
In Europa sehen Ökonomen den Zinssenkungszyklus wegen der hartnäckign Inflation mehr oder weniger als beendet an. In den USA dagegen hat die Fed nun erstmals die Leitzinsen wieder gesenkt. Dies wird am Markt als Startschuss für weitere Zinssenkungsschritte gesehen, was den Aktienmarkt beflügeln sollte. Besonders gelitten in der Korrekturphase des letzten Jahres haben die Luxusgüter-Titel, die nun zu einer Aufholjagd ansetzen.
Zinssenkungsrunden stimulieren die Aktienbörse mehr als alles andere. Zumindest in der Konsequenz. Das sagen jedenfalls die historischen Muster. Nach dem ersten Zinssenkungsschritt steigt der S&P 500 Index im Durchschnitt nach einem Jahr um 4,9%. Die Auswertung umfasst 13 Zinssenkungsrunden zwischen 1973 und 2019. Nur in vier Fällen zeigt der Aktienindex eine negative Performance. Auf Sicht von sechs Monaten liegt der durchschnittliche Anstieg bei 4,4%, während die 3-Monatsperformance bei negativen 1,1% liegt. In der 3-Monatsbetrachtung fielen die Kurse in sieben der 13 Zyklen. Das zeigt, dass jeder Fall anders ist und auch von anderen Variablen wie Wahlen, Steuern und Arbeitslosigkeit beeinflusst wird. Und natürlich spielt eine Rolle, wie viele Zinsschritte in welchem Tempo folgen und ob die Markterwartungen enttäuscht, erfüllt oder sogar übererfüllt werden.

Die erste Zinssenkung der Fed inspiriert
Die aktuelle Situation ist geprägt von den ständigen Forderungen des US-Präsidenten nach tieferen Leitzinsen. Er sparte sogar persönliche Beleidigungen und Kündigungsandrohungen nicht aus, um seinen Wünschen Nachdruck zu verleihen. Erste Fed-Mitglieder wurden von Trump ernannt, ein Mitglied unautorisiert gekündigt. Dennoch behielt Fed-Chef Powell die Ruhe. Alle stimmberechtigten Mitglieder des Federal Open Market Committee ausser einem stimmten nun bei der Septembersitzung für den Schritt, da, wie es in den Fed-Minutes zur Sitzung des Kommittees heisst, das Wachstum im ersten Halbjahr schwächer wurde, das Beschäftigungswachstum rückläufig ist und die Arbeitslosenrate steigt. Allerdings sei die Inflation gestiegen und verbleibe auf einem erhöhten Niveau.
Wo investieren trotz hoher Bewertungen?
Die Marktteilnehmer haben sich schon seit geraumer Zeit auf Zinssenkungen der Fed eingestellt und auch entsprechend positioniert. Da weitere Schritte fest erwartet werden, dürfte das Zinssignal der Fed als Beginn eines Zyklus interpretiert werden, was Grund genug ist, weiterhin auf Aktien zu setzen. Viele Titel sind jedoch fair bewertet oder überbewertet. Die aktuelle zyklisch adjustierte Shiller PE-Ratio für den S&P 500 beträgt 39.67. Das ist der zweithöchste je erzielte Wert, nach 44.19 Ende 1999.

Europäische Mega-Caps im Visier
Eine Gruppe von Mega-Caps ist jedoch bisher von der Hausse ausgeklammert geblieben. Es sind die international aktiven europäischen Mega-Caps, die zuvor in luftige Höhen vorgestossen waren, jedoch in den letzten ein oder zwei Jahren unter die Räder gekommen sind. Novo Nordisk und ASML sind zwei prominente Beispiele, die gerade durch Käufe internationaler Anlageinstitutionen kraftvolle Erholungen vollziehen.

Nachzügler LVMH
Noch ganz am Anfang der Erholung steht die Aktie des weltweit führenden Luxusgüterkonzerns LVMH sowie auch der gesamten Branche. Dabei hat sich im Verlauf der Korrekturbewegung innerhalb der Branche ein differenziertes Bild ergeben. Aushängeschild ist und bleibt LVMH. Nach dem Höhenflug an der Börse folgte ab März 2024 ein beschleunigter Abverkauf, der den Aktienkurs bis Juni 2025 mehr als halbierte. Zwischenzeitlich hat sich der Kurs um rund 15% verbessert, doch bis zum historischen Hoch ist es noch ein weiter Weg.

