Macro Perspective: Kosmische Bescheidenheit – eine universelle Betrachtung

Die vierte kopernikanische Wende

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Ein Blick in Lichtjahre entfernte Galaxien. Bild: PD

«Wissenschaft ist Teil der Kultur. Tatsächlich ist es sogar die einzige wahrhafte globale Kultur, weil Protonen und Proteine überall auf der Welt gleich sind, und es ist die eine Kultur, die wir alle teilen können.» Marin Rees, 1942, Kosmologe und Astrophysiker

Selten war der gesellschaftliche Dissens in den letzten Jahrzehnten grösser. Unversöhnlich stehen sich Gegner im Pazifik, im Nahen Osten, in Europa und den USA, eigentlich fast überall gegenüber. Die Zeichen stehen auf Konflikt. Alte «Erbfeindschaften» und Feindbilder werden wiederbelebt, Ressentiments geschürt. Geht es allein um Hegemonialpolitik, ist es eigentlich ein Wirtschaftskrieg oder der ultimative Kampf um die Ressourcen?

Die Geister scheiden sich an fast allen Punkten. COP28, die jüngste Klimakonferenz, ist so ein Fall. Obwohl die Emissionen ungebremst steigen, feierten sich die Staatsmänner und -frauen in Dubai, als ob es grosse Erfolge gäbe. Die Veranstaltung war schon im Vorfeld mit einem riesigen Fragezeichen versehen, da die Glaubwürdigkeit doch sehr darunter litt, dass der Gastgeber in Personalunion zugleich Chef des staatlichen Ölkonzerns ist. Der kündigte rekordhohe Investitionen in die Fördersteigerung an, präsidierte jedoch die Klimakonferenz, deren Ziel die Reduzierung von Emissionen aus fossilen Energieträgern ist. Positiv immerhin, erstmals wurden an einer Klimakonferenz fossile Brennstoffe explizit als Hauptursache des Klimawandels benannt!

Rückschritte und Fortschritte beim Klimagipfel

Eine Lachnummer, wenn es für Küsten- und Inselbewohner oder auch Bewohner hochliegender Regionen wie der Schweiz in den Alpen nicht gar zu ernst wäre. Dennoch gab es auch Fortschritte, die jedoch bisher kaum einen Niederschlag in der Berichterstattung fanden. Beispielsweise gaben sechs grosse Nahrungsmittelkonzerne, darunter Nestlé, Danone und General Mills, eine neue Allianz bekannt, deren Ziel die Reduzierung der Methan-Emissionen bei ihren Molkerei-Aktivitäten ist. Überraschenderweise haben sich auch viele Öl- & Gas-Unternehmen verpflichtet, die besonders schädlichen Methan-Emissionen zu vermindern. Diese Schritte sind durchaus wesentlich, denn bisher entweicht Methan bei der Öl-Förderung noch meist unkontrolliert und ungefiltert. Dazu kommt der Methan-Ausstoss der weltweit 1.2 Mrd. Rinder. Diese beiden Quellen zählen zu den wichtigsten Ursachen der ungewollten Methan-Emissionen, zumindest im beeinflussbaren Bereich.

Permafrost und Methan

Im nicht beeinflussbaren Bereich sind andere Quellen auszumachen wie der auftauende Permafrost in Skandinavien, Kanada, Sibirien und sonstigem über Zehntausende von Jahren gefrorenen Land. Aber auch in den Ozeanen schlummern Methan-Bomben, die durch die steigenden Wassertemperaturen auftauchen und sich in die Atmosphäre entladen. Von Kumulativeffekten zu sprechen, wäre eine Untertreibung, denn die Ablagerungen haben sich ja teilweise über Zehntausende Jahre gebildet und erstrecken sich bis tief in den arktischen Meeresboden. Abgesehen von Methan werden aber auch alte Viren und Nematoden wieder zum Leben erweckt. Bei fortschreitendem Temperaturanstieg ist damit zu rechnen, dass 25% bis 50% der Permafrostböden auftauen. Eine Zeitbombe?

Schäden durch Naturkatastrophen nehmen zu

Auch in der Welt von Wirtschaft und Börse ist der Klimawandel angekommen. So zählen Rückversicherer wie Munich Re, Hannover Re und Swiss Re 2023 zu den am besten performenden Aktien. Die Prämien wurden mehrmals erhöht, die Gewinne steigen trotz hoher Schadensquoten. Doch viele Erstversicherer haben ihren Rückversicherungsschutz zurückgefahren, um Kosten einzusparen. Angesichts der rekordhohen Schadensummen in Folge von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen in Italien und Neuseeland, Waldbränden wie auf Hawaii, Hurricanes wie in Mexiko, Taifune im Pazifik und schwere Gewitter in Europa zeichnet sich für die Erstversicherer eine ertragsschwächere Periode ab.

