Schmolz+Bickenbach: Wohin geht die Reise des einst stolzen Stahlkonzerns?

Tiefrotes Jahresergebnis für 2019 erwartet – Gedankenspiele für die Zukunft von S+B.

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Das Trauerspiel namens Schmolz+Bickenbach AG (S+B) begleitet den langjährig leidgeprüften S+B-Aktionär auch zuverlässig im Jahr 2020 – und das trotz einer rund um den Jahreswechsel zu einem Ausgabepreis von 0.30 CHF je Aktie erfolgreich vollzogenen Kapitalerhöhung über einen Bruttoemissionsertrag von 325 Mio. CHF (netto 292 Mio. EUR), die von den beiden Hauptaktionären Martin Haefner über die BigPoint Holding AG und Liwet Holding AG (u.a. Viktor Vekselberg) nach einigem medialem Getöse schliesslich in massgeblichem Umfang gezeichnet wurde.

Zwischenzeitlich notiert die S+B-Aktie – nur gut zwei Monate nach der Kapitalerhöhung – mit einem Preis um 0.185 CHF (Kurs vom 6. März 2020) bereits schon wieder um knapp 40% unterhalb des Kapitalerhöhungspreises von 0.30 CHF – zugleich dem neuen (reduzierten) Nominalwert entsprechend. Eine gute Performance sieht anders aus.

„Corona“ alleine kann nicht schuld sein, denn der neuerliche Absturz der S+B-Aktie nach der Kapitalerhöhung hatte erstaunlicherweise schon Wochen vorher – nachrichtenlos – begonnen, ehe der „Corona-Virus“ die Märkte infizierte.

Schmolz+Bickenbach-Aktie 6 Monate (10.09.2019 – 06.03.2020), Quelle: Swissquote. Eigene Abbildung.

S+B vor Jahreszahlen 2019: Wie hoch wird der Verlust ausfallen?

Am morgigen 11. März 2019 präsentiert S+B das Jahresergebnis 2019. Nach den desaströsen Zahlen des 3. Quartals 2019, die von hohen (ausserordentlichen) Wertminderungen und Abschreibungen in der Grössenordnung von 325 Mio. EUR geprägt waren, muss man kein Prophet sein, um auch für das abgelaufene Geschäftsjahr 2019 ein tief dunkelrotes Jahresergebnis zu prognostizieren. Die S+B AG wird 2019 einen sehr hohen Verlust ausweisen, soviel steht fest.

Spannend ist dann auch nicht die Frage, ob ein Verlust ausgewiesen wird, sondern nur, wie hoch dieser ausfallen wird. Und es gibt weitere spannende Fragen zum Geschäftsverlauf im 4. Quartal, zu den Investitionen, den Aussichten für 2020 und den Folgen der Corona-Krise sowie dem beginnenden konjunkturellen Abschwung. Spannend wird es auch sein zu sehen, ob Geschäftsleitung und Verwaltungsrat selbstkritisch genug sind, die fehlgeschlagene Investitionspolitik der Vergangenheit zu reflektieren? Operativ gab es in der Vergangenheit immer wieder Hinweise auf teilweise deutliche Verbesserungen, die aber von hohen Investitionen – offenbar ohne Mehrwert für die Aktionäre – in schöner Regelmässigkeit Quartal für Quartal pulverisiert wurden.

Regelmässig hohe Investitionen der Vergangenheit brachten keinen Mehrwert

Die pro-zyklische bzw. aus Aktionärssicht wenig zielführende („nachteilige“) Investitionspolitik der S+B in den zurückliegenden Quartalen seit Anfang 2017 offenbart sich beim Blick auf die Abbildungen 3 und 4.

In den Jahren 2017, 2018 und 2019 bis einschliesslich Q3/2019 hat S+B – stark pro-zyklisch bei einer gleichzeitig zunehmend schwieriger werdenden Liquiditätssituation – die Investitionen im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal erhöht. Und nicht nur das: Im Folgequartal des laufenden Jahres hat das S+B-Management immer noch „etwas draufgelegt“. Höher, schneller, weiter – obwohl weder die schon strapazierte Bilanz noch der Markt ein solches pro-zyklisches Investitionsverhalten hergegeben haben.

Investitionen nach Quartalen 2017 bis Q3-2019; Grafik: Grisonia Consult GmbH, 2020.

In den meisten Quartalen seit Q1/2017 waren die Abschreibungen respektive „Wertminderungen“ mehr oder weniger deutlich höher als die Investitionen, ein Hinweis darauf, dass die Investitionen nicht „wertsteigernd“ gewesen sind, sondern eher „wertvernichtend“ – sofern dabei nicht „stille Reserven“ gebildet worden sind.

Besonders hohe Abschreibungen/Wertminderungen gab es übrigens in Q4/2018 mit 136 Mio. EUR und in Q3/2019 mit 324 Mio. EUR.

Cashflow aus Investitionstätigkeit 2017 bis Q3-2019 nach Quartalen; Grafik: Grisonia Consult GmbH, 2020.

Das Marktumfeld könnte für ein produzierendes Stahlunternehmen aufgrund der tiefen Visibilität in wichtigen Abnehmerbranchen bei zuletzt rückläufigem Geschäftsvolumen tatsächlich besser sein. Nun kam als neues Element neben „Corona“ auch noch der Ölpreisschock hinzu.

Was jetzt sinnvoll wäre…

Natürlich waren und sind Verwaltungsrat und Geschäftsleitung der S+B AG jederzeit und immer gut beraten und benötigen keinerlei Ratschläge aus dem Publikum, zuletzt von Minderheitsaktionären.

