Simon Michel, CEO Ypsomed: „The next big thing für Pharma ist die medikamentöse Behandlung von Adipositas.“

Zweistellige Wachstumsraten für den Spezialisten im Bereich Autoinjektoren, Pens und Pumpen

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Auch wenn die Schlagzeilen seit 2020 vor allem vom Corona-Virus bestimmt sind, die Volkskrankheiten Diabetes und Adipositas sind vielleicht sogar die noch bedrohlicheren Pandemien. Allein der Markt für Diabetes Devices, also Geräte zur Behandlung von Diabetes, belief sich 2021 laut Grandview Research auf weltweit 26.7 Mrd. USD. Ypsomed ist einer der Spezialisten, der durch kluge Partnerschaften mit Branchengrössen wie Eli Lilly und Abbott in der ersten Liga spielt. Für die neu entwickelte, App-gesteuerte YpsoPump zeichnen sich exzellente Wachstumsperspektiven ab. In Verbindung mit modernen Glukosemessgeräten und intelligenten Algorithmen können durch optimale Dosierung die gravierenden Spätfolgen wie Amputation und Organversagen weitgehend vermieden werden. Gleichzeitig wird zudem die Kostenexplosion für die Gesundheitssysteme massiv reduziert. Bisher ist die Marktpenetration der neuen Technologie noch gering, die Prognosen sehen bis 2030 jährliche Wachstumsraten von 16%.

Simon Michel ist seit Juli 2014 CEO der Ypsomed Holding AG und der Ypsomed Gruppe. Der Sohn des Firmengründers Willy Michel war bereits seit 2006 für das Unternehmen tätig, u.a. als Mitglied der Geschäftsleitung für Marketing und Vertrieb. Michel hat an der Uni St. Gallen Wirtschaft studiert. Von 2003 bis 2006 arbeitete er für die Telekomfirma Orange. Bild: zvg

Im Interview mit schweizeraktien.net nimmt CEO Simon Michel Stellung auch zu unpopulären Fragen, erläutert die industrielle Logik der Partnerschaften und warum Ypsomed als weiterhin unabhängiges Familienunternehmen den grössten Nutzen für Patienten und die beste Wertsteigerung für Aktionäre erzielen kann.

Sie wurden 2014 zum CEO bestellt, Herr Michel, und bis 2017 verdreifachte sich der Aktienkurs von Ypsomed auf über 200 CHF. Seitdem geht es jedoch seitwärts bis abwärts. Was sagen Sie Aktionären, die damit nicht zufrieden sind?

Wir fokussieren seit rund vier Jahren auf unsere eigenen Produkte, mit denen wir Handelsprodukte abgelöst haben. Dadurch vermeiden wir strategische Abhängigkeiten und erhöhen gleichzeitig die zukünftige Profitabilität deutlich. Die Einführung unserer eigenen Insulinpumpe verläuft nach der technischen Aufwertung in den letzten zwei Jahren auf Kurs und wir sind zuversichtlich, dass wir in absehbarer Zeit auch in unserem Direktgeschäft profitabel sein werden. Der Rückgang unseres Aktienkurses in den letzten Monaten hat in erster Linie mit dem globalen Druck auf Aktien und insbesondere auf Technologietitel zu tun. Die Kapitelerhöhung vor zwei Wochen hat trotz Verwässerung im Nachgang sogar zu einem Anstieg des Aktienkurses geführt. Wir halten an unserer Guidance fest: Anhaltendes, starkes Wachstum um rund 15% und ein Rekordergebnis im übernächsten Jahr.

Nach dem Absturz in 2017 läuft der Aktienkurs von Ypsomed seitwärts. Chart: money-net.ch

Die Covid-Pandemie mit ihren Einschränkungen hat auch die Entwicklung im Diabetes-Markt zeitweilig gedämpft. Wie war Ypsomed davon betroffen und hat sich das Geschäft inzwischen wieder normalisiert?

Im Grossteil unserer Märkte finden Produktschulungen für unsere Insulinpumpe in Kliniken statt. Während der Pandemie war dieser Zugang erschwert. Wir haben die Zeit intensiv genützt, haben unsere Pumpe technisch weiterentwickelt, haben uns im Management verstärkt und unser Marketing verbessert. Aus heutiger Sicht sind wir zuversichtlich, dass wir mit der Einführung der neuen Funktionen das Momentum im Verkauf deutlich erhöhen und unsere Ziele für das laufende Jahr erreichen oder sogar übertreffen werden.

Ihr Partner für die Markteinführung der YpsoPump am wichtigen US-Markt, Eli Lilly, wird 2023 den Antrag auf Zulassung durch die FDA stellen. Ursprünglich war von einem früheren Zeitpunkt die Rede. Ist dafür die Pandemie verantwortlich oder gibt es noch andere Gründe, z.B. technische?