Glücksfall Erde

Was den meisten Wirtschaftssubjekten und -akteuren überhaupt nicht klar zu sein scheint, ist der «Glücksfall Erde». Trotz intensiver Suche mit inzwischen hochpräzisen Teleskopen wurde bisher kein einziger Exoplanet entdeckt, auf dem intelligentes Leben begründet vermutet werden kann. Abgesehen davon wären auch die Distanzen mit den gegenwärtig verfügbaren primitiven Antriebstechnologien unüberwindbar. Und in unserem Sonnensystem ist die Erde der einzige Planet, der sich in der «habitablen Zone» befindet. Auf Venus ist es zu heiss, auf Mars zu kalt. Und ein vor kosmischer Strahlung schützendes Magnetfeld gibt es dort auch nicht. Atmosphären fehlen ebenso. Die Träume von der Besiedlung durch einige Multimilliardäre erscheinen zwar inspirierend, doch einen Exit vom vergifteten Planeten Erde bieten sie auch nicht.

Kosmische Zyklen

Die Erde hat schon genügend mit den kosmischen Einflüssen zu tun. Unser Planet kreiselt um seine Achse, was zu elliptischen Umlaufbahnen und Klimaextremen führen kann. Heiss- und Kaltzeiten wechseln sich in einem ewigen Wechsel ab. Alle 100’000 Jahre repolarisiert sich das Magnetfeld. Der Planet kann auch von dauerhafter vulkanischer Aktivität dominiert werden. Nicht zuletzt gab es schon etliche kosmische Katastrophen durch Einschläge von Meteoriten und Asteroiden oder Sonnenstürme. Das Leben kam zwar nach solchen Ereignissen stets zurück, doch die längste Zeit über haben nur Mikroben die Erde besiedelt.

Moai, kleine, durchschnittlich vierzig Zentimeter hohe, geschnitzte Figuren der Osterinsel-Kultur. Bild: PD

Das Klima und der Aufstieg und Fall von Kulturen

Unser Planet ist zwar nur ein kleiner blauer Punkt in der Unendlichkeit des Universums, aber eben der einzige Ort, der bewohnbar ist. Was die Erde von anderen Planeten unterscheidet, sind Luft, Wasser, ideale klimatische Voraussetzungen und unterschiedliche Lebensräume von Hochalpin bis Tiefsee. Viele Hochkulturen von den Maya über die Römer bis zu den Khmer überforderten die natürlichen Ressourcen und stiegen in klimaoptimalen Phasen zu Wohlstand, Macht und kultureller Blüte auf. Stets folgte der Zerfall – und der wurde meist von klimatischen Veränderungen initiiert oder verstärkt und beschleunigt. Schlechte Ernten, Überschwemmungen, Dürren führten regelmässig zu gesellschaftlichen Verwerfungen, Aufständen und Kriegen. Manche Hochkulturen verschwanden fast spurlos.

Partikularbetrachtungen und das Ganze

Der Unterschied zur globalisierten Welt heute ist, dass es nicht mehr um beschränkte Regionen in Zentralamerika, am Mittelmeer oder Südost-Asien geht, sondern um den Planeten als Ganzes. Der Trend zur Polarisierung, zu «wir und die anderen», zu Partikularbetrachtungen und Scheinlösungen wird weder der Tragweite noch der Dringlichkeit gerecht. Da passt es ins Bild, dass, statt den Herausforderungen ins Auge zu sehen, lieber Stellvertreterkriege und Propagandaschlachten inszeniert werden. Es stellt sich auch die Frage, was all die breite Bildung, die Explosion des Wissens und dessen Verfügbarkeit während der letzten 100 Jahre bewirkt haben. Nie war die Wissenschaftsfeindlichkeit ausgeprägter. Virologen, Klimaforscher, aber auch Juristen, Aktivisten, Politiker und Journalisten werden bedroht und eingeschüchtert, manchmal auch eingesperrt oder erschossen. Der Reality-Check im gesellschaftlichen Diskurs ist verloren gegangen, wohl weil sich jeder nur noch die Informationen aussucht, die seine Sichtweise bestätigen.

Dissens und Polarisierung

Extremisten jeder Couleur haben Aufwind. Ob Populisten wie Orban, Fundamentalisten oder Nationalisten, sie bieten jeweils die einfachen Parolen, nennen die Schuldigen und fangen den aufgekochten Zorn in Form von Stimmen ein. In weiten Teilen der Welt herrschen Diktatoren oder absolute Machthaber, die sich in Wahlen als einziger Kandidat im Amt haben bestätigen lassen. Alles in allem steht es in der globalen Betrachtung schlecht für die Demokratie und ihre Werte aus.

