Mobilfunkstandard 5G: Die Schweiz gerät ins Hintertreffen

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Die Mobilfunkantennen in Schweizer Städten erreichen bereits 90% der zugelassenen Leistung. Deshalb wird die Abdeckung mit 5G nach Meinung der Swisscom lückenhaft bleiben und vor allem ländlichen Gebieten zugute kommen. Bild: fotolia.com

Eigentlich rechnet die Fachwelt damit, dass der neue Mobilfunkstandard 5G erst im Jahr 2020 startet. Doch schon jetzt ist ein regelrechter Mobile-Hype ausgebrochen. 5G wird alles richten in der Zukunft, wird selbstfahrende Autos beschleunigen, das Internet der Dinge beflügeln und den Handybesitzern Turbogeschwindigkeiten bescheren. Doch was bedeutet eigentlich 5G, und was sollte man darüber wissen?

Auf manchen Smartphones ist im oberen Bildrand die Zahl vier und der Buchstabe G zu entdecken. Das steht für 4. Generation und bezeichnet den aktuellen Mobilfunkstandard. Jeder neuer Standard hat dem Mobilfunk zu einem regelrechten Quantensprung verholfen. In der 2. Generation in den frühen 1990er Jahren betrug die Download-Geschwindigkeit bei einem Handy zwischen 0,1 und 0,3 Megabit pro Sekunde; das reichte gerade mal, um einem Freund eine SMS zu schreiben. Mit 4G können inzwischen 100 Megabit pro Sekunde heruntergeladen werden. Damit ist es möglich, eine Staffel von Game of Thrones oder die Tagesschau auf dem Smartphone anzugucken. Bei Liveübertragungen von Fussballspielen hapert es allerdings ein bisschen. Beim entscheidenden Match Schweiz gegen Schweden war die Qualität wenig berauschend. Grund dafür: Wenn alle WM-Begeisterte zur gleichen Zeit auf das Mobilnetz zugreifen, ist es schnell mal überlastet. Das Bild gerät dann oft ins Stocken. Doch das wird mit 5G überwunden. 5G verspricht 1000-fach höhere Kapazität, extrem niedrige Reaktionszeiten und einen um 90% geringeren Stromverbrauch.

Neuer Standard soll Produkte und Dienstleistungen im Gegenwert von 12.3 Billionen USD hervorbringen 

Langfristig rechnen die Wirtschaftsauguren damit, dass der neue Standard weltweit bis im Jahr 2035 verschiedene Wirtschaftszweige beflügeln – von Bildung und Transportwesen über Automobile bis Entertainment – und Produkte und Dienstleistungen im Gegenwert von etwa 12.3 Billionen USD hervorbringen wird. China alleine verspricht sich einen regelrechten Wirtschaftsboom durch 5G. Laut einer Studie des chinesischen Informationstechnologieministeriums wird die durch den Mobilsektor produzierte Wirtschaftsleistung im Jahr 2025 3,2% von Chinas Bruttosozialprodukt ausmachen, 8 Millionen Arbeitsstellen schaffen, und bis ins Jahr 2030 verspricht man sich einen Beitrag von rund 3 Billionen Yuan zur Gesamtwirtschaft.

Kleinkrieg der Telekomanbieter

In der Schweiz hat der 5G-Standard hingegen noch keine Euphorie ausgelöst. Im Juli dieses Jahres hat die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) bekannt gegeben, dass die 5G-Frequenzen in einem Auktionsverfahren versteigert werden. Der Startpreis beträgt 220 Millionen Franken. Der Entscheid ist umstritten und hat für Unmut in der hiesigen Telekom-Branche geführt. Laut Salt-Sprecher Benjamin Petrzilka bevorzugt die Auktion die sich mehr mehrheitlich im Besitz des Bundes befindende Swisscom. Salt hat deshalb bereits eine Beschwerde gegen den Entscheid in Aussicht gestellt. Mitbewerber Sunrise hatte bereits im Vorfeld der Entscheidung eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht erwogen, falls die Vergabe «zu keinem guten Ergebnis für den Wettbewerb und Sunrise führt».

