Der Aktien-Token in der Pubertät – Probleme vor der breiten Akzeptanz

Die Anfangseuphorie für die Tokenisierung von Eigenkapital ist vorbei

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Der Handel von Eigenkapital auf der Blockchain hat in der Schweiz noch keine weite Verbreitung. Bildquelle: pixabay.com

Es ist doch nicht so, dass jede Schweizerin und jeder Schweizer sich gerne an der Bäckerei und am Schuhmacher um die Ecke beteiligen will und diese Firmenbeteiligung auf dem Smartphone im Wallet mit sich herumträgt. Die Möglichkeiten, welche die Distributed Ledger Technologie (DLT) auf der Blockchain für die Digitalisierung von Eigenkapital eröffnet hat, schienen grenzenlos zu sein. Viele Schweizer Pioniere machten sich daran, interessierten Investoren den Weg zur digitalen Aktie zu ebnen. Mittlerweile ist Ernüchterung oder besser gesagt Realität eingekehrt – eine Phase, die bei der Einführung jeder neuen Technologie zu beobachten ist.

Erst einige Unternehmen haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihr Eigenkapital zu digitalisieren. Die Möglichkeiten sind zwar riesig, aber gar nicht alles dürfte von den Investoren nachgefragt werden. Die Branchen arbeiten nun daran, ein effizientes und konvertibles Ökosystem aufzubauen: Die Investoren sollen unkompliziert digitale Aktien auf der Blockchain handeln und verwalten können.

Kein neues Feature

Aber ist ein solches Angebot von Investoren überhaupt gewünscht, wurde es vielleicht einzig von der Tech-Industrie, von «Tech-Nerds» vorangetrieben? «Was heisst nötig, sind Smartphones nötig gewesen? Wir könnten weiterhin nur am Computer im Web surfen und zum Wandern wieder Karten auf Papier zur Hand nehmen. Und trotzdem schätzen wir die Vorteile eines mobilen Internetzugangs», sagt Pascal Egloff, Leiter des Zentrums Banking & Finance an der Ostschweizer Fachhochschule (OST). Es sei kein völlig neues Feature – Aktien könne man schon lange handeln. Die tokensierte Aktie biete den Unternehmen jedoch zahlreiche Vorteile. So könnte Mitarbeitern und Lieferanten ein einfacher Weg zur Beteiligung geboten werden, erklärt Egloff. «Zudem erhalten Investoren von mittelgrossen Unternehmen so künftig eine einfachere Exit-Option.» Doch wo der Weg genau hinführt und wie lange die Reise dauert, ist gemäss dem OST-Dozenten unklar.

Ein Pionier ist etwa Daura. «Wir haben unsere finanziellen Ziele zurückgestellt und sehen uns als Element des Ökosystems, das die Entwicklung vorantreibt», sagt CEO Peter Schnürer. Aber das Unternehmen wachse erfreulich. Mittlerweile sind über 120 Unternehmen und über 10’000 Investoren auf der Plattform registriert. Aber die digitale Verwaltung des Aktienbuchs, die digitale Organisation der Generalversammlung sowie die Ausgabe von Mitarbeiteraktien steht im Zentrum des Interesses. «Die Aufnahme von Eigenkapital ist immer ein Thema, aber sie ist ein Einmalevent, und nach diesem Event kommen die vorher erwähnten Themen ins Spiel», so Schnürer.

Whitelabeling durch Banken

Auch Aktionariat gehört zu den Vorreitern. «Die Geschäftstätigkeit entwickelt sich zwar gut, hat aber noch Luft nach oben, ein Leuchtturmprojekt würde helfen, aber wir sind beispielsweise stolz darauf, die Aktien von Real Unit und der Boss Info tokenisiert zu haben», sagt CEO Nicola Plain. Über 22’000 Investoren haben bereits die Aktionariat-App heruntergeladen und sich mit dem Thema vertraut gemacht und/oder investiert. Einen grösseren Schub werde der Ausbau des Ökosystems auslösen, da an gewissen Stellen noch nützliche Komponenten wie z.B. ein breit akzeptierter CHF-Stablecoin fehlten, glaubt Plain. Banken könnten beispielsweise mehrere ihrer traditionellen Rollen auch im Bereich Aktientoken übernehmen: als Verwahrer, Berater und Distributoren, aber auch als Kreditgeber mit Aktientoken als Sicherheit.

