Aktien vorbei. Wir bleiben für Aktien daher grundsätzlich positiv eingestellt.

Herr Rosenau, Herr Peter, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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