Turnaround: Bachem und PolyPeptide – vom Börsenliebling zum Underdog?

Peptid-Weltmarktführer zum Ausverkaufspreis?

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Peptide sind organische chemische Verbindungen. Ihr Einsatzspektrum ist breit. Sie werden unter anderem zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen und Krebs eingesetzt. Bild (Ausschnitt): polypeptide.com

Zum Zeitpunkt des erfolgreichen Börsengangs von PolyPeptide im April 2021 bewegte sich die Aktie von Bachem im Bereich 90 CHF. Ein Jahr zuvor, als die Pandemie Europa erreichte, hatte die Aktie des Weltmarktführers in der Herstellung von Peptiden, hauptsächlich für die Life-Sciences-Industrie, erstmals die 40-CHF-Marke überwunden. Beide Aktien haussierten weiter, sahen dann jedoch im November 2021 ihre Höchststände. Aktuell liegen die Kurse bei nur noch einem Drittel davon. Einstiegsgelegenheit oder Griff ins fallende Messer?

Während Bachem schon lange ein «Hidden Champion» war, sorgte erst das IPO von PolyPeptide quasi am Höhepunkt der allgemeinen Pandemie-Hysterie für die Aufmerksamkeit, die Peptide und ihre Hersteller schon früher verdient hätten. Erst der Durchbruch der mRNA-Technologie durch die ungeheuer schnell entwickelten und hocheffizienten Covid-Vakzine lenkte den Blick der Investoren fast zwangsläufig auf die unverzichtbaren Peptide als Basisprodukt für die mRNA-Technologie. Die war lange skeptisch beäugt worden, und Zweifel an deren industrieller Skalierbarkeit waren bis zuletzt von Teilen der akademischen Wissenschaftler und der bei der Industrie beschäftigten Wissenschaftler aufrechterhalten worden.

Top-Timing beim IPO von Polypeptide

Die Validierung in wissenschaftlicher Hinsicht führte wiederum zwangsläufig zur Akzeptanz bei institutionellen Anlegern. Ein idealer Zeitpunkt für den Börsengang von PolyPeptide, den schweizeraktien.net ausführlich pre-IPO analysiert hat. Das einzige Störende war damals der hohe Preis, der für nüchterne Investoren keinen Zeichnungsanreiz mehr bot. Ein wesentlicher Grund für den Börsengang an der Schweizer Börse war für das schwedische Unternehmen bestimmt die Tatsache, dass mit Bachem ein hochbewerteter Vergleichswert an der SIX vorhanden war, was es zumindest erleichterte, eine ambitionierte IPO-Bewertung durchzusetzen.

Was Liquidity Events sagen können

Wenn Aktien einmal angefangen haben zu laufen, dann führt das wiederum zwangsläufig dazu, dass immer mehr Anleger aufspringen, und sei es nur aus spekulativen, kurzfristigen Motiven. Die überschäumende Stimmung und Begeisterung für ihre Aktien nutzten Bachem respektive der Hauptaktionär von PolyPeptide, um weitere Aktien auf dem überhöhten Kursniveau zu platzieren. So waren PolyPeptide-Aktien beim IPO im April 2021 zu 64 CHF zugeteilt worden, Hauptaktionär Frederik Paulsen platzierte im November nochmals 4,5% zu 114 CHF und reduzierte seine Beteiligung so auf ca. 55%. Bachem führte Ende Oktober eine Kapitalerhöhung im Volumen von 583.5 Mio. CHF durch. Beide Schritte erfolgten jeweils nahe den absoluten Höchstständen, und beide waren aus Sicht der Verkäufer sehr gut im Timing. Die Lektion für Anleger ist, auf solche Vorkommnisse, im Fachjargon «Liquidity Events» genannt, zu achten und die Signale richtig zu lesen.

Der Kurs von PolyPeptide (grün) zeigt seit Börsenstart im April 21 einen ähnlichen Verlauf wie derjenge von Bachem (schwarz). Chart: money-net.ch
Steigende Peptid-Nachfrage

Ungeachtet des Aufs und Abs an der Börse bleiben die fundamentalen Rahmenbedingungen für das Hersteller-Oligopol insgesamt sehr gut. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die technologischen Möglichkeiten nehmen exponentiell zu und führen zu einer Fülle neuartiger «personalisierter» Therapien. Diese bestehen oft darin, dem Patienten nur noch zielgerichtet die biologischen Instruktionen zu injizieren, sodass der Organismus selbst die Heilung oder Aufrechterhaltung der Homöostase herbeiführt. Dafür braucht es Peptide sowie zunehmend für komplexere Baupläne auch andere DNA- und RNA-Bausteine wie Oligonukleotide. Bachem und PolyPeptide kommen gemeinsam auf einen Weltmarktanteil von rund 50%, eine Handvoll weiterer Hersteller teilt sich den Rest des Marktes. Dem Peptid-Markt werden weiterhin hohe Wachstumsraten prognostiziert.

