Schweizer Unternehmen: Prognosen für das kommende Geschäftsjahr werden zur Lotterie

Eine Umfrage bei Griesser, Plaston, Loeb und Meier Tobler zeigt die zahlreichen Unwägbarkeiten auf, welche die Firmen nicht selbst beeinflussen können

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Ziehen jetzt dunkle Wolken auch für die Schweizer KMU herauf? schweizeraktien.net hat bei vier Chefs von Schweizer KMU nachgefragt. Bild: stock.adobe.com

Die Entwicklungen für die nahe Zukunft vorherzusagen und die operative Tätigkeit entsprechend auszurichten, ist für ein Unternehmen stets eine herausfordernde Aufgabe – auch in Jahren mit stabilem Umfeld. Doch aktuell stehen die Schweizer Unternehmensführer im dicksten Nebel und können kaum die eigene Nasenspitze erkennen. Einer derartigen Zahl von Unwägbarkeiten, Risiken und Faktoren, die den Geschäftsbetrieb potenziell verteuern oder verlangsamen könnten, sahen sich die Unternehmer schon seit Jahren nicht mehr gegenüber. Die Angst vor einer Rezession, der Fachkräftemangel, eine drohende Rückkehr der Corona-Pandemie, eine hohe Teuerung, fehlende Rohstoffe und eine sich akzentuierende Frankenstärke sind nur einige der am meisten genannten Gefahren für die hiesige Wirtschaft.

Da ist es ein schwacher Trost, dass sich die Firmen im angrenzenden Ausland noch mit gravierenderen Problemen konfrontiert sehen. Weil die Schweizer Unternehmen beim Einkauf und Absatz vielfach stark von Ausland abhängig sind und oft auch dort produzieren, färben die Schwächen in diesen Märkten ebenfalls aufs eigene Ergebnis ab. schweizeraktien.net hat sich bei mittelgrossen Schweizer Unternehmen umgehört, was vom Geschäftsjahr 2023 erwartet wird und wie sich die Unternehmen vorbereiten und in Position bringen.

Spuren werden bleiben
Franz Wittwer, CFO der Loeb Holding AG. Bild: zvg

Die befragten Unternehmen blicken wenig zuversichtlich ins kommende Geschäftsjahr. Dabei wird stets betont, dass Prognosen in dieser Situation speziell schwierig seien. Die Unternehmen gehen davon aus, dass das beschriebene Umfeld «Spuren hinterlassen» wird, wie gross diese sein werden, hänge aber auch von der «Eintrittswucht» der einzelnen Faktoren ab. Abzuschätzen, ob das Jahr 2023 resultatmässig besser oder schlechter werde als das laufende, gemäss Franz Wittwer, Finanzchef der Loeb Holding, reines Kaffeesatzlesen. «Wenn sich die Energiekosten je nach Kriegsverlauf in der Ukraine oder der Situation der AKW in Frankreich stabilisieren und die Rezession ausbleibt, dann gehen ich von einem identischen Jahr aus», fügt er an.

Hansruedi Lanker, Chief Financial Officer der Plaston Holding, bringt noch China ins Spiel: «Als weltweit operierendes KMU sind wir von sämtlichen Phänomenen mehr oder weniger betroffen, direkt und indirekt auch über unsere Kunden». Während Europa die Covid-Pandemie aber weitgehend hinter sich gelassen hat, setzt China nach wie vor auf harte Lockdowns. Das habe Einfluss auf das Geschäft des Kunststoffververarbeiters.

«Die deutlich gestiegenen Einkaufspreise und die Stockungen in den Lieferketten haben uns stark betroffen», sagt Lukas Leuenberger, Finanzchef des Gebäudetechnik-Anbieters Meier Tobler. Als Händler müsse das Unternehmen versuchen, diese Preiserhöhung an die Kunden weiterzugeben. «Dies ist uns dieses Jahr gut gelungen». Die Sicherung der Warenverfügbarkeit habe oberste Priorität – das Einkaufsteam leiste tagtäglich Grossartiges. Plaston habe aber die Verkaufspreise den gestiegenen Einkaufspreisen anpassen müssen.

