Virtuelle GV: Neues Aktienrecht machts möglich

Gemäss neuem Aktienrecht ist eine virtuelle GV neu zulässig.

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Virtuelle GV neues Aktienrecht
Nach einer Statutenänderung kann die Generalversammlung neu auch virtuell durchgeführt werden.

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie waren grosse Veranstaltungen wie Generalversammlungen plötzlich nicht mehr möglich. Deshalb ordnete der Bundesrat in der Covid-19-Verordnung 3 an, dass GVs während Covid in erster Linie schriftlich durchgeführt werden sollen. Das neue Aktienrecht ermöglicht neben der schriftlichen Durchführung der Generalversammlung inzwischen auch virtuelle GVs. Statt eines grossen Ansturms ist bisher allerdings eher Kritik an der neuen Form der Generalversammlung laut geworden.

Was ist neu im Aktienrecht?

Das neue Aktienrecht ist seit dem 1. Januar 2023 in Kraft und brachte einige Neuerungen mit sich. Neben der viel diskutierten Ermöglichung der digitalen Generalversammlung wurden einige weitere Änderungen vorgenommen.

So darf das Aktienkapital auch in ausländischer Währung herausgegeben werden, wenn die Aktiengesellschaft ihre Geschäftstätigkeit hauptsächlich in einer Fremdwährung tätigt. Zulässig sind Euro, US-Dollar, Britische Pfund und Yen. 

Der Mindestnennwert von Aktien muss neu lediglich grösser als Null sein. Der Mindestnennwert von 1 Rappen wurde aufgehoben. 

Weiterhin ist neu auch eine Verrechnungsliberierung mit nicht werthaltigen Forderungen möglich. So können diese auch mit einer Liberierungsschuld verrechnet werden, wenn in den Statuten der Betrag der zur Verrechnung gebrachten Forderung, der Name des Aktionärs und die ihm zukommenden Aktien erwähnt werden.

Ferner unterscheidet das Obligationenrecht inzwischen nicht mehr zwischen allgemeinen und statutarischen Reserven, sondern lediglich zwischen gesetzlichen Kapitalreserven und freiwilligen Gewinnreserven.

Weitere Neuerungen betreffen die Zwischendividende, die Einführung des Kapitalbands und neue Regelungen im Falle der Sanierung und zur Insolvenz. So kann an der GV neu eine Zwischendividende zur Ausschüttung von Gewinn des laufenden Geschäftsjahres beschlossen werden. Diese muss auf einem von der Revisionsstelle geprüften Zwischenabschluss beruhen. 

Die bisher mögliche genehmigte Kapitalerhöhung wurde durch das Kapitalband ersetzt. Dabei kann die Generalversammlung den Verwaltungsrat ermächtigen, während maximal 5 Jahren das Aktienkapital im Rahmen dieses Bandes zu erhöhen oder herabzusetzen. 

Besteht eine drohende Zahlungsunfähigkeit, werden dem Verwaltungsrat inzwischen entsprechende Handlungspflichten auferlegt. Dafür muss der Verwaltungsrat nur noch umgehend eine GV einberufen, wenn diese bei einem hälftigen Kapitalverlust für Sanierungsmassnahmen notwendig ist.

Aktuell besonders interessant sind allerdings die mit der Aktienrechtsrevision neu zulässigen Formen der Generalversammlung.

Neu zulässige Formen der GV

Nachdem die Generalversammlung bereits seit 2020 aufgrund der Covid-19-Verordnung 3 rein schriftlich abgehalten werden konnte, besteht dafür nun auch eine gesetzliche Grundlage im Obligationenrecht. So sind inzwischen gemäss den Artikeln 701a bis 701f OR nicht nur die virtuelle GV zulässig, sondern auch eine multilokale GV, Direct Voting, eine Generalversammlung im Ausland oder eben eine GV mit schriftlicher Stimmabgabe.

Das Direct Voting wird auch als hybride Generalversammlung bezeichnet. Denn dabei findet die Versammlung grundsätzlich an einem physischen Tagungsort statt, der Verwaltungsrat kann aber vorsehen, dass Aktionäre auch virtuell teilnehmen können.

Die GV mit schriftlicher Stimmabgabe ist nur zulässig, wenn kein Aktionär eine mündliche Beratung verlangt. Diese kann in der Form einer Urabstimmung oder eines Zirkularbeschlusses durchgeführt werden.

In allen Fällen muss aber stets das Prinzip der Unmittelbarkeit eingehalten werden können. Genau wie bei einer physischen GV an einem einzigen Tagungsort müssen alle Aktionäre sämtliche Informationen zur gleichen Zeit erhalten und sich auch umgehend dazu äussern können. Sofern die Aktionärsrechte gewahrt werden, haben Aktionäre keinen Anspruch auf eine gewisse Form oder einen bestimmten Ort der Generalversammlung.