Die Partnerschaft von Ypsomed mit Lilly ist ein Glücksfall für Menschen mit Diabetes und ein Ritterschlag für Ypsomed. Das Insulin von Lilly in einer vorgefüllten Ampulle und unsere Pumpe werden verheiratet. Dadurch entsteht eine Art Kombinationsprodukt. Beim Zulassungsprozess müssen wir nun alle Dossiers von Lilly und Ypsomed eng aufeinander abstimmen. Die Verzögerung entstand aus der nötigen Kaskade von Zulassungsschritten.

Dem Markt für Insulin-Pumpen wird ein jährliches Wachstum im Bereich 16% bis 2030 prognostiziert. Der Wettbewerb intensiviert sich. Dazu treten Übernahmen wie die des Drug-Delivery Unternehmens Emisphere Technologies durch den führenden Insulinhersteller Novo Nordisk sowie dessen Kooperation mit Abbott Diabetes Care. Wie wollen Sie die Marktanteile von Ypsomed unter Riesen wie Medtronic in der Spitzengruppe ausweiten?

Der Insulinpumpenmarkt bietet sehr grosses Wachstumspotential. Therapeutisch gesehen sollten alle Typ 1 Diabetiker und auch ein Teil der Typ 2 Diabetiker auf einer Pumpe sein. Heute sind erst rund ein Fünftel der Betroffenen so eingestellt. Über zwei Drittel der Kosten im Bereich Diabetes entstehen durch die Behandlung von Spätfolgen im Spital. Eine kontinuierliche Insulinabgabe durch eine Pumpe reduziert das Risiko für Spätfolgen deutlich. Im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern ist Ypsomed Entwicklerin und Herstellerin. Wir stellen sowohl Insulinpumpe, wie auch Infusionssets selber her. Dies führt zu niedrigen Herstellkosten und ermöglicht uns einen Break-even bereits bei 50’000 Anwenderinnen und Anwendern. Gemäss unserem heutigen Wachstum werden wir innert der kommenden fünf Jahre über 100’000 Kundinnen und Kunden haben. Das sind immer noch deutlich weniger als 10% des heutigen Marktes. YpsoPump hat wesentliche Vorteile gegenüber den Wettbewerbsprodukten: Sie ist mit Abstand die kleineste und leichteste Schlauchpumpe, sie ist sehr einfach in der Bedienung und kann vollständig über eine App gesteuert werden. Gleichzeitig haben sich etablierte Anbieter wie Animas (JnJ) und auch Roche aus dem Markt zurückgezogen. Natürlich drängen neue Unternehmen in diesen Markt. Aber die Eintrittshürden sind hoch. Unsere Erfahrung zeigt, dass es nicht mehr als vier oder fünf Anbieter verträgt. Wir werden sicher einer von diesen sein.

Der weltweite Markt für Diabetes Geräte wird auf 26.7 Mrd. USD geschätzt. Chart: Grandview Research 

In jüngerer Zeit hat neben Ypsomed u.a. auch Tandem Lösungen mit fortgeschrittener Technologie auf den Markt gebracht, wie gestaltet sich der Wettbewerb?

In den letzten Jahren gab es eine starke technische Entwicklung insbesondere im Bereich der kontinuierlichen Glukosemessung. Diese kontinuierliche Messung ermöglicht eine bessere Automatisierung und Steuerung der Insulindosierung durch die Pumpe. Wir haben hier unsere Aufgaben gemacht. Mit CamDiab haben wir eine Partnerschaft abgeschlossen und ermöglichen in diesen Monaten Menschen mit Diabetes Zugang zu einem ausgezeichneten, umfassend klinisch geprüften Algorithmus. Nach Dexcom haben wir als einziger Schlauchpumpenhersteller auch eine Partnerschaft mit Abbott abgeschlossen. Wir sind also durch Vernetzung sehr gut aufgestellt.

Jedes Jahr nimmt die Zahl der Diabetes-Fälle weltweit um 9% zu. Sie sprechen zurecht von einer Pandemie. Ihr Partner Lilly konzentriert sich nun auch auf die andere Pandemie – Adipositas. Über 40% der US-Amerikaner sind fettleibig und nur 3% werden bisher therapiert. Wie sieht angesichts des kausalen Zusammenhangs Ihre Adipositas-Strategie aus?

Über 90% der Kosten im Gesundheitsbereich entstehen durch die Behandlung chronischer Krankheiten, allein die Hälfte im Zusammenhang mit Fettleibigkeit. Die medikamentöse Behandlung von Adipositas – also Abnehmen durch eine Spritze – ist klarerweise „the next big thing“ der Pharmaindustrie mit entsprechenden Prognosen. Diese Medikamente müssen gespritzt werden. Analysten sprechen von über einer Milliarde nötiger Autoinjektoren pro Jahr in 2030 für diese Indikation. Ypsomed ist einer der wenigen Anbieter, die diese Kapazitäten aufgrund unserer skalierbaren Produktion darstellen kann und sind daher mit den relevanten Pharmapartnern im Gespräch.

