Im Brennpunkt: Digitale Disruption – Schattenbanken und Fintechs revolutionieren die Finanzindustrie

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Es ist der perfekte Sturm für Banken. Negativzinsen, die die Marge auffressen, dazu die kostenintensive Überregulierung und jetzt auch noch Eindringlinge ins traditionelle Bankgeschäft aus allen Richtungen. Das sprichwörtlich scheue Kapital ist auf der Flucht, die Bankaktien loten neue Tiefststände aus.

Die Kernumsätze können aufgrund der digitale Disruption im Durchschnitt um 30% zurückgehen. Abb. Fig. 23, Quelle: Citi Digital; Citi Research; Investor presentations & annual reports
Die Kernumsätze können aufgrund der digitale Disruption im Durchschnitt um 30% zurückgehen. Quelle: Citibank

Das Wichtigste zuerst: Der Transformationsprozess in der Wirtschaft, der mit dem digitalen Wandel einhergeht, ist irreversibel. Zehn Jahre nach dem Beginn der Internet-Disruption weisen die zuerst betroffenen Industrien wie Publishing, Musikvertrieb oder Reisebuchungen immer das gleiche Muster auf. In den ersten drei Jahren läuft die Migration von physischen zu digitalen Kanälen erst zögerlich, doch ab Jahr vier kommt es zu einer Beschleunigung – mit dem Resultat, dass durchschnittlich nach zehn Jahren 44% des Geschäftsvolumens dauerhaft „digitalisiert“ sind: Das jedenfalls hat Citibank Research ermittelt. Die Kernumsätze gehen in dieser Zeitspanne im Durchschnitt um 30% zurück.

China führt bei der Digitalisierung

In der Welt der Banken und Finanzdienstleistungen wird zwar seit Jahren schon viel über Digitalisierung gesprochen, tatsächlich jedoch ist in den USA und Europa bislang weniger als 1% des ausstehenden Kreditvolumens durch Fintechs digital vermittelt worden, wenngleich die Wachstumsraten hoch sind. China ist, für viele überraschend, mit einer digitalen Direct Lending Quote von 3% des an Konsumenten vergebenen Kreditvolumens weltweit an der Speerspitze der Entwicklung. 67 Mrd. USD beträgt das Volumen: zehn Mal so viel wie beim europäischen Marktführer UK und auch vier Mal so viel wie in den USA.

PayPal und AliPay

Voraussetzung hierfür ist laut Citibank die in China hohe Durchdringung des e-Commerce durch Alibaba, Tencent usw. Das hat früh zu einer Fokussierung auf digitale Zahlungslösungen beigetragen. Die reine Zahlungsabwicklung stellt zwar nur ca. 7% des Ertragskuchens bei Banken dar, ist aber aufgrund der technologischen Disruption besonders anfällig für Eindringlinge wie PayPal, deren Geschäftsvolumen 2015 bei 282 Mrd. USD lag. Der im Westen führende Zahlungsabwickler ist seit einem Jahr an der Börse und kommt auf eine Börsenkapitalisierung von 50 Mrd. USD: drei Mal so viel wie Deutsche Bank und das Doppelte von Credit Suisse! Also mehr als die beiden traditionsreichen Grossbanken zusammen! Das Geschäftsvolumen des chinesischen Marktführers, AliPay aus dem Alibaba-Konzern, liegt beim über Dreifachen von PayPal.

Rasche Disruption im Banking prognostiziert

Bei einer Extrapolation der Wachstumsraten im Direct Lending prognostiziert das Citibank Research Team für China eine Quote von 9% des Konsumentenkreditvolumens bis 2018. Für die USA erwarten die Analysten eine digitale Quote von 10% beim Consumer Banking bis 2020 und von 17% bis 2023. Basierend auf den beobachteten Trends dürften sich die disruptiven Kräfte insbesondere in den Bereichen Zahlungsverkehr, Direktkredite und Persönliches Finanzmanagement entfalten.

Fintech Investitionen steigen exponentiell

Das Investment in Global Fintech hat sich in den 5 Jahren seit 2010 verzehnfacht Quelle: Citibank
Das Investment in Global Fintech hat sich in den 5 Jahren seit 2010 verzehnfacht. Quelle: Citibank

Dies wird auch durch die Sektorallokationen bei der Analyse der Investitionen in Fintech-Unternehmen deutlich. Von den 19 Mrd. USD Investitionen in den Sektor in 2015 entfielen 47% auf den Kreditbereich mit Fokus auf KMU- und Privatdarlehen. 26% entfielen auf Zahlungsdienstleistungen für Konsumenten. Das Investment in Global Fintech hat sich in den 5 Jahren seit 2010 verzehnfacht. Im Vergleich: Die global aktiven Banken haben 2015 rund 200 Mrd. USD für IT-Investitionen aufgebracht, das Zehnfache der privaten Investitionen in Fintech-Unternehmen. Die Frage ist, ob sich diese Investitionen für die Marktteilnehmer auch vollumfänglich amortisieren werden. Auch für 2016 und die Folgejahre sind für die globalen Banken IT-Investitionen von über 200 Mrd. USD p.a. zu erwarten.