Vor diesem Hintergrund rechnet niemand damit, dass die Auktion noch dieses Jahr über die Bühne geht, was die Pläne von Swisscom trübt. Der blaue Riese wollte ursprünglich noch 2018 das 5G-Netz lancieren. Branchenkenner rechnen damit, dass die 5G-Lizenzen um die 440 Millionen Franken in die Staatskasse spülen werden, was im Prinzip den Steuerzahler begünstigen sollte. Diese Annahmen beruhen auf dem durchschnittlichen Endpreis von bereits stattgefundenen 5G-Auktionen in neuen europäischen Ländern, darunter Deutschland, Italien und Frankreich. Die Vergabe der 4G-Lizenzen vor sechs Jahren brachten dem Bund knapp 1 Milliarde Franken ein. Diese Halbierung der Erträge erklärt ComCom-Präsident Stefan Netzle damit, dass bei jeder der kommenden Auktion weniger Frequenzen zum Verkauf anstehen.

Mobiles Internet setzt sich durch

Allem Anschein nach wird 5G die Geschäftsmodelle der Telekom-Anbieter ebenfalls stark tangieren. Zur Erinnerung: Der Mobilfunkstandard 3G verhalf den modernen Smartphones mit ihren vielen bunten Apps zum Durchbruch. Als Folge davon brach für Swisscom und die damaligen Mitbewerber das Milliardengeschäft mit den SMS weg. Der gegenwärtige Funkstandard 4G hat das Telefonieren mit dem Handy auf die gleiche Qualitätsstufe gehoben wie Anrufe im Festnetz. Viele Kunden haben in den letzten Jahren ihren Festnetzanschluss gekündigt. Wieso auch doppelt für die gleiche Leistung bezahlen? Mit dem neuen 5G-Standard dürfte sich diese Geschichte wiederholen. Im Fokus stünden allerdings weniger die Telefonie, sondern das Internet. Sobald die 5G-Netze in der Schweiz stehen, dürfte sich der Druck auf das Geschäft mit dem Festnetzinternet erhöhen. Bereits heute haben nämlich einige nicht nur das Festnetztelefon abbestellt, sondern auch gleich das Festnetzinternet. Das ist durchaus verständlich, denn die Qualität der mobilen Internetverbindungen ist mittlerweile hoch und wird sich noch drastisch erhöhen.

Sunrise-Chef Olaf Swantee sieht das grösste Potenzial der neuen Technologie darin, Haushalten mit schlechter Festnetzanbindung schnelles Internet über Mobilfunk anzubieten. Ausschlaggebend für diese Strategie ist der Fakt, dass sich die noch nicht mit Glasfaser angebundenen Haushalte vorwiegend in ländlichen Gegenden oder Agglomerationen befinden. Genau dort ist es einfacher, das Mobilfunknetz auszubauen, weil in den Städten die Strahlenschutzgrenzwerte bereits erreicht sind. Gerade Letzteres dürfte den Telekom-Anbietern aber einen weiteren Stein in den Weg legen.

Städtische Antennen erreichen 90% der zulässigen Leistung

Im März dieses Jahres sagte der Ständerat Nein zu höheren Grenzwerten für Handyantennen, indem er eine entsprechende Motion ablehnte. Da die Grenzwerte in einer Verordnung festgelegt sind, könnte der Bundesrat im Prinzip selber über die Erhöhung entscheiden und hat sich auch bereits dafür ausgesprochen. Doch durch diesen Entscheid sind der Regierung nun faktisch die Hände gebunden. Laut Swisscom erreichen die städtischen Antennen bereits 90 Prozent der zulässigen Leistung. Ein Ausbau sei nicht mehr möglich. Für die Einführung von 5G, die in den nächsten Jahren ansteht, müssen die Mobilfunkfirmen damit neue Antennenstandorte finden, was angesichts des Widerstands aus der Bevölkerung meist sehr aufwendig ist. Wie Swisscom in einer Stellungnahme schreibt, wird mit dem Entscheid das 5G-Netz lückenhaft bleiben. Das volle Potenzial werde nicht genutzt werden können. Trotzdem will Swisscom nach eigenen Angaben den Ausbau von 5G «im Rahmen des Möglichen vorantreiben».

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