Wie verhält es sich eigentlich mit den Kosten und wie ist die Erstattungssituation in Europa mit seinen mehreren Mio. Typ 1-Diabetespatienten?

In den meisten Ländern Europas wird Insulinpumpentherapie von Krankenkassen oder dem Staat vergütet. Die Kosten für Insulinpumpentherapie stehen in keinem Verhältnis zu den enormen Folgekosten aufgrund von schlecht eingestelltem Diabetes. In Europa werden jährlich immer noch zehntausende Füsse amputiert und zehntausende erblinden aufgrund zu hoher Glukosewerte im Blut. Die Vergütungen von Medizinprodukten sind von Land zu Land unterschiedlich. Bei der Insulinpumpentherapie liegen diese zwischen 2’500 CHF und 4’500 CHF pro Jahr.

Blicken wir noch auf die Emerging Markets. Allein in Indien wurden beispielsweise 2017 insgesamt 73 Mio. Diabetesfälle diagnostiziert. Bleiben da nicht Lösungen wie die YpsoPump für den Grossteil der Betroffenen unerschwinglich, oder sind Lösungen in Sicht?

Zugang zu leistbarer, medizinischer Versorgung ist ein wesentlicher Teil unserer Strategie. Im Firmenkundengeschäft mit Pens unterstützen wir den Zugang zu Biosimilars gerade in Emerging Markets seit vielen Jahren. Wir sind auch im Diabetesdirektgeschäft seit 10 Jahren in Indien vor Ort tätig. Dabei investieren wir in Bildung und Schulungen für die nötige Infrastruktur der modernen Insulinpumpentherapie. Es braucht zuerst Know-how und schliesslich Zeit. Das wissen wir genau. Das war vor 40 Jahren in Europa genauso. Zudem gibt es in Indien kein funktionierendes Krankenkassensystem, wie wir es in den USA, China oder Europa kennen. Gesundheitsausgaben müssen in den allermeisten Fällen durch Betroffene selber getragen werden.

Eine Vorreiterrolle nimmt Ypsomed ja in der Dekarbonisierung der stark von Plastik dominierten Industrie ein und bietet erste vollständig C02-freie Produkte an. Wie finden das die industriellen Kunden, ist die Innovationskraft auch ein Wettbewerbsvorteil?

Einerseits ist es eine Verpflichtung hier unseren Beitrag zu leisten, anderseits ist es auch eine enorme Opportunität. Wir sind hier in einer Vorreiterrolle und sehen das klare Interesse der Pharmaindustrie. Alle grossen Pharmafirmen haben bereits bekannt geben, dass sie ihre CO2-Ziele an die Lieferkette weitergeben. Wir sind sehr stolz, dass wir die ersten Projekte für einen C02-freien Autoinjektor schon unterschreiben konnten. Wir arbeiten bereits an weiteren Produkten zur Senkung des CO2-Fussbadruckes. Unsere Innovationsfähigkeit in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung wird uns sicherlich noch viel Freude bereiten. Im Sommer werden wir beispielsweise über neue Partnerschaften und Geschäftsmodelle im Bereich Digital Health berichten können.

Sind Sie mit dem Tempo der Ent-Plastifizierung im Healthcare-Sektor zufrieden, was müsste mit höherer Dringlichkeit verbessert werden?

Wir arbeiten in einem streng regulierten Umfeld und etablierten Pharma- und Anwenderbedürfnissen. Das heisst Anpassungen und Adaptierungen brauchen ihre Zeit. Aus unserer Sicht wäre es ökologisch sinnvoller wieder stärker wiederverwendbare Pens zu verwenden. Diese könnte man dafür sinnvoll mit Elektronik und Konnektivität für ein verbessertes Therapiemanagement ergänzen. Wir verfügen über die entsprechenden Konzepte und beginnen nun mit deren Umsetzung.

Angenommen, Herr Michel, Sie erhalten ein Übernahmeangebot mit einer grosszügigen Prämie zum Aktienkurs oder es wird gar eine Bieterschlacht ausgelöst, was wäre Ihre Antwort respektive Reaktion?

Unser Pen- und Autoinjektorengeschäft bietet hohe Margen. Natürlich erhalten wir regelmässig Anfragen für strategische Prüfungen. Diese lehnen wir jeweils ab. Wir wachsen in Ypsomed Delivery Systems in den kommenden Jahren mit gegen 20% pro Jahr und haben nun auch unsere Hausaufgaben im Pumpengeschäft gemacht. Als Familie sind wir langfristig engagiert und betrachten Ypsomed als langfristig ausgesprochen vielversprechendes Investment.

Vielen Dank, Herr Michel, für die offenen und informativen Antworten.

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