«Die Liquidität wird durch die Tokenisierung nicht höher», ergänzt der Aktionariat-CEO. Es brauche dazu auch funktionierende Handelsplätze. Aktionariat arbeitet mit der SDX, der digitalen Tochter der Schweizer Börse, und der Berner Börse BX zusammen, um ihre Aktien im nächsten Jahr handelbar zu machen. «Wichtig ist auch, dass der Sekundärhandel ausgebaut wird. Das funktioniert noch nicht wie gewünscht. Die Zahlen von Aktionariat zeigen, wo noch Ausbaupotenzial besteht. Seit Bestehen des Unternehmens wurde ein Transaktionsvolumen von über 37 Mio. CHF erzielt, davon entfallen 35.5 Mio. auf Kauftransaktionen. «Wir arbeiten mit Hochdruck am Ausbau des Ökosystems. Dass diese Entwicklung etwas länger dauert als gedacht, stört uns nicht, weil es uns erlaubt, in Ruhe die Lösung zu optimieren», so Plain.

Ausdruck «Tokenisierung» wird vermieden

Daura sieht sich als reiner Infrastrukturanbieter. Campaining brauche ein spezielles Know-how, sagt Schnürer. Unternehmen, die eine Eigenkapital-Crowdfunding planen, gehen dafür meist zu einer dafür bekannten Plattform. «Wir kommen nach der Geldaufnahme ins Spiel. Unsere Spezialität ist das effiziente Onboarding von vielen Aktionären und die effiziente Handhabung des Aktienbuchs mit Schnittstellen ins Banken-System und Anbindung an den regulierten Sekundärmarkt SME|X der BEKB.»

«Bei uns geht es darum, das Maximum aus der Technologie und den daraus resultierenden Möglichkeiten rauszuholen, für die Unternehmen wie auch die Investoren auf der Plattform», sagt Leandro Davies, Co-Funder und Co-CEO der Crowdinvesting-Plattform Oomnium. Sein Unternehmen wolle aber den technologischen Aspekt so weit wie möglich in den Hintergrund rücken. Das Unternehmen spricht deshalb gar nicht erst von Tokenisierung, sondern einfach von digitalen Aktien. Das ist gemäss Davies eine Terminologie, welche die Nutzer der Plattform verstehen und die für sie als digital-affine Plattform-Besucher auch vertrauenswürdig klingt. Dass digitale Aktien tokenisiert sind, ist für sie nicht relevant, eigentlich noch nicht mal für die Unternehmen. Was die Digitalisierung der Aktien dem Unternehmen an Möglichkeiten auftut und dementsprechend Chancen für die Investoren mit sich bringt, aber sehr wohl.

«Wir bezeichnen uns als kuratierte Plattform, nicht als Technologieanbieter. Die Kernkompetenz von Oomnium ist Fundraising, Campaining, aber auch User-Experience-Design auf Plattform-Ebene», sagt Davies. Oomnium begleitet Unternehmen, die digitale Aktien ausgeben, über mehrere Monate, aber nicht mehr als vier Projekte auf einmal. Es bestehe eine Warteschlange von interessierten Unternehmen.

Wemakeit und ElleXX

Oomnium ist eine Tochtergesellschaft des Crowdfunding-Anbieters Wemakeit. Das Unternehmen wurde ausgegliedert, um die Risiken von der Muttergesellschaft abzutrennen. Im Gegensatz zur Muttergesellschaft, die Reward-based Finanzierungen macht, führt Oomnium Equity-based-Funding durch. Während bei Wemakeit der Geldgeber aus ideologischer Sicht und mit Aussicht auf ein Goodie (z.B. ein Produkt aus der ersten Serie) mitmacht, geht es bei Oomnium um eine Beteiligung am Eigenkapital.

«Wir mussten für die Rechtssicherheit die DLT-Gesetzgebung abwarten, bis wir mit unserem Geschäftsmodell loslegen konnten», sagt Davies. Der Beweis, dass es funkioniert, und gleichzeitig der Startschuss für das Unternehmen, war die Lancierung der digitalen Aktie des Mutterkonzerns. Im Mai dieses Jahres schloss das Unternehmen die Finanzierung von 7.5 Mio. CHF ab. Die Tokenisierung führt Oomnium über die Plattform von Aktionariat aus.

