Macro Perspective: Warum eine Gewinnrezession zu erwarten ist

Regierende setzen Notenbanken unter Druck

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„Das, was war, wirkt auf uns allemal tiefer als das, was ist.“ Egon Friedell, 1878-1938, Kulturhistoriker, Journalist, Dramatiker

Nach Erdogan tun es auch Trump und die italienische Regierung: die Unabhängigkeit der Notenbank unterminieren, um eine willfährige Zinspolitik bestimmen zu können. Und dies, obwohl das türkische Beispiel mit -43% Indexperformance auf USD-Basis in 2018 deutlich vor Augen führt, welche Konsequenzen eine solche Politik nach sich zieht.

Während in der Türkei der Fall klar ist, da der Präsident inzwischen die Notenbankpolitik über den von ihm ernannten Notenbankchef indirekt bestimmt, ist die Evaluierung in den USA weit schwieriger. Zuletzt mag der Eindruck entstanden sein, dass der Fed-Chairman Jerome Powell nach einer Reihe von Einschüchterungen und Angriffen Trumps nun plötzlich tut, was er soll, doch das ist ein Trugschluss, obwohl Powell von Trump als Nachfolger von Janett Yellen vorgeschlagen worden war.

Fed zeigt Geduld

Wie im Rest der Welt zeigt sich inzwischen, dass der Wirtschaftsmotor auch in den USA zu stottern beginnt. So sind die Einzelhandelsumsätze zuletzt eingebrochen. Aus dem für 2019 zunächst geplanten und kommunizierten „dot-plot“ von vier Mini-Erhöhungen der Leitzinsen werden nun wohl nur zwei erfolgen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Powell als neu angetretener Notenbankchef und um Trumps Begehren wissend erst mal als „Falke“ auftreten musste, um Glaubwürdigkeit herzustellen. Deshalb fällt es ihm jetzt mit Anzeichen der konjunkturellen Verlangsamung relativ leicht, den Ausblick an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen – ohne Gesichtsverlust. Wegen der „conflicting signals“, so Powell wörtlich, könne sich die Fed nun den „luxury of patience“ leisten.

Unabhängigkeit der Notenbank unter Beschuss

Doch das ändert nichts an Trumps Einmischung und seiner Überzeugung, dass auch die „unabhängige“ Notenbank zu tun hat, was er will. Notfalls wird Powell eben gefeuert, was sich in die Personalpolitik des amtierenden Präsidenten nahtlos einfügen würde. An Drohungen und Andeutungen hat es jedenfalls nicht gemangelt, weshalb unbedarfte Anleger die jetzt sanfteren Töne der Fed auch fälschlicherweise dem Druck Trumps zuschreiben.

US-Börsen mit starker Erholung

Tatsächlich hat sich ja der US-Markt von den Tiefs nach dem Ausverkauf im vierten Quartal 2018 gut erholt. Stand Freitag, 15. Februar, liegt der Nasdaq-Index in 2019 schon mit 12,6% im Plus und nur noch 7,9% unter dem Hoch vom vergangenen August. Gegenüber dem Tief vom Dezember beträgt der Index-Anstieg 21%. Zugpferde waren einmal mehr und wenig überraschend die FAANG-Aktien. Netflix verzeichnet 33% Performance in 2019, Facebook 24%. Auch S&P 500 und Dow-Jones legten seit Jahresbeginn um 10,7% und 11% kräftig zu.

Anleihemärkte als Frühindikatoren

Allerdings erzählen die Anleihemärkte eine andere Geschichte. Noch Anfang November 2018 lag die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen bei über 3,2%, dem höchsten Stand seit 2011. Das Tief hatte im Juni 2016 bei 1,36% gelegen. Dass die Bondrenditen in so kurzer Zeit jetzt wieder bei 2,6% liegen sagt in der Sprache der Bondmärkte, dass inflationäre Tendenzen und ein starkes Wachstum nicht zu erwarten sind. Im Gegensatz zu den Aktienmärkten, die oft von Euphorie oder Depression getrieben werden, liegt der Bondmarkt fast immer richtig mit der Einschätzung. Die drückt sich in den Preisveränderungen aus, die für die Aktienmärkte ein zuverlässiger Frühindikator sind.

Basiseffekt beim 10-Jahres Vergleich

Wie man es auch betrachten mag, die letzten zehn Jahre waren in vielerlei Hinsicht ausserordentlich. Da ist die tiefe Basis nach dem Ausverkauf von 2008/2009 am 1. März 2009, als der S&P 500 bei 773 Punkten angelangt war. Da sind die fortgesetzte Liquiditätsschöpfung der Notenbanken und ein anhaltendes Tiefzinsregime. Da ist eine ganze Generation von Investoren und Wählern, die nie eine Rezession erlebt haben und die bei Depression an ihre Pillen, die Schwiegermutter oder den nächsten Therapeutentermin denken.