Resilient am High-End
Die beiden High-End-Vertreter Hermès und Richemont korrigierten zwar auch, jedoch weit weniger ausgeprägt als die anderen Branchenvertreter. Beide Aktien liegen nur rund 20% unter ihren Hochs. Dies ist auf die höhere und stabilere Qualität der Gewinnentwicklung zurückzuführen. Während der vergangenen Quartale hat sich die Divergenz bei der Kursentwicklung nicht nur bei LVMH, sondern auch bei Kering in den veröffentlichten Zahlen deutlich widergespiegelt.
Der Armani-Effekt
Dennoch ist spürbar, dass in der Glamour-Industrie etwas in der Luft liegt. Der Tod von Giorgio Armani war ein Schock, und doch angesichts des fortgeschrittenen Alters von 91 Jahren nicht unerwartet. Seine testamentarische Verfügung ist jedoch ein potenzieller Game-Changer. Nach Armanis letztem Willen soll sein Unternehmensimperium mit über 600 eigenen Boutiquen in bester Lage, Fabriken und Hotels nun entweder verkauft oder an die Börse gebracht werden. Beides hatte er zu Lebzeiten ausgeschlossen und Übernahmeofferten abgelehnt. Ein Besitzerwechsel bei einem der Top-Modehäuser kann durchaus ein Impulsgeber für eine neue Konsolidierungswelle in der Branche werden.
Die Armani-Wunschliste
An die Giorgio Armani Stiftung fallen 70% der Anteile. Wenn es kein IPO wird, soll die durch das Erbe begünstigte Stiftung innerhalb der nächsten 12 bis 18 Monate 15% der Unternehmensanteile an eine Industrie-Adresse verkaufen, die danach weitere 30% bis 54,9% erwerben kann. Die Stiftung soll langfristig mit 30% beteiligt bleiben. Armani nennt im Testament Namen, die ihm geeignet scheinen. LVMH, L´Oréal und Essilor Luxottica fühlen sich jeweils geehrt und sind «stolz über die Wertschätzung», wie es Essilor-Luxottica kommentierte. Ebenfalls als passende Käufer genannt werden Fendi sowie Celine und Christian Dior aus dem LVMH-Beteiligungsumfeld.
Branchenkonsolidierung und Börse
Um das Mailänder Modehaus Moncler ranken sich schon länger Übernahmegerüchte. LVMH ist seit 2024 indirekt beteiligt und kann die Beteiligung im Rahmen einer längerfristigen Kooperationsvereinbarung weiter erhöhen. Insofern zeichnen sich möglicherweise weitreichende Veränderungen in der Unternehmenslandschaft ab. Bei Nestlé beispielsweise liegt ein 20%-Aktienpaket an L´Oréal, dessen Sinnhaftigkeit derzeit wieder einmal hinterfragt wird und das durchaus zur Disposition steht – eine Akquisitionswährung für L´Oréal selbst oder eine Opportunität für einen anderen strategischen Investor? Die L´Oréal-Aktie liegt weit unter ihren Höchstständen. Und ebenso ist es bei Prada und anderen Branchenvertretern aus der zweiten Reihe. Manche haben bekanntermassen Probleme wie Burberry und Kering. Seit jedoch bei Kering ein neuer CEO an Bord ist, scheint sich das Blatt an der Börse erstmal gewendet zu haben. Die Aktie hat, von tiefem Niveau aus, eine kräftige Trendwende vollzogen.
Richemont und Swatch
Der Blick auf die börsenkotierten Schweizer Luxusgüter-Aktien fällt, wie schon die letzten Jahre, zweigeteilt aus. Richemont spielt mit Marken wie Cartier in der Oberliga, wo die Käufer bei ihren Ausgaben wenig preissensitiv sind. Ein aktuelles Beispiel liefert die Verlobung des globalen Musik-Stars Taylor Swift. Auf dem Instagram-Post trug sie eine Cartier-Uhr mit Namen Santos Demoiselle. Das Modell ist längst aus dem Sortiment und erzielt nun auf Auktionsplattformen Traumpreise, wobei der Boom inzwischen auch andere Cartier-Modelle zu erfassen scheint. Trotz der Zölle kommt Richemont gut durch die Nachfrageschwäche, die in manchen Segmenten der Luxusgüterindustrie herrscht. Das gilt jedoch nicht für Swatch. Eigentlich ist nur noch die Marke Omega im Luxus-Segment am Markt sichtbar. Die weiteren High-End-Marken wie Blancpain sind nach Ansicht von Analysten kaum noch in den Statistiken vertreten. Die USA sind für Swatch ein wichtiger Absatzmarkt, der in absehbarer Zeit wohl nicht einfacher werden dürfte.
Fazit
Die Luxusgüterindustrie hat das Tal der schwächeren Nachfrage noch nicht hinter sich gelassen, doch die Börse als Antizipationsmechanismus erzählt die Geschichte richtig. Am High-End wie bei Hermès und Richemont hat die Rezession kaum Schaden angerichtet, was zeigt, dass die Nachfrage im höchsten Preissegment fast losgelöst vom Marktgeschehen bleibt. Insofern sind Kurse, die rund 20% unter den Hochs liegen, durchaus attraktiv. Mehr Potenzial können abgestürzte Titel wie Kering bieten, insbesondere, wenn der neue CEO weiterhin Glück hat. LVMH bewegt sich dazwischen und dürfte schon aufgrund der hohen Marktkapitalisierung an der Börse weiterhin die repräsentative und richtungsweisende Aktie sein. Die nächsten 18 Monate werden auf jeden Fall spannend sein, bis klar geworden ist, wer von den illustren Armani-Wunschpartnern sein Imperium übernimmt, oder ob es doch einen Glamour-Börsengang geben wird.