Landis+Gyr: Noch ein IPO-Kandidat für die SIX – Was für Investoren wissenswert ist

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Smart-Meter-Produktion in Montluçon/Frankreich. Quelle: Youtube

Die Schweiz ist auf dem besten Weg, 2017 zum nach Volumen führenden Primärmarkt in Kontinentaleuropa zu werden. Denn mit der 1896 gegründeten Landis+Gyr steht nach Zur Rose schon ein weiterer Börsengang an der SIX bevor. Das Emissionsvolumen könnte etwas über 2 Mrd. CHF liegen und der Börsengang schon im September erfolgen.

Das IPO-Klima ist so gut wie schon lange nicht mehr. Doch das ist nicht der originäre Grund für den geplanten Börsengang. Der hat eine ganz banale Vorgeschichte. Der Eigentümer Toshiba ist in eine die Existenz bedrohende Schieflage geraten und muss nun, egal wie, die Löcher in der Bilanz stopfen, welche durch den Bankrott der Nuklearaktivitäten der Tochter Westinghouse Electric in den USA gerissen wurden. Es handelt sich um 6.3 Mrd. USD.

Weltmarktführer

Toshiba hatte Landis+Gyr 2011 für 2.3 Mrd. USD übernommen und damit die Aktivitäten im Segment Energie-Management verstärkt. Die Akquisition galt seinerzeit als smart, weil die Digitalisierung auch im Energie- und Wassergeschäft Einkehr hielt. Landis+Gyr ist nicht nur Pionier des „smart metering“, sondern inzwischen auch Weltmarktführer. Im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr 2015/2016 belief sich der Umsatz auf 1.57 Mrd. USD. Für das Geschäftsjahr per 31.März 2017 wird eine Steigerung um 5% auf 1.66 Mrd. USD erwartet.

„Fire-Sale“

Somit findet die Veräusserung von Landis+Gyr durch Toshiba (60%) und die halbstaatliche Innovation Network Corporation of Japan (40%) unter Umständen statt, die einer Zwangsliquidierung gleichkommen. Und das dämpft die Preiserwartungen. Wie in solchen Fällen üblich, hat Toshiba eine „Dual-Track“ Strategie verfolgt, das heisst, dass nicht nur der Börsengang vorbereitet wird, sondern auch versucht wird, das Unternehmen an Finanzinvestoren zu verkaufen. Die meisten Private Equity-Häuser haben jedoch inzwischen die Gespräche beendet. Ein Angebot über 2 Mrd. USD war als zu niedrig abgelehnt worden. Aktuell noch im Rennen sind Goldman Sachs und die kanadische Onex. Für Industrieadressen ist das Preisniveau zu hoch.

Viele Akquisitionen bei Smart Meter-Unternehmen

Dazu kommt, dass es in dem überschaubaren Feld der Wettbewerber schon einige Akquisitionen gab, womit Referenzwerte gegeben sind. Am besten vergleichbar ist der Kauf von Sensus USA durch die amerikanische Xylem. Der Kaufpreis entsprach 10.7x EBITDA. Laut Reuters stehen weiterhin drei deutsche Wettbewerber zum Verkauf. Zwar ist Landis+Gyr als grösster Anbieter und Technologieführer bestimmt für eine Bewertungsprämie gut, es bleibt jedoch abzuwarten, ob das aktuelle Marktumfeld dafür geeignet ist.

Bewertungskriterium EBITDA

Landis+Gyr erwartet für das am 31.März 2017 beendete Geschäftsjahr ein bislang ungeprüftes EBITDA von 150.8 Mio. USD. Das um Einmalaufwendungen wie Restrukturierungskosten und Gewährleistungen bereinigte EBITDA gibt das Unternehmen mit 212 Mio. USD an. Realistisch ist eine IPO-Bewertung mit 10x-11x EBITDA, also ca. 2.2 Mrd. USD, auch wenn Toshiba ein höheres Multiple anstrebt. Die Ausschüttung für 2017 soll ca. 70 Mio. USD ausmachen. Langfristig ist geplant, mindestens 60% des Free Cashflows an die Aktionäre auszuschütten.

Hohe Markenbekanntheit

Beim Schweizer Anlegerpublikum ist Landis+Gyr bestens bekannt und auch angesehen. Allein in den letzten Jahren erhielt das Unternehmen zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Über Jahrzehnte stammten die Zähler für den Elektrizitätsverbrauch in vielen Haushalten von Landis+Gyr. Inzwischen liegt der Fokus jedoch auf dem digitalen Smart Metering. Dabei wird der Zählerstand nicht mehr abgelesen, sondern über Radiowellen wie bei Smartphones fortlaufend übertragen.