Selbst die erfahrenen Marktteilnehmer und Auguren scheinen nach wie vor geblendet und halten die zuletzt erlebten Korrekturen für ausgestanden. Alle Extrapolationen auf Basis der letzten zehn Jahre Börsenhistorie müssen jedoch zwangsläufig bei den angewandten Prognosemodellen zu einer Fortsetzung des Aufwärtstrends führen – und das bestätigt die irrigen Annahmen.

Alternative Bewertungsmodelle

Dazu trägt zweifellos bei, dass die Medien ein noch kürzeres Gedächtnis als die Kapitalmarktteilnehmer haben. Denn es ist ja nicht so, dass es an zuverlässigen langfristigen Prognosemöglichkeiten mangelt. So ist von Warren Buffett bekannt, dass die Marktkapitalisierung im Verhältnis zum BIP als Indikator geschätzt wird. Die Shiller-CAPE Ratio ist ebenfalls hilfreich, um langfristige Trends bei der Bewertung der Aktien zu erkennen. Weniger bekannt, aber als nicht minder aussagekräftig ist noch die Q-Ratio des Wirtschafts-Nobelpreisträgers von 1981, James Tobin, einzustufen. Hier geht es um den Replacement Value der Vermögenswerte der börsenkotierten Aktiengesellschaften im Verhältnis zur Börsenkapitalisierung. Beigefügte Graphik des New Yorker Finanzanalysten Stephen Jones zeigt als Projektion, welche Returns über 10 Jahre entsprechend der jeweiligen Methode zu erwarten waren – und bis 2028 zu erwarten sind. Demnach wären zwischen -0,5% und 2,6% jährliche Rendite über die nächsten 10 Jahre realistisch. Jones eigene, z.B. um demografische Änderungen bereinigte Prognose fällt mit -4,1% p.a. noch wesentlich schlechter aus.

Quelle: marketwatch.com

Volatilität und Bärenmärkte

Quelle: Mauldin Economics

Doch wer von ewig steigenden Aktien träumt, der findet auch genau die Informationen, die ihn bestätigen, wie beispielsweise das starke Reversal vom 26. Dezember, als der Dow-Jones über 1’000 Punkte anstieg. Tatsächlich jedoch sind Tagesbewegungen von mehreren Prozent – in beide Richtungen – untrügliche Anzeichen eines Bärenmarktes. Bullenmärkte sind dagegen von signifikant geringerer Volatilität gekennzeichnet, wie etwa das idealtypische Hausse-Jahr 2017.

Gewinnrezession erwartet

Auch der Blick auf die erwarteten Unternehmensgewinne zeigt inzwischen eine Spitzenbildung an. Für das vierte Quartal 2018 wird für die S&P 500 Unternehmen laut Analystenkonsens ein Gewinnwachstum von stattlichen 16,2% prognostiziert. Doch für das erste Quartal 2019 wird nun erwartet, dass die aggregierten Gewinne sogar um 0,3% fallen. Noch im Oktober lag die Prognose für das erste Quartal bei 8,2% Steigerung. Die Basis war im Vorjahr durch die Senkung der Unternehmensbesteuerung signifikant angestiegen, was nun angesichts der Konjunkturabschwächung kaum noch zu überbieten sein wird. Mit anderen Worten: eine zyklische Gewinnrezession setzt ein. Und diese könnte nicht zuletzt aufgrund der steuerinduzierten hohen Ausgangsbasis besonders steil verlaufen – in prozentualen Veränderungen. Und allein darum geht es, wenn am Aktienmarkt die Bewertungen den ökonomischen Fakten angepasst werden.

Kräftige Abflüsse bei Aktienfonds

Der Blick auf die Abflüsse aus Aktienfonds ist auch nicht ermutigend. In den vergangenen drei Monaten haben die Anleger 82 Mrd. USD abgezogen, entsprechend etwa 2% der Assets under Management. Eine vergleichbare Intensität gab es in den letzten 15 Jahren nur fünf Mal.

Wachstumssorgen

Die Wachstumsprognosen werden unterdessen deutlich nach unten angepasst. Die Nachfrageschwäche dämpft den gesamten Euroraum und ruft bereits die EZB auf den Plan, die zumindest die Kreditvergabe durch weiteres billiges Geld für die Banken stimulieren will. Bei der Fed wächst die Sorge, dass das Wachstum plötzlich abflacht, wie es sich aktuell abzeichnet. Es gibt auch Stimmen innerhalb der Fed, die gar keine weitere Zinserhöhung in 2019 sehen.

