Generalversammlungen: Die Kleinen machen es den Grossen vor

Verwaltungsräte verschliessen sich dem Austausch mit den Aktionären.

0
2141

Die Regeln sind klar: Seit dem 6. Juni sind Generalversammlungen mit physischer Präsenz wieder erlaubt. Schon am 27. Mai machte der Bundesrat den Weg frei für den nächsten Lockerungsschritt. Dazu gehören auch Veranstaltungen mit bis zu 300 Personen. Konkret schreibt das EJPD in seinen «FAQ zu Coronavirus und Generalversammlungen», dass «GV mit maximal 300 Teilnehmenden wieder physisch durchgeführt werden können». Ein Schutzkonzept sei jedoch notwendig, heisst es weiter. Veranstaltungen mit mehr als 300 Personen bleiben vorderhand verboten. Aber auch das könnte sich schon rasch ändern.

Allerdings haben Gesellschaften, die ihre GV ohne physische Präsenz der Aktionäre durchführen möchten, noch bis zum 30. Juni die Möglichkeit dazu. Konkret heisst es im Art. 6f der Covid-19-Verordnung, dass der «Veranstalter ungeachtet der voraussichtlichen Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ohne Einhaltung der Einladungsfrist anordnen kann, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Rechte ausschliesslich auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form oder durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtvertreter ausüben können». Noch bis Ende Juni können Unternehmen also wegen der Corona-Krise ihre Aktionäre von der physischen Teilnahme an der Generalversammlung ausschliessen.

Alpiq geht dank Covid-19-Verordnung Diskussion aus dem Weg

Die grossen, börsenkotierten Unternehmen haben ihre GVs unter der Notverordnung bereits mehrheitlich durchgeführt. Für einige Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen dürfte dies ein willkommener Anlass gewesen sein, unter dem «Feigenblatt» der Covid-19-Verordnung ihre Versammlung im Schnellgang durchzuziehen. Keine unliebsamen Diskussionen, keine kritischen Fragen, geringe Kosten – ein Gewinn für die Verwaltung auf der ganzen Linie.

Bei der Energiefirma Alpiq werden die Aktionäre am 24. Juni über eine Absorptionsfusion entscheiden. Die Schweizer Kraftwerksbeteiligungs-AG, deren Versuch einer kompletten Übernahme der Alpiq im letzten Jahr wegen unterschiedlicher Preisvorstellungen scheiterte, will durch die Fusion von Alpiq mit der neu gegründeten Alpha 2020 AG die unliebsamen Kleinaktionäre aus der Gesellschaft drängen. Strittig ist hier vor allem die Abfindung. Alpiq will 70 CHF je Aktie zahlen, während die Aktionäre mindestens 100 CHF sehen wollen. Dank Covid-19-Verordnung ist die Teilnahme der Aktionäre ausgeschlossen, eine offene Diskussion nicht möglich. Dies spielt ganz klar dem Verwaltungsrat in die Hände. Wie wir bereits in früheren Beiträgen geschrieben haben, hätte es auch die Möglichkeit gegeben, die Aktionärsversammlung zu verschieben. Eine Diskussion wäre dann auch möglich gewesen.

Kleine Gesellschaften legen mehr Wert auf Kontakt zu Aktionären

Doch von der Möglichkeit einer Verschiebung oder der Durchführung einer Versammlung mit physischer Präsenz seit dem 6. Juni machen bisher vor allem kleine Gesellschaften aus dem Universum der nicht kotierte Firmen Gebrauch. So findet beispielweise die GV der Thermalbad Zurzach AG erst im Oktober statt; auch die Stadtcasino Baden AG hat ihre Aktionärsversammlung vom 10. Juni auf den 11. September verschoben. Der Baudienstleister Weiss+Appetito bevorzugt es, seine GV mit physischer Präsenz der Aktionäre sogar noch im Juni durchzuführen. Für die Versammlung am 26. Juni haben sich schon 80 Personen angemeldet, wie Thomas Baumgartner, VRP des Baudienstleisters, gegenüber schweizeraktien.net mitteilte. Weiss+Appetito sei es wichtig, den persönlichen Austausch mit den Aktionären zu pflegen. Ähnlich sehen es auch andere Gesellschaften. Die kleine Luftseilbahn Isenfluh Sulwald, eine Genossenschaft, schreibt ihren Anteilseignern sogar: «Wir wollten die GV nicht absagen, da es doch ein Dankeschön an unsere Genossenschafterinnen und Genossenschafter ist». Die GV wurde vom 6. Juni auf den 10. Oktober verschoben. So sieht Aktionärspflege aus. Daran können sich die grossen börsenkotierten Gesellschaften ein positives Beispiel nehmen.

Fazit

Insbesondere grosse Publikumsgesellschaften haben die Möglichkeiten voll ausgeschöpft, die ihnen die Covid19-Verordnung bietet. Dies ist unerfreulich, besonders für die Aktionärsdemokratie. Zwar werden die Aktionäre nicht an der Ausübung ihrer Eigentumsrechte gehindert. Denn diese können sie schriftlich oder vom unabhängigen Stimmrechtsvertreter wahrnehmen lassen. Allerdings haben sie kaum eine Möglichkeit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Kritische Voten fallen weg. Für Fehlentscheidungen der Vergangenheit müssen sich Verwaltungsrat und Management nicht mehr rechtfertigen. Auch fehlt der Austausch zu wichtigen Traktanden wie der Neuwahl von VR-Mitgliedern, Änderungen der Statuten oder Fusionen.

Es wird viel über eine gute Corporate Governance geredet, geschrieben und in die Publikation seitenlanger, teurer Berichte investiert. Doch unter dem Deckmantel der Covid-19-Verordnung wurden diese Grundsätze schnell über den Haufen geworfen. In gut geführten Unternehmen hätten die Verwaltungsräte auch die Möglichkeiten für einen offenen und fairen Austausch mit ihren Eigentümern nutzen müssen, die ihnen der Gesetzgeber trotz der ausserordentlichen Lage gegeben hat. Zu wenig wurden diese genutzt. In der Covid-19-Krise sind Generalversammlungen noch stärker zu einem Treffen von elitären Kreisen geworden, die am liebsten kritiklos ihre Machtposition ausüben und so sichern möchten. Schade!

Kommentar verfassen