„Es gibt drei Arten der Intelligenz: die eine versteht alles von selber, die zweite vermag zu begreifen, was andere erkennen, und die dritte begreift weder von selber noch mit Hilfe anderer.“ Niccolò Machiavelli, 1469-1527, aus „Der Fürst“. Philosoph, Dichter, Staatsmann.
Es kam wie ein Blitz. Und die Blendung hält noch an. Ja, wir wissen jetzt von Camerons Vater, Poroschenko, den Ministerpräsidenten von Island, Malta und Argentinien. Auffällig ist jedoch von Anfang an, was in den Panama Papers nicht steht. Und hier setzen die Spekulationen und Analysen ein. War der Whistleblower ein Insider? Warum ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung (SZ)? Wer hat den grössten Nutzen? Warum stehen keine Amerikaner am Pranger?
Islands Elite demaskiert
Soweit das Ausmass der Enthüllungen bislang überschaubar ist, lässt sich schon jetzt sagen, dass die Schäden zwar erheblich sind, global betrachtet jedoch kaum an die Substanz gehen. Kein wirklich wichtiger amtierender Politiker ist betroffen, Island, Malta und Ukraine sind Nebenschauplätze und wirken geradezu beispielhaft in Szene gesetzt, d.h. ausgewählt. In Island, so scheint es, sind die Eliten sehr breit involviert. Der investigative Journalist, der mit Island betraut ist, sagte, dass selbst Freunde und Verwandte in den Listen auftauchen. Island habe die höchste Anzahl an panamaischen Briefkastenfirmen pro Kopf der Bevölkerung von allen Ländern – ca. 600 betroffene Isländer bei einer Bevölkerung von 332 000! So tief kann die Enthüllung also gehen. Dagegen sind Frankreich, Deutschland, Spanien, UK, usw. nur oberflächlich betroffen und die USA gar nicht.
Waren es US-Geheimdienste …
Es gibt Stimmen, die sagen, dass die USA die Panama Papers lanciert haben, so auch der berühmteste Whistleblower aller Zeiten, der in der Schweiz wohl bekannte frühere UBS Banker Bradley Birkenfeld. Ein Beleg soll sein, dass sie selbst aus dem Fokus bleiben. Das Gegenargument ist, dass die Amerikaner andere Jurisdiktionen wie die Cayman Islands und die Bahamas bevorzugen.
In Europa, z.B. bei der SZ, besonders aber in den USA war der Aufmacher, ganz im Geist der Zeit, der russische Präsident Putin. Tatsächlich gab es jedoch gar nichts Neues oder Gewichtiges zu Putin. Sein Jugendfreund, der Cellist Sergei Roldugin, hat überschaubare Beträge in Panama, na und? Putins Privatvermögen ist schon seit langem Gegenstand von Untersuchungen und wird, je nach Quelle, auf 20-100 Mrd. US-Dollar geschätzt. Da fallen einige Milliarden im erweiterten Umfeld nicht wirklich ins Gewicht. Zumal er selbst in den Dokumenten nicht mal indirekt auftaucht.
… oder doch eher Putins Russland
Die anderen Stimmen sagen, dass es eine russische Operation war mit dem Ziel, EU und NATO weiter zu destabilisieren. Ja, die Glaubwürdigkeit von britischen Oberhausmitgliedern, allerlei Abgeordneten, Firmenchefs und Saubermännern wie dem eben erst angetretenen FIFA-Funktionär Infantino ist weiter kompromittiert. Die Schweizer Polizei durchsuchte in einer ersten weltweit beachteten Reaktion die Geschäftsräume der UEFA, nachdem ein Kontrakt mit Infantinos Unterschrift in den Mossack Fonseca Dateien aufgetaucht war. Die Systemkrise hat definitiv einen weiteren Anschub bekommen. Die Steuerbehörden und Staatsanwaltschaften werden auf Jahre hin beschäftigt sein. Köpfe werden rollen, Firmen untergehen und Karrieren zerstört.
Tatsächlich weist bei einer geo-strategischen Betrachtung vieles auf eine brillante verdeckte Operation Putins hin. Genau eine Woche vor dem Leak warnte der Kreml offiziell davor, dass eine Desinformationskampagne gegen den Präsidenten und den inneren Zirkel zu erwarten sei. Nach dem Leak gab es in Russland keine Proteste und in den kontrollierten Massenmedien auch keine kritischen Berichte. Die Verbreitung der einzigen mit den Enthüllungen im Rahmen der Panama Papers beauftragten oppositionellen russischen Zeitung Novaia Gazeta ist äusserst gering. Die Zustimmung in Russland zu Putins Politik ist immer noch unverändert bei über 80%. Weit oberhalb dessen, wovon westliche Politiker träumen können. Jetzt hat sich Putin sogar bei der SZ für eine (kalkulierte) falsche Aussage entschuldigt.