Schwere Verstimmung zwischen Frankreich und Italien

Vor diesem ökonomischen Hintergrund ist zu erwarten, dass sich der Spaltpilz in Europa und der ganzen Welt schnell weiter ausbreitet. Ein bezeichnendes Beispiel für die EU ist, dass der französische Präsident Macron nach zahlreichen Provokationen der italienischen Regierung kurzerhand den Botschafter aus Rom zurückrief – das ist das erste Mal seit 1945! Zu beachten ist, dass Frankreich und Italien zwei der sechs ursprünglichen Staaten waren, die den EU-Vorläufer ins Leben riefen. Differenzen hat es zwar immer wieder gegeben, doch niemals einen grundlegenden Dissens wie jetzt. Besonders schlecht kam in Frankreich an, dass die italienischen Regierungsparteien die „Gelbwesten“ unterstützten, woraufhin deren Aktivitäten gewalttätiger wurden und zuletzt auch antisemitische Züge annahmen.

Die nationalistische Achse in der EU

Italien bildet mittlerweile auch, wie in der Macro Perspective prognostiziert, in der EU ein Lager mit Ungarn und Polen, was eine Ost-West-Bruchlinie innerhalb der EU bildet. Denn auch Österreich, Tschechien und die Balkanstaaten sind auf der Linie der Re-Nationalisierung und Abschottung. Bei den anstehenden Europa-Wahlen im April ist zu erwarten, dass europakritische und nationalistische Parteien weiteren Zulauf erhalten und die EU anschliessend schwächen. Auch die bayerische CSU hält Orban die Stange, trotz der offen undemokratischen Politik. Als Folge der staatlichen Indoktrination sind hohe Prozentsätze der ungarischen Bevölkerung inzwischen offen antisemitisch. In Bayern hat unterdessen still und leise der Bayerische Grenzschutz, nicht der Bundesgrenzschutz, eine rege Kontrolltätigkeit entwickelt, obwohl Grenzkontrollen innerhalb der EU abgeschafft sind.

Brexit und kein Ende

Dazu kommt, unverändert, das nicht enden wollende Brexit-Debakel. Die Wirtschaft auf den britischen Inseln verliert deutlich an Fahrt. Zahlreiche Unternehmen wollen ihr EU-Geschäft retten und schaffen Präsenz in EU-Ländern. Das Abwandern von Bankabteilungen nach Frankfurt und Paris schafft dort weitere Nachfragespitzen bei Immobilien und eskalierende Mietforderungen.

Erdogan greift China an

Unterdessen hat der türkische Präsident Erdogan eine neue Front geöffnet, dieses Mal gegen China! Es ist zwar bekannt, dass die Chinesen neben Tibetern auch Uiguren und andere Minderheiten in Lagern internieren, die historisch betrachtet oft nur Überlebensquoten von wenigen Prozent aufweisen. Mehr als 1 Mio. moslemischer Uiguren soll interniert sein, zur „Wahrung der öffentlichen Ordung“, so die Regierung. Im Westen wird kaum je über diese von Mao gegründeten Lager berichtet, um aus wirtschaftlichen Interessen keinen Gesichtsverlust der Chinesen zu riskieren. Doch die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen der Todeslager bleiben eine grausige Tatsache. Da die Uiguren ein turkmenisches Volk sind und somit mit den Türken verwandt, fühlt sich Erdogan berufen, den Missstand anzuprangern.

Shoot-to-kill

Rauer wird das gesellschaftliche Klima aber rund um den Globus. Das Beispiel von Dutertes Killerkommandos auf den Philippinen findet Nachfolger. Sri Lanka orientiert sich daran und sucht per Anzeige zwei Henker. In Brasilien gilt nach Bolsonaros Amtsantritt nun ein „shoot-to-kill“ Befehl bei Auseinandersetzungen mit kriminellen Gangs. 13 Tote sind eine erste Konsequenz.

Krisensymptome dämpfen Ausblick

Um langfristig investieren zu können, sei es an den Aktienmärkten oder in reale Unternehmen, ist für Investoren vor allem Zuversicht erforderlich. Doch der gegenwärtige makro-ökonomische Datenkranz signalisiert deutlich, dass die Nachfrage schwächelt und allzu ambitionierte Erwartungen für Investments fehl am Platze sind. Doch während der zyklische Abschwung sich in der Regel innerhalb von 1-2 Jahren wieder in einen Aufschwung wandelt, sind die strukturellen Änderungen, wie sie sich in Zollschranken, Protektionismus und Nationalismus ausdrücken, nicht einfach wieder zu ändern, zumal die politischen Winde zunehmend frostig werden.

Die Schweiz ist insofern eine „Insel der Glückseligen“, als ein grosser Teil der Zwänge, wie sie die Nachbarländer erfahren, schlicht wegfällt. Dennoch wäre es illusorisch zu glauben, dass die wirtschaftliche und politische Schwäche der EU, die Grossmachtpolitik Trumps und die Konflikte mit China auf Dauer ohne Auswirkungen bleiben.

Wenn es darum geht, wie Einschätzungen getroffen und Schlussfolgerungen gezogen werden, ist nicht nur Friedell verwundert, der sagt: „Es ist ganz merkwürdig, wie stark die Menschen im Verfehlen des Richtigen und des Nächstliegenden sind.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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