Seither hat Oomnium vier weitere Kampagnen abgeschlossen, die bekannteste dürfte ElleXX sein, die nachhaltige Anlageplattform für Frauen. ElleXX bezeichnet Davies als Leuchtturmprojekt, von denen «es noch mehr braucht». Zwei weitere Projekte dürften in diesem Jahr noch abgeschlossen werden. Mit diesem Crowdinvesting kann ein KMU statt einige Grossinvestoren Tausende Kleinanleger ins Boot holen.

Rendite nicht einziges Verkaufsargument

Voraussetzung für das Crowdinvesting ist, dass die Gesellschaft eine AG nach Schweizer Recht ist. Es ist einfacher für B2C-Gesellschaften, ein Crowdinvesting durchzuführen, da diese im Gegengsatz zu B2B-Firmen meist bereits über eine Community verfüge. Die Aussicht auf eine Rendite sei wichtig – aber nicht das einzige Kaufargument, es müsse auch ein «gesellschaftlicher Mehrwert» in Aussicht gestellt werden, sagt Davies. Man müsse zwischen Renditeunternehmen und «Lovebrands» unterscheiden. Letzteres seien etwa der Hockeyclub Ambri-Piotta oder die Schifffahrtsgesellschaft Attila, die Investoren Fahrten im Gegenwert des Investments anbietet.

«Ich würde anders vorgehen und deutlich mehr Geld in die Kampagne und mehr Zeit in die Vorbereitung stecken. Das Ganze muss sauber aufgebaut sein, und die Community muss stark aktiviert werden», sagt Kevin Schmid, Gründer und CEO von Outlawz Food. Das Unternehmen hat rund einen Zehntel des Aktienkapitals über Aktionariat tokenisiert. Es mache zwar Spass, aber sei umständlicher, als das Unternehmen zu Beginn erwartet hätte. «Aber ja, ich würde es wieder machen», sagt Schmid. Auch wenn es digital und unkompliziert sei, würde es viele Personen verwirren, auch klassische Investoren.

Noch ist das Angebot umständlich

«Das Angebot ist noch umständlich. Wir sind im Vergleich mit dem Internet noch im Zeitalter, als das Modem noch piepte und es Minuten brauchte, bis die Internetverbindung stand und nochmals so viele Minuten, bis jede Internetseite geladen war», sagt Egloff. Die Interoperabilität sei noch nicht gegeben. Ein Investor wolle nicht fünf verschieden Wallets eröffnen, weil er fünf KMU-Aktien erworben habe. Zudem sei zwar die Handelbarkeit gegeben, das heisse aber nicht, dass automatisch Liquidität vorhanden sei. Der Verkauf von A zu B ist möglich, der organisierte Handel ist aber schwierig. «Es hat noch kein Anbieter eine DLT-Handelszulassung erhalten», ergänzt der OST-Dozent. Gerüchten zufolge seien mehrere bei der Finanzmarktaufsicht hängig. Zentral wird bei solchen künftigen Handelsplätzen für Security Tokens sein, wie das Kotierungsreglement ausgestaltet ist. Insbesondere die Anforderungen an die Informationspflichten und Rechnungslegungsbedingungen sind entscheidend, inwiefern auch kleinere Unternehmen ihre Titel an einem Marktplatz zum Handel anmelden werden.

Für die Branche wären Leuchtturm-Projekte wichtig. Aufsehen hätte etwa erregt, wenn On Shoes nicht an die Nasdaq wäre, sondern tokenisierte Aktien ausgegeben hätte. «Die Investoren müssen sehen, dass diese Blockchain-Community gar nicht so abgedreht ist», sagt Schnürer. Er vergleicht es mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Über zwanzig Jahre arbeiteten Technologieunternehmen ohne grosse Beachtung an KI. Dann kommt eine «Killerapplikation» wie ChatGPT und vergleichbare Anwendungen, und jeder spricht darüber, nutzt es, und es bricht ein Investoren-Hype aus.

