
Seit Anfang Mai können Schweizer Aktien wieder an den Börsenplätzen in den Euro-Ländern gehandelt werden. Die «Börsenäquivalenz» war der SIX im Juli 2019 unvermittelt aberkannt worden. Zeitweilig vereinigte die SIX fast 100% des Aktienumsatzes mit Schweizer Titeln auf sich. Kommt nun ein Nachfrageschub aus den EU-Ländern oder bleibt alles beim Alten?
Nestlé ist zweifellos die international bekannteste Schweizer Marke und auch eine der umsatzstärksten Aktien. Am 9. Mai, also eine Woche nach der Wiederaufnahme des Handels Schweizer Aktien an den EU-Börsen, ist die Bilanz ernüchternd. An der Zürcher Börse wurden Nestlé-Aktien im Volumen von 171.4 Mio. CHF gehandelt. An der Börse London waren es 2.6 Mio. GBP. Doch an allen deutschen Handelsplätzen wurden zusammengenommen weniger als 1 Mio. Euro umgesetzt. An den Börsen Mailand und Wien wurden keine Umsätze verzeichnet. Ähnlich ist das Bild bei dem weiteren Mega-Cap Novartis. An deutschen Börsen lag der Tagesumsatz bei weniger als 0.4 Mio. Euro, in London bei 0.15 Mio. GBP und in Zürich bei 283 Mio. CHF.
Aktienumsätze an der Null-Linie
Bei den in Deutschland meistgesuchten Schweizer Aktien sind auch zahlreiche Mid-Caps vertreten wie Geberit oder Sandoz, doch auch bei diesen Valoren sind die Relationen nicht anders. Kaum 0.1 Mio. Euro Tagesumsatz verzeichnet Sandoz an deutschen Handelsplätzen versus 40.6 Mio. CHF in Zürich. Bei Geberit sind es einige zehntausend Euro versus 33.7 Mio. CHF an der SIX.
Nach Aussage der SIX hat sich der globale Marktanteil am Handel mit Schweizer Aktien allerdings wieder bei rund 70% eingependelt. Als Grund werden alternative Handelsplattformen in Grossbritannien genannt, die seit einem Abkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien florieren. Es ist anzunehmen, dass institutionelle Investoren aufgrund der geringen Transaktionskosten ihr Block-Trading dorthin verlagert und dadurch auch Markttiefe hergestellt haben.
Positives Signal
Der Schuss der EU von 2019 ist somit, soweit sich das bisher beurteilen lässt, nach hinten losgegangen. Die Marktanteile im Handel mit Schweizer Aktien, die von den EU-Börsen bis 2019 aufgebaut worden waren, sind nach Zürich und London gewandert – und dürften wohl nur langfristig wieder wachsen. Anzumerken ist, dass die Aberkennung der Börsenäquivalenz durch die EU in 2019 in überhaupt keiner Beziehung zu dem immer noch nicht abgeschlossenen Rahmenabkommen steht, sondern vielmehr als anachronistische Drohgeste in der Schweiz wahrgenommen wurde, was wohl auch der Intention entsprach.
Für den Schweizer Aktienmarkt ist die Wiederaufnahme des Handels an den EU-Börsen dennoch positiv zu bewerten, auch wenn es eine Woche nach dem erneuten Handelsstart wenig Anlass zu Euphorie gibt. Grundsätzlich können Privatanleger in Deutschland und dem Rest der EU jetzt wieder Schweizer Aktien handeln, ohne exzessive Transaktionskosten in Kauf nehmen zu müssen. Das durchaus vorhandene Interesse an Weltmarkt- und Innovationsführern sowie Hidden Champions mit Schweizer Provenienz wird nun bei diesem Anlegerkreis zumindest nicht mehr abschreckend belastet.
Marktkapitalisierung auf deutscher Höhe
Die ZKB erwartet für 2025, dass die Unternehmensgewinne der börsenkotierten Schweizer Gesellschaften um 26% ansteigen. Damit errechnet sich auf aktueller Kursbasis ein Markt-KGV von 18. Das ist zwar weniger als in den USA, aber doch nicht wirklich attraktiv. Die Marktkapitalisierung der Schweizer Börse bewegt sich bei rund 2 Billionen USD und damit auf Höhe der Börsenkapitalisierung Deutschlands. Die Bevölkerungszahl der Schweiz liegt allerdings mit erstmals über 9 Mio. bei nur 10,8% der 83.5 Mio. im nördlichen Nachbarland. In beiden Ländern sind die Geburtenraten jedoch stark rückläufig. Das Bevölkerungswachstum, ein entscheidender Faktor für positive Wachstumsraten in der Zukunft, entsteht jeweils durch Zuwanderung.
Warum Schweizer Aktien interessant sind
Aus Sicht des Anlegers aus der EU sind Schweizer Aktien zwar kein Muss, stellen aber doch eine erhebliche Ausweitung der Optionen dar. Viele Schweizer Aktien sind unique, und wer auf ausgesuchte wachstums- und gewinnstarke Trends setzen will, wird zwangsläufig auf die Schweizer CDMO-Aktien wie Lonza, Siegfried und Bachem stossen, die vom Outsourcing von Entwicklung und Produktion durch Big Pharma profitieren.
Daten- und Rechenzentren sind ein Boom-Segment, da sie für KI-Anwendungen unverzichtbar sind. Sowohl der nachhaltig operierende Baukonzern Implenia wie auch der Innovationsführer bei Klappenantrieben, Ventilen und Sensoren für die Heizungs-, Lüftungs- und Kühlungsindustrie Belimo profitieren von dem Boom. Belimo steigerte den Umsatz im ersten Quartal 2025 um 23,6% – in allen Regionen boomte das Geschäft.

