
Noch im September 2023 bewegte sich die Aktie von Kuros Biosciences unter 2 CHF. Es war eine ziemliche Überraschung für die Marktteilnehmer, als der Kurs dann bis auf 34 CHF anzog. Das sind über 1600% Performance. Der Biotech-Sektor ist definitiv auch an der SIX wieder zum Leben erwacht, nach der Trockenzeit der letzten Jahre. Santhera Pharmaceuticals kommt nun in eine vergleichbare Phase der Kommerzialisierung. Könnte sich das Kurswunder wiederholen?
Sowohl Kuros wie auch Santhera Pharmaceuticals sind für Schweizer Investoren in heimische Biotech-Aktien keine Unbekannten. Kuros, ein Spin-off der ETH Zürich, schlüpfte 2016 in den Börsenmantel von Cytos, die wiederum zuvor den Börsenmantel von Asklia übernommen hatte. Die Vorläufergesellschaft ist also seit 1997 an der SIX, obwohl es keine Kontinuität in der Unternehmenshistorie gibt. Der bereinigte Kurs damals lag laut SIX im Hoch bei 33’500 CHF. Über die Jahre sind die Dezimalstellen nach und nach verloren gegangen, bis der Kurs dann unter 2 CHF fiel. Allerdings fanden auch sieben Aktiensplits seit 2012 statt. Oft totgesagt, hat Kuros nun jedoch scheinbar die Kurve genommen.

Börsenfantasie bei Kuros
In den ersten drei Quartalen 2025 lagen die Umsätze mit 101.1 Mio. USD um 77% über der Vorjahresperiode. 99% davon entfallen auf MagnetOs, das nach der Zulassung durch die FDA neu am US-Markt eingeführte Delivery System für Knochentransplantate zum Einsatz bei minimalinvasiven Wirbelsäulenoperationen. Zulassungen in weiteren Regionen stehen bevor. Die Börsenfantasie hat sich wohl an dem bereits vorhersehbaren jetzt deutlich positiven EBITDA in Höhe von 7.4 Mio. USD, nach 1.6 Mio. USD in den ersten neun Monaten 2024 entzündet. Ohne die US-Zölle, die ja nun wieder auf 15% reduziert werden sollen, errechnet sich sogar ein 9-Monats-EBITDA von 12.2 Mio. USD.
Kommerzialisierung erfolgreich
Nach Gewinnrealisierungen hat die Aktie zwischenzeitlich etwas Boden preisgegeben und bewegt sich bei 27 CHF. Die Marktkapitalisierung beträgt damit mehr als 1 Mrd. CHF. Durch die Vertriebspartnerschaft mit dem Medtech-Riesen Medtronic dürfte die Marktpenetration in den USA schnell verlaufen. Für 2027 werden Umsätze bis zu 250 Mio. USD erwartet. Dazu kommen weitere Märkte, der Ausblick ist also positiv. Die Technologie ist bisher bekannten Alternativen überlegen, da die Heilung und Bildung von gesundem Knochengewebe durch osteoimmunologische Prozesse beschleunigt wird.
Auf und Ab bei Santhera
Der Börsengang von Santhera Pharmaceuticals fand Ende 2006 statt. Nach Höchstkursen um die 1300 CHF folgte eine Talfahrt bis auf 13 CHF. Doch 2014/2015 war die Santhera-Aktie mit einem Wiederanstieg auf über 1’300 CHF, also um 9’000%, die bestperformende Aktie weltweit. Danach ging es abermals abwärts, seit 2021 bewegt sich die Aktie unter 20 CHF. Das Tief lag Ende 2023 bei 5 CHF, aktuell beträgt der Kurs 10.60 CHF.

Renaissance von Santhera
Die Lage war in den letzten Jahren schwierig, doch inzwischen hat das 2019 angetretene Management um CEO Dario Eklund die Gesellschaft entschuldet, frisches Kapital beschafft und 2023 eine Zulassung für die USA und die EU erhalten. Der Roll-out von Agamree, einer innovativen Therapie für die seltene Duchenne-Krankheit, hat in diesen Regionen bereits begonnen. In den USA, dem wichtigsten Markt, wurden vom Partner Catalyst im ersten Halbjahr 49.4 Mio. USD umgesetzt. Für das Gesamtjahr zeichnen sich über 100 Mio. USD ab.
