Walter Oberhänsli, VRP Zur Rose Group: «Die Zur Rose-Gruppe stellt stets den Kunden ins Zentrum»

Alle Antworten zum "E-Rezept" und warum Zur Rose auf dem richtigen Kurs ist

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Am 28. April 2022 fand die 29. GV der Zur Rose Group AG statt. Der Gründer und langjährige CEO Walter Oberhänsli wurde an der GV zum Verwaltungsratspräsidenten gewählt. CEO ist nun Walter Hess. Die Stabsübergabe erfolgt zu einem Zeitpunkt, der kurz vor einem singulären Ereignis steht, auf das Zur Rose und insbesondere Oberhänsli mit grosser Beharrlichkeit langfristig hingearbeitet haben. Mit der bevorstehenden Einführung des E-Rezeptes in Deutschland wird die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft in Europa einen entscheidenden Schub erhalten.

Walter Oberhänsli ist neu Verwaltungsratspräsident der Zur Rose Group AG. Zuvor leitete er das Unternehmen operativ als Delegierter des Verwaltungsrats und CEO. Seit Mai 2022 hat Walter Hess das CEO-Amt von Oberhänsli übernommen. Bis Ende 2004 war er selbständiger Rechtsanwalt in Kreuzlingen (TG). Sein Studium der Rechtswissenschaften hat er an der Universität Zürich absolviert. Bild: zvg

Im Interview mit schweizeraktien.net zieht Oberhänsli eine Zwischenbilanz des bisher Erreichten und erklärt, warum der Schlüssel zum Erfolg in der Fokussierung auf den Mehrwert für den Kunden und Patienten besteht. Weitere Punkte des Interviews sind die Änderungen der Wettbewerbslandschaft, die Rolle von Partnerschaften und Akquisitionen sowie der spezielle Charme des Plattform-Anbieters Zur Rose vs. reinen E-Commerce oder Tele-Health-Unternehmen.

Seit unserem letzten Interview 2018 war die Entwicklung von Zur Rose sehr ereignisreich, Herr Oberhänsli. Nun haben Sie die Rolle des CEO Ende April Ihrem Nachfolger übertragen und sind neu Verwaltungsratspräsident. Wie sieht Ihr Résumé aus?

Wir haben uns in den vergangenen Jahren auf Wachstum fokussiert und sind die mit Abstand führende E-Commerce-Apotheke Europas. Damit haben wir eine starke Basis für den weiteren Expansionskurs, aber auch für nachhaltige Profitabilität geschaffen.

Es scheint, als ob das «E-Rezept» in Deutschland respektive dessen Einführung eine überragende Auswirkung auf Zur Rose hat, orientiert man sich an den Nachrichten zum «E-Rezept» und dem Kursverlauf der Aktie. Ist das tatsächlich so, oder werden vielleicht nur andere wichtige Aspekte dadurch aus dem Blickwinkel verdrängt?

Die Einführung des elektronischen Rezepts in Deutschland ist eine «once in a lifetime opportunity» für uns. Die Chancen, die sich angesichts der derzeit sehr tiefen Online-Durchdringung ergeben, erachten wir als ausserordentlich gross und werden wir als Marktführer nutzen. Für das Gesundheitssystem selber ist dieser Digitalisierungsschritt immens und mit erheblichen Kosteneinsparungen verbunden. Auch – und vor allem – für den Patienten, der das E-Rezept künftig einfach und bequem über sein mobiles Gerät empfangen und weiterleiten kann, liegt der Mehrwert auf der Hand. Insofern ist der Stellenwert, den das E-Rezept in der öffentlichen Wahrnehmung hat, absolut richtig.

Der Zur-Rose-Aktienkurs hat wegen der Verzögerungen bei der Einführung des e-Rezepts in Deutschland stark gelitten. Chart: money-net.ch

Die Kursentwicklung ist demgegenüber geprägt durch Unsicherheiten als Folge der verzögerten Einführung. Die Testphase ist nun aber auf einem sehr guten Weg, und wir sind der festen Überzeugung, dass einem bundesweiten Roll-out im zweiten Halbjahr 2022 nichts im Weg steht.

Was antworten Sie kritischen Aktionären, die enttäuscht über die immer weiter in die Zukunft verschobene Erreichung der Gewinnzone sind? Auf EBITDA-Ebene nennen Sie 2024.

Die Enttäuschung kann ich nachvollziehen. Man muss allerdings sehen, dass der ursprünglich kommunizierte Zeitpunkt zur Erreichung der Gewinnzone in der Annahme getroffen wurde, dass das elektronische Rezept Anfang dieses Jahres verpflichtend und bundesweit eingeführt wird. Die Verzögerung hat dieses Ziel um ein Jahr nach hinten verschoben.

