Carlo Gavazzi: Bewertungsdiskrepanz durch enttäuschende Halbjahreszahlen

Die Börse straft den Sensor-, Schalt- und Steuerelementehersteller für seine aktuellen Geschäftszahlen ab

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Der Produzent von Elektronikkomponenten bietet auch Lösungen für landwirtschaftliche Bewässerungssteuerungen. Bild: carlogavazzi.com

Seit 2019/20 war Gavazzi auf einen spektakulären Wachstumskurs eingeschwenkt, weshalb das jüngste Halbjahr nicht wie eine Krise aussieht, sondern eher wie eine Konsolidierung auf hohem Niveau. Man kann die harten Fakten des per 30.09.2023 beendeten Geschäftshalbjahres der Carlo Gavazzi Holding schnell abfrühstücken – und es versteht sich, warum kein Analyst darüber in Jubel ausbrechen mag: Der  Auftragseingang sank gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 37,5% auf 83.1 Mio. CHF, der Umsatz um 6,9% auf 97.5 Mio. CHF, das Periodenergebnis sogar um 10,9% auf 12.3 Mio. CHF. Was für ein trauriges Bild, nicht wahr? Passend zu den enttäuschten Erwartungen sank der Aktienkurs seit Veröffentlichung der Zahlen um knapp 10% von 340 CHF auf 308 CHF.

Wachstumstreiber Energiemanagement und Energieeffizienz

Bei genauerem Hinsehen lässt sich die negative Rezeption der Halbjahreszahlen nicht mehr nachvollziehen – im Gegenteil, denn der in Steinhausen ZG ansässige, global aktive Produzent von Elektronikkomponenten für Industrie- und Gebäudeautomation verteidigt damit das fünfte Halbjahr in Folge, ein gegenüber den Vorjahren hohes Niveau. Der jüngste Umsatzrückgang beruhte fast komplett auf dem starken Frankenkurs. Im ersten Vorjahressemester erreichte der Auftragseingang aufgrund einiger ausserordentlicher Faktoren einen Rekordwert. Somit kommt der moderate Rückgang nicht überraschend und wurde vom Unternehmen im Geschäftsbericht 2022/23 bereits in Aussicht gestellt. Aus Sicht eines Investitionsgüterherstellers (und dessen Aktionären) mag ein volles Auftragsbuch beruhigend wirken. Im Falle von Gavazzi entspricht der Auftragsbestand ungefähr dem Umsatz von sechs Monaten – verglichen mit einem Umsatzäquivalent von zweieinhalb Monaten vor rund drei Jahren eine durchaus komfortable Entwicklung. Aus Sicht der Kundschaft ist ein Abschmelzen des Auftragsbuches grundsätzlich als angenehm zu werten, müssen doch die Kunden weniger lange auf ihre bestellte Ware warten.

Die anderen Teile des Zahlenwerkes unterstreichen die Robustheit des Konzerns: So stieg die  Rohertragsmarge auf 53,6% nach 51,3%, die Liquidität um 10,8% auf 54,5 Mio. CHF und die Eigenkapitalquote auf beneidenswerte 72,5%. Die regionale Aufteilung der Umsätze zeigt sich wenig verändert, mit einer leichten Erhöhung in EMEA (69%) gegenüber einem leichten Rückgang in Amerika (19%) und Asia-Pazifik (12%). Das Unternehmen sieht eine Abschwächung seiner Geschäftstätigkeit im Segment der industriellen Automation, insbesondere in den USA und China. Steuerelemente waren stärker gefragt, Sensoren und Schalter etwas schwächer. Besonders fällt der hohe Zuwachs von 42,6% bei Steuerelementen für Energieanwendungen auf, welche namentlich durch eine ungebrochen lebhafte Nachfrage nach Energiemanagement- und Energieeffizienzsystemen getrieben sei.

Carlo Gavazzi «gestern» vs. «heute»

Um die Erwartungen der Börse in die Werthaltigkeit der Gavazzi-Aktie mit der tatsächlichen Entwicklung des Unternehmens zu verproben, ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich. Bevor diverse externe Effekte wie Covid-19-Pandemie und Ukraine-Krise zu Verzerrungen der Wertwahrnehmung von Aktien führten, bewegte sich der Kurs der Gavazzi-Aktie in einem Band von 240-280 CHF (Februar 2019 – Februar 2020). Mit dem Mittelwert von 260 CHF und den durchschnittlichen Umsatz- und Gewinndaten der drei Geschäftsjahre 2018/19 bis 2020/21 errechnet sich ein KUV von 1,23 und ein KGV von 19,25. Danach legte die Firmengruppe einen Sprung auf ein höheres Niveau an Aktivität und Erfolg vor – wohlgemerkt bei nahezu unveränderter Grösse der Belegschaft.

Rechnet man die Umsatz- und Gewinndaten der jüngsten fünf Geschäftshalbjahre 03/2021 bis 09/2023 auf volle Geschäftsjahre um und vergleicht deren Durchschnitte mit dem aktuellen Kursniveau von 308 CHF, so hat sich die Bewertung eines Umsatzfrankens mit einem KUV von 1,12 kaum verändert, das KGV hat sich jedoch auf 8,76 mehr als halbiert. Selbst um die Veränderung des Aktienkurses bereinigt ist eine Gavazzi-Aktie heute also gut doppelt so profitabel (oder «halb so teuer») wie vor dreieinhalb Jahren. Darüber hinaus wurde seit 2021 die Dividendenzahlung auf einem Niveau von zuletzt 3,9% Dividendenrendite wieder aufgenommen. Die Ausschüttungsquote von 30% lässt die Dividendenquote mindestens als nachhaltig erscheinen, wahrscheinlich liegt hier noch Potenzial für Erhöhungsschritte. Ein wachsender Anteil an Bauteilen für energiesensitive Anwendungen, Elektromobilität und Automation in Industrie und Gebäudetechnik sowie fortwährende Entwicklung neuer, innovativer Komponenten lassen eher auf ein weiteres Wachstum des Geschäfts schliessen als auf eine fundamental begründbare Verschlechterung.

Fazit

Der Zerfall des Aktienkurses von 390 CHF Ende Juli 2023 auf zuletzt 308 CHF (-21%) erscheint übertrieben. Pro kotierter Namenaktie je nom. 15 CHF dürfen sich die Aktionäre über einen Halbjahresgewinn von 17.36 CHF freuen. Für einen Investitionsgüterhersteller darf man eine gewisse Schwankungsbreite der Geschäftszahlen erwarten, zumal sich das globale Szenario von der «besten aller Welten» spürbar entfernt hat. Mit einem 12-Monats-KGV von 8,8, einer aktuellen Dividendenrendite von 3,9% auf Basis der letzten Ausschüttung und dem wachsenden Geschäft mit Produkten für die Umsetzung der Energiewende ist Carlo Gavazzi wohl die Art von Aktie, nach der so mancher Marktteilnehmer sucht.

Gründe für den Bewertungsabschlag könnten in der mehrheitssichernden Kapitalstruktur wie in der noch nicht zeitgemässen ESG-Agenda des Unternehmens liegen, doch hat sich an deren Existenz im betrachteten Zeitraum nichts geändert. Prozyklische Schwankungen sind für Zulieferer von Investitionsgüterproduzenten charakteristisch. Auftragslimiten empfehlen sich aufgrund des geringen Handelsvolumens.

Chart: Carlo Gavazzi
Kursverlauf der Aktie von Carlo Gavazzi in den letzten 5 Jahren. Chart: six-group.com

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