Voraussetzungen der virtuellen Generalversammlung

Die Durchführung einer virtuellen Generalversammlung in der Schweiz ist nur zulässig, wenn dies in den Statuten entsprechend vorgesehen ist. Diese Regelung gilt übrigens auch für GVs im Ausland. Weiterhin muss der Verwaltungsrat einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen, wobei nicht an der Börse kotierte Aktiengesellschaften in den Statuten einen Verzicht vorsehen können.

Für eine virtuelle Durchführung muss der Verwaltungsrat einige Massnahmen für die Durchführung ergreifen. Es darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass jeder Aktionär über einen Internetzugang und die Grundvoraussetzungen für die Teilnahme an einer virtuellen GV verfügt. Ansonsten muss aber sichergestellt werden, dass auch weniger technikaffine Personen problemlos an der Versammlung teilnehmen können. Der Verwaltungsrat ist ferner für die Sicherheit verantwortlich, darf aber nur technisch zumutbare und vernünftige Massnahmen vorsehen. Weiter muss eine einwandfreie Identifikation sichergestellt werden. Dafür eignen sich insbesondere ein TAN-Verfahren oder eine qualifizierte elektronische Signatur.

Gesetzlich vorgesehen ist nur die Tonübertragung, sofern das Unmittelbarkeitsprinzip gewahrt werden kann. Eine Bild- oder Videoübertragung ist nicht zwingend, wird in den meisten Fällen aber Sinn machen. Eine fliessende Interaktionsmöglichkeit muss aber auch bei einer virtuellen Generalversammlung zwingend gegeben sein. Diese kann beispielsweise durch eine Chatfunktion gewährleistet werden.

Zudem muss ein technischer Support bei Problemen zur Verfügung stehen. Wenn technische Probleme auftreten, die der Aktiengesellschaft zugeordnet werden können (z.B. grossflächiger Ausfall bei einem Telekommunikationsanbieter), dann ist diese dafür verantwortlich, dass die GV wiederholt wird. Sofern keine Anpassung der Traktanden stattfindet, muss die 20-tägige Einberufungsfrist dafür nicht eingehalten werden.

Beurkundungen sind theoretisch auch bei virtuellen Generalversammlungen möglich. Der Gesetzgeber überlässt es aber den Kantonen zu bestimmen, ob die Beurkundung von Willensäusserungen nur unter Anwesenden möglich sein soll. Sachbeurkundungen sind in jedem Fall möglich, sofern die Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit der Urkundsperson stets eingehalten werden.

Statutenänderungen für virtuelle GVs notwendig

Obwohl die gesetzliche Grundlage für eine virtuelle Generalversammlung nun gegeben ist, hält sich die Begeisterung bei den Aktiengesellschaften aktuell noch in Grenzen. Dies dürfte unter anderem daran liegen, dass dafür stets zuerst eine Statutenänderung vorgenommen werden muss. Davon haben einige Unternehmen bereits dieses Jahr Gebrauch gemacht. So hat Novartis beispielsweise im März 2023 ihre Statuten dahingehend angepasst, dass sie sich nun die Abhaltung einer virtuellen GV vorbehält. Inzwischen haben auch Roche, Nestlé, OC Oerlikon, DKSH und Schweiter nachgezogen. Gemäss Philipp Baumgartner, VR-Delegierter des Dienstleisters Sharecomm, hätten etliche weitere Unternehmen wie Adecco, Clariant, Bucher Industries, der Flughafen Zürich und Holcim bereits Statutenanpassungen vorgenommen. Bei einigen anderen Unternehmen ist eine solche Statutenänderung erst für 2024 in Planung.

Elektronische Variante erfordert viel Planung

Selbst mit den bereits durchgeführten Statutenänderungen sei es eher unwahrscheinlich, dass viele Gesellschaften bereits 2024 eine elektronische Generalversammlung durchführen würden, so Philipp Baumgartner. Denn die Durchführung einer virtuellen GV erfordere eine umfangreiche Planung. Da die Gesellschaften mehrheitlich festgelegt hätten, dass diese Option nur in Ausnahmefällen genutzt werde, müsste der Verwaltungsrat folglich zuerst ankündigen, dass er die virtuelle Durchführung für das folgende Jahr prüfen würde, damit sich das Aktionariat dazu äussern könne.

Zudem seien die technischen Anforderungen nicht zu unterschätzen. So sei insbesondere die zeitgleiche Übertragung gemäss Hansjörg Stucki von Nimbus eine Herausforderung, da fast immer eine leichte zeitliche Verzögerung vorhanden sei. Gerade grössere Gesellschaften sehen in der virtuellen Durchführung einer Generalversammlung durch mögliche technische Probleme ein grosses Risiko einer Anfechtbarkeit.

Trotz Statutenänderungen bisher kaum Umsetzung

Dieses Jahr waren allerdings die wenigsten Aktiengesellschaften schon für eine virtuelle GV bereit. Einzig die Swatch Group, Aevis und die Brienz Rothorn Bahn haben im Frühjahr 2023 ihre Generalversammlung komplett virtuell durchgeführt.