Internationale Expansion

Durch die Pionierstellung kann Landis+Gyr grosse Verträge an Land ziehen, zuletzt etwa in Helsinki für das Management von 650’000 Privathaushalten ab 2018. Auch in Delhi gelang ein Coup. Weiterhin in Mexico und Polen. Die Fachpublikation „greentechmedia“ schreibt, dass Landis+Gyr in den letzten 5 Jahren den Grossteil der Mega-Kontrakte gewonnen hat, darunter 16 Mio. Meter für British Gas und 27 Mio. Meter für Tokyo Electric Power. Ohne Toshiba wäre die Entwicklung wohl weniger dynamisch verlaufen.

Das Zeichnungsangebot

Das IPO wird 100% der Aktien von Landis+Gyr umfassen. Die Kotierung soll an der SIX Swiss Exchange voraussichtlich im September aufgenommen werden. Mit der Begleitung des Börsengangs sind UBS und Morgan Stanley als Joint Global Coordinators und Joint Bookrunners beauftragt, weiterhin Credit Suisse und JP Morgan als weitere Joint Bookrunners. Vontobel und Mizuho sind Co-Bookrunners. Die Aktien sollen in der Schweiz bei institutionellen und privaten Investoren sowie global bei Institutionen platziert werden.

Weltweit 300 Mio. installierte Meter

Sofern die Wachstumspotenziale beim Smart Metering wie prognostiziert entwickelt werden, steht einer weiterhin dynamischen Entwicklung des Marktführers mit bereits 300 Mio. weltweit installierten Metern wenig im Wege. Experten erwarten, dass in Europa schon 2020 bis zu 80% aller Energie- und Wasserzähler Smart Meter sein werden.

Übersehene Risiken

Die Geschichte hat jedoch auch einen Fingerzeig für kritische Anleger parat. Kaum ein Anleger hätte in den vergangenen Jahrzehnten je gedacht, dass Westinghouse Electric, der Blue Chip aus dem Dow-Jones, der Multi, der Markt- und Technologieführer beim Bau von Kernkraftwerken, eines Tages von den radioaktiven Strahlen der eigenen Bauwerke und Technologien zu Fall gebracht wird. Die Risiken der Nukleartechnologie wurden über Jahrzehnte verharmlost und heruntergespielt. Heute ist der Blick auf die Kernkraft jedenfalls weit realistischer, und die Risiken werden zumindest erfasst. Bei „nachhaltigen“ Investmentstrategien ist die Nuklearwirtschaft der volumenmässig grösste ausgeschlossene Sektor.

Gesundheitsrisiken

Was bei Road-Show und Investoreninformationen von und zu Landis+Gyr bestimmt kaum eine Rolle spielen wird, sind die Gesundheitsrisiken des Smart Metering. Diese sind bislang noch kaum erforscht, dafür äussern sich zahlreiche Geschädigte und aufmerksame Wissenschaftler bedenklich. Ähnlich wie bei Smartphones und anderen auf Radiowellen basierenden Kommunikationstechnologien kann die schiere Fülle von Radiowellen, d.h. Wellen im ultrakurzen Spektrum, biologische Organismen auch beträchtlich schädigen. 5 oder 10 Jahre weitergedacht, könnten Regressansprüche auf dann wissenschaftlich fundierter Basis zu einem Westinghouse-Effekt führen.

Zahlreiche Eigentümerwechsel

Auch ein Blick zurück auf die äusserst wechselhafte Geschichte von Landis+Gyr kann zu denken geben. Toshiba erwarb das Zuger Unternehmen 2011 von Bayard Capital, einem australischen Private Equity-Unternehmen, welches Landis+Gyr 2004 erworben hatte. Davor war das Unternehmen u.a. im Besitz von Elekrowatt, KKR und Siemens. Noch davor war Landis+Gyr bereits einmal an der Schweizer Börse kotiert. Bis sich der damals umtriebige Stephan Schmidheiny beteiligt hatte, das Unternehmen restrukturierte und dann die Aktienmehrheit 1995 an Elektrowatt veräusserte. Die Dekotierung von der Börse folgte nur ein Jahr später, dem Jahr des 100. Firmenjubiläums von Landis+Gyr.

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