«Wir wissen jetzt, dass Inflation ein Resultat von all den Defizitausgaben ist.» Ronald Reagan, 1911-2004, US-Präsident 1981-1989, Schauspieler
Kaum drei Wochen ist es her, als noch die Schwäche des Franken diskutiert worden ist. Die Europawahlen fielen zwar wie prognostiziert aus, doch die Unsicherheiten sind durch die Ergebnisse allenfalls noch gestiegen. Franken, US-Dollar und Gold bleiben die sicheren Häfen. Die Aktienindizes verloren nicht nur in Paris, sondern auch in Frankfurt und Mailand.
Die eigentliche Quelle der Verwerfungen an den Aktien- und Devisenmärkten scheint aber nur vordergründig der Rechtsrutsch in vielen Ländern bei den Europawahlen zu sein. Vielmehr überraschte der französische Präsident Macron mit der kontroversen Entscheidung, Neuwahlen der Nationalversammlung, also des französischen Parlaments, anzusetzen, und zwar mit äusserst kurzer Frist. Bereits am 30. Juni werden die Franzosen erneut zur Urne gebeten. Macron hat noch drei Jahre als Präsident vor sich, will aber keine Cohabitation mit einer rechts-konservativen Regierung. Die Neuwahl soll den «Wähler entscheiden lassen», diesmal allerdings nicht auf EU-Ebene, sondern zur Zusammensetzung des nationalen Parlaments.
Macrons Überraschungsstrategie
Allgemein herrscht nun grosse Angst, dass dieses Manöver Macrons mit einem Sieg der rechtskonservativen Kräfte endet und somit das herbeiführt, was Macron seit Jahren verhindern will. Die Annahme, dass die Wahlergebnisse gleich ausfallen wie bei der Europawahl, ist jedoch wahrscheinlich falsch. Zum einen war die Wahlbeteiligung bei Europawahlen schon immer geringer als bei nationalen, zum anderen kommen bei Wahlen auf nationaler Ebene Motive und Zielsetzungen zum Tragen, die bei der Europawahl traditionell weniger Gewicht haben.
Schwacher Euro, starker Franken
Die spontane Reaktion der Bondmärkte in der EU war ein zeitweiliger Ausverkauf, bei dem insbesondere die Kurse der französischen Staatsanleihen unter Druck gerieten. Danach fielen die Renditen wieder, ausgehend von Konjunktursignalen in den USA, die eine nachlassende Inflationsentwicklung anzeigten. Denkbar sind aber auch Interventionen der EZB, die ja u.a. dafür sorgen soll, dass die Finanzierungsbedingungen in den EU-Ländern nicht auseinanderklaffen. Die Rendite der Schweizer 10-jährigen Staatsanleihen ist seit den Europawahlen deutlich von 0,86% auf 0,67% gefallen, was Hand in Hand mit dem beschleunigten Anstieg des Franken an den Devisenmärkten geht und einmal mehr die Funktion der Schweizer Währung und der Staatsanleihen als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten dokumentiert. Daran ändert auch die jüngste Zinssenkung der SNB nichts, auch wenn diese kurzfristig die Abwärtsbewegung des Euro gestoppt hat.
Kontinuität oder Desaster?
Macrons Manöver ist jedoch gründlich durchdacht und zwar riskant, aber eben auch unmissverständlich in den Konsequenzen, unter denen die Wähler nun ihre Entscheidung zu treffen haben. Es ist eine Richtungswahl. Findet sich nach der Parlamentswahl eine Mehrheit in der demokratischen Mitte, bleibt Frankreich die «Grande Nation», eine Weltmacht, Industrienation und ökonomisch unter den führenden Ländern. Kommen dagegen Extremisten an die Macht, droht der Niedergang. Die Fortführung von NATO und EU-Politik käme zum Ende. Eine pro-russische und nationalistische und auch sozialistische Politik würde folgen. Die von den Populisten versprochenen Steuererleichterungen und Subventionen sowie das Vorziehen des Rentenalters würden zu hohen Budgetdefiziten führen und die Staatsverschuldung in Höhe von 3.2 Billionen Euro unkontrolliert weiter eskalieren lassen. Das Haushaltsdefizit erreichte 2023 bereits 5,5% des BIP, die Staatsverschuldung bewegt sich bei 110%, Tendenz weiter steigend, beides weit jenseits der Maastricht-Kriterien von 3% respektive 60%. Die Folgen für Frankreich und, in der Konsequenz, die EU wären katastrophal, da die Volkswirtschaften in den letzten Jahrzehnten einen hochgradigen Integrationsprozess durchlaufen haben. Die EU forderte Frankreich und weitere sechs EU-Länder nachdrücklich auf, den Kurs zu ändern und leitete nun Defizit-Strafverfahren ein, die sich negativ auf die Länderbonität auswirken können.