Rare-Disease-Spezialist
Die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) ist eine genetisch bedingte Krankheit, für die es bisher keine Heilung gibt. Mit rund 300’000 geschätzten weltweiten Fällen ist es eine sogenannte «Rare Disease». Für Therapien seltener Krankheiten wurde die «Orphan Act» Gesetzgebung auf den Weg gebracht. Demzufolge werden Zulassungsanträge beschleunigt bearbeitet und eine verlängerte Marktexklusivität gewährt. Der Grund ist, dass Big-Parma-Unternehmen sich in aller Regel auf Massenmärkte wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Stoffwechsel konzentrieren.
Krankheitsbild und Medical-Need
DMD ist eine tückische Krankheit, die fast ausschliesslich bei Jungen im Alter von vier bis fünf Jahren diagnostiziert wird. Zu den Eigenheiten zählt, dass es über die Mutter vererbt wird. Es ist ein Gendefekt, der verhindert, dass der Körper funktionierendes Dystrophin produziert, ein Protein, das für Funktion und Stabilität der Muskelzellen unerlässlich ist. Ohne Dystrophin zerfallen die Muskelfasern, was zu Muskelschwäche, Verlust der Gehfähigkeit, Atem- und Herzproblemen führt. Den Grossteil des Lebens verbringen die Betroffenen im Rollstuhl, die Lebenserwartung beträgt 25 bis 35 Jahre. Die Therapie besteht bisher aus Kortikosteroiden wie Prednison. Diese verlangsamen den Fortschritt der Krankheit zwar um zwei bis drei Jahre, sind aber hochgradig toxisch. Zu den Nebenwirkungen zählen gesteigerte Aggressivität, Gewichtszunahme, Knochenfrakturen und Glaukom. Wegen der Toxizität der Kortikosteroide, wird die Dosis im weiteren Krankheitsverlauf reduziert. Die Lebensqualität der Patienten und der Familien ist schwer belastet, auch weil es keine Aussicht auf Heilung gibt. Doch immerhin ist nun Besserung in Sicht.
Mehr Lebensqualität
Heilen kann auch Agamree die Patienten nicht, doch das modifizierte Steroid vermeidet einen Grossteil der bekannten Nebenwirkungen, so die Ergebnisse der durchgeführten Studien. Das subjektive Befinden der juvenilen Patienten ist besser und damit auch die Lebensqualität der gesamten Familie. Agamree ermöglicht den Patienten eine «normale» Pubertät und Adoleszenz ohne die künstlich induzierte Aggressivität, die Steroide bekanntermassen mit sich bringen. Entscheidend ist, dass eine gesunde Sozialisation der Patienten in den für die Entwicklung kritischen Jugendjahren ermöglicht wird und damit eine wesentliche Verbesserung zur bisherigen Therapie hergestellt wird.
Globale Fallzahlen
90% der DMD-Diagnosen werden in den USA und Westeuropa gestellt. Gegenwärtig sind das 15’000 respektive 13’000 Patienten. In Zentraleuropa dürften es 4’000 Fälle sein, für China und Fernost werden bis zu 90’000 Fälle geschätzt. Im Rest der Welt könnte es bis zu 180’000 weitere Patienten geben. Abgesehen von den USA und Westeuropa bleibt DMD oft undiagnostiziert, weil es an Expertise mangelt.
Kommerzialisierungspotenzial für Agamree
Am weitesten vorangeschritten ist die Markteinführung in Österreich und Deutschland. Dort sind bereits 40% bis 50% der Patienten, die Steroide einnehmen, auf Agamree umgestellt, nachdem die Kostenerstattung mit den Kostenträgern vereinbart worden ist. Der Preis in Deutschland gilt als Referenzgrösse für die anderen europäischen Länder. Pro Jahr benötigt ein Patient 15 Flaschen Agamree, die jeweils 3’612.50 Euro kosten. Im ersten Halbjahr 2026 stehen voraussichtlich die Markteinführungen in Spanien, Italien und China an.
Gebündelte Distribution
Ein Vorteil im Segment der seltenen Krankheiten ist, dass die Patienten in aller Regel in lokalen Therapiezentren versorgt werden. Soweit bekannt, werden rund 90% der diagnostizierten DMD-Fälle in den meisten EU-Ländern in je 20 bis 30 Zentren und in den USA in rund 100 Zentren behandelt. In Westeuropa vermarktet Santhera daher Agamree selbst, womit 100% der Erlöse bei Santhera bleiben. Der Zugang zu den Entscheidungsträgern ist durch die langjährige Kooperation in der Forschung und bei den durchgeführten Studien gut.