Personalabbau bei Banken setzt sich fort

Ein Effekt, der schon jetzt sichtbar ist, besteht in der Reduzierung der Personalkosten. Allein 2015 bauten die grossen Banken 10% ihres Personalbestands ab, zusätzlich zu den Freisetzungen während der Vorjahre. Seit 2010 bauten alle Global Banks mit Ausnahme von Goldman Sachs die Anzahl der Mitarbeiter um bis zu 38% signifikant ab. Die meisten Banken planen für die kommenden Jahre weitere Reduzierungen um bis zu 15%. Goldman Sachs hat sich frühzeitig als „Tech Company“ definiert. Rund 30% der Mitarbeiter sind Ingenieure und Programmierer.

Skandinavien als Vorreiter

Die Anzahl der Beschäftigten bei Banken sinkt. Quelle: Citibank
Die Anzahl der Beschäftigten von Banken sinkt. Quelle: Citibank

Ein Blick auf Skandinavien, wo die Digitalisierung der Bankdienstleistungen weiter vorangeschritten ist, zeigt, dass dort die Anzahl der Niederlassungen und der Beschäftigten seit 2009 deutlich zurückgegangen ist. Durchschnittlich sind es 50% weniger Filialen. Bis 2025 prognostiziert Citibank einen Rückgang der Bankfilialen in Europa um 45% und um 33% in den USA. Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse und die Filialschliessungen machen viele Mitarbeiter überflüssig. Die Prognose für die Anzahl der in der Bankindustrie Beschäftigten für 2025 lautet auf 1.8 Mio. in den USA und 1.82 Mio. in Europa, 40% bzw. 45% unter den historischen Spitzenwerten (siehe nebenstehende Grafik).

Apple, Samsung & Co. – Konkurrenz zum Fürchten

Dass die digitale Disruption nicht gleichzeitig und gleich heftig in allen betroffenen Bereichen auftritt, ist klar. Die disruptiven Kräfte benötigen Einfallstore, die in puncto Machbarkeit zwar technologisch determiniert sind, am Ende aber nur Bestand haben durch die Akzeptanz und das erworbene Vertrauen der Kunden, und zwar infolge von mehr Komfort sowie Kostenersparnis. Mit Blick auf Finanzdienstleistungen, die bisher nahezu ausschliesslich von Banken erbracht worden sind, ist zu erwarten, dass sich die Entwicklungen beschleunigt fortsetzen. Die Disruption bei digitalen Zahlungsdienstleistungen hat mit dem Eintritt von Apple, Samsung, Mastercard u.a. ein neues Level erreicht. Die bestehenden Kundenbeziehungen der genannten Konzerne belaufen sich jeweils auf mehrere hundert Millionen Konsumenten weltweit. Eine Konkurrenz wahrhaft zum Fürchten.

Digitaler Kampf um Depositen

Auch die Jagd nach Einlagen wird digital aufgemischt. Nach den Projektionen von Citibank werden 9% der Depositen bis 2020 aus dem Herrschaftskreis der Banken e-migriert sein. Für Privatdarlehen liegt die erwartete Quote bis 2020 bei 13%. Weniger anfällig ist zunächst der Hypothekenmarkt, für den bis 2020 eine digitale Quote von 3% erwartet wird. Gegenwärtig wird der Markt in der Schweiz von Banken mit einem vergebenen Hypothekenvolumen von 925 Mrd. CHF dominiert. Auf Versicherungen entfallen 35 Mrd. CHF und auf Pensionskassen nur 15 Mrd. CHF. Eine grosse Verlagerung der Gewichte wird so schnell wohl nicht passieren, auf längere Sicht aber schon. Das Negativ- und Niedrigzinsszenario setzt die Margen der Banken unter Druck, und Pensionskassen und Versicherungen als grosse Kapitalsammelstellen stehen unter Druck, positive Erträge zu erzielen, um ihren Verpflichtungen langfristig nachkommen zu können.