Der nicht lineare Krieg im Cyber-Age
Setzt man den Zeitpunkt der Veröffentlichung, mit einem Jahr Vorlauf, und die Inhalte der Panama Papers in den Kontext des nicht linearen Krieges zwischen Russland und USA sowie Europa seit 2014, tritt klarer zutage, dass Russland am Nettoeffekt gemessen gewinnt, weil über Putin nichts Neues bekannt wurde, das in Russland eine Auswirkung haben könnte. In Europa und anderswo aber sind die ersten Konsequenzen bereits da, der spanische Industrieminister ist nach dem isländischen Premier ein weiteres prominentes Opfer. Das ohnehin geschwundene Vertrauen in die etablierten Parteien und Strukturen wird weiter in Zweifel gezogen. Dazu passt auch, dass Putin nationalistische Parteien in ganz Europa unterstützt hat, z.B. erhielt der Front National vor zwei Jahren keinen Kredit von französischen Banken, aber von einer russischen. Die Nationalismen in der EU sind heute kaum zu übersehen und drohen die Einheit der EU zu sprengen. Allerdings hat sich die EU auch zu weit von den Bürgern entfernt. Das niederländische Referendum zum EU-Ukraine Abkommen endete mit einem klaren „Nein“, vor allem wegen der Korruption und mangelnden demokratischen Werten. Dies drückt auch das Unbehagen der Bürger in den anderen westlichen europäischen Ländern aus, doch alle 27 Regierungen hatten es schon ratifiziert? Die BrExit-Wahrscheinlicheit ist nochmals signifikant gestiegen.
So gesehen ist die Lancierung der Panama Papers eine Bombe, die den Gegner von innen trifft und absehbare Konsequenzen zeitigt. Ermittlungen, Verhaftungen, Prozesse, Rücktritte, Protestbewegungen und schärfere Überwachung. Das betrifft den Westen, aber nicht Russland. Von Putin und seinen engsten Beratern ist bekannt, dass sie „Cyberwarfare“ als legitimes Mittel betrachten. Das betrifft nicht nur Desinformation durch sogenannte Trolle. Viel wichtiger sind die Hacker, die beispielsweise 2007 Estland völlig lahmlegten, das Parlament, Banken, Medien, Ministerien.
Theorie der reflexiven Kontrolle
Eine der Cyber-Einheiten im Kreml ist der Russian Financial Monitoring Service, eine Financial Intelligence Behörde, die Putin gegründet hat und die nur ihm berichtet. Ziel und Gegenstand ist Wissen über Steueroasen, Zahlungsströme, Geldwäsche, Offshore Jurisdiktionen etc. Nach Ansicht des Russland- und Putinkenners Clifford Gaddy von der Brookings Institution sind die Panama Papers nicht unbedingt interessant wegen dem, was sie enthüllen, sondern vielmehr wegen dem, was sie nicht enthüllen. Eine Botschaft an die wirklich Mächtigen im Westen, dass sie genauso an den Pranger gestellt werden, wenn sie nicht ihre gegenüber Russland obstruktive Politik ändern.
Die russischen Strategen, insbesondere Putin und seine engsten Berater, sind bekanntermassen von der seit den 60er-Jahren entwickelten Theorie der reflexiven Kontrolle sehr begeistert. Dabei geht es darum, den Gegner oder welche Partei auch immer durch Information und Desinformation, Aktionen, Scheinbedrohungen, Verunsicherungen, Täuschung usw. so in seinen Entscheidungen zu beeinflussen, dass am Ende das gewünschte Ergebnis herauskommt. Statt einer starken EU, die mit all dem Gewicht ihrer 28 Mitglieder agiert, hat es Russland und die Welt heute bei der EU mit einem Sammelsurium nationaler Interessen zu tun, die einfach nicht kompatibel sind. Während im EU-Mitgliedsland Bulgarien Bürgermilizen gelobt werden und Flüchtlinge sogar gefoltert, werden jetzt auch die undemokratische Türkei und das ebenfalls unreife Serbien von der EU umworben. Polen und Ungarn sind so weit jenseits der gemeinsamen europäischen Werte gedriftet, dass sie eigentlich ausgeschlossen werden sollten.
Kapitalflucht …
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Verschlechterung im wirtschaftlichen und politischen Klima in Europa ist der Fakt der Kapitalflucht. Ob Frankreich, Deutschland oder Griechenland: Rund 2% der Millionäre sind 2015 aus Kontinentaleuropa ausgewandert. Hauptnutzniesser dieser Entwicklung sind die USA. Durch die langfristige Lobbyarbeit der Konzerne und der Superreichen sind die Gesetze schon lange so gestaltet, dass, wie es Multimilliardär Warren Buffett ausdrückt, seine Sekretärin mehr Steuern zahlt als er.