War es im Rückblick richtig, die zahlreichen Akquisitionen zu den jeweils vereinbarten Kaufpreisen zu tätigen? 2018 sprachen wir über medpex. Der finale Preis sollte bei einem Multiple von 0.7 bis 1 des Umsatzes von 2018 liegen. Zur Rose war damals mit einem KUV von 0.6 bewertet.

Strategisches Ziel war es stets, die Nummer-1-Position im deutschen Markt zu erreichen und eine möglichst gute Startposition vor der Einführung des elektronischen Rezepts zu erlangen. Mit der dank der Akquisitionsstrategie erzielten Marktführerschaft und rund 11 Millionen Kunden in Deutschland haben wir die bestmögliche Ausgangsposition geschaffen, um im digitalisierten Rezeptgeschäft eine führende Rolle zu spielen. Wir sehen grosses Potenzial in der Aktivierung der bestehenden Kundenbasis, künftig auch ihre Rezepte bei der Versandapotheke ihrer Wahl einzulösen. Das elektronische Rezept sehen wir als Katalysator für diese Entwicklung.

Die Übernahme des spanischen E-Commerce- und Technologie-Unternehmens PromoFarma sollte die internationale Expansion und den Auf- und Ausbau der E-Health-Plattform beschleunigen. Wurden die Ziele erreicht?

Absolut. Wir arbeiten intensiv daran, die E-Health-Plattform sukzessiv in allen Geschäftsbereichen und Segmenten zu verankern. In der DocMorris-App sind bereits heute die Services Telemedizin, Marktplatz und Apotheke abrufbar. Mit der Übernahme von PromoFarma hat sich aber auch ein neues Geschäftsfeld eröffnet. Wir verbinden unser Technologie-Know-how mit den Gesundheitssystemen verschiedener Märkte und etablieren uns als Plattformanbieter. So haben wir beispielsweise für die schweizerische Gesundheitsplattform Well die Technologiekompetenz beigesteuert.

Was sind die weiteren Ziele ausserhalb der bisherigen Kernmärkte Schweiz und Deutschland?

Wir stellen in verschiedenen Märkten einen Trend zur Liberalisierung fest. So erlaubt Frankreich seit September 2021 bestimmte Werbemöglichkeiten von rezeptfreien Medikamenten oder auch die Gewährung von Rabatten. Wir haben daher Ende letzten Jahres gemeinsam mit einem strategischen Partner das Produktangebot um rezeptfreie Arzneimittel im französischen Markt erweitert, womit die Kunden einen einfachen und sicheren Zugang zu einem breiten Sortiment an gesundheitsrelevanten Produkten und pharmazeutischer Beratung erhalten. Hier ist auch denkbar, zu einem späteren Zeitpunkt das Serviceangebot über eine Partnerschaft im Bereich Telemedizin auszubauen.

Das Umsatzwachstum hat sich 2021 mit 14,8% und -1,8% im ersten Quartal 2022 ja merklich verlangsamt. Sind dafür überwiegend vorübergehende Sonderfaktoren wie Covid und zuletzt die russische Invasion in der Ukraine verantwortlich, oder sind doch andere Faktoren ausschlaggebend?

Die Gesamtentwicklung wurde massgeblich durch den Umsatzrückgang mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln auf Papierrezeptbasis in Deutschland beeinflusst. Die Marketingaktivitäten hierfür haben wir bewusst reduziert zugunsten des Hauptaugenmerks auf die E-Rezept-Einführung. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf unser Profitabilitäts- und Break-even-Ziel in 2024 werden wir in diesem Jahr den Wachstumsfokus in Deutschland insbesondere auf die Marke DocMorris legen.

Positiv entwickeln sich ja die Anzahl der Kunden mit zuletzt 12.1 Mio. und deren hohe Wiederholungsquoten im Bereich 75%. Worauf führen Sie die «stickiness» zurück? Ist das der Brand Value, der mit den Marketing-Kampagnen erhöht wurde?

Die Zur-Rose-Gruppe stellt in allen Märkten und Geschäftsbereichen stets die Kunden ins Zentrum. In Deutschland verzeichnen wir mit rund 11 Mio. die höchste Kundenzahl und mit unserer Kernmarke DocMorris eine Markenbekanntheit von 71%. Hierzu trägt auch die im letzten Jahr gelaunchte DocMorris-App bei. Diese knackte die 1,3-Millionen-Download-Marke und erzielt Bestbewertungen in den gängigen Stores. Insgesamt trägt der Mehrwert, den wir unseren Kunden bieten – sei es die Convenience, die Kunden- oder Tech-Fokussierung – sicherlich seinen Teil zur Kundentreue bei.

Sie kündigten neue strategische Partnerschaften mit Roche und Novo Nordisk an. Bitte erläutern Sie unseren Lesern kurz, was die Zielsetzungen sind.