Bezahlbare und verfügbare Energie
Urs Neuhauser, CEO Griesser Holding AG. Bild: zvg

Ein entscheidender Preistreiber ist die Energie. Auf Anfang Oktober hat etwa der Storenhersteller Griesser wegen steigender Material- und Energiekosten die Preise angehoben. Eine Optimierung bei den Beschichtungsanlagen führt bei Griesser gleichzeitig zu einer Senkung des Energieverbrauchs. Loeb und andere Unternehmen profitieren derzeit von bereits in der Vergangenheit vereinbarten Strompreisen. Dieser Effekt entfällt aber dereinst. Bleibe der Energiepreis bei beispielsweise 70 Rappen pro Kilowattstunde, dann werde die Politik sehr wohl rasche Lösungen brauchen, um einen Kollaps der Wirtschaft zu verhindern, glaubt der Loeb-Finanzchef. «In Bezug auf Energie sind es nicht nur die Preise, sondern auch die Sicherstellung der Verfügbarkeit von ausreichend Elektrizität», sagt der Finanzchef von Plaston. Denn was nütze bezahlbare Energie, wenn die Versorgung damit zusammenbricht? Bei der Normalisierung der extremen Energiepreise könnten mitunter auch staatliche Eingriffe helfen.

Der Fluch der starken Währung

Jüngst sind sowohl der Euro und der Dollar deutlich unter die Parität zum Schweizerfranken gefallen. Als die Schweizerische Nationalbank SNB im Januar 2015 die Verteidigung der Euro-Kurs-Untergrenze von 1.20 Franken pro Euro aufgab, verlor die europäische Gemeinschaftswährung rasch an Wert, und die hiesige Exportindustrie verfiel in Alarmstimmung und malte ein düsteres Zukunftsbild. Obwohl der Franken heute deutlich stärker ist als damals, ist das Wehklagen viel leiser. Das heisst nicht unbedingt, dass die Unternehmen nicht auch heute Probleme damit hätten. Entscheidend ist dabei, wie hoch die Abhängigkeit vom Ausland ist.

Lukas Leuenberger, CFO der Meier Tobler Gruppe. Bild: zvg

«Meier Tobler ist ausschliesslich in der Schweiz tätig und fakturiert seine Umsätze in Franken», führt der Finanzchef des Gebäudetechnikers aus. Auf der Wareneinkaufsseite beziehe das Unternehmen rund 40% der Produkte in Euro. Ein starker Franken, bzw. ein schwacher Euro, sei für das Unternehmen kurzfristig eher vorteilhaft. «Eine langfristige Abwertung des Euro geben wir an die Kunden in Form von tieferen Verkaufspreisen weiter», sagt Leuenberger.

Die Einschätzung des Frankenkurses zum heutigen Zeitpunkt sei sehr schwierig, sagt Griesser-CEO Urs Neuhauser. «Wir gehen jedoch davon aus, dass sich der Euro in den nächsten 12 Monaten nicht massgeblich erholen wird». Die Stärke des Frankens tangiere das Unternehmen massgeblich bei der Umrechnung der Resultate der Tochtergesellschaften für die konsolidierte Betrachtung der Gruppe – dem sogenannten Translationseffekt. «Operativ besteht aber aufgrund der schweizerisch-europäischen Aufstellung der Griesser Gruppe ein natürliches Hedging», führt Neuhauser aus. Dieser Transaktionseffekt führe dazu, dass Griesser die Frankenstärke nur marginal betreffe. «Wir erwarten, dass das aktuelle Kursverhältnis vorläufig das neue Normal ist», sagt Franz Wittwer. Die Vor- und Nachteile dürften sich für die Loeb Holding die Waage halte, zumindest solange die Inflation im Ausland den Einkaufstourismus weniger attraktiv mache.

Fachkräftemangel und Kurzarbeit
Hansruedi Lanker, CFO der Plaston Holding AG. Bild: zvg

Widersprüchlich ist die Situation im Bereich Personal. So berichten etwa sowohl der Storen-Hersteller Griesser als auch der Gebäudetechniker Meier Tobler von Problemen wegen des anhaltenden Fachkräftemangels. Plaston gibt an, dass es bisher keinen Personalabbau gegeben habe, die Schwankungen im Personalbestand würden sich im normalen Bereich befinden. «In den nächsten Monaten werden wir die Einführung von Kurzarbeit prüfen – kurzfristig ist dies jedoch nicht nötig», sagt Lanker.