Lizenzgebühren international
Wo Partner in anderen Regionen den Vertrieb besorgen, sind unterschiedliche Lizenz- und Vergütungssätze vereinbart. Die Royalties aus den USA und China liegen im niedrigen Teen-Bereich, der Umsatzanteil aus Zentraleuropa bei zwei Dritteln. Der Rest der Welt wird ebenfalls von Distributionspartnern bedient, wobei 60% der Erlöse an Santhera fliessen. Dazu kommen vorgelagerte Upfront Payments sowie Milestone Payments, wenn bestimmte Hürden genommen werden. Liegt der US-Umsatz in 2025 bei über 100 Mio. USD, erhält Santhera neben den Lizenzgebühren 12.5 Mio. USD als Milestone Payment.
Cash-Flow-Projektionen
Die Umsatzentwicklung hängt von weiteren Zulassungen, Einigungen mit Krankenkassen und dem Tempo der Marktpenetration in den einzelnen Märkten ab. Für Westeuropa erwartet Santhera bis 2030 einen Umsatz von 150 Mio. Euro. In den USA könnte der Umsatz bis 2030 bei 250 Mio. USD liegen, wovon Santhera dann Royalties erhält, denen kein Aufwand mehr entgegensteht. Zusammengenommen mit den erwarteten Lizenzgebühren aus Zentraleuropa und Fernost errechnet sich eine Summe von über 50 Mio. CHF. Dazu kommen noch hohe Umsatzanteile aus neuen Märkten wie Indien, Türkei, Brasilien und den Golfstaaten, wo bereits Zulassungen beantragt wurden. Darüber hinaus werden weitere Meilensteinzahlungen bei der Erreichung definierter Ziele fällig. Dies ist besonders mit Blick auf die USA relevant, wo die Marktexklusivität bis 2040 gewährleistet ist und somit Meilensteinzahlungen für 15 Jahre zu erwarten sind.
Umsatzsteigerungspotenzial und Kostenentwicklung
Upside-Potenzial entsteht weiterhin aus der Ausweitung der Indikationsgebiete, woraus ein Jahresumsatzvolumen von 1 Mrd. CHF erwachsen kann. Dem stehen Betriebskosten in Höhe von 50 bis 55 Mio. CHF jährlich gegenüber, die in den Folgejahren bei der weltweiten Markteinführung von Agamree laut CEO Eklund auch nicht nennenswert steigen werden. Eine Priorität für die nächsten zwei Jahre ist die Rückführung der restlichen Verbindlichkeiten. Dadurch dürfte das operative Wachstum erst verzögert auch in den Gewinnausweisen erkennbar werden. Nach diesem Zeitplan wird Santhera in absehbarer Zeit ein sehr profitables Biotech-Unternehmen werden.
Was könnte schiefgehen?
Wo die Vergangenheit erratisch verlaufen ist wie bei Kuros und auch Santhera, erinnert schon der langfristige Kursverlauf daran, dass es auch Risiken geben muss, die zu Kursstürzen führen können. Was bei beiden dieses Mal anders ist: Die Produkte sind nicht nur innovativ und besser als bisherige Lösungen, sondern sie haben auch Zulassungen und werden bereits am Markt eingeführt. Damit sind die wesentlichen operativen Risiken eliminiert. Patent- oder Rechtsstreitigkeiten sind nicht anhängig. Finanzierungsengpässe sind nicht absehbar. Aber gegen Short-Selling-Attacken sind vor allem kleinere Unternehmen wie Santhera mit aktuell 142 Mio. CHF Marktkapitalisierung anfällig. Eine solche gab es eine Woche nach der Medienmitteilung vom 22. September, woraufhin der Kurs unter hohen Volumina von 14 CHF auf 10 CHF fiel. Die Leerverkaufsquote erhöhte sich auf 7%. Das Gute daran ist, dass früher oder später Eindeckungskäufe erfolgen müssen.
Fazit
Wunder gibt immer wieder. Und bei manchen Aktien sind sie wahrscheinlicher als bei anderen. Aufgrund des extrem prozyklischen Anlageverhaltens der Investoren in börsenkotierte Schweizer Biotechaktien können gerade bei Titeln, die eine «wunderliche» Historie aufweisen, auch wirklich extreme Kursbewegungen auftreten. Das Beispiel Kuros war vielleicht ein Einzelfall, doch wenn es einen Kandidaten für ein ähnliches Kursfeuerwerk gibt, dann dürfte es wohl Santhera sein.





