Branchentalk: Ein „Ja“ zu Ecopop wäre fatal für die Schweizer Industrie – Unsicherheit lähmt

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Engagierte Diskussion am Branchentalk "Industrie": Bild: schweizeraktien.net/Pascal Rohner
Engagierte Diskussion am Branchentalk „Industrie“: Bild: schweizeraktien.net/Pascal Rohner

Zum dritten Mal führte schweizeraktien.net ein Branchenpanel durch. Nach den Casinos und Regionalbanken wurden am Branchentalk „Industrie“ die Folgen von der Masseneinwanderungsinitiative und Ecopop für die Zukunft der schweizerischen Industrieunternehmen diskutiert. Rund 50 Investoren, Unternehmer und Kapitalgeber folgten der angeregten Diskussion im Kursaal Bern. Neben Vertretern von Industrieunternehmen nahm auch Monika Rühl, die neue Direktorin von Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizerischen Wirtschaft, teil. Ebenfalls am Podiumsgespräch beteiligte sich Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit und Mitglied der Geschäftsleitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO). Von der Industrie waren Heinz Loosli, CEO des Technologie- und Maschinenbauunternehmens Feintool, Peter Lustenberger, der frühere Geschäftsführer und aktuelle Vizepräsident des Verwaltungsrats der auf die Herstellung von Einachsmähern spezialisierten Rapid Gruppe, sowie Daniel Antille vertreten. Daniel Antille ist langjähriger Geschäftsführer der auf die Herstellung von Sprengstoffen und Spezialprodukten für die chemische Industrie spezialisierten Société Suisse des Explosifs.

Die Schweizerische Wirtschaft befindet sich seit dem Entscheid der Stimmbürger zur Annahme der Initiative zur Begrenzung der Einwanderung (MEI) vom 9. Februar 2014 in einer Phase der Unsicherheit. Auch nach fast neun Monaten ist noch nicht genau geklärt, wie diese umgesetzt werden kann. Problematisch ist vor allem die Vereinbarkeit der noch zu schaffenden Regelungen mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und den Ländern der Europäischen Union (EU), welches den freien Zugang von Personen aus der EU zu Arbeitsplätzen in der Schweiz und umgekehrt regelt. Ein eindeutiger Konsens bestand bei den Teilnehmern der Diskussion dahingehend, dass die aktuelle Situation schon jetzt nicht ideal sei. Es droht aktuell allerdings ein wahres Damoklesschwert: Im Fall der Annahme der Ecopop-Initiative bei der Abstimmung vom 30. November 2014 würde sich die Lage drastisch verschlechtern. (Eine ausführliche Darstellung der Ziele und der Auswirkungen inklusive verschiedener Meinungen und aktueller Entwicklungen zu der Initiative, die kontinuierlich aktualisiert wird, hat die Redaktion des Zürcher Tagesanzeigers in einem Dossier, das online hier abrufbar ist, erstellt.)

