Macro Perspective: Europawahl und Trumps Eskalation der Handelskriege – Gefahr für das Portfolio?

Weltwirtschaft kühlt sich rasch ab

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„Unter der Drohung der Selbstvernichtung der Menschheit ist die Koexistenz zur Frage der Existenz überhaupt geworden.“ Willy Brandt, 1913-1992, Politiker

Gerade war ein neues Hoch an der Wall Street erreicht, die Bullen bliesen schon ins Horn – da erhöhte Trump die Zölle auf chinesische Importe im Wert von 200 Mrd. USD, und das weithin unerwartet, von 10% auf 25%. Die Börse rauschte in den Keller – immerhin um mehr als 5%! Unterdessen fallen die Konjunkturindikatoren rund um den Erdball weiter zurück. Dazu kommt jetzt noch die „Schicksalswahl der EU“, die bereits im Vorfeld einen langen Schatten auf die Zukunft der EU wirft. Zeit, die Engagements einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Die Konflikte in den Wirtschaftsräumen nehmen zu. Und jetzt kommt auch noch die «Schicksalswahl» zum Europäischen Parlament. Bild: adobe.com

Die Zukunft ist bei nüchterner Betrachtung nicht mehr, was sie bisher zu sein schien. Die Konflikte zwischen den Wirtschaftsräumen nehmen zu. Die Fronten verhärten sich. Der Ton wird schärfer. Und auch die Massnahmen sind inzwischen ganz real geworden, das Stadium der Verbalattacken liegt hinter uns. Aber auch innerhalb der einzelnen Länder reissen immer mehr Bruchlinien auf. Polarisierung statt Harmonisierung!

Ende des Booms in China?

In China sind die Automobilverkäufe seit 10 Monaten in Folge rückläufig, was nicht nur ein realistisches Bild der Konsumentenstimmung vermittelt, sondern auch die spürbare Wachstumsverlangsamung zumindest teilweise erklärt. Darunter leiden auch die Auto-Exporteure in Deutschland, Japan und Korea. Die Erhöhung der bisher 10%-Strafzölle, jährlich rund 200 Mrd. USD chinesischer Exporte in die USA betreffend, auf nun 25% entspricht 50 Mrd. USD nach 20 Mrd. USD. Trump droht damit, weitere 300 Mrd. USD an chinesischen Importen mit Strafzöllen zu belegen, das wären folglich weitere 75 Mrd. USD p.a. Immer vorausgesetzt, die chinesischen Waren finden auf dem erhöhten Preisniveau noch ihre Käufer.

Konflikt zieht Kreise

Im Gegenzug haben die Chinesen bisher Waren mit einem Jahresvolumen von 60 Mrd. USD, hauptsächlich Agrarprodukte aus den USA, ebenfalls mit Zöllen belegt. Aus einem Agrar-Hilfsprogramm wurden 2018 in den USA rund 8.5 Mrd. USD an Farmer bezahlt, um Einnahmeausfälle zu kompensieren. Dies wiederum missfällt dem Kongress. Schon aus den Grössenordnungen wird klar, welche Seite aggressiv ist und welche diplomatisch. Im März haben die Chinesen jedenfalls US-Staatsanleihen im Wert von über 20 Mrd. USD verkauft, im Vormonat lag der Wert bei nur 1 Mrd. USD. Als grösster Gläubiger der USA hält China noch US Gov. Bonds im Wert von 1.121 Billionen USD.

Die Huawei-Affäre

Tatsächlich erscheint jedoch das Thema Zölle, jetzt, da sie wirklich erhoben werden, in der öffentlichen Diskussion überbewertet. Denn es geht um mehr, sogar sehr viel mehr. Das zeigt sich schon an den Sanktionen der USA gegenüber den chinesischen Telekomunternehmen ZTE und Huawei. Es geht um Spionagevorwürfe und den Diebstahl geistigen Eigentums. Praktisch bedeutet es den Ausschluss vom US-Markt. Ohne Erlaubnis der Regierung dürfen Huawei und 70 Tochtergesellschaften keine Technologie von US-Unternehmen mehr erwerben. Huawei gilt als wichtigster Technologielieferant mit Blick auf das 5G-Netzwerk. In der Konsequenz könnten auch Länder unter Konsequenzen zu leiden haben, die jetzt trotz der US-Sanktionen auf Huawei setzen. So will Deutschland Huawei nicht von Ausschreibungen ausschliessen.

