Die Abhängigkeit von russischem Erdgas hat auch die hiesige Energiewirtschaft in ein Dilemma geführt. Noch Mitte Februar dieses Jahres kündigte Bundesrätin Simonetta Sommaruga an, dass neue Gaskraftwerke eine drohende Stromlücke schliessen sollen. Das war rund eine Woche vor Beginn des Angriffs von Russland auf die Ukraine. Mittlerweile ist klar, dass dies nicht funktionieren kann. Denn etwas weniger als die Hälfte der Schweizer Gasimporte stammen aus Russland. 2021 waren es laut dem Branchenverband Gazenergie 43%. Und russisches Erdgas stellt angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen keine Option für eine sichere Energieversorgung mehr dar. Politik und Wirtschaft sind daher gemeinsam auf der Suche nach Alternativen.
Dass es auch in der Schweiz Erdgasvorkommen gibt, ist bekannt. Doch die wirtschaftliche Nutzung hatte bisher eine untergeordnete Bedeutung. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Projekte zur Exploration der Erdgasförderung, die allerdings aus politischen Überlegungen wieder verworfen wurden. Nun brachte im Mai SVP-Nationalrat Christian Imark eine Interpellation ein, um vom Bundesrat Informationen über das Potenzial von Schweiz Gas zu erhalten. Denn es gibt offenbar im Tessin, im Jura und im Waadtland grössere Erdgasvorkommen.
Könnte Noville die Schweiz 25 Jahre mit Erdgas versorgen?
Eines davon ist das Projekt Noville im Rhonedelta. Bereits 2010 gab es dort ein Explorationsprojekt der Firma Petrosvbri, einer 34%igen Beteiligung des Westschweizer Gasversorgers Holdigaz SA. Petrosvibri plante nach dem Verbot der Erdgasausbeutung durch den Kanton Waadt ein Geothermieprojekt. Doch nun scheint das Erdgasprojekt im Zusammenhang mit der Frage nach der künftigen Versorgung durch Erdgas wieder ins Blickfeld von Politik und Wirtschaft zu rücken. «Wir arbeiten daran», wird Philippe Petitpierre, Präsident des Verwaltungsrats von Gaznat und VR-Delegierter der Holdigaz SA, in einem Beitrag der Tribune de Geneve zitiert. An einer Pressekonferenz von Gaznat erklärte er, dass aufgrund der Explorationskampagne von 2010 die Erdgasreserven auf einen Gegenwert von 25-mal dem Jahresverbrauch der Schweiz oder 75-mal dem Jahresverbrauch der Westschweiz geschätzt worden seien. Laut Petitpierre würde eine Verifizierungsphase sechs bis acht Monate benötigen. Anschliessend könnte es nochmals eineinhalb bis zwei Jahre dauern, bis mit dem Betrieb begonnen werden kann. In dem Bericht spricht Philippe Petitpierre auch davon, dass der Betrieb rentabel wäre und fügt hinzu, dass dies auch schon auf der Grundlage der Gaspreise von 2010 der Fall gewesen sei. Laut dem Bericht ist die Politik auf Stufe Bund und Kanton an das Unternehmen herangetreten, um zu prüfen, ob das Projekt reaktiviert werden kann.
Unsicherheiten sind noch gross
Ob und wann das Projekt allerdings wieder reaktiviert wird, hängt nun vor allem an der Politik. Wie bei vielen Projekten in der Energieversorgung wird diese zwischen Umweltaspekten und Versorgungssicherheit abwägen müssen. Da selbst grüne Politiker in Deutschland in der aktuellen Notlage Kohlekraftwerke wieder reaktivieren möchten, scheint auch hier denkbar, dass die Umweltaspekte in den Hintergrund treten. Allerdings wird es noch mindestens zwei bis drei Jahren dauern, bis in Noville das erste Schweizer Erdgas fliessen könnte. Die mit dem Projekt verbundenen Unsicherheiten sind daher noch recht gross.
Die Aktien der Holdigaz SA werden ausserbörslich auf OTC-X gehandelt. Zuletzt wurden 145 CHF für eine Aktie bezahlt. Seit Jahresbeginn hat die Aktie rund 20% an Wert verloren.