Es dürfte wohl bald einen Neuzugang geben auf OTC-X und den anderen ausserbörslichen Handelsplätzen. Am 20. März kündigte die an der SIX kotierte CPH Chemie + Papier Holding den Spin-off der Papier-Sparte an die Aktionäre an. Die Aktie der Perlen Industrieholding soll dann ausserbörslich handelbar sein. Was tun? – So stellt sich nun für Aktionäre einmal mehr die Frage bei einer bevorstehenden Abspaltung.
Es bleibt noch etwas Zeit, um eine gute Antwort auf diese Frage zu finden. Am 20. Juni findet eine ausserordentliche Generalversammlung statt, an der die Aktionäre über die Transaktion der Abspaltung abstimmen. Angesichts der Struktur des Aktionariats ist eine breite Zustimmung zu erwarten, immerhin sind Leitgedanke und -motiv der Abbau des sogenannten Konglomerat-Abschlags – oder anders ausgedrückt: die Steigerung des Unternehmenswertes. Das 1818 gegründete Unternehmen wird unverändert von den Nachfahren der Gründerfamilie Schnorf geführt, wobei der Kapitalanteil der durch einen Aktionärsbindungsvertrag verbundenen Ankeraktionäre mit 33,6% keine qualifizierte Mehrheit mehr darstellt.
Evolution seit 1818
Die Geschichte von CPH reicht über 200 Jahre zurück. Am Anfang standen Chemikalien wie Salpetersäure und Kupfervitriol. 1881 beteiligte sich die Familie an der neun Jahre zuvor gegründeten Papierfabrik Perlen. Der Einstieg ins Verpackungsgeschäft erfolgte 1962. Inzwischen ist ein diversifizierter Mischkonzern mit drei Geschäftsbereichen entstanden. Die Tochterfirmen bekleiden jeweils eine führende Position in ihren Märkten, die durch Kosten- oder Markführerschaft erarbeitet worden ist. Seit 2001 ist CPH an der Börse.
Unterschiedliche Marktdynamik
Das Papiergeschäft folgt einer eigenen Marktdynamik, die sich über die Zeit als nachteilig für die Sparten Chemie und Verpackung respektive das Gesamtunternehmen erwiesen hat. Während in der Verpackung von Pharmaprodukten bei sogenannten Blisterfolien weltweit eine Top-Position eingenommen wird und mit der Spezialisierung auf nachgefragte Chemieprodukte wie Molekularsiebe und deuterisierte Vorprodukte stetige Wachstumsraten erzielt werden, ist das Papiergeschäft zugleich einem strukturellen Schrumpfungsprozess und einer volatilen Preisentwicklung unterworfen. Das sind schwierige Marktbedingungen, die sich schon seit Beginn des zweiten Halbjahres 2023 nochmals deutlich verschärft haben.
Konsolidierungsprozess in der Papier-Industrie
Die Papiernachfrage ist schon seit Jahren rückläufig, 2023 um mehr als 20%, wozu auch die schwächelnde Konjunktur in Europa beigetragen hat. Digitalisierung und elektronische Medien sind ungebrochen auf dem Vormarsch, gedruckte Zeitungen und Magazine auf dem Rückzug. Die CPH-Tochter Perlen Papier ist genau auf Pressepapiere konzentriert und hält in der Schweiz einen Marktanteil von rund 50%, in Europa von 10%.
Der «Kirchturmmarkt»
Das Besondere am Papiermarkt ist, dass es ein «Kirchturmmarkt» ist, wie es bei CPH im Geschäftsbericht genannt wird. Der Radius beträgt demnach rund 700 km, wobei die Papiermaschine das Zentrum bildet. Das bedeutet, dass die Kostenvorteile in der bearbeiteten Region für Konkurrenten nicht zu schlagen sind, besonders, wenn die Transportkosten steigen oder auf erhöhtem Niveau verharren. In Europa gibt es laut dem Spitzenverband 720 Papiermühlen, von denen aber die meisten in Skandinavien liegen. Durch die Überkapazitäten und die schrumpfende Nachfrage ist die Industrie in einem Konsolidierungsprozess, in dessen Verlauf immer mehr Player ausscheiden.
Last man standing
Die Papiermaschine von Perlen Papier ist die modernste in ganz Europa. Durch das Recycling von Altpapier und hohe Investitionen in die Effizienz des Maschinenparks sowie einen steigenden Anteil CO2-freier Energieformen ist Perlen Papier in einer starken Position, um aus der Marktbereinigung im Segment Pressepapiere gestärkt hervorzugehen. CPH verfolgt im Segment Papier seit langem die «Last man standing»-Strategie – und bekennt sich zur Fortführung, nach der Ausgliederung.
