Zur Rose Group: Strukturelle Beschleunigung des Wachstums

Digitaler Apothekenkanal gewinnt durch Pandemie an Bedeutung

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Es ist Berichtssaison – und oft sind die gemeldeten Jahresergebnisse 2019 und der Ausblick nicht gerade Vertrauen erweckend. Anders bei der Versandapothekengruppe Zur Rose, die am 19. März den Jahresabschluss präsentierte. Demnach beschleunigte sich das Wachstum im vergangenen Jahr durch die diversen Übernahmen auf 32,8% in Landeswährungen. Auch der Ausblick ist positiv, denn E-Commerce-Unternehmen sind die grossen Gewinner der verschärften Quarantänebestimmungen.

„Die Covid-19 Epidemie hat Millionen neuer Patienten online gebracht. Dort werden sie wahrscheinlich bleiben.“ So schrieb „The Economist“ vor kurzem. An der Börse zeichneten sich die verbesserten Perspektiven schon vor der Veröffentlichung des Jahresabschlusses im Kursverlauf ab. Die Börse bleibt eben doch – im Guten wie im Schlechten – ein Antizipationsmechanismus. Die Aktie war seit letztem Oktober bis Ende Januar bereits von unter 90 CHF auf 130 CHF gestiegen, der Kurs bröckelte dann unterdurchschnittlich mit dem Ausbruch der Viruskrise ab, nur um sich Anfang März erneut auf 140 CHF in der Spitze zu festigen.

Kursverlauf der Zur-Rose-Aktie in den letzten sechs Monaten. Quelle: six-goup.com
Noch geringe Marktpenetration des E-Commerce

Dahinter stehen die erwartet guten Zahlen für 2019 sowie die richtige Interpretation der sich strukturell verändernden Marktbedingungen für den E-Commerce generell und insbesondere für Online-Apothekenhändler. Nach wie vor ist die Marktpenetration des E-Commerce im Medikamentenbereich in den europäischen Kernländern gering. Die bisher hohen Wachstumsraten erfolgten von einer sehr tiefen Basis aus. Durch die nun drastischen Beschränkungen des öffentlichen Lebens wird die Digitalisierung der Patientenversorgung einen starken Wachstumsschub erfahren, der innerhalb kürzester Zeit die Penetrationsrate sprunghaft auf ein Niveau hieven wird, das bei normaler Entwicklung erst in mehreren Jahren erreicht werden würde. 2019 dürften im grössten Medikamentenmarkt der EU, Deutschland, gerade einmal 3,5% des Apothekenumsatzes auf Online-Kanäle entfallen sein.

Das E-Rezept kommt

Ein wichtiges regulatorisches Hindernis ist mit der Einführung des E-Rezeptes in Deutschland aus dem Weg geräumt. Dadurch wird für die Patienten, die Apotheken und Versicherungen vieles einfacher und effizienter. Es dürfte auch bei der breiteren Bevölkerung die Akzeptanz des Online-Kanales generell erhöhen. Auch für Frankreich, Spanien und andere Länder der EU dürfte die deutsche Pionierentscheidung richtungsweisenden Charakter haben. Allerdings wird es noch gut ein Jahr dauern, bis die Infrastruktur etabliert ist und breit genutzt werden kann. Partner wie die Techniker Krankenkasse können jedoch bereits im zweiten Halbjahr 2020 starten.

So zahlt sich die Expansion von Zur Rose in den Ländern der EU während der vergangenen Jahre nun mehrfach aus. Abgesehen von der Präsenz in den verschiedenen Sprachräumen wirken sich darüber hinaus auch die optimierten Strukturen in der Logistik sowie Synergien aus. Die spanische Tochter beispielsweise ist stark in der Entwicklung von digitalen Marktplätzen und bringt ihre Expertise in die gesamte Unternehmensgruppe ein. Im wichtigen Markt Frankreich steht die Liberalisierung des OTC-Marktes an, der bisher für E-Commerce noch gesperrt ist.

Wachstumsschub in 2019

Das Zahlenwerk 2019 zeigt daher, was angesichts der diszipliniert umgesetzten Strategie zu erwarten war. Inklusive der noch nicht konsolidierten Medpex stiegen die Umsätze der Gruppe 2019 um 32,8% in Landeswährungen auf 1.57 Mrd. CHF. Den grössten Anteil am Wachstum hat Deutschland, wo die Umsätze um 45,4% oder 304.5 Mio. CHF anstiegen. Trotz der erheblichen Kostensteigerungen für Personal und Marketing blieb das EBITDA mit -13.8 Mio. CHF gegenüber den -14 Mio. CHF des Vorjahres nahezu unverändert. Die EBITDA-Marge lag mit -1% am unteren Ende der prognostizierten Spanne von 0% bis -1%. Die höheren Abschreibungen infolge der getätigten Investitionen liessen das EBIT von -32.9 Mio. CHF auf -45.7 Mio. CHF abrutschen. Der Reingewinn belief sich auf -52.4 Mio.  CHF, nach -39.1 Mio. CHF im Vorjahr. Die Nettogewinnmarge liegt somit bei -3,9%, nach -3,2% in 2018. Zur Rose blieb damit im Rahmen der Prognosen und Erwartungen.