Von der Hausse zur Baisse

Die Kursrückgänge bei beiden Aktien seit November 2021 waren zweifellos durch die erreichte Überbewertung ausgelöst worden. Es war der Zeitpunkt, als sich an der Börse gerade bei den heiss gelaufenen Technologie- und Healthcare-Aktien eine Trendwende einstellte. Was unter «normalen» Umständen vielleicht nur eine gesunde Korrektur geblieben wäre, mutierte vor dem Hintergrund steigender Inflation und Zinsen sowie dem Kriegsbeginn in der Ukraine zu einem Ausverkauf, der zuletzt sogar nochmals an Fahrt gewann, als PolyPeptide am 12. Juli den Ausblick anpasste.

«Angepasster Ausblick» von Polypeptide

Wenig überraschend weist das Unternehmen darauf hin, dass das erste Semester 2021 bedingt durch den Nachfrageschub während der ersten Phase der Pandemie überdurchschnittlich stark verlaufen war, der Umsatz im ersten Halbjahr 2022 aber wegen diversen Faktoren wohl auf Höhe der Vorjahresperiode liegen werde und die Profitabilität falle. Zu den Gründen zählen steigende Preise für Rohstoffe, Energie und Verbrauchsmaterialien sowie Lohninflation, die noch nicht an die Kunden weitergegeben werden konnten. Weiterhin sei auch der Personalstand mit Blick auf geplante Expansionsschritte in den letzten 12 Monaten um 13% erhöht worden. Die EBITDA-Marge wird daher für das erste Halbjahr mit 20% erwartet. Die Pipeline der aktiven kundenspezifischen Projekte nahm in den letzten 12 Monaten von 181 auf 218 zu.

Perspektiven im Peptidgeschäft bleiben intakt

Hohe und teilweise unrealistische Erwartungen der Anleger führen mitunter zu herben Ernüchterungen. So sind auch stark wachsende und technologisch führende Unternehmen dem allgemeinen inflationären Druck ausgesetzt. Basismaterialien werden teurer und wichtiger noch, die qualifizierten Fachkräfte sind gesucht, wissen um ihren Wert und wollen entsprechend kompensiert werden. Solche Entwicklungen, die vorübergehend das Wachstum dämpfen können oder die Gewinne schmälern, ändern jedoch nichts am Investment Case. Der ist bei PolyPeptide wie bei Bachem davon gekennzeichnet, dass die Nachfrage auf längere Sicht zweistellig zunimmt und die Weltmarktführer weiterhin in der Lage sein werden, ihre Kosten auf die Verkaufspreise umzulegen. Es gibt keine Alternativen für die Kunden, die Eintrittsbarrieren sind hoch, die Burggräben tief, und die Kundenbeziehungen sind über Jahrzehnte gewachsen und damit fest etabliert.

Partnerschaft von Bachem und Eli Lilly

Bachem machte Ende April eine neue Zusammenarbeit mit Eli Lilly ad-hoc bekannt. Dabei geht es um Oligonukleotide mit einem erwarteten jährlichen Umsatz von 100 Mio. CHF. Die Zusammenarbeit bei den sogenannten «Investigational Medicines» ist zunächst auf sieben Jahre vorgesehen. Das entspricht gut 20% des Jahresumsatzes in 2021. Letztes Jahr nahm Bachem erstmals die Marke von 500 Mio. CHF beim Jahresumsatz. Das Beispiel zeigt, wie die Peptidforscher und -hersteller schon Jahre vor der Zulassung neuer Medikamente in die Entwicklung integriert sind. Sie tragen wesentlich zur Wertschöpfung der Arzneimittelhersteller bei und verdienen deshalb auch eine auskömmliche Marge. Solche Projekte erfordern hohe Investitionen und auch hochqualifiziertes Fachpersonal, der Payback folgt erst danach.

KGV hat sich gedrittelt

Aus Börsensicht ist die bestimmende Frage, ob nach der scharfen Baisse der letzten Monate die Aktien von Polypeptide und Bachem nun auf einem attraktiven Einstiegsniveau sind oder die Aktien weiterhin nach unten gezogen werden. Der beste Ausgangspunkt ist die Bewertung. In der Spitze erreichten beide Aktien KGVs von 100. Der Gewinn je Aktie in 2021 lag bei Polypeptide bei 1.47 CHF. Der Höchstkurs erreichte im vergangenen September 147 CHF! Bei Bachem wurde in 2021 ein Gewinn je Aktie (pre-Splitt) von 8.07 CHF erzielt, die Platzierung der Aktien erfolgte nahe dem Höchstkurs bei 778 CHF. Folglich ergibt sich bei einer Drittelung der Kurse auch eine Drittelung des KGVs (2021), das sich somit um die 33 bewegt.