Letztere habe gemäss Verwaltungsratspräsident Peter Flück mit der Durchführung der schriftlichen Generalversammlung während der Pandemie so gute Erfahrungen gemacht, dass sie sich entschieden hätten, die Generalversammlung fortan in erster Linie virtuell durchzuführen. So sei während Corona eine Teilnahme von über 50% des Aktionariats zu verzeichnen gewesen, während es zuvor stets nur ca. 10% waren.

Ganz anders sieht dies die Schilthornbahn. Gemäss Verwaltungsratspräsident Johannes Stöckli habe man sich nicht nur bewusst gegen eine virtuelle Generalversammlung, sondern explizit für eine physische Durchführung entschieden. Eine Generalversammlung sei eine gute Gelegenheit, um die Stimmung bei den Aktionären zu spüren. Schliesslich seien diese ja die Eigentümer, und man wolle daher auch einen regelmässigen persönlichen Kontakt mit ihnen pflegen. Die Durchführung einer virtuellen GV nach neuem Aktienrecht sei für ihn daher eher eine Möglichkeit, sich der Meinung der Aktionäre zu entziehen. Eine solche Haltung sei für ihn nicht nachvollziehbar.

Man prüfe zwar aktuell die Überarbeitung der Statuten, um alle Neuerungen der Aktienrechtsrevision übernehmen zu können, und überlege sich auch, sich eine elektronische Generalversammlung für eine weitere Pandemie vorzubehalten. Die Schilthornbahn wünsche sich aber auf jeden Fall weiterhin physische GVs, so Stöckli.

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Die Schilthornbahn hat sich bewusst für eine physische GV entschieden, um den Kontakt mit den Aktionären zu pflegen. Bild: schilthornbahn.ch

Ethos äussert sich kritisch

Die Ethos Stiftung hat sich seit der Aktienrechtsrevision 2023 dagegen wiederholt kritisch zum Thema virtuelle Generalversammlung geäussert. Sie sehen an verschiedenen Stellen eine mögliche Beschneidung der Aktionärsrechte. So hätten die Aktionäre von Novartis beispielsweise nicht einzeln über die entsprechende Statutenänderung betreffend der virtuellen GV abstimmen können, sondern dies sei in einem Paket mit anderen Punkten präsentiert worden. Zudem seien gemäss Ethos bei den virtuellen GVs der Swatch Group und von Aevis Probleme bei der Stimmrechtsdelegation aufgetreten.

Gemäss Hansjörg Stucki von Nimbus habe sich Ethos an verschiedenen Generalversammlungen zu Wort gemeldet. Nachdem die Verwaltungsräte aber fast durchgehend bekräftigt hätten, dass die virtuelle GV fortan nicht die Norm, sondern lediglich ein Vehikel für Ausnahmesituationen sei, seien die kritischen Stimmen besänftigt worden. Nach seinem Wissen seien sämtliche Statutenänderungen zu diesem Thema dann problemlos über die Bühne gegangen.

Hybride GV sei generell kein Thema

Sowohl Sharecomm als auch Nimbus bestätigten, dass eine hybride Generalversammlung bisher nicht genutzt und auch nicht empfohlen werde. Denn dadurch würden lediglich mehr Kosten und Aufwand entstehen, ohne dass ein wirklicher Mehrwert erzielt werde. Zudem müssten die physisch anwesenden Aktionäre auch auf die stets leicht verzögerte virtuelle Übertragung warten, was wohl vermehrt zu Langeweile oder gar Unmut führen würde.

Ausblick und Fazit

Trotz der Tatsache, dass Generalversammlungen in den letzten Jahren gar nicht physisch abgehalten werden konnten, steht die virtuelle GV auch mit dem neuen Aktienrecht noch ganz am Anfang. Die meisten kotierten Aktiengesellschaften scheinen von der Idee trotz der grossen Kostenersparnis wenig begeistert zu sein. Nicht kotierte Aktiengesellschaften scheinen diese Option sowieso kaum in Betracht zu ziehen, da der Austausch mit den Aktionären dort noch höher gewichtet wird. Und obwohl zahlreiche Gesellschaften entsprechende Statutenänderungen vorgenommen haben, behalten sie sich die Durchführung einer rein elektronischen GV nur für Ausnahmefälle vor. Zudem stellt sich die Frage, ob Gesellschaften eine virtuelle Versammlung nicht einfach nutzen wollen, um sich dem Kontakt der Aktionäre zu entziehen. Eine Generalversammlung ist schliesslich die einzige Möglichkeit für Aktionäre, den direkten Austausch zu den Gesellschaften zu pflegen. Vorsicht geboten ist auf jeden Fall auch bei den Statutenänderungen. Statt Pakettraktanden zu präsentieren, sollte die Möglichkeit einer virtuellen Durchführung besser einzeln zur Abstimmung vorgelegt werden, um die Stimmrechte der Aktionäre zu wahren.

Eine virtuelle GV bleibt damit bis auf weiteres lediglich ein Vehikel für ganz mutige Unternehmen, die hier im Sinne der Nachhaltigkeit und Effizienz eine Vorreiterrolle einnehmen wollen.

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