Das Geschäftsjahr 2019 im Überblick. Alle Angaben in CHF. Quelle: zurrosegroup.com
Transformation zum E-Health Unternehmen    

Während es beim Rückblick auf 2019 keine Überraschungen gab, dürfte der Ausblick noch einiges an Potenzial für Verbesserungen bieten. Die Mittelfristplanung sieht – ausdrücklich ohne Effekte der Coronavirus-Pandemie – einen Umsatzanstieg auf 3 Mrd. CHF vor und eine EBITDA-Marge von 8% oder 240 Mio. CHF. Erreicht werden soll die Rückkehr in die Gewinnzone durch eine Ausweitung der Margen im OTC-Bereich, Skaleneffekte, eine verbesserte Effizienz im Marketing sowie die Nutzung von Synergien. Weiter gedacht, will Zur Rose nicht mehr nur auf das Transaktionsgeschäft fokussiert bleiben, sondern den Wandel zum E-Healthcare-Anbieter vorantreiben. Es geht um das „E-Health-Ökosystem Europas“ und die Nutzung der digitalen Plattformen, um auch Lösungen und Services für die verschiedenen Gruppen anzubieten, z.B. Telemedizin und Online-Monitoring für Patienten.

Quelle: zurrosegroup.com

Zur Rose ist mit einem Marktanteil von rund 37% in Deutschland klarer Marktführer vor Shop-Apotheke mit 21%. Der drittgrössste Player kommt gerade noch auf 7%. Der Vorsprung von Zur Rose wurde durch die Übernahmen noch vergrössert. Das Wachstum in 2019 von rund 30% liegt jedoch gleichauf mit dem Wettbewerber. Der Umsatz lag bei 701 Mio. Euro, die EBITDA-Marge bei -1,9%.

Shop-Apotheke und Zur Rose – ein Traumpaar?

Ist eine M&A-Transaktion zwischen den beiden Konkurrenten denkbar, um einen noch stärkeren Marktführer zu schaffen? Das scheinen viele Investoren für möglich zu halten. Denn die schnellen Kursgewinne bei beiden Aktien folgen einem am 3. März veröffentlichten Analysebericht, in dem die industrielle Logik eines solchen Zusammengehens durchaus kreativ durchgespielt wird. Synergien, Kostensenkungen, economies of scale usw. sollen eine Transaktion begründen. Die Frage ist jedoch, wie plausibel ein solches Szenario ist. Würden die Aktionäre des Marktführers eine Verwässerung ihrer Anteile und Minderung ihres Einflusses um der schieren Grösse willen zustimmen? Eher nicht. Wer beide Unternehmen aufmerksam verfolgt, kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Shop-Apotheke ihre Strategie an der des Wettbewerbers ausrichtet, beispielsweise der Einstieg in das Service-Geschäft. Bislang fehlen jedoch die institutionellen Partner für Pilotprojekte, die wiederum die Türen zu weiteren Kunden öffnen, weil sie einen „proof-of-concept“ darstellen.

Quelle: zurrosegroup.com
Wettbewerbsvorsprung durch Logistik

Ein weiterer ent- und unterscheidender Punkt ist, dass Zur Rose stets die Logistik und deren Ausbau forciert hat, wohl wissend, dass es im Wettbewerb um die Loyalität der Kunden vor allem darauf ankommt, zuverlässig die Exekution der Aufträge im Griff zu haben. Kommt es nun zu einem schubartigen Wachstum infolge der Auswirkungen der Corona-Krise, so wird sich erst zeigen, wer Marktanteile gewinnen kann, weil er die erforderlichen Kapazitäten bereits geschaffen hat. Möglich ist an der Börse natürlich alles – und das Gegenteil davon, doch sehr wahrscheinlich erscheint das interessante Szenario schon aufgrund der Bewertungsdiskrepanzen zuungunsten des grösseren Akteurs nicht.

Perspektiven der Zur-Rose-Aktie

Die Aktie von Zur Rose wurde an der Börse jedoch zurecht wiederentdeckt. Dass der E-Commerce vor einem Boom steht, zeigt sich schon an der Einstellungsoffensive von Amazon. Da Zur Rose ja ein lupenreines E-Healthcare-Unternehmen ist, sollten die Auftriebskräfte umso stärker wirken. Die Folgen könnten überdurchschnittliche Wachstumsraten sein und ein umso grösseres Gewinnpotenzial in absehbarer Zeit. Diese Perspektiven sollten den Aktienkurs nachhaltig stimulieren.

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