Als unabhängiger Streubesitzaktionär, der sogar an der zurückliegenden Kapitalerhöhung teilgenommen hat, erlaubt sich der Verfasser an dieser Stelle gleichwohl einige Gedankenspiele über sinnvolle Massnahmen, die ihrerseits einen Beitrag leisten könnten, um in der Zukunft auch wieder so etwas wie eine „Equity Story“ in der vom Markt totgesagten S+B AG „entzünden“ zu können:

  • Möglichst schnelle Reduktion der Konzern-Komplexität, der Kosten und eine Vereinfachung der Strukturen, einschliesslich Reduktion des „Management-Wasserkopfs“ auf allen Ebenen.
  • Zumindest teilweise Neubesetzung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung: Dem (mittlerweile zurückgezogenen) Vorstoss der Liwet Holding AG vom 29. Oktober 2019 hinsichtlich einer Neubesetzung des Verwaltungsrats sollte aus Sicht aller Aktionäre nach Befriedung der Situation im Aktionariat zumindest teilweise doch noch entsprochen werden, da die (ehemals) von Liwet vorgeschlagenen Kandidaten in ihrer unternehmerischen Vita sehr respektabel sind und das Gremium auch aus der Perspektive unabhängiger Aktionäre gut ergänzen könnten. Dies gilt etwa für den früheren deutschen Industriemanager Dr. Jürgen Geissinger, der von Liwet Ende Oktober 2019 vorgeschlagen wurde. Ein Verwaltungsrat Jürgen Geissinger, studierter und promovierter Maschinenbauingenieur, könnte seine praktischen Erfahrungen aus verschiedenen rigiden Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogrammen bei produzierenden, international ausgerichteten Unternehmen der Fahrzeug- und Zuliefererindustrie in das Gremium einbringen.

    Die Investitionspolitik der amtierenden Geschäftsleitung hat sich aus Aktionärssicht in den zurückliegenden Jahren als nicht wertsteigernd erwiesen, im Gegenteil! Deshalb sollte auch die aktuelle Geschäftsleitung im Interesse aller Aktionäre ungeachtet operativer Verbesserungen in den zurückliegenden Jahren von einem möglicherweise neu zusammengesetzten Verwaltungsrat kritisch hinterfragt werden.

  • Eine möglichst zeitnahe Zusammenlegung von Aktien mindestens im Verhältnis 100:1 wäre angesichts der Aktieninflation nach der letzten Kapitalerhöhung ebenfalls sinnvoll. Nach der jüngsten Kapitalerhöhung vom Dezember 2019 / Januar 2020 beträgt das neu im Handelsregister eingetragene S+B-Aktienkapital 608’499’999.90 CHF und ist eingeteilt in 2’028’333’333 Namenaktien mit einem Nennwert von je 0.30 CHF. Über 2 Mrd. Aktien, kaum vorstellbar! Ein möglichst schneller Reverse Split im genannten Verhältnis 100:1 wäre wünschenswert, um das traurige „Penny-Stock“-Dasein der S+B endgültig zu beenden – und auch optisch für einen Neuanfang an der Börse zu sorgen. Damit könnte die S+B-Aktie auch für Investoren wieder investierbar sein, die nach ihren Anlagerichtlinien keine „Penny Stocks“ kaufen dürfen – oder die Aktie aufgrund der Penny-Stock-Notiz längst aus den Augen verloren haben.
  • Ein neuer Name muss dringend her. Das seit mehr als einem Jahrzehnt „unglückliche“ Kapitel Schmolz + Bickenbach AG ist seit dem Auskauf der Gründernachkommen durch Martin Haefner Geschichte. Also gibt es mit den Veränderungen im Aktionariat eigentlich auch keinen triftigen Grund mehr, am historischen Namen „Schmolz + Bickenbach AG“ für die an der SIX kotierte Schweizer Holdinggesellschaft festzuhalten. „Swiss Steel“, die heutige Tochter, könnte in der neuen Struktur im Aktionariat auch zur künftigen Mutter werden – zumindest dem Namen nach. „Swiss Steel“ klingt – und dies nur am Rande – für einen börsenkotierten Konzern bedeutend besser als „Schmolz + Bickenbach AG“. Von teuren Kunstnamen ist, zumindest aus unabhängiger Streubesitzaktionärsperspektive, mit Blick auf andere Fälle der Vergangenheit eher abzuraten.

Die Schmolz + Bickenbach AG befindet sich weiterhin im Umbruch. Auf Basis zuletzt bezahlter Marktpreise von 0.1834 CHF/Aktie (6. März 2020) beträgt die Marktkapitalisierung bei neu 2.028 Mrd. Aktien nach der Kapitalerhöhung um 325 Mio. CHF brutto rund 370 Mio. CHF. Ein Aktienkauf ist aus heutiger Sicht nur risikofähigen Anlegern mit einem Faible für Unternehmen in Sondersituationen bei einem gleichzeitig längeren Anlagehorizont zu empfehlen.

Die am 11. März 2020 zur Veröffentlichung anstehenden Geschäftszahlen 2019 werden idealerweise weitere Informationen liefern, wo das Unternehmen heute steht – und wo es hin möchte.

Die neue Struktur im Aktionariat bei der „vergessenen“ S+B-Aktie eröffnet dem Aktionär langfristig aber auch Chancen, wenn der Turnaround gelingen sollte. Die diesjährige Generalversammlung findet plangemäss am 28. April 2020 in Luzern statt, sofern nicht eine Verschärfung der „Corona-Lage“ zu Terminverschiebungen führt.

Transparenzhinweis: Der Verfasser ist Aktionär der Schmolz+Bickenbach AG

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