Was wäre, wenn?
Wer sich noch an Liz Truss, die kurzzeitige Premierministerin im UK, erinnert, und daran, welche Folgen ihre Politik zu zeitigen drohte, sieht die Psycho-Logik im Vorgehen Macrons. Nach dem Sturz von Boris Johnson war Truss eine von acht nominierten Kandidatinnen und Kandidaten für die Nachfolge. Sie machte am Ende gegen ihren Nachfolger Sunak das Rennen. Das war erst im September 2022. Nach 45 Tagen im Amt erklärte sie ihren Rücktritt am 20. Oktober 2022. Es war die kürzeste Amtszeit eines britischen Premiers, und nach heutiger Einschätzung war sie die unfähigste, schlechteste, untauglichste und am wenigsten eindrucksvolle Persönlichkeit, die je das Amt bekleidete. Was war geschehen? Truss hatte infolge der Energiepreisinflation hohe Heizkostenzuschüsse für Privathaushalte in Höhe von 150 Mrd. GBP gewährt, Steuersenkungen versprochen und eine höhere Schuldenaufnahme angekündigt. Die Märkte senkten schnell den Daumen! Die Währung kollabierte, die Renditen der Staatsanleihen schossen in die Höhe. Das brachte das private Pensionsfondssystem an den Rand des Kollapses, die Bank of England musste an den Finanzmärkten mit Interventionen von rund 65 Mrd. GBP eingreifen, um eine eskalierende Krise zu vermeiden.
Unabhängigkeit der Fed in Gefahr
Truss nahm im Februar 2024 an einer sogenannten CPAC-Konferenz des US-Präsidentschaftskandidaten Trump teil und behauptete dort, sie sei durch mächtige Institutionen des «Deep State» wie die Bank of England unterminiert worden. Ähnliches ist auch seit Jahren von Trump zu hören. Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen hat definitiv weitreichende Konsequenzen für das Welt-Finanzsystem. Sollte Trump nochmals zum Präsidenten gewählt werden, würde die US-Notenbank Fed ins Visier geraten. Trump hat nie seine Vorliebe für tiefe Zinsen und einen schwächeren USD verhehlt und auch kein Geheimnis aus seiner gewachsenen Abneigung gegen Jerome Powell gemacht, den er selbst ins Amt gebracht hatte. Laut Medienberichten zu geheimen Plänen des Beraterstabs von Trump soll Powell abberufen werden und die Fed ihre Unabhängigkeit verlieren. Deren Politik soll mit der der Administration übereinstimmen. Das kann nur über die Ernennung und Berufung der einzelnen Fed-Präsidenten und -Gouverneure geschehen. Wie der Prozess im Einzelnen abläuft, hat Reuters übersichtlich dargestellt.
Trumps politische Rezepte
Wie Truss und Le Pen und die sonstigen Rechtspopulisten würde auch Trump Steuergeschenke verteilen, die Haushaltsdefizite erhöhen und eine isolationistische Politik verfolgen. Der Austritt aus der NATO ist sehr wahrscheinlich, und auch Trump ist pro-russisch eingestellt. Alles in allem eine Veränderung der Nachkriegs-Weltordnung, nicht nur geopolitisch, sondern auch in der Welt von Wirtschaft und Finanzen. Die Inflationserwartungen würden steigen, neue Wirtschaftskriege entstehen – eine neue Phase der Stagflation wäre im besten Fall zu erwarten. Es könnte aber auch sehr viel schlimmer enden. Die Glaubwürdigkeit der US-Währung wäre bei weiterhin auflaufender Staatsverschuldung schnell verspielt. Das aktuelle Haushaltsdefizit liegt schon bei 6,3% des US-BIP. 2023 belief sich das Defizit auf 1.7 Billionen USD, bei weiter steigender Tendenz. Gut möglich, dass in einem solchen Szenario der derzeit starke USD einen Schwächeanfall erleidet. Als möglicher Profiteur dürfte sich einmal mehr Gold erweisen, nachdem der Krypto-Sektor in den letzten Wochen der wachsenden Unsicherheiten deutlich verlor, während Gold in Rekordnähe bleibt.