Bei beiden geht es um Ökosystem-Partnerschaften mit demselben Ziel: einen kundenzentrierten Behandlungspfad für Menschen mit einer chronischen Erkrankung zu schaffen, sodass diese einen einfachen Weg zur bestmöglichen Versorgung erhalten – bei Roche im Bereich Diabetes und bei Novo Nordisk im Bereich Adipositas. Das wollen wir erreichen, indem wir die Gesundheitsprodukte und -lösungen beider Partner mit Services von Zur Rose und qualitativ hochwertigen Dienstleistungen Dritter zusammenzuführen, um das Leben derer, die mit diesen Erkrankungen leben, zu erleichtern.

E-Health ist seit Jahren ein wichtiges Thema. Können Sie erläutern, wie Zur Rose damit Geld verdient?

Als digitales Gesundheitsökosystem stellen wir uns umfassender als eine reine E-Commerce-Apotheke auf. So bieten wir nicht nur Medikamente, sondern auch Telemedizin-Services, Markplatz- und weitere digitale Dienstleistungen an und gehen relevante Partnerschaften ein. Die verschiedenen Modelle stellen je für sich betrachtet einen attraktiven Business Case dar und zahlen zudem auf die Kundentreue und somit unser Kerngeschäft ein.

Beim Blick in die Bilanz stechen auf der Aktivseite die Liquidität von 277 Mio. CHF und Intangible Assets von 595 Mio. CHF ins Auge. Auf der Passivseite beträgt das Eigenkapital 485 Mio. CHF, was einer Eigenkapitalquote von 38,2% entspricht. Sind diese Intangibles auch in einem sich verschlechternden Umfeld noch wirklich werthaltig?

Bei den Intangibles handelt es sich vor allem um Technologieentwicklungen und Software sowie um immaterielle Vermögenswerte aus den akquirierten Unternehmen. Die Werthaltigkeit dieser Assets sehen wir als gesichert und durch die Chancen aus dem elektronischen Rezept ein sich verbesserndes Umfeld als äusserst plausibel.

Wie hat sich eigentlich die Wettbewerbslandschaft entwickelt? Gibt es neue Konkurrenten, und was machen die alten?

Einzelne Anbieter, wie Douglas, sind in den Medikamentenmarkt eingestiegen, gleichzeitig ist eine Szene von jungen Lieferdiensten – sogenannte Q-Commerce-Start-ups – entstanden. Wir beobachten und analysieren den Markt genau, um abzuwägen, ob Möglichkeiten für Partnerschaften Sinn machen und entsprechend für beide Seiten eine Win-Win-Situation entstehen kann.

Trotz der Verzögerungen bei der Markteinführung des E-Rezeptes in Deutschland scheint sich doch am Business Case abgesehen von der Zeitschiene nichts Grundlegendes geändert zu haben. Zusätzlich gibt es nun sogar Ansätze, das elektronische Rezept in der ganzen EU einzuführen. Dennoch rudern die Bankanalysten von ihren zuvor vollmundigen Prognosen zurück, die Fachmedien stimmen ein, und die Leerverkäufer jubilieren. Wie kann sich der «rationale» Aktienkäufer diese bipolare «Schwarz-Weiss-Welt» erklären?

Wir erachten die Relevanz der E-Rezept-Einführung weiterhin als sehr hoch, lediglich der Startpunkt ist verschoben. Das ganze Zur-Rose-Team ist bestens auf den Start vorbereitet und freut sich darauf, die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen. Die Erfahrungen in Schweden, wo bereits 13% aller rezeptpflichtigen Arzneimittel online gekauft werden, stimmen uns sehr zuversichtlich.

Blicken wir zum Schluss noch einmal weit in die Zukunft. Was ist Ihre Vision für Zur Rose im Jahr 2030?

Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Auf- und Ausbau des führenden europäischen Gesundheitsökosystems und unserer Vision «health in one click» den Nerv der Zeit treffen. Das heisst, dass die Menschen entlang einer nahtlosen «Gesundheits-Journey» die besten Optionen für eine optimale Versorgung erhalten. Eine Online-Sprechstunde mit einem Arzt zu vereinbaren, gehört genauso dazu, wie das Rezept elektronisch zu empfangen und es an die Wunsch-Apotheke bequem und einfach weiterzuleiten. Die Menschen möchten wir so befähigen, genau jenes Mass an Verantwortung für ihre Behandlung zu übernehmen, das sie zu tragen bereit sind. Das ist die Zukunft – und sie ist nicht mehr fern, sondern greifbar.

Vielen Dank für die erhellenden Antworten und die klaren Worte, Herr Oberhänsli. Ihnen wünschen wir gutes Gelingen bei der weiteren Entwicklung der Zur-Rose-Gruppe.

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