Vom Handelskonflikt zum Handelskrieg 

Doch Huawei ist nur ein Exempel. Tatsächlich geht es um die unverfrorenen Diebstähle von Technologie durch die Chinesen, die der amerikanischen Wirtschaft nicht nur hohen Schaden zufügen, sondern langfristig ganze Märkte unterminieren. Laut Trumps Lesart ist das einer der Hauptgründe, warum die USA bis zu seinem Amtsantritt nicht mehr „great“ waren. Unfaire Handelspraktiken und für die USA schädliche Handelsverträge mit den NAFTA-Nachbarn Kanada und Mexiko sowie mit der EU sind die weiteren Punkte auf der Agenda von Trump. Dass die deutsche Kanzlerin Merkel zur Einigkeit in Europa vs. China, Russland und USA in einer veränderten Welt aufruft, zeigt schon, wie weit sich die transatlantische Kluft nach 28 Monaten Trump-Präsidentschaft aufgetan hat. Das betrifft insbesondere auch die NATO, d.h. militärische Bündnisse allgemein.

Wie wird sich Apple in China halten?

Der Kern der Trump-Kritik ist ja in Teilen durchaus richtig. Die Chinesen beherrschen es meisterhaft, ausländischen Unternehmen nur dann den Marktzugang zu gewähren, wenn es einen Technologietransfer an chinesische Partner-Unternehmen gibt. Allzu oft werden die Partner fallen gelassen, sobald deren Know-how und Geschäftsgeheimnisse erlernt und ausspioniert sind. Kaum ein westliches Unternehmen hat im China-Geschäft langfristig Gewinne erzielt. Der Marktzugang bleibt für westliche Unternehmen schwierig. Nicht wenige ziehen sich auch als Konsequenz aus China wieder zurück. Und es bleibt jetzt auch erst einmal abzuwarten, wie die chinesischen Konsumenten auf den Fall Huawei reagieren. Es ist gut vorstellbar, dass sich deren Begeisterung für Apples I-Phones deutlich abschwächt. China ist der grösste Markt für Apple.

Erfolgreiches Muskelspiel im Südchinesischen Meer

Über den am Ende wichtigsten Aspekt, den militärischen, wird allerdings in der öffentlichen Berichterstattung und Diskussion wenig Aufhebens gemacht – vieles spielt sich ja auch eher geheim ab. Der Kern des Konflikts China-USA liegt in der Hegemonialstellung – global, aber das erste Schlachtfeld ist Asien, die eigentliche Einflusssphäre der historischen Grossmacht China. Vordergründig sind es Massnahmen wie der Ausbau der Spratley Islands im Südchinesischen Meer zu einer militärischen Anlage, an der sich die Anrainerstaaten und die USA stören. Die Inseln sind nur Felsen im Meer und werden von mehreren Nationen beansprucht. Die Philippinen allerdings haben sich von der Protesthaltung verabschiedet und beugen sich den Chinesen in der Hoffnung auf eine gute Stellung im zukünftigen regionalen Machtgefüge. In Japan wurden 2018 insgesamt 638 Verletzungen des Luftraums durch die chinesische Luftwaffe gezählt; die Liste der Provokationen liesse sich fortsetzen. Die Rolle der USA als Vormacht und Schutzmacht im asiatisch-pazifischen Raum ist zu Ende. Der Rückzug als Weltpolizist hat ein Vakuum hinterlassen, in das die aufstrebenden Chinesen nur allzu bereit gestossen sind.

Hegemonialkonflikt

Weithin unbemerkt haben sich in China unter Xi Jinping Entwicklungen vollzogen, die zwar den Geheimdiensten und dem Militär bekannt sind, jedoch kaum der Öffentlichkeit. Während sich die Bedeutung der USA zwar langsam, aber doch allmählich abschwächt, hat China mächtig aufgeholt, so dass sich nun eine Ablösung in der Hegemonialstellung zumindest in Asien-Pazifik vollzieht. Der Grund für Trumps Aufrüstungspläne ist, dass China kontinuierlich die eigene Militärmacht ausgebaut hat. Dies gilt nicht nur für die Armee, sondern mehr noch für Marine, Luftstreitkräfte und Cyber-Kriegsführung. Liegen die USA zumindest gleichauf mit China und auch Russland, so trifft dies für die europäische Verteidigung nicht zu.

Erhöhte Schlagkraft der Volksarmee

Zudem hat Xi Jinping zahlreiche strukturelle Änderungen vorgenommen. So ist das Militär in nur noch fünf Armeen untergliedert, von vormals sieben. Jede Einheit beinhaltet alle Waffengattungen sowie Cyber-Kräfte. Ähnlich wie in den USA strukturiert, liegt das direkte Oberkommando nun beim Präsidenten Xi Jinping. Der hat es sehr gut verstanden, so viel Macht wie vor ihm nur Mao auf sich zu vereinen. Gegenspieler und Nonkonformisten hat er systematisch entmachtet und zum Teil auch ins Gefängnis gebracht. Viele Generäle wurden abgesägt, weil sie der Korruption überführt worden waren. Und der hat Xi Jinping den Kampf angesagt.