Aus eins mach zwei
Für Aktionäre von CPH bedeutet der Entscheid zur Abspaltung, dass sie bei der erwarteten Zustimmung der GV danach zwei Aktien im Depot haben: die der weiterhin an der SIX kotierten CPH mit den Chemie- und Verpackungseinheiten sowie die der Perlen Industrieholding mit den Papieraktivitäten sowie dem Immobilienbesitz, der Potenzial für Entwicklung bietet. Diese Aktie wird ausserböslich handelbar sein. Die beiden Unternehmen weisen recht unterschiedliche Charakteristika auf. Vor allem soll der sogenannte Konglomerat-Discount durch die Schaffung von fokussierten Einheiten abgebaut werden.
Finanz-Alchemie
Nach der Theorie sollte die CPH-Aktie an der SIX mit den beiden von stetigem Wachstum und mehr als auskömmlichen Margen gekennzeichneten Geschäftsfeldern höhere Multiples zugestanden bekommen. Es wird eine Aktie sein, die, ähnlich wie andere Schweizer Marktführer im Small- und Mid-Cap-Segment, eine entsprechend höhere Bewertung beanspruchen kann. Als Orientierungshilfe gelten dann Peer-Group-Vergleiche von Spezialchemie- und Verpackungsunternehmen.
Zeithorizont für Aktionäre der Perlen Industrieholding
Das Potenzial der Perlen Industrieholding wird sehr wahrscheinlich einen längeren Atem der Investoren fordern. Solange Überkapazitäten den europäischen Markt überschatten, wird sich der Preisdruck fortsetzen. Nach der Theorie werden die Hersteller aus dem Markt gedrängt, die durch zu hohe Kosten ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und auch wenig Aussicht auf für sie verbesserte Marktbedingungen haben. In der jüngeren Vergangenheit ist die Kapazitätsauslastung auf zum Teil unter 60% gefallen. Die Marktanteile des schrumpfenden Marktes teilen sich die verbleibenden Player. Auch Zusammenschlüsse mit Stilllegungen sind denkbar. So oder so, in der Schweiz und im 700 km Radius der Papiermaschinen von CPH ist kein dauerhafter Wettbewerbsdruck zu erwarten. 80% des Rohstoff-Inputs besteht bei CPH aus Recycling-Papier, die verbleibenden 20% aus Resten der einheimischen holzverarbeitenden Industrie.
Finanzielle Eckdaten
Im Geschäftsjahr 2023 sank der Spartenumsatz um 31,7% auf 262 Mio. CHF. Das EBITDA fiel um 44 Mio. CHF auf 37 Mio. CHF. Das EBIT verminderte sich von 75 Mio. CHF auf 31 Mio. CHF. Die EBIT-Marge ging zwar zurück, hielt sich aber mit 11,6% auf einem guten Niveau. 17 Mio. CHF wurden investiert, um die Kostenführerschaft auszuweiten. Immerhin 77% des Spartenumsatzes wird ausserhalb der Schweiz erzielt, 23% im Heimatmarkt. 2023 entfielen 46,5% des CPH Gruppenumsatzes auf Perlen Papier.
Wettbewerb und massiver Kapazitätsabbau
Als Wettbewerber im Segment Pressepapier nennt CPH in Europa u.a. den Weltmarktführer UPM Kymmene aus Finnland, der aus dem Zusammenschluss verschiedener Hersteller entstanden und in sechs Geschäftseinheiten organisiert ist. 2023 lag der Umsatz bei 10.4 Mrd. Euro, die Marktkapitalisierung erreicht 18.4 Mrd. Euro, das KGV liegt bei über 17. UPM hat bereits 2022 die Reduzierung der Kapazitäten im Pressebereich beschlossen und 2023 in Österreich und Deutschland Papiermaschinen stillgelegt, die eine jährliche Kapazität von 485'000 Tonnen repräsentieren. Das entspricht fast der Kapazität von Perlen Papier. Der südafrikanische Sappi-Konzern hat 2023 in Deutschland, den Niederlanden und Finnland ebenfalls Kapazitäten mit einer Jahresproduktion von grafischen Papieren in Höhe von 1.23 Mio. Tonnen stillgelegt. Stora Enso, ein weiterer finnischer Wettbewerber, investiert 1 Mrd. Euro in die Umrüstung einer Papiermaschine für die Produktion von Kartonnagen. Diese Beispiele im Multimilliardenbereich zeigen, worauf die «Last man standing»-Strategie abzielt. Die Margen von Perlen Papier werden sich mit der weiteren Marktbereinigung sukzessive steigern. Nur eben wohl nicht kurzfristig.
Monopolstellung und Expansionschancen
Der Burggraben um den Kirchturmmarkt von Perlen Papier ist durch den Rückzug von UPM in der Alpenregion definitiv tiefer geworden. Die Wettbewerbsstellung verbessert sich mit jeder weiteren Reduzierung von Kapazitäten durch die Konkurrenten. Am Ende könnte eine angemessene Monopolrente stehen. Da die Monopolstellung durch Wettbewerb entstanden sein wird, können auch die Wettbewerbsbehörden keine Einwände erheben. Zudem tun sich auch Expansionschancen auf. Im direkt angrenzenden Italien ist seit 2021 keine einzige Papiermaschine mehr in Betrieb!