Wenn On Shoes Token ausgegeben hätte…

Egloff glaubt zwar, dass so eine «On-Tokenisierung» ein grosses Echo auslösen würde, aber nach seiner Meinung wenig nachhaltig wäre. Der OST-Dozent glaubt viel eher, dass es weniger «fancy», dafür viele etablierte Unternehmen brauche – «möglichst durchschnittliche, aber regional bekannte KMU». Richtig Wirkung könnte etwa eine grosse Bank erzielen, wenn sie beispielsweise 200 ihrer Firmenkunden ermöglichen würde, ihr Eigenkapital zu tokenisieren. Das könnte auch für die Bank interessant sein. «Denn Eigenkapital schafft eine viel grössere Bindung zur Bank als Fremdkapital», fügt Egloff an.

Alle Befragten sind sich einige, dass es ein funktionierendes Ökosystem braucht und dieses erst am Entstehen ist. Der Daura-CEO führt aus, was es braucht, damit das Ökosystem wettbewerbsfähig wird. «Erstens müssen die Token im Banksystem einbuchbar sein.» Zweitens brauche es Sekundärmärkte, die den Handel mit den Token ermöglichen würden. Diese müssen gemäss Schnürer aber verschiedene Regulationsstufen aufweisen. Von Firmen-Webites bis zur SDX. Drittens würde ein digitaler Franken die Abrechnung effizienter machen. Sonst braucht es für die Abwicklung auf der Zahlungsseite immer noch Intermediäre, die das Transferrisiko tragen. Mit einem E-Franken kann die gesamte Transaktion auf einer DLT-Plattform einfach in Echtzeit abgewickelt werden.

Pascal Egloff führt noch einen vierten Faktor an: «Eine digitale Identität würde Schnittstellen beseitigen und den digitalen Markt extrem beschleunigen.» Hier sind zahlreiche Projekte unterwegs. «Es ist schwer abzuschätzen, wann diese Strassen alle zusammenkommen. Das kann drei, zehn oder 20 Jahre dauern», sagt der OST-Dozent. Bis man von einer Massenadaption von tokenisiertem Eigenkapital sprechen könne, brauche es auch ein grösseres Verständnis durch die Direktbeteiligten, ergänzt Schnürer. «Es braucht noch drei bis sieben Jahre bis zur Masseneinführung», schätzt der Daura-CEO.

Viele Investoren möchten ihre Aktien nicht selbst verwalten, sondern das auch weiterhin der Hausbank übergeben. Gemäss Schnürer muss für digitale Aktien die gleiche Wahlfreiheit wie heute für Bargeld gelten: Lagere ich es auf der Bank, verwalte ich es selbst zu Hause und kann ich es per Smartphone an jemanden übertragen.

Einfluss des Krypto-Winters?

Immer wieder wird die Tokenisierung von Eigenkapital mit Kryptowährungen wie Bitcoin gleichgesetzt. Unterliegt die Branche deshalb den gleichen Zyklen wie der Bitcoin? «Für unsere Geschäftstätigkeit besteht keine direkte Abhängigkeit von Kryptowährungen», sagt Nicola Plain. Man könne nur Vermutungen anstellen, wieso die Nachfrage nach Tokenisierungen in diesem Jahr etwas schwächer ausgefallen sei als erwartet. Jetzt ziehe es wieder an, das würde für eine Korrelation mit Kryptowährungen sprechen, aber das Onboarding von neuen Kunden dauere rund ein bis drei Monate.

Daura war gemäss Schnürer noch nie gross abhängig von der Entwicklung der Kryptowährungen, viel entscheidender seien die Wirtschaftszyklen wie im übrigen Wirtschaftssegment. Aber komme es zu Skandalen im Kryptobereich, sei der Erklärungsbedarf immer gross – wieso die Blockchain-Lösung von Daura nicht betroffen sei.

Fazit

Der Weg zur massentauglichen digitalen Aktie ist noch weit. Erst wenn dem Anleger nicht mehr bewusst ist, ober er digitale Aktien oder «herkömmliche» Aktien erwirbt, ist die Branche am Ziel. Der Investor wird nicht durch technische Lösungen angezogen, sondern durch ein breites Angebot an attraktiven KMU-Aktien. Die Handelbarkeit macht diese «Attraktivität» allein aber nicht aus, das zeigen zahlreiche SPI-Aktien, die vom Markt vernachlässigt werden und kaum Handelsvolumen aufweisen. Auch eine tokenisierte Aktie braucht Pflege durch das Unternehmen, d.h. die Pflege einer Community, stete und ehrliche Kommunikation und vor allem langfristigen Erfolg in der Geschäftstätigkeit.

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