Währungsdebakel und Gold
Die wichtigsten Währungen wie Euro und Yen tendieren schwach, ebenso die meisten Emerging-Market-Währungen. Gewinner sind bislang USD, andere Währungen des Dollar-Blocks und der Franken. Bei einer USD-Krise ist zwangsläufig Gold die Reserve-Währung, die überall auf der Welt Akzeptanz findet. Die Notenbanken sind schon seit Jahren dabei, ihre Goldbestände aufzubauen, um gewappnet zu sein. Der starke Anstieg des Goldpreises seit Anfang Jahr wird hauptsächlich auf massive Zukäufe der chinesischen Notenbank zurückgeführt.
Rekordstimmung und Index-Camouflage
An der Aktienbörse herrscht noch immer Rekordstimmung. Allerdings bezieht sich das hauptsächlich auf die Börsenplätze New York und Tokio. Der marktbreite Schweizer Small- und Mid-Cap Index SPIEXX hat dieses Jahr gerade 2,6% zugelegt und liegt aktuell tiefer als im Februar 2020 und 23% unter den Hochs von September und November 2021. An der richtungsgebenden US-Börse bewegt sich der S&P 500-Index dagegen um 80% über dem Stand vom Februar 2020 und hat 2024 bislang um 15% zugelegt. Der Nasdaq-Index hat sich seit Februar 2020 fast verdoppelt und dieses Jahr 19% gewonnen. Insgesamt erreicht die Market Cap der 3686 börsenkotierten US-Unternehmen 56 Billionen USD. Zum Vergleich: Die Schweiz, Frankreich und Deutschland bewegen sich jeweils bei um die 2 Billionen USD.
Die Zugpferde der Hausse
In den Indizes sind die sogenannten Mega-Caps durch ihre Kursanstiege extrem hoch gewichtet und ziehen diese hoch, obwohl die meisten Aktien weit von ihren Höchstkursen entfernt sind. Das schafft ein trügerisches Umfeld. Rund 15 Billionen USD der US-Market Cap entfallen auf nur sechs Aktien: je 3.3 Billionen USD auf Nvidia, Apple und Microsoft, 2.2 Billionen USD auf Alphabet, 1.9 Billionen USD auf Amazon und 1.3 Billionen USD auf Meta Platforms. Knapp unter 1 Billion USD folgen Berkshire Hathaway, Eli Lilly und Broadcom. Tesla ist in den 500 Mrd. USD Bereich abgestürzt und liegt aktuell etwa gleichauf mit JPMorgan und Visa.
Nvidia – Wenn Träume wahr werden
Spätestens nach dem ersten Quartal 2023 hätte jedem Investor klar geworden sein müssen, dass die Kommerzialisierung der KI die Börsenlandschaft neu gestaltet. Zu diesem Zeitpunkt lag der Aktienkurs von Nvidia splittbereinigt bei 27 USD, jetzt bei 136 USD. Somit wurde in etwas mehr als einem Jahr ein Marktwert von 2.5 Billionen USD für die Aktionäre geschaffen. Das Kurs-Umsatz-Verhältnis liegt bei 54. Wer diese Chance verpasst hat, kann nun noch aufspringen oder alternative Investments prüfen. So oder so, die Börse bleibt aufgrund der divergierenden Markttrends und Trendbrüche gefährlich. Mit überbewerteten Aktien liessen sich noch selten grössere Gewinne erzielen.
Die Zeichen sind klar, und es wäre für alle Akteure und auch Wähler sinnvoll, einmal Reagans Worte zu bedenken: «Wir haben keine Billionen-Dollar-Schulden, weil wir nicht genug Steuern erhoben haben; wir haben eine Billionen-Dollar-Verschuldung, weil wir zu viel ausgeben.»