… soll in die USA führen
Der vor allem aus den USA geführte Krieg gegen Steueroasen, bei dem die Schweiz historisch eine wichtige Rolle gespielt hat, hat nicht nur die Trockenlegung des Steuervermeidungssumpfes, der Geldwäsche und dergleichen mehr zum Ziel, sondern auch, das weisse Geld in Richtung USA zu mobilisieren. In die selbst proklamierte Heimat des Kapitalismus, jetzt, wo in Europa extreme Parteien auch die Vermögenden bedrohen, wo aus Regulierung Überregulierung wird und die Freiheit des Unternehmers immer enger gesteckt wird.
China unterdrückt Panama Papers …
Wenn überhaupt, wird sich der Trend zur Kapitalflucht eher noch verstärken. Aus der EU, aus Afrika und Nah-Ost, vor allem aber auch aus China. Während die Europäer gerne glauben wollen, dass es nun in China eben nur noch 6,5% Wachstum p.a. sein werden anstatt 9 oder 10% und daraus den übersimplifizierten Schluss ziehen, dass es eben 70% von dem sind, was die letzten Jahre war, herrscht in China ein mittlerweile scharfer Kulturwandel, der auch ökonomische Auswirkungen hat. Waren die Jahre seit 2008 eher davon geprägt, dass finanziell alles möglich war angesichts der beispiellosen Geldschöpfung durch die People´s Bank of China, so hat sich Xi Jinping zwischenzeitlich als rigoroser Machtpolitiker betätigt, der gleichzeitig gegen die wirtschaftliche Abschwächung kämpft und dafür ausländische Mächte verantwortlich macht wie auch gegen Korruption und Unruhe in den Provinzen und Hong Kong. Seit zwei Jahren füllen sich die Gefängnisse wieder mit Oppositionellen, Wissenschaftlern und Journalisten. Er ist auch ein Konsolidator der Macht, die beim Politbüro und insbesondere ihm selbst konzentriert ist. Den in den Panama Papers enthüllten chinesischen Politikern dürfte es nicht gut ergehen, geben sie doch erstklassige Ziele mit hohem Belehrungscharakter her. Einstweilen sind jedoch alle Berichte zu den Panama Papers und den 8 betroffenen aktuellen oder Ex-Politbüromitgliedern in China strengstens verboten. Die unzähligen Millionäre und Milliardäre Chinas, die wohl selten durch echten Unternehmergeist zu Vermögen gekommen sind, sondern eher durch Beziehungen, Schmiergeld und Machtmissbrauch, läuft die Zeit davon.
… und bekämpft Winnie the Pooh
Ein weiteres Beispiel für die Zunahme der Repression in China ist die Kampagne gegen Winnie the Pooh, der in China sehr beliebt ist und in der Öffentlichkeit als „alter ego“ von Xi Jinping gilt. Nachdem es dem Generalsekretär offenbar mit den Vergleichen und versteckten Botschaften zu bunt wurde, kam Winnie the Pooh kurzerhand auf die Liste der „personae non gratae“. Sein Erscheinen im Internet steht jetzt ebenfalls unter Strafe.
Die Schweiz als eigentliches Ziel?
Auch die Schweiz ist direkt und indirekt von dem neuen „imperialen Zyklus“ in den USA betroffen. Vor nicht gar zu langer Zeit wurde noch rund ein Drittel aller weltweiten Vermögenswerte von der Schweiz aus verwaltet. Nach dem Kreuzzug gegen Bankgeheimnis und Schwarzgeld ist davon immer noch ein sehr bedeutender Anteil als weisses Geld ganz legal in der Schweiz domiziliert. Wegen der gefestigten Demokratie, dem Schutz der Eigentumsrechte, der Expertise der Banken und Asset Manager uvm.
Kunst und Gold als Fluchtwährungen
Aber, das kann als gesichert gelten, eine sehr bedeutende Summe von bestimmt mehr als 1 Billion US-Dollar oder CHF, vielleicht auch 3 Billionen US-Dollar, ist noch nicht weiss, wird es wohl auch nicht mehr, und ist irgendwo ausserhalb des Systems geparkt. Grosse Beträge, vor allem in bar, lassen sich mittlerweile aber kaum noch ohne Spuren reinwaschen. Ein Symptom des immer enger werdenden internationalen Finanz-Überwachungsnetzes ist der zunehmend überhitzte Kunstmarkt. Höchstpreise sind heute bei über 100 Mio. US-Dollar, vor allem für Picasso-Werke (Die Frauen von Algier, 179 Mio. US-Dollar), aber auch Munch (Der Schrei), Richter und Bacon erzielen Höchstpreise. Ein Schweizer Sammler soll fast 300 Mio. US-Dollar in einer privaten Transaktion für einen Gauguin bezahlt haben Viele Werke werden jedoch von Chinesen erworben. Ganz ähnlich den van-Gogh-Bildern Ende der 80-Jahre, damals waren die Käufer Japaner.
