Swiss Economic Forum: Ein Plädoyer für Europa und die Schweiz

1700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Schweizer Wirtschaftstreffen

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Am Swiss Economic Forum in Interlaken traf sich zum 27. Mal die Schweizer Wirtschaftselite, Politiker und einflussreiche Lobbyisten. Keine Frage: Bei dem Wirtschaftreffen ging es nicht nur um Inhalte, sondern auch – oder vor allem – darum, Kontakte zu pflegen, neue Kontakte zu knüpfen und das eine oder andere Geschäft einzufädeln. Dies vor allem während der Pausen und am Networkingabend, der in diesem Jahr dank günstiger Witterung unter freiem Himmel im Garten des Kursaal Interlaken stattfand.

Netzwerken in entspannter Atmosphäre: am Swiss Economic Forum 2025 im Park des Kursaal Interlaken. Bild: © NZZ Connect

Doch das Rahmenprogramm mit bekannten nationalen Wirtschaftsgrössen wie Sulzer-CEO Suzanne Thoma oder renommierten Wirtschaftswissenschaftlern wie Joseph Stiglitz lieferte nicht nur Brainfood und Inspiration, sondern den rund 1700 Teilnehmenden auch Gesprächsstoff für die Pausen. Allgegenwärtig war die grosse Unsicherheit in der Welt und die Frage nach den Auswirkungen der sich bildenden neuen Weltordnung für Europa und die Schweiz. Die gute Nachricht: Europa und auch die Schweiz haben die Chance, gestärkt aus der aktuellen Krise hervorzugehen. Wenn sie den Mut haben, zusammenzuhalten und unabhängiger von den USA zu werden.

Grosse Zustimmung für den Rahmenvertrag

Dass die Schweiz den Rahmenvertrag mit der EU annehmen soll, darüber herrschte unter den anwesenden Wirtschaftsführern überraschenderweise eine klare Meinung: 69% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des SEF sprachen sich in einer während der Veranstaltung durchgeführten Online-Umfrage für die Annahme der Verträge aus. Für José Manuel Barroso, den ehemaligen EU-Kommissionspräsident, war das Umfrageergebnis natürlich eine Steilvorlage. Denn er rief eindringlich gerade in den aktuell herausfordernden Zeiten zur Geschlossenheit in Europa auf. Er machte zwar deutlich, dass er aufgrund der kulturellen und historischen Faktoren die Zurückhaltung der Schweiz gegenüber Verträgen mit der EU respektiere, die Schweiz aber schon heute in Bezug auf Handel und Investitionen stark in Europa integriert sei.

Der frühere EU-Komissionspräsident Barroso betonte im Gespräch mit Urs Gredig, dass die EU an Krisen immer wieder gewachsen sei. Bild: © NZZ Connect

Die grössten Bedrohungen für die Europa seien nicht nur der Krieg in der Ukraine und die konjunkturellen Schwierigkeiten, sondern auch der technologische Rückstand insbesondere bei der Künstlichen Intelligenz. Europa müsse daher gemeinsam handeln, um diese Herausforderungen zu meistern, so Barroso. Damit meinte er nicht nur die EU-Mitgliedsländer, sondern auch andere europäische Staaten wie die Schweiz. Eine Krise in der EU will er nicht sehen. Im Gegenteil: Die Europäische Gemeinschaft sei durch Krisen entstanden und werde auch aus der aktuellen Krisensituation gestärkt hervorgehen, war Barroso überzeugt.

Europäisches Verteidigungssystem?

Auch der US-amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz betont die Wichtigkeit der Unabhängigkeit von Europa, da die USA als zuverlässiger Partner für Europa nicht mehr zur Verfügung stünde. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten bezeichnete er als einen Alptraum für sein Land. Jedoch verlange die aktuelle Situation die Notwendigkeit, strategische Verteidigungsausgaben und wirtschaftliche Vorteile in Einklang zu bringen. Kurz- und langfristig sei die Schaffung eines autonomen europäischen Verteidigungssystems von Vorteil, so Stiglitz.

Kritik an der US-Zollpolitik

In Bezug auf die Zollpolitik der Trump-Administration äusserte sich der renommierte Ökonom sehr skeptisch. An eine Rückkehr der industriellen Arbeitsplätze, die durch die Globalisierung verloren gegangen sind, glaubt er nicht. Er wies darauf hin, dass die USA derzeit sehr stark von Importen aus China abhängig sind. Diese zu ersetzen, würde wohl mehrere Jahre dauern, was Chinas Position im Handelsstreit noch stärke.

Wer ist stärker? Die USA oder China? Joseph Stiglitz fand am SEF klare Worte. Bild: © NZZ Connect

Auch Stiglitz sieht in der aktuellen Krise eine Chance für Europa. «Länder, die Demokratie, Wissenschaft, Innovation und Freiheit unterstützen, werden sich in Zukunft wirtschaftlich gut entwickeln. Europa sehe sich diesen Werten derzeit wohl am stärksten verpflichtet», so der Ökonom.

Starker Franken fordert Unternehmen

Trotz der aktuellen Entwicklungen rechnet Suzanne Thoma, CEO der Industriegruppe Sulzer, nicht mit einer Abkehr von der Globalisierung, erwartet allerdings eine Zunahme der Nationalstaatlichkeit. Dem müssten die Unternehmen Rechnung tragen. Thoma griff auch die Währungsthematik auf: Der starke Schweizerfranken zwinge die Schweizer Wirtschaft zu einem Dauergalopp. Es könnte nur passieren, dass den Firmen dabei langsam der Schnauf ausgehe. Allerdings sei es kein Fehler, stets an der Produktivität zu arbeiten.

KI als Chance

Weitere Themen neben EU, USA und den Folgen der Zollpolitik, die am diesjährigen SEF diskutiert wurden, waren auch Unternehmensführung und -nachfolge sowie Künstliche Intelligenz (KI). Gerade KI bietet auch die Chance für Schweizer Unternehmen, durch Effizienzgewinne noch produktiver zu werden. Rory Stewart, Strategieprofessor der Yale-Universität, riet den anwesenden Unternehmensführern, sich mindestens zwei Stunden täglich mit KI zu beschäftigen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Und auch Bea Knecht, Gründerin des Streamingdienstes Zattoo, machte auf das Potenzial von KI für Unternehmen und für den Standort Schweiz aufmerksam.

Erfolg muss verdient werden

Eines wurde den Teilnehmenden bei allen Vorträgen, Gesprächen und in den Break-out Sessions vor Augen geführt: Erfolg kommt nicht von allein – egal ob im Unternehmen, Beruf, Sport oder bei ehrenamtlichen Engagements. Er muss verdient werden. «Earn it» lautete daher auch das diesjährige Motto des Schweizer Wirtschaftstreffens.

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