Pensionsfonds werden zu Schattenbanken

Weltweit kontrollieren Pensionsfonds Finanzaktiva in Höhe von 32 Billionen USD (2013), wovon 15 Billionen allein auf die grössten 300 Akteure verteilt sind. Sie suchen zunehmend alternative Wege, um Renditen zu erzielen. Neben der Diversifikation in Private Equity, Hedge Fonds, Rohstoffe, Infrastruktur nimmt der Bereich Direct Lending und Private Debt einen immer grösseren Stellenwert ein. Durch die Banking Disintermediation agieren Pensionsfonds zunehmend als Schattenbanken und umgehen die Banken, indem sie Kredite direkt vergeben. Ein gutes Beispiel ist CalPers, einer der grössten Pensionsfonds weltweit. Die Kalifornier leihen seit Jahren direkt an die Gebietskörperschaften, Municipalities genannt. Allerdings wird ein Modell verfolgt, das den Intermediär, bisher die Bank, nicht gänzlich ausspart. CalPers agiert nur als Co-Investor mit der Bank, was eine Interessensgleichheit von Intermediär und Investor etabliert. Dieses Modell wird als überlegen eingestuft im Vergleich zur totalen Disintermediation wie im Fall der Subprime-Krise, weil eben Intermediär und Investor im gleichen Boot sitzen.

Kredit-Outsourcing ersetzt Kreditvergabe

Das Beispiel zeigt auch, wie Modelle der Zukunft für Banken aussehen können. Solange der Intermediär einen wirklichen Mehrwert beisteuert, der nicht durch Automatisierung und Algorithmen ersetzt werden kann, hat er auch seine Daseinsberechtigung. Da die Kapitalsammelstellen auch weiterhin bereit sind, für die „Geschäftsbesorgung“ durch Banken zu bezahlen, können diese unter den veränderten Bedingungen ihre Position durch kosteneffiziente Dienstleistungen wie der Strukturierung und Administration behaupten. Die Rolle der Banken unter der Last der Überregulierung erlaubt nicht mehr, wie früher, grosse Kreditrisiken in den Büchern zu haben, sondern forciert das „Outsourcing“ der Kreditvergabe z.B. durch Private Debt Fonds, wobei die Banken, noch, ihr Network monetarisieren können. In der Konsequenz können Pensionskassen jedoch langfristig zum grössten Kreditgeber und Finanzierungspartner werden.

KMU-Finanzierung im Wandel

Europa ist insbesondere in Hinsicht auf die KMU-Finanzierung der Markt mit dem grössten Potenzial. Während in den USA 80% der Unternehmenskredite über den Kapitalmarkt aufgenommen werden und nur 20% von Banken, verhält es sich in Europa genau umgekehrt. Laut EZB stieg in der EU im Zeitraum 2009 bis 2013 das Kreditvolumen um 24%, doch die Grösse „Bankkredit in Prozent des BSP“ fiel im gleichen Zeitraum um 7,4%. Das Swiss Finance Institute folgert in dem 2015 veröffentlichten White Paper zur Zukunft des Investment Banking, dass Schattenbanken (oder im Kreditgeschäft aktive Nicht-Banken) aus den Bereichen Pensionsfonds, Versicherungen, Hedge Fonds, Private Debt Fonds zunehmend die Opportunitäten nutzen, die aus dem nicht ganz freiwilligen Rückzug der Banken aus dem Bankgeschäft resultieren.

Vom Sturm zum Tornado

Der perfekte Sturm für Banken resultiert aus verschiedenen Kräften, die, kombiniert und sich wechselseitig verstärkend, den Sturm noch auf Tornadostärke anwachsen lassen werden. Der technologische Wandel und die Veränderung der Gewohnheiten und Präferenzen der privaten wie kommerziellen Kunden ist das eine. Hier helfen noch Anpassungsfähigkeit und die Nutzung des Networks bei der Entwicklung neuer Modelle und Strategien. Doch das andere ist die kostenträchtige Überregulierung in Kombination mit dem Negativzinsregiment der Zentralbanken. Einerseits werden den Banken überbordende Kosten aufgeladen, und andererseits wird ihr Kerngeschäft, das Vergeben von Krediten, unwirtschaftlich gemacht, so dass die Bankerträge kollabieren, die Bilanzen leiden und damit das historisch gewachsene Geschäftsmodell selbst von der Implosion bedroht ist.

Zentralbankpolitik im Abseits

Es ist mehr als fraglich, ob Draghi, Kuroda und Co. mit ihrer experimentellen Zentralbankpolitik die unausweichlichen Folgen für die globale Wirtschaft und Gesellschaft überschauen können. Wie soll die Altersversorgung für den weitaus grössten Teil der Bevölkerung aussehen, wenn die „Risk-free Rate of Return“ im negativen Bereich liegt und die Kapitalsammelstellen gezwungen sind, riskantere Anlagen zu tätigen, weil die Zentralbanken die angeblich risikolosen Instrumente, Staatsanleihen, selbst aufgekauft haben und jetzt anfangen, Industriepolitik zu machen, z.B. durch den Kauf von RWE- und VW-Anleihen?

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