Aus dieser Gemengelage lassen sich verschiedene mittelfristige Ableitungen für die Kapitalströme treffen:
1. Der US-Dollar wird fester
Unabhängig davon, ob die Fed die Fed Funds Rate im laufenden Jahr nun noch zwei oder drei Mal anhebt oder gar nicht, der US-Dollar wird sich vor dem Hintergrund der divergierenden Notenbankpolitiken und der internationalen Kapitalflucht in den sicheren Hafen USA weiter festigen, ganz ähnlich dem „imperial cycle“ zu Reagans Zeiten. Niemand sollte vergessen, dass direkt und indirekt wohl 50% der weltweiten Ausgaben für Militär auf die USA entfallen. Das US Militärbudget ist grösser als das der nächsten zehn Länder inklusive China, Russland, Frankreich zusammen.
2. Kunstboom hält weiter an, flacht danach aber ab
Der Kunstmarkt wird zunächst von der beschleunigten Kapitalflucht und dem Reinwaschen fragwürdiger Gelder weiter angeheizt. Die Schweiz, insbesondere Genf, spielt eine bedeutende Rolle im internationalen Kunstmarkt mit vielen Besonderheiten, wie oben genannter Link aus den Panama Papers detailliert darstellt. Sobald die grosse Umschichtung gelaufen ist bzw. die internationalen Behörden mehr Erfolge bei der Bekämpfung der Steuerhinterzieher verzeichnen können, wird die Nachfrage nach Kunstwerken mit Preisen im dreistelligen Millionenbereich abflachen. Dazu werden auch die verstärkten Ermittlungen und Prozesse im Bereich der Nazi-Beutekunst beitragen. Nach Ansicht von Insidern liegen immer noch 90% der verschwundenen Werke bei Sammlern und Museen, weil die Erben, sofern vorhanden, oder andere Rechtsnachfolger den Nachweis für den Besitzanspruch und den Diebstahl antreten müssen. Neue Höchstpreise wird es dann wohl erst wieder am Ende des nächsten Börsen-Superzyklus geben.
3. Gold erlebt eine Sonderkonjunktur
Der Goldmarkt überraschte mit über 20% Preisanstieg seit Jahresbeginn. Alle Versuche, die durchaus kraftvolle Trendwende totzureden, sind gescheitert. Fast verbissen, zumindest verdächtig, will Goldman Sachs Commodity Chefstratege Currie die Anleger zum Leerverkauf von Gold veranlassen. Die Argumente, die er anführt, sind jedoch falsch. Zinserhöhungen schaden Gold in den wenigsten Fällen. Bei den 5 Zinserhöhungszyklen seit der Aufhebung der Goldpreisbindung des US-Dollar 1973 stieg Gold 3 Mal, fiel 1 Mal und stieg erst und fiel dann in einem Fall. CEO Lloyd Blankfein, der seine Karriere bei Goldman Sachs als armer Junge aus Brooklyn im Goldhandel startete, weiss das. Tatsächlich dürften am physischen Goldmarkt bald erste Engpässe auftreten. Chinesen und Inder kaufen weiterhin auf hohem Niveau, rund die Hälfte der weltweiten Förderung. 2015 dürfte nach Überzeugung von Marktkennern das „Peak Gold“ Jahr gewesen sein. Die leicht und kostengünstig abzubauenden Vorkommen sind erschöpft, mangels Exploration und zu niedriger Preise dürfte die Fördermenge von nun an signifikant zurückgehen. Dazu kommt, dass sich Bargeld, auch fragwürdiger Herkunft, immer noch relativ leicht in Gold umsetzen lässt, wahrscheinlich jedoch nicht mehr lange, denn auch dieses Schlupfloch soll geschlossen werden. Mangels echter Alternativen dürfte daher von den Panama Papers beflügelt der Goldmarkt eine Sonderkonjunktur erleben. Der Preisanstieg wird signifikant sein.
Wie sich zeigt, gilt Machiavellis Erkenntnis „Die Menschen sind so einfältig und hängen so sehr vom Eindruck des Augenblickes ab, dass einer, der sie täuschen will, stets jemanden findet, der sich täuschen lässt.“ auch und insbesondere für unsere heutigen politischen Entscheidungsträger, die eben nichts von nachhaltiger Staatskunst im Sinne Machiavellis verstehen.