Auf den Punkt brachte es Monika Rühl. Falls die Ecopop-Initiative angenommen würde, müssten die bilateralen Verträge gekündigt werden. Ein Spielraum bestünde für diesen Fall nicht. Die Guillotine-Klausel, wonach bei der Kündigung eines Teils der verschiedenen sehr umfangreichen Vereinbarungen (Details können auf Wikipedia nachgelesen werden) die gesamten Verträge hinfällig würden, käme zur Anwendung. Nicht nur wegen dieser möglichen Folgen warnte Boris Zürcher, dass es in jedem Fall noch zwei bis drei Jahre dauern würde, bis eine Rechtssicherheit für die schweizerische Wirtschaft bestehe. Diese sei allerdings auch im Fall der Ablehnung der Ecopop-Initiative keinesfalls sicher. Aktuell seien verschiedene Expertengruppen damit beschäftigt, ein tragfähiges Konzept zur Umsetzung der MEI zu erstellen. Dieses stelle dann nur einen Entwurf für Verhandlungen dar, bei dem unklar sei, ob die Europäische Union hierauf eintreten werde und sich verhandlungsbereit zeige. Als oberstes Ziel für die schweizerische Wirtschaft bezeichnete Rühl die Aufrechterhaltung der bilateralen Verträge. Wie der SECO-Vetreter anmerkte, würde die Schweiz im Fall der Kündigung vom europäischen Arbeitsmarkt abgeschnitten. Dies sei ein ziemliches Horrorszenario für die Unternehmen. Die Schweiz leidet seit dem Ende des zweiten Weltkriegs kontinuierlich unter einem Fachkräftemangel. Dies bestätigte auch der CEO des Industrieunternehmens Feintool, Heinz Loosli. Während es kein Problem sei, Schweizer für eine Tätigkeit im Büro zu finden, sehe es bei der Suche nach qualifizierten Personen zur Bedienung von Maschinen, die teilweise noch Schichtarbeit leisten müssten, komplett anders aus. Hier liege der Anteil ausländischer Mitarbeiter in seinem Unternehmen bei rund 80%. In der Schweiz bestehe schon heute keine Chance, genügend Personal zu rekrutieren. Wie der Geschäftsführer der Société Suisse des Explosifs, Daniel Antille, erklärte, bestehe das Problem der schweizerischen Bevölkerung darin, dass die jungen Menschen in administrativen Bereichen oder in der Finanzbranche tätig sein wollten. Die Schweiz verfüge über hervorragende Universitäten, die Akademiker ausbildeten. Es sei aber unmöglich, Praktiker wie etwa Techniker oder Chemiker zu finden.

Schnell wurde im weiteren Gesprächsverlauf klar, dass es die Patentlösung für die Zukunft nicht gibt. Allerdings dürften angesichts der zahlreichen negativen Faktoren, wie Boris Zürcher darlegte, die positiven Signale der Unternehmen keinesfalls ausser Acht gelassen werden. So stelle etwa der Entscheid des Pharmaunternehmens Roche, 3.5 Mrd. CHF in den Standort Schweiz zu investieren, ein sehr starkes Signal für die Schweiz dar. Eine ähnlich positive Einstellung zum Standort Schweiz kennzeichnet auch die aktuelle Lage bei Feintool. Aktuell stehen zwei grössere Projekte in der Pipeline, bei denen der Schweizer Standort begünstigt werden soll. Gemäss Loosli  zeigte sich der Verwaltungsrat in einer kürzlich erfolgten Sitzung optimistisch bezüglich dieser Lösung. Dies trotz der im Ausland erzielbaren um 2 bis 3% besseren Ertragsmargen. Sehr wichtig sei es für ihn, den Betrieb in der Nähe der Entwicklungsabteilung anzusiedeln. Wenn die Produktion zu sehr von der Entwicklung losgelöst werde, sei dies nicht tragbar für sein Unternehmen, erklärte Loosli. Im Falle der Annahme der Ecopop-Initiative würden die Investitionen ins Ausland verschoben. Mit einer eigenen Lösung hat die Rapid-Gruppe vorgesorgt. Dank der Kooperation mit einem Partner im oberöstereichischen Wels verfüge die Gesellschaft über ein Standbein in der EU, von wo aus die Geschäftstätigkeit für den europäischen Raum im Bedarfsfall abgewickelt werden könne, so Lustenberger. Eine komplette Verlagerung der Produktion ins Ausland sei kein Thema. Grössere Investitionen stehen bei Rapid allerdings in den nächsten Jahren nicht an. Die Gesellschaft hat im Jahr 2008 in Killwangen eine neue Produktionshalle bezogen. Im Vorfeld hatte die Gesellschaft über einen möglichen Aufbau einer ausländischen Produktionsstätte nachgedacht. Lustenberger zeigte sich allerdings erleichtert darüber, dass dieser Plan nicht realisiert wurde. Rapid habe gerade in der letzten Krise vom Schweizer Standort profitiert. Vollkommen unmöglich ist es aus technischen und finanziellen Gründen für die Société Suisse des Explosifs, den Produktionsstandort in Gamsen aufzugeben. Da die Gesellschaft aber ein wichtiger Zulieferer für die Pharma- und Chemieindustrie ist, sieht Antille wegen der Abhängigkeit der Branchengrossen kein grosses Risiko für sein Unternehmen auch im Fall des Wegfallens der bilateralen Verträge.