Trendpersistenz

Es bleibt also noch Spielraum nach unten, aber eben auch nach oben. Auszugehen ist davon, dass beide Unternehmen ihre Langfriststrategie konsequent umsetzen und sich durch Störungen in der Lieferkette und steigende Kosten nicht aus der Spur bringen lassen. Vorrübergehend kann es zu Verzögerungseffekten oder einer Kontraktion der Gewinnmarge kommen, doch das Trendwachstum von 15% bis 20% p.a. bleibt erhalten. Zwei Faktoren von Bedeutung sind zum einen die Inflationserwartungen und die weitere Zinsentwicklung und zum anderen die Verfassung der Life-Sciences-Industrie.

Inflationshysterie durch Desinformation

Bei der Wahrnehmung der Inflation ist es wie bei anderen unliebsamen Phänomenen: Erst werden sie ignoriert, dann kommt der Schock und danach die Schockstarre. Noch gestern sagte eine Nachrichtensprecherin: «Die Weizenpreise gehen durch die Decke!» Ähnliche falsche Postulate kann man täglich vielfach in den Medien finden. So kann man zwar eine Hysterie erzeugen, aber tatsächlich fällt das Hoch der Weizenpreise auf März und Mai, der Preis hat sich allein im letzten Monat um 28,7% ermässigt und bewegt sich aktuell auf dem tiefsten Niveau der letzten fünf Monate. Ein Grund ist, dass sich gute Ernten in weiten Teilen der Welt abzeichnen. Auch die Preise für andere Agrar-Rohstoffe sind rückläufig, darunter Kaffee, Mais und Soja. Der Kupferpreis hat ein 17-Monatstief erreicht, und selbst Öl liegt bei Preisen unter 100 USD deutlich unter dem Hoch von 130 USD, das schon vor einiger Zeit erreicht worden war.

Aktuell geht der Preis von Weizen durchaus nicht durch die Decke. Chart: tradingeconomics.com
Anpassung der Inflationserwartungen als Trigger für den Aktienmarkt

Das sind frühe Signale, dass die Teuerungsraten sich wieder abflachen, auch wenn der Transmissionsmechanismus, je nachdem, auch Jahre umfassen kann. Zudem ist der Zinserhöhungsspielraum vor allem bei der EZB gering, da sonst überschuldete Länder wie Italien schnell zahlungsunfähig werden würden. Steigen die Zinsen nicht weiter, bessert sich der Ausblick für Wachstumsaktien wie Polypeptide und Bachem, weil die DCF-Modelle nicht mehr mit deutlich höheren Diskontierungssätzen gefüttert werden müssen. Mit anderen Worten: Die zukünftigen Gewinne haben heute einen höheren Barwert, als wenn von 5% oder 8% bei den Leitzinsen ausgegangen wird.

Finanzstarke Nachfrager

Die Nachfrage der Industrie, also von Pfizer, Lilly, Sanofi usw. ist stabil und stark wachsend, darüber hinaus spielt auch die Kosmetikindustrie eine wachsende Rolle als Nachfrager. Diese Unternehmen sind überkapitalisiert und haben die Mittel, um ihre langfristigen Strategien konsequent umzusetzen. Wie das Beispiel Bachem-Lilly zeigt, sind solche Kooperationen zunehmend Standard und bringen dem Juniorpartner annuitätengleiche Einkünfte über Jahre hinweg. Die Qualität dieser Kooperationen nimmt bei genauer Betrachtung fast das gesamte operative Risiko für Investoren weg. Plötzliche Umsatzeinbrüche oder der Wechsel zu billigeren Konkurrenten sind im Bereich der Peptide eher nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Die Prognostizierbarkeit der Erträge ist höher als in den meisten anderen Industrien.

Fazit

Sollte der Bärenmarkt an den Börsen noch länger laufen und sollten Inflation und Zinsen weiter ansteigen, so bläst auch den Peptidherstellern wohl weiterhin der Wind ins Gesicht. Bringt das zweite Halbjahr aber eine wie auch immer geartete «Normalisierung» der Rahmenbedingungen wie rückläufige Teuerung, konjunkturelle Resilienz und Friedensperspektiven, so werden wohl Qualitätsaktien wie Bachem und Polypeptide wieder die Führungsrolle übernehmen. Die Kursrisiken haben durch die Korrektur um zwei Drittel definitiv abgenommen, die Chancen haben sich demgegenüber klar verbessert. Dennoch empfiehlt es sich, in unsicheren Phasen in aller Regel Positionen schrittweise aufzubauen.

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