China nach vorne bringen

In zahlreichen Reden macht er kein Hehl daraus, dass die Zeit gekommen ist, in der China seine historisch dominante Rolle in Asien und der Welt wieder einnehmen werde und dass die Zeit der post-kolonialen Machtverhältnisse abgelaufen ist. Der Testfall könnte schnell eintreten. China pflegt gute Beziehungen zum Iran, der auch eine nicht unwichtige Rolle in der One Belt Initiative spielt. Mit dem erneuten Ölembargo der USA gegen den Iran sind Konflikte absehbar. Zum einen werden die Iraner ihr Öl weiterhin verkaufen wollen, und sei es mit einem Discount, zum anderen kontrolliert der Iran den Persischen Golf und könnte ohne Weiteres die Strasse von Hormuz schliessen oder verminen. 30% der verschifften Ölexporte weltweit müssen diese strategisch gelegene Meerenge passieren. In Saudi-Arabien wurden zuletzt mehrmals Drohnen-Attacken auf Erdöl-Infrastruktur von den mit dem Iran verbündeten Houthi-Milizen durchgeführt.

Schweiz-USA – eine besondere Beziehung

Zwar hat der Schweizer Bundespräsident Ueli Maurer nach der Rückkehr vom Treffen mit dem US-Präsidenten amerikanische Medienberichte über eine Kriegsgefahr mit dem Iran als „Fake News“ bezeichnet, doch würde eine anderslautende Aussage bestimmt die gemeinsamen Interessen verletzen. Immerhin vertritt die Schweiz seit fast 40 Jahren die Interessen der USA im Iran und könnte in Venezuela in eine ähnliche Rolle schlüpfen.

Insel der Glückseligen?

Die Schweiz ist der Lichtblick in Europa, denn die meisten Probleme der EU haben wohl Auswirkungen auf die Schweiz, sind jedoch nicht gravierend. Die Beziehungen zu den USA sind ebenso gut wie die zu China. Das Treffen mit Maurer fand auf Wunsch von Trump statt. Und dieser Tage kam die grösste Reisegruppe aller Zeiten in die Schweiz: Rund 12’000 Chinesen besuchten Luzern und weitere Ziele.

Bewegung im Europa-Parlament

Die bevorstehende Wahl zum Europa-Parlament widerspiegelt schon im Vorfeld das Brexit-Desaster, die Polarisierung der Gesellschaft, die Auflösung alter Allianzen und die Suche nach neuen. Da der Brexit nun doch nicht per Ende März erfolgt ist, werden auch die Briten nochmals an den Wahlen teilnehmen. Es bleibt also bei 751 Sitzen. Nach gegenwärtigen Prognosen verlieren Christdemokraten und Sozialdemokraten kräftig und kommen auf keine GroKo-Mehrheit mehr. Zusammen mit den Liberalen kommen sie gerade noch auf eine knappe Mehrheit. Auf rechte Parteien entfallen 28%, auf linke 16%. Dazu kommen noch etliche neue Parteien, die noch nicht zuordenbar sind. Auf sie entfallen wenige Prozente.

Vorhersage (19. Mai 2019) der Zusammensetzung des nächsten EU-Parlaments. Quelle: politico.eu

EU-Konfliktpotenziale

Das ist zwar noch nicht das Ende der EU, doch mehr als ein Drittel der Sitze entfallen auf Euroskeptiker. Die Gefahr ist gross, dass Salvini, Le Pen, Farage usw. die Arbeit des Parlaments desavouieren und Werbung für sich und ihre fehlgeleitete Politik machen. Salvini beispielsweise will trotz der überbordenden Verschuldungsproblematik in Italien die Staatsverschuldung von 132% des BIP weiter auf 140% erhöhen, um die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln. Die berühmten Maastricht-Kriterien setzen eine Grenze bei 60%. Der französische Präsident Macron richtete seinen Brief an die Wähler nicht nur an Franzosen, sondern an alle EU-Bürger. In 22 Sprachen.

S&P 500 Chart über die letzten drei Jahre. Quelle: finanzen.ch

Cash is King

An der Börse empfiehlt sich eine vorsichtige Haltung. An der Leitbörse New York müsste erstmal ein Test der Tiefs von Dezember stattfinden und dann ein nachhaltiges neues Hoch erreicht werden. Einstweilen dürfte sich die Schaukelbörse fortsetzen, bis sich eine kräftige Bewegung in die eine oder andere Richtung ereignet. Vermögende Privatanleger sollen laut Medienberichten ihre Cash-Quoten deutlich erhöht haben. Seit Jahresanfang sind die Indizes S&P 500, Dax, Cac-40 und Shanghai Composite um jeweils rund 15% angestiegen. Die Luft wird dünner.

Polarisierung, Aufrüstung und zunehmende geopolitische Spannungen sind langfristig betrachtet nicht gut für Wirtschaft und Börse, denn, wie schon Brandt erkannte: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“

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