Hohe Gewinnmargen zeigen in aller Regel auch eine starke Marktstellung an. Wo die Burggräben tief sind, sprudeln die Gewinne auch in der Zukunft. Geberit ist so ein Fall. Die Nettoumsatzrendite bewegt sich bei rund 20%. Beim Luxusgüter-Konzern Richemont blieben 2024 fast 19% vom Umsatz als Gewinn übrig. Marken wie Cartier und Van Cleef & Arpels sind eben nicht vervielfältigbar.
Defensive Qualitäten
Zwar sind die Schweizer Unternehmen ebenso makro-ökonomischen Einflussfaktoren unterworfen, aber eben auf spezifische Art, nicht zuletzt durch den langfristigen Aufwertungstrend der Währung. Wegen der hohen Gewichtung der Mega-Caps aus den Sektoren Pharma und Nahrungsmittel gilt der Schweizer Aktienmarkt im internationalen Vergleich zurecht als defensiv, was die Attraktivität zumindest in stürmischen Börsenepisoden erhöht. Ein anderer Faktor ist die spezifische Zusammensetzung der an der Börse vertretenen Aktien.
Anpassungsfähigkeit statt Abhängigkeit
Die Schweiz hat keine Automobilhersteller, lediglich Zulieferer. Die sind zwar auch von der Nachfrageschwäche betroffen, haben aber andere Optionen. Der Weltmarktführer bei Kabelbäumen Komax profitiert von der sehr schnellen Marktpenetration der E-Mobile in China. In der E-Mobility sind mehr Kabelbäume erforderlich. Zudem baut Komax das Geschäft mit der Telekomindustrie sowie Daten- und Rechenzentren aus. Die abgestürzte Aktie des einzigartigen und elementaren Zulieferers für kabelintensive Industrien kann auch von versierten Investoren aus der EU als vielversprechender Turnaround identifiziert werden.

Das einzigartige Healthcare-Universum der SIX
Als Hauptattraktion der Schweizer Börse kann aber für Anleger aus der EU die Markttiefe und -breite im Healthcare-Sektor gelten. Hier finden sich neben Roche und Novartis zahlreiche Spezialitäten, die an EU-Börsen vergeblich gesucht werden, wie beispielsweise die verschiedenen CDMO-Vertreter. Straumann ist Weltmarktführer bei Dentalimplantaten und weist hohe Margen auf. Die SKAN Group ist Weltmarktführer bei Isolatoren für die keimfreie Abfüllung von injizierbaren Therapeutika und Vakzinen. Die Wachstumsraten liegen im zweistelligen Bereich, die Margen sind mehr als auskömmlich.

Aktien für alle Fälle
Und Galderma, eines der weltweit grössten IPOs in 2024, ist Spezialist für medizinische Hautpflege und ästhetische Botox-Therapien. Das Wachstum ist aussergewöhnlich. Nur wenige Prozent des Umsatzes entfallen auf verschreibungspflichtige Produkte, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Galderma von dem Druck auf Medikamentenpreise allenfalls marginal betroffen ist. Diese neueste schlagzeilenträchtige Initiative der Trump Administration hat am Anfang der laufenden Woche die Aktien der Pharma-Industrie in einem Abwärtssog gefangen. Roche verlor am Montag zuächst fast 5%, Novartis 3%. Beide Aktien erholten sich zum Handelsschluss hin, da die Wall Street nach der Börsenöffnung in Euphorie verfiel, nachdem die Zoll-Eskalation zwischen den USA und China fürs Erste ein Ende gefunden zu haben scheint. Galderma schloss den Handelstag mit einem Plus ab. Galenica ist dagegen binnenorientiert und von internationalen Einflussfaktoren nur wenig betroffen. Trotz der Schwäche im Healthcare-Sektor legte die Aktie im letzten Jahr 19% zu und bewegt sich nur wenig unter dem historischen Hoch.
Krise = Chance
Wenn auch der Healthcare-Sektor seit Monaten mit starken Gegenwinden zu kämpfen hat, so sprechen doch der demografische Faktor, die effektivere Frühdiagnostik und die durch Forschung entwickelten hocheffizienten und personalisierten Therapien für einen fortgesetzt langfristigen Aufwärtstrend. Einige der globalen Innovationsführer sind forschungsintensive Schweizer Unternehmen, deren positive Perspektiven auch phasenweise nicht in den Aktienbewertungen reflektiert sind. Und das gilt auch für börsenkotierte Champions der Schweiz aus anderen Industrien, deren Geschäftsstrategien nicht jeder Investor auf den ersten Blick verstehen kann.
Fazit
Echter Auftrieb für Schweizer Aktien ist durch die Wiederaufnahme des Aktienhandels an den EU-Börsen nach fast sechs Jahren Unterbrechung nicht zu erwarten. Dennoch stellt der erleichterte Zugang für Investoren aus der EU einen Fortschritt dar, wenn auch nur zu dem, was bereits bis 2019 erreicht worden war. Immerhin ist es ein Schritt in die richtige Richtung, der umso mehr an Gewicht hat, als ja seit einigen Monaten die Uhr zurückzudrehen versucht wird. Zölle sind plötzlich auf der Agenda, und eine allgemeine Rückkehr zu Handelshemmnissen und -konflikten bestimmt den Ton. Da ist ein, wenn auch kleiner Schritt in Richtung Mobilität des Kapitals. Die börsenkotierten Schweizer Unternehmen können ihre Aktionärsbasis nur erweitern, wenn sie über die guten Zahlen hinausgehend den Investoren auch ihre Story verständlich und glaubhaft vermitteln – sowohl in der Schweiz als auch jenseits der Grenzen.