Bestes Klimaprofil der Industrie
Zu den Differenzierungsmerkmalen gehört die konsequent nachhaltige Ausrichtung von Perlen Papier. Die CO2-Emissionen wurden in den letzten 10 Jahren um 90% reduziert. Die CO2-Intensität der Produktion liegt bei einem Viertel des Industriedurchschnitts. Durch die in Form von Altpapier geschaffene Kreislaufwirtschaft wird schon heute nahezu klimaneutral produziert.
Bewertungsdiskrepanzen
Zu den für Anleger relevanten Fragen zählen das internationale Umfeld und die offensichtlichen Bewertungsdiskrepanzen. Während die dominierenden Player wie International Paper und UPM marktkonforme KGV- und KUV-Bewertungen aufweisen, wird CPH an der SIX mit einem KGV 2023 von 6.5 bewertet. Die Unterschiede mit Blick auf Perlen Papier sind, dass keine Kartonagen, Hygienepapiere oder Zellstoffe für spezielle Anwendungen produziert werden und das Unternehmen nicht aus einem Forstbetrieb mit Holzverarbeitung erwachsen ist. Also ist die Perlen Industrieholding nach der Abspaltung ein Press Paper Pure Play.
Aktionariat und Wahrnehmungsdefizit
Ein weiterer Unterschied besteht in der Struktur des Aktionariats. Bei den grossen Playern mit Marktkapitalisierungen über 10 Mrd. Euro sind institutionelle Investoren wie Vanguard, T. Rowe Price und BlackRock in hohem Masse engagiert, bei CPH dagegen nicht erkennbar. Über der Meldehürde von 3% liegen laut dem jüngsten Geschäftsbericht nur J. Safra Sarasin Investment Fonds mit 7%. Mit einer Marktkapitalisierung von 500 Mio. CHF ist CPH offensichtlich nicht auf dem Radar der global aktiven Institutionen.
Marktlogik der Aufspaltung
Vielleicht liegt das Übersehen werden aber auch an der Konglomeratstruktur. Viele Unternehmen wie General Electric, Johnson & Johnson, Siemens, Novartis oder Conzzeta haben sich aufgespaltet, weil die Empirie beweist, dass Aktien fokussierter Unternehmen in den letzten Jahrzehnten besser performen als die von Mischkonzernen. In der vorhergehenden Ära waren Mischkonzerne dagegen geschätzt, weil sie die Risiken diversifizierten. Heute, so jedenfalls das wohl genährte Narrativ, wollen die Investoren die Diversifikation selbst vornehmen. Das Gegenargument ist die inzwischen dominierende Form des passiven Investments, bei der überwiegend Indizes abgebildet und folglich Small- und Mid-Caps ineffizient bewertet werden.
Perspektiven für die Aktie von Perlen
Was wird also mit den Kursen geschehen, wenn die Abspaltung vollzogen ist? Da bei Perlen für 2024 sogar ein negatives EBIT nicht auszuschliessen ist, dürfte die Bewertung moderat ausfallen und sich am Asset Value orientieren, vielleicht um die 100 Mio. CHF oder ein wenig mehr, jedenfalls sehr viel weniger als der Replacement Value. Die Prognosen sind mit Unsicherheiten behaftet, da das Tempo der weiteren Konsolidierung in Europa schneller oder langsamer ausfallen kann. Wer angesichts dieser Konstellation einen längerfristigen Horizont einnimmt und versteht, dass die Gewinne des letzten Players in einem schrumpfenden Markt sehr hoch ausfallen können, braucht Geduld, um auch in den Genuss von Kursgewinnen respektive hohen Dividenden zu kommen. Elektronische Medien werden Papier nie vollständig ersetzen können. Die Voraussetzung für eine Wertsteigerung ist, dass auch andere Investoren im ausserbörslichen Aktienmarkt der Schweiz den Investment Case erkennen und nach und nach aufspringen.
Multiple Expansion
Für die an der SIX kotierten Chemie- und Verpackungsaktivitäten verbleibt eine Market Cap von rund 400 Mio. CHF. Im Chemie-Segment ist CPH unter den Marktführern in Nischen, die hohe Eintrittsbarrieren aufweisen. Bei Molekularsieben wurde die global führende Position durch eine Übernahme in Indien verstärkt. Bei den Blisterfolien für die Pharma-Industrie ist CPH unter den Top 3. Die EBITDA-Margen liegen nahe 20%, und die Trendwachstumsraten könnten auch höher werden als die angenommenen Steigerungsraten im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Folglich könnten auch die Bewertungs-Multiples um einiges höher ausfallen, sofern die Investoren die De-Konglomeration auch zu schätzen wissen werden.