Franz Wittwer von Loeb räumt ein, dass die Geschäfte derzeit sehr gut laufen würden: «Mit diesen Fakten aus lauter Angst einen Personalabbau einzuleiten, wäre widersinnig». Das sei weder kurzfristig möglich noch mit den aktuellen Ergebnissen zu rechtfertigen. Mit den aktuellen Fakten sei Loeb Holding eigentlich zum Abwarten verdammt. Meier Tobler hat die Schulungs- und Weiterbildungsmassnahmen verstärkt. «Menschen wollen weiterkommen, Perspektiven und eine sinnhafte Arbeit haben. Die Haustechnik bietet mit dem laufenden Energie- und Technologiewandel sinnvolle und spannende Arbeitsplätze», sagt dazu CFO Lukas Leuenberger.

Der Gewinn, die grosse Unbekannte

Wie eingangs erwähnt, tappen die Unternehmen noch grösstenteils im Dunkeln. Sie sind zwar überzeugt, dass sie die Einflussgrössen, die das Unternehmen beeinflussen kann, im Griff haben, doch wenn Lieferketten oder die Energie ausfällt, ist die Unternehmensführung grösstenteils machtlos. Das macht insbesondere Prognosen zum Gewinn, der entscheidenden Messgrösse für Aktionäre, schwierig. «Wir gehen aktuell davon aus, dass wir die Bruttomarge halten und erwarten für das Jahr 2023 keinen rückläufigen Umsatz», sagt Griesser-CEO Urs Neuhauser. Über den erwarteten Gewinn kann auch sein Unternehmen zu diesem Zeitpunkt keine Angabe machen.

«Aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Gesamtlage verzichten wir aktuell auf eine finanzielle Guidance», sagt Lukas Leuenberger, Finanzchef von Meier Tobler. Neben der starken Nachfrage nach Wärmepumpen haben die oben erwähnten Preiserhöhungen einen wesentlichen Einfluss. Der Gebäudetechniker sei grundsätzlich zuversichtlich für das Geschäftsjahr 2023. Einerseits wegen der erwähnten Preiserhöhungen, andererseits werde der Trend zur nachhaltigen Sanierung von Heizungsanlagen – weg von Öl und Gas, hin zu Wärmepumpen – anhalten. Auch wenn sich die gesamte Baukonjunktur allenfalls etwas abschwächen dürfte.

Fazit

Die Budgetierung des kommenden Jahres ist für Schweizer Unternehmen ein Blick in die Glaskugel – vieles bleibt vage und offen. Nach dynamischem Start ins Jahr 2022 mit einer «Nach-Corona-Euphorie» kommt die Wirtschaft unter Druck – Wachstumsrate und Geschäftsklima-Indizes sind schon mehrmals nach unten korrigiert worden. Das Rezessionsrisiko ist real. Die Vorkehrungen, welche die Unternehmen selbst treffen können, sind grösstenteils gemacht. Nun bleibt den Geschäftsführungen nur, abzuwarten, wie sich das wirtschaftliche Umfeld entwickelt und nach Möglichkeit mit Kurzarbeit, Preiserhöhungen oder anderen Massnahmen zu reagieren. Am stabilsten dürften in diesem Umfeld Gesellschaften abschneiden, die sich sowohl bei Beschaffung als auch beim Absatz vor allem auf die Schweiz konzentrieren. Als Gesamtes dürfte sich die hiesige Wirtschaft besser schlagen als jene in den Nachbarländern. Dort sieht das makroökonomische Umfeld gemessen an Teuerung, Wirtschaftswachstum oder Energiepreise deutlich düsterer aus.

Die Aktien von Griesser, Loeb und Plaston werden ausserbörslich auf OTC-X gehandelt. Die Titel der Meier Tobler AG sind an der SIX Swiss Exchange kotiert.

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