Marc Possa, VV Vermögensverwaltung AG, und Heinz Loosli, CEO Feintool. Bild: schweizeraktien.net / Pascal Rohner
Marc Possa, VV Vermögensverwaltung AG, und Heinz Loosli, CEO Feintool. Bild: schweizeraktien.net / Pascal Rohner

Ein sehr belastender Faktor für die Unternehmen stellen auch die stetig ansteigenden regulatorischen Anforderungen dar. Dies geht zu einem nicht unwesentlichen Teil auf das Konto der unterschiedlichen Auffassungen von Wirtschaft und Politik. Monika Rühl sprach in diesem Zusammenhang von den zwei Welten der Wirtschaft und der Politik. Es bestehe ein grosses Misstrauen zwischen den beiden Parteien, die sich nicht mehr verstünden. Es sei essenziell, dass dieses Vertrauen zurückkehre. Die Bedeutung der Wirtschaft für die Schweiz müsse wieder ins Bewusstsein gerückt werden. In politischen Diskussionen fehlten Leute, welche die Folgen der Regulierungen auf die Unternehmen einschätzen könnten. Um die herrschende Regulierungswut wieder zu deregulieren, bräuchte es mehr Unternehmer im Parlament. Die aktuelle Entwicklung in den beiden Kammern des Schweizerischen Parlaments sei jedoch von einem stetigen Rückgang der Anzahl Unternehmer geprägt. Auch Daniel Antille findet es wichtig, dass die Unternehmer ihre Interessen in der Politik wahrnehmen und sich aktiv beteiligen. Er lebt dies als Präsident der Gemeinde Miège im Wallis selber vor. Auch wenn, wie Antille ausführte, das Wallis eine kleine Familie sei, sei es nicht nur dort wichtig, dass die Unternehmer politisch aktiv würden.

Die Diskussion zeigte deutlich auf, dass die Unternehmen durchaus gut mit der aktuellen Situation umgehen können und das Beste daraus machen. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass die Politik keine Lösung bietet. Für Lustenberger war denn auch die Abstimmung vom 9. Februar als deutliches Signal der Unzufriedenheit der Bürger mit der aktuellen Situation geprägt. Es wurde ein Misstrauen zwischen den Stimmbürgern und der Politik aufgebaut, dessen Folgen nun die Wirtschaft treffen würde. Den Unternehmen würden, wie Feintool-CEO Loosli anführte, Steine in den Weg gelegt. Als Beispiel führte er die Minder-Initiative an. Diese habe für sein Unternehmen Mehrkosten von 1 Mio. CHF verursacht, ohne dass ein einziger Aktionär besser informiert oder zufriedener sei. Loosli setzte dann auch den Schlusspunkt der Diskussion mit der Aussage, dass in der Schweiz die Grenzen der Demokratie erreicht seien.

Vor der Diskussion präsentierten die drei Unternehmen in Fallstudien ihre Gesellschaft und ihre Investmentstory. Details dazu erfahren Sie morgen auf schweizeraktien.net.

1 Kommentar

  1. Leider setzt ‚die Wirtschaft‘ mangels Argumenten auf ‚konjunktive Angstmacherei‘ anstatt sich damit auseinanderzusetzen wie auch ohne exzessives Wachstum der Wohlstand erhalten werden kann. Wir benoetigen ja nicht noch mehr Wohlstand!
    Wer muss sich denn jeweils um die auf die Strasse gestellten Arbeitskraefte kuemmern wenn Firmen ‚umdisponieren‘ oder ‚Standorte optimieren‘, der Staat, d.h. die vom Steuerzahler finanzierten Sozialwerke.
    In einer 4-Zimmerwohnung koennen wohl 12 Menschen leben aber die Wohnqualitaet sinkt betraechtlich. In einem masslos uebervoelkerten Land sinkt dann vergleichsweise die Lebensqualitaet. Wachstum ist endlich und wir muessen endlich lernen mit dem status quo zu prosperieren. Dies erfordert ein Umdenken und Systemanpassungen.

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