Transformation zur intelligenten Zivilisation

Ein guter Anfang der geforderten globalen Initiative ist der Entschluss vieler Länder, den Einsatz von Kohle, Erdöl und Gas zu reduzieren und letztlich aufzugeben. Dass die Produzenten darüber nicht jubeln, ist klar. Aber sie haben die gleichen Chancen, an der Transformation der Energiewirtschaft mitzuwirken und davon zu profitieren. Am Rande bemerkt: Astronomen, die im All nach intelligentem Leben suchen, haben neben Radiowellen vor allem Installationen von Solarkollektoren in Entfernung der Planeten im Visier, sogenannte Dyson-Sphären, nicht durch Verbrennung organischen Materials verschmutzte Atmosphären.

Die Liebe zum Verbrennungsmotor

Intelligente Antriebstechnologien sind ein Forschungsgebiet, auf dem die Menschheit noch nicht sonderlich weit vorangekommen ist. Das mag damit zusammenhängen, dass seit 100 Jahren der gesamte Transport-Sektor sowie weite Teile der Energieerzeugung und der industriellen Produktion auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe basieren. Anstatt mit Entschlossenheit Alternativen zu entwickeln, werden jedes Jahr Unsummen in Neuerungen investiert, und dies, obwohl das Ende des Verbrennungsmotors absehbar ist.

Fetisch SUV

Überhaupt erscheint der zunehmende Geschwindigkeitsrausch in immer grösseren SUVs unangebracht. Die Unfallzahlen steigen, und die Zahl der totgefahrenen Fussgänger ist in den USA seit 2011 um 77% angestiegen! Ohne SUVs wären die Emissionen des Verkehrssektors in den letzten 10 Jahren um 30% gefallen. In Paris werden für SUVs seit Kurzem höhere Parkgebühren erhoben. In London setzte der Bürgermeister eine «Ultra Low Emission Zone» durch. Die Fahrer alter Modelle, die Grenzwerte überschreiten, werden drastischen Gebühren unterworfen.

Distanzen und Antriebstechnologien

Eine Zukunft jenseits der Erde erscheint derzeit illusorisch. Schon zum nächstgelegenen Sonnensystem Proxima Centauri beträgt die Distanz 15 Lichtjahre. Viel mehr als 2% der Lichtgeschwindigkeit lassen sich mit verfügbaren Antriebstechnologien bislang nicht erreichen. Zudem gilt: Je mehr Treibstoff erforderlich ist, umso unmöglicher die Mission. Nicht chemische Antriebssysteme wie Quanten-Vakuum-Schubdüsen, nano-elektrokinetische Schubdüsen oder Photonen-Raketen sind theoretisch möglich, sind allerdings wohl noch weit von der Realisierung entfernt.

Geschwindigkeitsrausch

Es wirkt schon absurd, welches Aufheben um Automobile mit ihrer primitiven Antriebstechnologie gemacht wird, setzt man es in Relation dazu, dass sich unser Planet mit 100’000 Stundenkilometern durchs All bewegt, unser Sonnensystem mit 850’000 Stundenkilometern und die Milchstrasse mit 2 Mio. Stundenkilometern.

Kosmische Bescheidenheit

Nicht weniger abstrus erscheint, wie leichtfertig so getan wird, als ob alles im Griff wäre, dass wir, die Menschheit, alles wissen und kontrollieren und beherrschen können. Radioaktivität, Viren, toxische Substanzen in der Umwelt, den Klimawandel … Wir erleben aber gegenwärtig die vierte kopernikanische Revolution – und die sagt, dass wir praktisch sehr wenig wissen. Weniger als 10% des Universums, die Welt der Materie, erschliesst sich uns, doch für die verbleibenden 90% werden noch immer die sehr treffenden Termini «dunkle Materie» und «dunkle Energie» verwendet. Ausser dass sie da sind und wirken, wissen wir fast nichts. Was wir wissen, ist, dass das Universum immer weiter und schneller expandiert. Eine neue Erkenntnis ist, dass die ältesten beobachtbaren Galaxien ca. 13.5 Mrd. Lichtjahre alt sind, sich aber in 34 Mrd. Lichtjahren Entfernung befinden. Nichts ist schneller als Licht – ausser dem Raum, der sich ausdehnt.

Zu dem, was erforderlich ist, um die Erde weiterhin habitabel zu halten sagt der Astronom der Queen und Mitglied des House of Lords, Martin Rees: «Mit Blick auf den Klimawandel ist die Bedrohung langfristig und diffus und braucht breites internationales Handeln für das Wohlergehen der Menschen, die in den kommenden Dekaden leben werden. Und in der Politik sticht das Dringliche stets das Wichtige aus, und das ist es, was es zu einer schwierigen und herausfordernden Sache macht.»

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